SCHWERPUNKT Breit wie ein Airbus, leicht wie ein Auto Mit dem Solarflugzeug durch die Nacht und um die Welt Lausanne/Dübendorf (dpa/fwt) Die Nächte in der Luft zu verbringen in einem durch die Sonne angetriebenen Flugzeug? Das allein klingt wohl schon atemberaubend. Und dann auch noch um die ganze Welt fliegen? Diese ehrgeizige Vision soll 2012 Wirklichkeit werden. Das Projekt heißt Solar Impulse und ist der neue Traum des Schweizer Abenteurers Bertrand Piccard, der 1999 bereits als Erster mit einem Heißluftballon den Erdball umrundete. Zusammen mit seinem Partner André Borschberg, ebenfalls Schweizer, und einem großen Team hat er ein Flugzeug entwickelt, das so breit ist wie ein Airbus 340 und so leicht wie ein Mittelklassewagen. Im Dezember hob der Prototyp mit dem Kürzel HB-SIA erstmals für 350 Meter ab. Mitte März soll ein ein- bis zweistündiger Flug folgen, Mitte 2010 ein erster Flug über Nacht. Derzeit wird das Gefährt in Einzelteilen zum Schweizer Flughafen Payerne transportiert und für den Flug montiert. 63 Meter Spannweite, 22 Meter lang Sechs Jahre haben die Forscher am Design, der Technik und den Materialien getüftelt, bis die Solar Impulse zum ersten Flohhüpfer auf dem Militärflugplatz Dübendorf in der Schweiz ansetze. HB-SIA sieht aus wie ein überdimensioniertes Segelflugzeug: Mehr als 63 Meter Spannweite, rund 22 Meter lang, mit einem Leitwerk in Form eines Kreuzes am hinteren Teil und nur 1600 Kilogramm schwer. Aber anstelle von 300 Menschen, die in einem Airbus 340 fliegen könnten, gibt es lediglich Platz für einen Piloten im Cockpit. Bei der geplanten, 20-tägigen Weltumrundung im Jahr 2012 wollen sich Piccard und Borschberg bei einigen Zwischenlandungen am Steuer von Solar Impulse abwechseln. Wir werden von West nach Ost und nördlich in der Nähe des Äquators fliegen, sagt Borschberg, der das Unternehmen als Pilot und Ingenieur leitet. Der Startpunkt der Reise liegt noch nicht fest, aber Dubai könnte so ein Ort sein. Piccard ist der Visionär und Präsident von Solar Impulse. Nächtlicher Gleitflug Derzeit strebt das Team eine Fluggeschwindigkeit zwischen 50 und 100 Stundenkilometern an. Tagsüber steigt das Flugzeug nach oben und lädt seine Batterien, nachts beginnt ein Gleitflug auf 1000 bis 3000 Metern Höhe. Dann leeren sich die Batterien, bis am nächsten Morgen die Sonne Seite 2
wieder scheint und alles von vorne losgeht. Begleitet werden sollen alle Flüge von einem Bodenteam, zu dem auch ein Arzt, Ingenieure und Meteorologen gehören werden. Die ständige Beobachtung der Wetterlage ist von großer Bedeutung, denn mit seiner Breite und der relativ niedrigen Geschwindigkeit von durchschnittlich 70 Stundenkilometern wird die geplante HB-SIB anfällig für Turbulenzen sein. Bei Böen könnte der Flieger leichter als schnellere Verkehrsflugzeuge in eine Schräglage geraten. Doch bevor es losgehen kann, haben die 70 Mitarbeiter von Solar Impulse und die hunderten von externen Experten noch einiges vor sich. Es ist ein ständiges Abwägen zwischen möglichem Gewicht, angestrebter Flughöhe und benötigter Energie. Bei der Entwicklung des ersten Prototyps gingen die Wissenschaftler von der Kraft der Sonne aus: Über den gesamten Tag verteilt liefert sie 250 Watt pro Quadratmeter Fläche oder 0,3 PS. Damit das Flugzeug möglichst wenig Energie verbraucht, muss es leicht und der Widerstand entsprechend gering sein. Die Berechnung ergab die Spannweite von 63 Metern und das Gewicht von 1,6 Tonnen. Mit 12 000 Solarzellen vollgepackt Dank der enormen Spannweite finden exakt 11 628 Siliziumzellen auf dem Flugzeug Platz. Diese sollen tagsüber das Sonnenlicht sammeln, so dass die vier 10-PS-Elektromotoren betrieben werden können. Die Solarzellen haben einen Wirkungsgrad von 22 Prozent, das heißt 22 Prozent der auftreffenden Sonnenstrahlen können in elektrische Energie umgewandelt werden. Es gäbe durchaus Zellen mit Wirkungsgraden von 30 Prozent, aber diese wären dann wieder schwerer. Für den Nachtflug wird die Energie in vier Lithium-Polymer-Batterien gespeichert, die mit 400 Kilogramm insgesamt ein Viertel des Gewichts von HB-SIA ausmachen. Um Gewicht zu sparen, bauten die Flugzeugbauer ein wabenartiges Gerüst aus extrem leichten Karbonfasern. Das Flugzeug sieht abgesehen von der Größe recht konventionell aus, da wollten wir nicht etwas ganz Verrücktes erfinden, sagt André Borschberg der Deutschen Presse-Agentur dpa. Aber wir haben viele Materialien weiterentwickelt und neu geschaffen. So wurde für die Batterien einer koreanischen Firma eine neuartige Elektrolytlösung verwendet. Die Siliziumzellen sind nur 150 Mikrometer dick und wurden auf neuartige Weise verkapselt, damit sie möglichst leicht und gut gegen Feuchtigkeit geschützt sind. Bei dem Gerüst nutzten die Flugzeugbauer leichte und stabile Karbonfasern. Abenteuerlust in die Wiege gelegt Dem Psychiater Bertrand Piccard wurde die Lust zur Eroberung der Lüfte schon in die Wiege gelegt. Sein Großvater Auguste Piccard stieg in den Seite 3
1930er Jahren in einem Ballon als erster Mensch in die Stratosphäre auf, höher als 15 000 Meter. Jacques Piccard, Bertrands Vater, zog es in die Tiefsee vor genau 50 Jahren tauchte er rund 11 000 Meter in den Marianengraben im Pazifischen Ozean ab, zum tiefsten Punkt der Meere. Mit der Strahlkraft des Namens Piccard hat sich Solar Impulse zu einem großen Projekt mit einem veranschlagten Budget von rund 70 Millionen Euro entwickelt. Geldgeber sind unter anderem eine große Bank, ein Uhrenhersteller und ein Chemie-Unternehmen. Die Liste des Patenschaftskomitees für Solar Impulse ist illuster. Dazu gehören der Astronaut Buzz Aldrin der zweite Mensch auf dem Mond und der Urenkel von Jules Verne, Jean Verne. Sie alle träumen Piccards und Borschbergs Traum mit, die ohnehin die ganze Welt an ihrem Projekt teilhaben lassen wollen. Es geht dem 51- Jährigen Piccard und seinem Freund Borschberg (57) weniger darum, einen Rekord aufzustellen, als die Menschen aufzurütteln, damit sie weniger Rohstoffe verbrauchen. Sie wollen Botschafter der erneuerbaren Energien sein und zeigen: Man kann minimale Ressourcen einsetzen und trotzdem viel erreichen. Ein Anreiz, Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet anzukurbeln. Die Geschichte der Luft- und Raumfahrt ist voller Projekte wie Solar Impulse und wäre ohne große Visionäre wie die Wright-Brüder im Jahr 1903 (sie flogen erst 37 und dann 260 Meter weit mit einem motorisierten Doppeldecker) und finanzielle Anreize nie geschrieben worden auch wenn sie zunächst einmal wenig nützlich erschienen. Eine sportliche Angelegenheit Das Projekt ist eine sportliche Angelegenheit mit motivierendem Charakter, wie es sie in der Geschichte der Luft- und Raumfahrt immer wieder gegeben hat, sagt Peter Pletschacher, Präsident des Vereins Luftfahrt- Presse-Club Deutschland. Für die Überquerung des Ärmelkanals im Jahr 1909 wurde beispielsweise ein hoher Geldpreis ausgeschrieben. Damals konnte man sich auch nicht vorstellen, wie weit wir heute sein würden, sagt er. Solar Impulse sei ein tolles Vorhaben mit viel Intelligenz und Technologie dahinter, auch wenn es wohl in absehbarer Zeit keinen unmittelbaren Einfluss auf neue Produkte haben wird. Anfang Dezember flog der deutsche Testpilot Markus Scherdel mit dem Prototyp erstmals 350 Meter weit in etwa einem Meter Höhe, umjubelt vom Team. Allerdings kam da die Energie noch nicht durch die Solarzellen, sondern aus bereits aufgeladenen Batterien. Im März soll es dann einen ein- bis zweistündigen Flug geben, und im April sollen laut Borschberg die Seite 4
Solarzellen als Energielieferant zum Einsatz kommen und Piccard und Borschberg werden den Flieger selbst steuern. Zwischen Mai und Juli 2010 solle dann der erste Nachtflug folgen: 36 Stunden, von morgens bis zum nächsten Abend. Und wenn dann alles gut ist, bauen wir den Nachfolger HB-SIB, der um die Welt fliegen soll. Mit oder ohne Sauerstoffmaske? Für den Nachfolger gilt es wichtige Entscheidungen zu treffen. Wir wissen noch nicht, ob wir ein Cockpit mit Druckausgleich bauen oder nicht, sagt Borschberg. Mit Druckausgleich ist der Vorteil für den Piloten, dass er ohne Sauerstoffmaske fliegen kann. Aber dafür wird das Cockpit dann auch schwerer und vielleicht müsste dann die Spannweite des Fliegers noch größer sein. Ob es eine Druckkabine geben wird ist auch ausschlaggebend für die Flughöhe: Ohne Druckausgleich könnten Piccard und Borschberg bis zu 8500 Metern hoch steigen, mit dagegen bis 11 000 Meter. Eine weitere Herausforderung ist auch das Gewicht der Batterien: Könnten diese noch mehr Energie speichern und wären leichter, so könnte man gegebenenfalls einen zweiten Piloten mit an Bord nehmen, vielleicht mehr Platz im Cockpit schaffen. Und neben den technischen Hürden gibt es bei diesem Projekt auch menschliche zu überwinden: Mehr als drei bis fünf Tage am Stück kann ein Pilot nicht in dem 1,3 Kubikmeter großen Cockpit mit dem Komfort der Economy-Class verbringen. Der Sitz ist zugleich Toilette, Aufstehen wird nicht möglich sein, und an Schlaf ist kaum zu denken. Yoga, Hypnose, Meditation und viel Geduld Um Thrombosen zu vermeiden, entwickeln wir gerade spezielle Yoga- Übungen, sagt Borschberg. Piccard wird Hypnosetechniken einsetzen und Borschberg meditieren, um so ausgeruht wie möglich zu sein. Damit die beiden nicht doch richtig einschlafen und abstürzen, hat das Team eine Jacke entwickelt, die in regelmäßigen Abständen vibriert. Auch wenn sich das Flugzeug mehr als fünf Grad zur Seite neigt, meldet sich die Jacke. Neigt sich der Flieger zu weit nach links, vibriert der linke Arm und ich weiß, ich muss den Steuerknüppel nach rechts ziehen, erläutert Borschberg. Borschberg war unter anderem Kampfjetflieger bei der Schweizer Luftwaffe, Piccard ist Europameister im Kunstflug. Sie kennen sich mit den diversesten Flugmaschinen aus. Bei Solar Impulse werde die größte Herausforderung die Geduld sein, die man zum Steuern brauche, sagt Borschberg. Wenn ich ein Manöver fliege, reagiert Solar Impulse sehr Seite 5
langsam. Ich darf nicht überreagieren und muss einige Sekunden warten, bis etwas passiert, das kann sehr schwierig sein. Vorbereiten können sich die Piloten in einem Simulator, erste Tests über 25 Stunden haben die beiden schon vor zwei Jahren absolviert. Auf dem Weg zur Flugfreigabe An den Tests zum Flugverhalten und für die Flugfreigabe von Solar Impulse sind Wissenschaftler verschiedener Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen und Braunschweig entscheidend beteiligt. Im Januar reiste der Ingenieur Marc Böswald vom DLR-Institut für Aeroelastik von Göttingen in die Schweiz, bereits zum zweiten Mal, für Versuche zum Schwingungsverhalten. Es darf auf keinen Fall passieren, dass das Flugzeug in der Luft anfängt wie eine Fahne im Wind zu flattern, sagt Böswald. Gibt es dafür im Vorfeld Hinweise, dann wird die Fluggenehmigung nicht erteilt. Deshalb hat Böswalds Team 160 kleine Sensoren überall auf dem Prototyp HB-SIA angebracht, verkabelt mit etlichen hundert Metern Kabeln, die in Computern enden. Zwei Tage hat sein achtköpfiges Team dafür gebraucht. Dann haben wir das Flugzeug ins Schwingen gebracht und mit den Sensoren gemessen, wie stark die Vibrationen insbesondere des Flügels und des Leitwerks sind. Im Flug könnten Situationen auftreten, bei denen Schwingungen nicht mehr von selbst aufhören, sondern immer größer werden. Dann sprechen die Experten von Flattern. Die Ergebnisse der Schwingungsmessung am Boden werden nun in ein Simulationsprogramm am Computer eingegeben, so dass weitere Schritte zur Zulassung mit Hilfe eines Simulationsmodells vorgenommen werden können. alles Große im Namen übertriebener Hoffnungen Die Solar Impulse ist nicht das einzige Projekt dieser Art und nicht das erste von Menschen erdachte Solarflugzeug, das betonen auch Piccard und Borschberg. Da gibt es etwa die Sunseeker, mit der der Amerikaner Eric Raymond die USA in 21 Etappen überquerte. In den USA gibt es Entwicklungen von Solar-Flugzeugen, unter anderem durch das Militär, die unbemannt sehr lange fliegen sollen. Das französische Unternehmen Lisa Airplanes arbeitet an dem Flieger Hy-Bird, der mit Sonnenenergie und Wasserstoff betrieben werden soll. Das 16 Meter breite und 850 Kilogramm schwere Modell soll in den kommenden Jahren ebenfalls zu einem Flug um die Erde ansetzen, in Etappen von 6 bis 14 Stunden. Bei der Weltumrundung soll das Flugzeug 30 bis 40 Mal zwischenlanden und jeweils von einem Piloten des angesteuerten Landes geflogen werden. Ziel ist es, Hy-Bird später einmal kommerziell zu vertreiben. Seite 6
Der Luftfahrt-Journalist Pletschacher traut dem Team den Erfolg zu. Man kann zwar nicht in die Kristallkugel schauen, aber ich traue ihnen das zu, das zu schaffen. Wer will, kann Solarzellen für die Tragfläche des Fliegers via Internet adoptieren und so das Projekt unterstützen. Nach Angaben von Solar Impulse sind derzeit 70 Prozent des Budgets gesichert, den Rest müssen die Initiatoren noch auftreiben. Auf die Niederlage, das Scheitern, sind Borschberg und Piccard innerlich vorbereitet, nehmen Zweiflern aber die Luft aus den Segeln. Wer es nicht versucht, ist schon gescheitert, sagt Borschberg. Und Solar Impulse-Pate Jean Verne schreibt: Zeit, Geduld, Zähigkeit schrieb mein Urgroßvater Jules Verne, weil alles Große in der Welt im Namen übertriebener Hoffnungen vollbracht wurde. Internet Startseite des Projektes: www.solarimpulse.com Christiane Löll (199 Zeilen / 13202 Anschläge) Bilder Hierzu hält das dpa-bildarchiv Fotos der Solar Impulse bereit, unter anderem bei ihrem Flohhüpfer. Die Aufnahmen können angefordert werden unter der Telefonnummer 0 69/27 16 3 42 65. Seite 7