Entscheiden, was richtig ist Menschen brauchen Werte Grußwort Michael Löher, Vorstand, Deutscher Verein Sehr geehrter Herr Staatssekretär, meine sehr verehrten Damen und Herrn, liebe Kolleginnen und Kollegen, der in den 1980er Jahren einsetzende gesellschaftliche Wandel hat die Lebensentwürfe junger Menschen grundlegend verändert: Die technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen mit der Globalisierung von Markt und Gesellschaft haben Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung, auf Lernen und Bildung, auf Konsum und Freizeit. Zudem hat die deutsche Einigung gerade für die Menschen im Osten Deutschlands gravierende Veränderungen mit sich gebracht. Für das Aufwachsen junger Menschen und für Familien insgesamt verbinden sich damit neue soziale und ökonomische Rahmenbedingungen. Kinder und Eltern können nicht mehr auf traditionelle Lebensmodelle vertrauen. Die Lebensverläufe in der modernen Gesellschaft verlangen damit nach neuen Orientierungen Mit dem gesellschaftlichen Wandel wird auch ein Wertewandel identifiziert. Kritiker behaupten, heute gelte mehr denn je das Prinzip des Ellenbogens oder des Sichtreiben-lassens. Andere weisen demgegenüber darauf hin, dass Ehe und Familie sowie Gerechtigkeitsfragen deutlich an Bedeutung gewinnen würden. Wir haben 2006 gemeinsam mit dem Bundesland Brandenburg und mit der Hansestadt Hamburg diese Veranstaltungsreihe zur Werteerziehung eröffnet, weil
es aus unserer Sicht wichtig ist, den aufgeworfenen Fragen nach Neuorientierung und erfolgreicher Lebensbewältigung in der Wissensgesellschaft nachzugehen und sich über den hierfür erforderlichen Werterahmen zu verständigen. Wir wollen eine Einschätzung darüber bekommen, wo wir gegenwärtig in der Werte-Diskussion stehen: Welche Trends in den gesellschaftlichen Wertehaltungen auszumachen sind und welche Grundlagen für einen gemeinsame Wertekonsens erforderlich sind? Dabei haben wir uns in Hamburg nicht nur mit den Unwägbarkeiten, die schnelllebigen technologischen und sozialen Entwicklungen eigen sind, befasst. Sondern vor allem auch mit den Chancen der modernen Gesellschaft hinsichtlich eben der Grundlagen für einen gemeinschaftlichen Wertekonsenses. Folgende Fragen zogen sich dabei als roter Faden durch die Tagung: Gibt es in unserer Gesellschaft überhaupt so etwas wie einen gesellschaftlichen Konsens über Werteorientierungen, der eine Grundlage für die Erziehung darstellt? Welche praktischen Erziehungskonzepte haben Eltern und Pädagoginnen/Pädagogen und welche Werte vermitteln diese? Welche Chancen liegen in dem Fakt der individualisierten und pluralisierten Wertvorstellungen? Ich kann nun an dieser Stelle diese teilweise doch grundlegenden Fragen nicht im Einzelnen differenziert beantworten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es hierauf keine einfachen Antworten gibt. Im Verlaufe der Veranstaltung in Hamburg entstand jedoch immer mehr der Eindruck, dass eine gemeinsame Richtung auszumachen war: Werte als tragende Fundamente einer Gesellschaft bedürfen immer wieder des Dialogs und der Vergewisserung. Mit der heutigen Veranstaltung setzen wir diesen Vergewisserungsprozess und den Werte-Dialog daher konsequent fort. Wir wollen dabei insbesondere den für die 2
Erziehung junger Menschen Verantwortlichen Mut machen, ihnen den Rücken stärken und Orientierung geben. Es besteht sicherlich Übereinstimmung darin, dass wir eine Verständigung über gemeinsame Werte brauchen: Diese Verständigung ist einerseits für die ethisch-moralische Grundlage einer Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Sie dient den Menschen als Basis und zugleich als Orientierung für das Zusammenleben in Staat und Gesellschaft. Der Wertekonsens ist andererseits für eine demokratisch verfasste Gesellschaft unabdingbar, regelt sich doch hierüber der Umgang des Staates mit seinen Bürgern. Gerade wir, die wir für das Aufwachsen und Heranreifen der jungen Menschen zu gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten mitverantwortlich sind, sehen uns bei der Vermittlung von Werten nicht selten vor großen Herausforderungen. Ich will hier insbesondere 3 Aspekte hervorheben: 1. Die globalisierte Gesellschaft mit ihren widersprüchlichen und damit eben nicht selten divergierenden Werte Botschaften fordern den Eltern und Erziehern sehr viel ab. Im Dickicht der Vielfalt von Informationen und Eindrücken, die auf Kinder und Jugendliche einwirken, wird es schwer, mit den heimlichen Wertevermittlern Schritt zu halten. Und dennoch: Gerade die durch den technologischen und sozialen Wandel bedingte Vielfalt von Informationen und Eindrücken machen einen gemeinsamen Wertekanon unabdingbar, um Orientierung überhaupt zu ermöglichen. 2. Wertevermittlung ist eng mit Bildung verknüpft. Nicht nur das Faktenwissen über Werte und ihre Bedeutung für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist wichtig, sondern auch und gerade die Interpretation auf ethisch-moralischer und humaner Grundlage und die Entwicklung eines Gefühls dafür, was dies beinhaltet und bedeutet. Erst diese Trias kann auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen entscheidenden Einfluss nehmen. 3
3. Daraus folgt, dass Werte nicht nur einfach gelehrt werden können, sondern sie müssen im Alltag gelebt und erlebbar gemacht werden: Respekt und Achtung vor dem Anderen und dem Anders-Sein, die partnerschaftliche Lösung von Konflikten, der faire Austausch von Meinungen und Positionen durch Rede und Gegenrede, die Solidarität mit Schwächeren, das alles sind Werte, die uns wichtig sind. Sie überzeugend im Alltag zu vermitteln stellt an Eltern und an Pädagoginnen und Pädagogen große Anforderungen. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass Kritiker der heutigen Jugend eine eher laxe Wertehaltung vorwerfen. Wäre dies so, wäre dies in der tat wenig ermutigend für uns alle. An dieser Stelle möchte ich mit einem Blick auf die Ergebnisse der 15. Shell Jugendstudie, die 2006 erschienen ist, uns allen Mut machen. Entgegen der in den Medien zu häufig veröffentlichten Meinung, dass die Jugend, wenn überhaupt, dann eine eher und nahezu ausschließlich materielle Werteausrichtung habe, wird in der Shell - Studie weitaus differenzierter auf diese Frage eingegangen: Die Auswertung der Antworten der insgesamt 2.500 befragten 12 25- jährigen zeigt: Die Jugend heute hat im Grunde eine stabile Werteorientierung! Dabei ist vor allem interessant, dass die weichen Wertethemen wie Freundschaft und Familie weiter im Trend sind, gefolgt von einem Streben nach persönlicher Unabhängigkeit; im Aufwind sind auch so genannte Sekundärtugenden wie Fleiß und Ehrgeiz und ein gesundheitsbewusstes Leben. Mädchen und junge Frauen sind offenbar das wertebewusstere Geschlecht: Übergreifende Lebensorientierungen wie das Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein sowie das soziale Engagement sind für sie wichtiger als für Jungen und junge Männer. Das bezieht auch Werte wie Familie und Partnerschaft mit ein. Männliche Jugendliche, so die Studie weiter, setzen mehr auf ein konkurrenz- und wettstreitorientiertes Lebenskonzept, wobei diesem nicht eine Ellenbogenstrategie mit rücksichtsloser Durchsetzungskraft zugrunde liegt. 4
Sicherlich werden wir im Verlaufe des heutigen Tages in den Workshops und im Plenum die Hintergründe für die unterschiedlichen Ausprägungen in den Wertehaltungen von Jungen und Mädchen weiter ausleuchten und diskutieren. Und wir werden wohl auch die sich hieraus ergebenden Schlussfolgerungen für das Handeln im Alltag von Familien, Kindergärten und Schulen ziehen. Auch ich freue mich, dass diese Veranstaltung hier in Potsdam auf derart großes Interesse gestoßen ist. Sicherlich ist dies auch auf die Vorreiterrolle des Bundeslandes Brandenburg zurückzuführen, das die Organisierung eines Öffentlichen Wertedialogs übernommen hat. Es zeigt sich darüber hinaus jedoch auch, wie groß das Interesse in Öffentlichkeit und Politik an einem verbindlichen Diskurs zu diesem Thema ist. In wünsche uns allen anregende Informationen und ergebnisorientierte Diskussionen. 5