Versorgung des zahnlosen Unterkiefers mit vorgefertigten Teleskopen auf einphasigen Implantaten Hermann J. Schnorbach, Jan Ploke Abb. 1: Vorbohren mit einer Linkow- Fräse. Indizes: einphasige Implantate, Teleskop, zahnloser Unterkiefer In diesem Artikel wird eine einfache und kostengünstige Methode aufgezeigt, um bei einem zahnlosen Unterkiefer unkompliziert mit zwei Implantaten einen festen und funktionstüchtigen Zahnersatz herzustellen. Diese Methode eignet sich besonders für Länder, in denen die Zahntechnik noch nicht so ausgereift ist und der Zahnarzt auf sich gestellt ist Ḋ er Wunsch, defekte oder verlorene Körperteile wiederherzustellen oder zu ersetzen ist so alt wie die Menschheit selber. Die Methoden in all den Jahren konnten jedoch keine adäquate und befriedigende Wiederherstellung des Kauorgans ermöglichen. Die Techniken verfeinerten sich, die Materialien wurden wesentlich ausgereifter, trotz 22 Dent alledem konnten fehlende Zähne nur bei ausreichendem Zahnbestand festsitzend ersetzt werden, wobei gesunde Zähne beschliffen werden mußten. Vor allem bei Nichtanlagen und Verlust einzelner Zähne war eine konventionelle Versorgung der fehlenden Zähne problematisch und traumatisch. Die häufigsten Probleme bestanden jedoch bei zahnlosen Patienten, bei denen selbst die verbesserten Prothesenkunststoffe und modernen Abdruckmethoden die Instabilität der schleimhautgetragenen Totalprothesen nicht ausgleichen konnten. Die daraus resultierende Atrophie des Kiefers führte, speziell im Unterkiefer, zu einem massiven Funktionsverlust des Kauorgans und oft zu einer Kapitulation vor der Anatomie. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden verschiedene chirurgische Techniken entwickelt, um Patienten nicht nur die Kau- Implantol 10, 1, 22-29 (2006)
Knochenfalle gelegt, welches den Kaudruck gleichmäßig auf den Knochen verteilt. Knochenspäne, welche sich durch den Gewindeschnitt in der Fräsung sammeln, werden im Zuge der Osteogenese reorganisiert. Deutlich verkürzte Behandlungsdauer im Vergleich zu konventionellen zweiphasigen Systemen. Dent Implantol 10, 1, 22-29 (2006) Abb. 2: Chirurgie-Set Trinon Q1. flächen zu ersetzen, sondern ihnen neue Zahnwurzeln zu inserieren. Die zahnärztliche Implantologie ist seit 1982 von der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten wissenschaftlich anerkannt. Gerade in den letzten 20 Jahren hat die Implantologie einen Wandel in der Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz herbeigeführt. Es könnte bald der Zeitpunkt kommen, an dem ein Gericht die Frage klären muß, ob die Unterlassung der Empfehlung der Implantation einen Verstoß gegen die ärztliche Aufklärungspflicht darstellt (Körperverletzung durch Beschleifen vitaler Zähne). Material und Methodik Das Q1 Implantat (Trinon Titanium, Karlsruhe) ist ein einphasiges Reintitanimplantat, welches seine Anwendung im Unterkiefer und stabilen Oberkieferknochen (D1-D2) findet. Durch das atraumatische Vorgehen und die Möglichkeit der prothetischen Sofortversorgung ist im Vergleich zu konventionellen zweiphasigen Systemen eine deutlich verkürzte Behandlungsdauer möglich. Einfache Behandlungsabläufe, minimaler Kostenrahmen und geringe Lagerhaltung machen dieses Konzept auch für wirtschaftlich schwache Patienten sehr interessant. Das Implant besitzt ein selbstschneidendes Gewinde, welches ein knochenschonendes Einbringen des Implantatkörpers in den Kieferknochen bei äußerst geringem Insertionstrauma und Kraftaufwand ermöglicht. Dies ist ebenfallsfür die Primärstabilität von großer Bedeutung. Bei der Entwicklung wurde Wert auf die Ausbildung eines Progressionsgewindes mit Längsfräsung als Das Q1-Implantat gibt es in einer Standard und Short Version, welche sich durch die Länge im Halsbereich (Standard: 4 mm, Short = 2 mm) unterscheiden. Das Implantat ist mit den Durchmessern 3,5; 4,5 und 5,6 mm, bzw. in den Längen 8, 10, 12 und 14 mm erhältlich. Der mit einem 7 Konus versehene Implantatkopf hat 4 symmetrische Nuten und ist beschleifbar. Die Surfoss II Oberfläche ermöglicht die sichere Einlagerung der Osteozyten. Das Implantatsystem kommt mit nur wenigen Instrumenten aus, die Implantate sind gammasterilisert und hygienisch verpackt. Chirurgisches Protokoll zum Inserieren des Implantates 1. Eröffnung mit dem Skalpell. 2. Vorbohren mit einer Linkow-Fräse (Abb. 1). 3. Pilotbohrung zur Festlegung der Implantatachse mit dem 1,5 mm durchmessenden Pilotbohrer mit Außenkühlung. 4. Festlegen des definitiven Bohrstollens mit dem Formbohrer (mit Innenkühlung). Zur einfachen Bedienung sind bei beiden Bohrern eingelaserte Längenmarkierungen angebracht. 5. Die Insertion des Implantates erfolgt zuerst mit Hand, dann mit dem Einbringschlüssel. Diesen gibt es in einer kurzen und langen Version. 6. Mit dem Handschlüssel wird das Implantat dann langsam bis zur endgültigen Position gedreht. Der Handschlüssel findet seinen Einsatz vorwiegend bei Insertion von Implantaten im Unterkiefer, während im Oberkiefer zumeist mit dem Handrad gearbeitet wird. 7. Ein dichter Nahtverschluß ist obligat. 8. Danach erfolgt entweder eine provisorische oder definitive prothetische Versorgung. 9. Die Stabilität des Implantates sollte mit dem Periotest-Gerät überprüft werden. 23
Abb. 3: Präoperativer Zustand. Abb. 4: Pilotbohrung. Optimales Ergebnis und stabile osseointegrierte Implantate. Der Zeitpunkt der prothetischen Weiterversorgung hängt von verschiedenen Faktoren ab: Knochenqualität, Primärstabilität, Art der Versorgung, Lokalisation und Wundheilung. In der Regel ist eine definitive Versorgung bei einphasigen Implantaten nach 6 bis 18 Wochen möglich. Die ersten Wochen jedoch sind für die Osseointegration von entscheidender Bedeutung. Hier sollte jede Art von Trauma (Fehlbelastungen, schlechte Mundhygiene, mangelnde Kontrolle, Nikotingenuß und Entzündungen) peinlichst genau vermieden werden, damit es zu einem optimalen Ergebnis und stabilem osseointegriertem Implantat kommt. Einphasige Implantate sollten nicht bei einem Eindrehmoment unter 20 Ncm gewählt werden, weil sonst keine ausreichende Primärstabilität gewährleistet ist, wodurch eine funktionierende Osseointegration gefährdet ist. Fallbeschreibung Im vorgestellten Fall wurden einer 92-jährigen zahnlosen Patientin (Nichtraucherin) zwei Q1 Implantate im Unterkiefer interforaminal inseriert und anschließend mit präfabrizierten Teleskopen versorgt. 1. Präoperativer Zustand des Patienten (Abb. 3). 2. Bildung des Mukoperiostlappens (Abb. 4) 3. Vorbohren mit Linkow-Fräse. 4. Pilotbohrung (Abb. 4). 5. Nach der Formbohrung (Abb. 5). 6. Q1 Implantat Länge 14 inseriert (Abb. 6) und leicht mit Hand eingedreht. 7. Nach dem Abnehmen der Kappe wurde das Handrad auf das Implantat aufgesetzt und dieses mit den Fingern soweit wie möglich langsam in den Knochen gedreht (Abb. 7). 8. Mit dem Handschlüssel das Implantat vorsichtig in Vierteldrehungen bis zur Abb. 5: Nach der Formbohrung regio 33, 43. 24 Dent Abb. 6: Inseriertes Implantat. Implantol 10, 1, 22-29 (2006)
Abb. 7: Nach dem Abnehmen der Kappe wird das Handrad aufgesetzt und mit den Fingern soweit wie möglich in den Knochen gedreht. Abb. 8: Mit dem Handschlüssel wird das Implantat vorsichtig in Vierteldrehungen bis zur endgültigen Position eingebracht. Abb. 9: Beide Implantate sitzen an gewünschter Position. endgültigen Position einbringen (eine Umdrehung sollte ca. 4-6 Sekunden dauern!) (Abb. 8). 9. Beide Implantate sitzen an gewünschter Position (Abb. 9). 10.Wegen der bukkalen Knocheneinbrüche wurde ein kleiner Knochenaufbau mit BioOss (Geistlich, Baden-Baden) durchgeführt (Abb. 10 bis 12). 11. Dichter Nahtverschluß mit 4.0 Vicryl Naht (Abb. 13). 12.Kontrolle am nächsten Tag (Abb. 14). Abb. 10 bis 12: Knochenaufbau mit BioOss. 26 Dent Abb. 13: Dichter Nahtverschluß mit 4.0 Vicryl Naht. Implantol 10, 1, 22-29 (2006)
Abb. 14: Kontrolle ein Tag post OP. Nach vier Wochen wurde die prothetische Versorgung mit präfabrizierten Teleskopen vorgenommen. Die alte Prothese wurde ausgeschliffen und weich mit Softliner (GC) unterfüttert, damit die beiden Implantate in den ersten Wochen nicht fehlbelastet werden und die Osseointegration unbehindert ablaufen kann. Hierbei gibt das Einbetten der Implantatköpfe in das Softliner-Material der Prothese sofort nach der Implantation einen guten Halt. Nach vier Wochen wurde die prothetische Versorgung mit präfabrizierten Teleskopen vorgenommen. Die industriell hergestellten, genormten Teleskope aus Titan bestehen aus zwei Teilen: Primär- und Sekundärteleskop (Abb. 15). Auf das Implantat wird das Primärteleskop zementiert, während das Sekundärteleskop mit Kunststoff in die Prothese eingebaut wird. 13.Zustand nach 4 Wochen (Abb. 16) 14.Primärteleskope zur Einprobe aufgesetzt (Abb. 17) 15.Sekundärteleskope zur Einprobe aufgesetzt. 16.Primärteleskope fest mit Permacem (Firma DMG) eingesetzt. 17.Sekundärteleskope mit Vaseline aufgesetzt (Abb. 18) 18.Prothese ausschleifen. 19.Kaltpolymerisat (Paladur, Heraeus Kulzer) eingefüllt (Abb. 19). Abb. 15: Primär- und Sekundärteleskop. Dent Implantol 10, 1, 22-29 (2006)
Abb. 16: Zustand nach 4 Wochen. Abb. 17: Primärteleskop zur Einprobe. Abb. 18: Sekundärteleskop mit Vaseline aufgesetzt. Abb. 19: Kaltpolymerisat eingefüllt. Abb. 20: Ausgearbeitete Prothese. 28 Dent Die Prothese wird in den Mund eingebracht und durch das Zubeißen fixiert. Nach 5 Minuten wird die Prothese entfernt und im Labor poliert. 20.Ausgearbeitete Prothese mit Sekundärteleskopen (Abb. 20) Die Patientin darf sofort die Prothese belasten, lediglich in den ersten 24 Stunden sollte man etwas Vorsicht walten lassen, um das Aushärten des Zementes sicher zu gewährleisten. Diskussion Das Q1 Implantat mit Teleskopversorgung stellt eine schnelle, effektive und kostengünstige Methode dar, einen zahnlosen Unterkiefer mit einer suffizienten und stabilen Prothese zu versorgen. Gerade für finanziell schwache Patienten ist dies eine erschwingliche Möglichkeit die, bedingt durch die anatomischen Verhältnisse, schlecht sitzenden Unterkiefer-Totalprothesen wieder fest zu verankern. Zudem ist es ein einfaches, leicht zu erlernendes Implantatsystem, welches auch noch unerfahrenen Implantologen die Möglichkeit gibt, schnell und unkompliziert Implantate zu setzen und zu versorgen. Nicht zu vergessen ist die einfache prothetische Versorgung. Auch mit einfachen Mitteln läßt sich eine adäquate und funktionie- Implantol 10, 1, 22-29 (2006)
rende Prothetik erstellen. Gerade in Ländern, in denen die Zahntechnik sowohl aus Kostengründen, wie auch aufgrund technischer Möglichkeiten, nicht den für Deutschland hohen Standard hat, ist dies natürlich von großem Vorteil. Kontakt: Prof. * Dr. Dr. * h. c. Dipl.-Ing. * Staatl. med. Akademie, Tbilisi Herman J. Schnorbach Dr. Jan Ploke Kaiserstr.190, 76133 Karlsruhe Abb. 21: Zufriedene Patientin. Literatur bei den Verfassern erhältlich. Key words: single-stage implants, telescope, edentulous mandible This article describes a simple and inexpensive method for fabricating a securely seated and functional restoration for an edentulous mandible using two implants. This method is particularly suitable for countries where dentistry is less advanced and the dentist has to work independently. Mots-clés : Implants posés en une phase, télescope et mandibule édentée Cet article décrit une méthode simple et peu coûteuse pour réaliser une prothèse fixe et viable avec deux implants dans le cas d'une mandibule édentée. Cette méthode convient particulièrement aux pays où les techniques dentaires ne sont pas si perfectionnées et où le chirurgiendentiste ne peut compter que sur ses propres moyens. Palabras clave: implantes de una sola fase, telescópico, maxilar inferior edéntulo El presente artículo presenta una técnica sencilla, de bajo coste, para confeccionar una prótesis fija funcional en maxilares inferiores edéntulos usando dos implantes. Este método es particularmente apropiado para aquellos países en que, debido al menor desarrollo de la técnica dental, el odontólogo depende exclusivamente de sus propios recursos.