Überwachung der Radioaktivität in der Atmosphäre durch den Deutschen Wetterdienst. T. Steinkopff

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Transkript:

62 DWD Klimastatusbericht 2002 Überwachung der Radioaktivität in der Atmosphäre durch den Deutschen Wetterdienst T. Steinkopff Aufgabenstellung Die aktuelle Wettervorhersage oder die Klimaveränderung sind Fragestellungen, die selbstverständlich zum Aufgabenspektrum des Deutschen Wetterdienstes (DWD) gezählt werden. Weitgehend unbekannt ist allerdings der Gesetzesauftrag an den DWD aus dem Jahr 1955, die Atmosphäre auf Radioaktivität zu überwachen. Nach 1945 wurde insbesondere die nördliche Hemisphäre mit Radionukliden aus dem Fallout von Kernwaffenversuchen der ehemaligen Sowjetunion und der USA in zunehmendem Maß belastet. Zur kontinuierlichen Überwachung wurde der DWD gemäß der Gesetzesnovelle vom 8.August 1955 (BG Bl.I S.506) zum Wetterdienstgesetz des Jahres 1952 (BG Bl.I S.739) mit der Überwachung der Atmosphäre auf radioaktive Beimengungen und deren Verfrachtung beauftragt. Dieser gesetzliche Auftrag wurde auch im Gesetz über den Deutschen Wetterdienst von 1998 und auch im Strahlenschutzvorsorgegesetz, das angesichts der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Dezember 1986 verabschiedet wurde, festgeschrieben. Aerosol Aktivität Alphastrahler Becquerel (Bq) Betastrahlung Dosis Gammastrahlung Halbwertszeit Kosmische Strahlung Terrestrische Strahlung Radioaktivität Gase mit festen oder flüssigen Schwebeteilchen Anzahl der je Sekunde zerfallenden Atomkerne eines radioaktiven Stoffes Radionuklide, die Alphateilchen (Heliumkerne) aussenden Einheit der Aktivität eines Radionuklids. Die Aktivität beträgt 1 Becquerel, wenn von der vorliegenden Menge eines Radionuklids 1 Atomkern pro Sekunde zerfällt Teilchenstrahlung, die aus beim radioaktiven Zerfall von Atomkernen ausgesandten Elektronen besteht Maß für eine näher anzugebende Strahlenwirkung Energiereiche elektromagnetische Strahlung, die bei der radioaktiven Umwandlung von Atomkernen oder bei Kernreaktionen auftreten kann Die Zeit, in der die Hälfte der Kerne eines Radionuklids zerfällt Sehr energiereiche Strahlung aus dem Weltall Strahlung der natürlich radioaktiven Stoffe, die überall auf der Erde vorhanden ist Eigenschaft bestimmter Stoffe, sich ohne äußere Einwirkung umzuwandeln und dabei eine charakteristische Strahlung auszusenden Bereits 1956 nahm das Wetteramt Schleswig als erste Radioaktivitätsmessstation des Messnetzes, abgesehen von der Zentrale in Königstein bei Frankfurt a.m., seine Messaufgaben wahr. Der DWD blickt somit im Jahr 2002 auf eine 47-jährige Geschichte seiner Radioaktivitätsmessungen zurück. Für den weiteren Aufbau des Radioaktivitätsmessnetzes standen die rund um die Uhr besetzten Stationen des synoptisch-klimatologischen Messnetzes des DWD zur Verfügung. Jede Station war kommunikationstechnisch an die Zentrale in Offenbach angebunden. Der operationelle Betrieb und die kontinuierliche Übertragung von Messwerten gehörten zur täglichen Routine des Stationspersonals.

Klimastatusbericht 2002 DWD 63 Natürliche und künstliche Radioaktivität in der Atmosphäre Die Bestimmung des Untergrundpegels der Umweltradioaktivität und die Erfassung von Veränderungen setzt die Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen, das heißt von Menschen produzierten (kerntechnische Anlagen) bzw. angereicherten Radionukliden (z.b. Uranbergbau), voraus. Die natürliche Radioaktivität ist die Folge von radioaktiven Zerfallsprozessen im Boden und der kosmischen Strahlung. Als Radium- und Thorium-Emanation entweicht radioaktives Radon-220 bzw. Radon-222 dem Erdboden; deren Zerfallsprodukte lagern sich an den atmosphärischen Aerosolpartikeln an. Diese bestimmen den weiteren Verfrachtungsweg der Radonfolgeprodukte mit größerer Halbwertszeit. Je nach Wetterlage werden die Aerosolpartikeln horizontal und vertikal verfrachtet und kehren schließlich durch trockene Ablagerung oder durch die auswaschende Wirkung des Niederschlags zum Boden zurück, um dann mit dem Eindringen des Niederschlags in den Erdboden zu versickern. Entsprechend diesem Kreislauf hat die natürliche Radioaktivität ihre höchste Konzentration in Bodennähe. Niederschläge, Frost und Schneebedeckung bewirken eine Herabsetzung der Konzentration in der bodennahen Luft. Wind und Sonnenschein bei trockenem Boden sowie Inversion in unteren Schichten fördern die Konzentration. Meeresluftmassen weisen eine deutlich geringere Aktivitätskonzentration auf als Festlandsluft. Auch durch die kosmische Strahlung werden radioaktive Isotope erzeugt. Beryllium-7 und Kohlenstoff-14 zum Beispiel werden in der Stratosphäre gebildet und durch den Austausch zwischen der Stratosphäre und der Troposphäre in die Troposphäre transportiert. Ein anderes Verhalten zeigt die künstliche Radioaktivität, die in Auswirkung von Atombombenversuchen oder Reaktorunfällen in der Atmosphäre auftrat (Hinzpeter et al., 1959). Der Anteil, bei dem die Sedimentation der Teilchen aufgrund der Schwere keine Rolle spielt, bleibt lange schwebend in der Luft und wird entsprechend den atmosphärischen Strömungen horizontal und vertikal verfrachtet. Für die Reinigung der Troposphäre wird in erster Linie der Niederschlag (Regen, Schnee) verantwortlich gemacht. Durch Rain-Out bzw. Wash-Out gelangen die radioaktiven Teilchen zum Erdboden, um dann mit dem Regen im Boden zu versickern. Der Aufenthalt und die Wirksamkeit der Partikel werden bestimmt durch den Luftaustausch Stratosphäre- Troposphäre und den radioaktiven Zerfall. Messungen Die Aufgabe des DWD besteht in der kontinuierlichen Messung der Radioaktivität in der Atmosphäre. Dadurch wird der Grundpegel erfasst und jegliche Änderung dieses Pegels durch erhöhte natürliche oder künstliche Radioaktivität festgestellt. Im Rahmen der Radioaktivitätsüberwachung wurde seit 1957 die Gesamtbetaaktivität der Luft und im Niederschlag gemessen. Zwischen dem Anteil der natürlichen und dem Anteil der künstlichen Radioaktivität konnte durch eine Messung unmittelbar

64 DWD Klimastatusbericht 2002 nach Beendigung der Probeentnahme nicht unterschieden werden. Da die einzelnen Radionuklide, die im wesentlichen für die natürliche Radioaktivität verantwortlich sind (Radon-222, Blei-214, Wismut-214), nur kurze Halbwertszeiten haben, spielt deren Radioaktivität nach kurzer Zeit keine große Rolle mehr. Daher wurde die Messung nach einer Wartezeit von 48 bzw. 120 Stunden verzögert durchgeführt. Die dann resultierenden Messergebnisse wurden der künstlichen Radioaktivität und der langlebigen natürlichen Radioaktivität zugeordnet. Direkte Messungen der Aktivitätskonzentration einzelner Radionuklide waren nur durch aufwändige radiochemische Trennverfahren möglich. Diese Verfahren waren beschränkt auf Proben am Standort des Radiochemischen Labors zunächst Königstein im Taunus, dann Offenbach a.m. Später wurde ein Verfahren eingesetzt, das durch direkte Messung der Gammastrahlung eine parallele, zerstörungsfreie Bestimmung einzelner Radionuklide erlaubte (Gammaspektrometrie). Dieses Verfahren gehört heute zum Standard. Abb. 1 zeigt die über alle Stationen gemittelte Gesamtbetaaktivität im Niederschlag von 1957 bis 2001. Die drei Maxima lassen sich direkt mit der Anzahl der Kernwaffenversuche der USA und der damaligen Sowjetunion in den Jahren 1957/1958 und 1962/1963 bzw. dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 korrelieren. Nachdem 1963 das Abkommen über das Verbot zur Durchführung von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre von fast allen Staaten unterzeichnet und eingehalten wurde, nahm auch der Anteil der künstlichen Radioaktivität in der Luft und im Niederschlag deutlich ab. Die Auswirkungen der von der Volksrepublik China in der Atmosphäre durchgeführten Kernwaffenversuche waren als geringe Erhöhungen der Messwerte in den Jahren 1977 und 1981 festzustellen (Kiesewetter, 1981). Fall-out Rain-out Rückwärtstrajektorie Vorwärtstrajektorie Wash-out Radioaktives Material, das nach einer Freisetzung in die Atmosphäre auf die Erde zurückfällt Ausregnen von radioaktiven Aerosolpartikeln. Anlagerung von atmosphärischen Spurenstoffen innerhalb einer Wolke in Wolkentröpfchen. Berechnung des Transportswegs von Luftmassen ausgehend von einem Ankunftsort, um die Quelle abzuschätzen Berechnung des Transportwegs von Luftmassen ausgehend von einem Quellort, um die Verfrachtungsrichtung und die Transportzeiten abzuschätzen Auswaschen von radioaktiven Aerosolen durch Regen Gemäß der 1976 novellierten Strahlenschutzverordnung wurden im Rahmen der Kernkraftwerksüberwachung niedrigere Nachweisgrenzen für die eingesetzten Messverfahren gefordert. Für die allgemeine Radioaktivitätsüberwachung wurden diese Forderungen in Bezug auf die im DWD eingesetzten Messverfahren übernommen und damit ein höherer Qualitätsanspruch an die Leistungsfähigkeit der Messsysteme und der Probeentnahmeverfahren gestellt. Trotz dieser höheren Ansprüche im Strahlenschutz war gleichzeitig der Stellenwert der Aufgabe zur allgemeinen Radioaktivitätsüberwachung in den frühen 80er Jahren stark gesunken, da eine umfassende Kontamination der Umwelt unwahrscheinlich schien.

Klimastatusbericht 2002 DWD 65 Abb. 1 Gesamtbetaaktivität im Niederschlag. Dies änderte sich durch den Reaktorunfall von Tschernobyl. Mit den 1986 zur Verfügung stehenden Messgeräten wurde die aerosolpartikelgetragene Radioaktivität an den 12 Messstationen des DWD im Zwei-Stunden-Takt direkt ermittelt und der Durchgang der radioaktiv kontaminierten Luftmassen bestimmt. Der Effekt der künstlichen Radioaktivität war in diesem Fall deutlich höher als der durch die natürliche Radioaktivität verursachte Effekt. Am Beispiel der Messstation Regensburg wird dies in Abb. 2 anhand der direkt gemessenen Beta-Aktivität gezeigt (Steinkopff 1987). Abb. 2 Messwerte der Luft in Regensburg.

66 DWD Klimastatusbericht 2002 Abb. 3 Radioaktivitätsmessnetz des DWD 1 Zentrallabor 20 Spurenmessstellen 20 Messstellen für Luft und Niederschlag 4 Sammelstellen für Niederschlag

Klimastatusbericht 2002 DWD 67 Auch standen Ergebnisse für einzelne Radionuklide nach gammaspektrometrischer Messung von Schwebstofffiltern, Adsorbern für gasförmiges Iod und von Niederschlag zur Verfügung. Überwachungskonzept nach Tschernobyl Als direkte Folge der Erfahrungen aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurde am 31.12.1986 das Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) in Kraft gesetzt. Gemäß StrVG, 11 Abs.1 Nr.1 sind die Überwachungsaufgaben des DWD erneut festgeschrieben. Danach ist der DWD für die Radioaktivitätsmessung von Luft und Niederschlag sowie für die Erstellung von Ausbreitungsprognosen zuständig. Weiterhin wurde dem DWD gemäß einer Rechtsverordnung die Aufgabe übertragen, Spurenmessungen der Luft, mit Aktivitätskonzentrationen kleiner als 100 µbq/m 2, in Berlin und Offenbach durchzuführen. Gleichzeitig mit der Verabschiedung des Strahlenschutzvorsorgegesetzes wurden die Grundsteine zum Aufbau des Integrierten Mess- und Informationssystems zur Überwachung der Umweltradioaktivität (IMIS) gelegt. Alle Aufgaben der im IMIS beteiligten Bundes- und Länderbehörden sind in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Strahlenschutzvorsorgegesetz (AVV-IMIS) festgeschrieben (AVV-IMIS, 1995, Bühling und Hornung-Lauxmann, 1995). Innerhalb des IMIS sind die meteorologischen Ausbreitungsprognosen und frühzeitig erfasste nuklidspezifische Messwerte der Aktivitätskonzentrationen der Luft von zentraler Bedeutung, da auf der Basis dieser Messwerte erste radiologische Prognosen nach dem vom Bundesamt für Strahlenschutz genutzten Berechnungsmodell Programmsystem zur Abschätzung und Begrenzung radiologischer Konsequenzen (PARK) erstellt werden. Die Ergebnisse von Ausbreitungsprognosen des DWD, Trajektorien- und Dispersionsrechnungen, sind schon im Vorfeld einer sich anbahnenden Kontamination entscheidende Hilfen für die Empfehlung der zu treffenden Schutzmaßnahmen und für die Alarmierung der mit Radioaktivitätsmessungen beauftragten Institutionen. Die Dichte des Radioaktivitätsmessnetzes des DWD resultierte aus den Forderungen, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland großräumig zu überwachen und radioaktive Schadstofffahnen auch aus grenznahen, ausländischen Quellen zu erfassen. Das Radioaktivitätsmessnetz besteht heute aus 40 Messstellen, die gleichmäßig über das Gebiet Deutschlands verteilt sind (Abb. 3). Spurenmessungen Speziell durch die Spurenanalyse der Luft lassen sich extrem niedrige Werte mit 0,1 µbq/m 3 für die Aktivitätskonzentrationen der Luft nachweisen. Die Spurenanalyse begründet sich im Normalbetrieb nicht auf die dosisrelevanten Überlegungen der Strahlenschutzverordnung sondern auf die in 1 (Zweckbestimmung) des Strahlenschutzvorsorgegesetzes (StrVG) ausgeführte Aufgabe, die Radioaktivität in der Umwelt zu überwachen. Dazu gehört eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende Feststellung des nuklidspezifischen Untergrundpegels, um kleinste Veränderungen, ob spontan oder im Langzeittrend, erkennen zu können. Ist der Nullpegel in einem

68 DWD Klimastatusbericht 2002 Abb. 4 Ergebnisse der Spurenmessungen. Umweltmedium bekannt, sind oft geringste Spuren zusätzlich eingetragener künstlicher Radionuklide identifizierbar. Die frühzeitige Erkennung von Spalt- und Aktivierungsprodukten auf Spurenniveau lässt u.u. auch eine direkte Identifikation einer Emissionsquelle zu, so dass im Falle einer zu befürchtenden massiven Kontamination Vorwarnzeit gewonnen werden kann. Insbesondere die Kopplung von Messergebnissen für aerosolpartikelgbundene Radionuklide mit der Analyse der meteorologischen Lage hilft, erste Überlegungen zur Herkunft erhöhter Aktivitätskonzentrationen anzustellen (Steinkopff, Wershofen, Winkler, 1999). Im Normalbetrieb stehen täglich Messwerte für den Luftbereich und den Niederschlag zur Verfügung. Bei kurzen Probeentnahmezeiten und kurzen Messzeiten liegt die Schwelle zur Erkennung von künstlicher Radioaktivität vergleichsweise hoch. Für die Spurenmessungen sind mindestens Probenentnahmeintervalle von einer Woche für die Luft oder eine Woche für den Niederschlag sowie lange Messzeiten und möglichst große Probenmengen erforderlich. Seit dem Reaktorunfall von Tschernobyl hat es allerdings keinen vergleichbar hohen Eintrag von künstlicher Radioaktivität in die Atmosphäre gegeben. Aktuell resultieren routinemäßig lediglich Messwerte der natürlichen Radioaktivität mit den schon in der Literatur (Hinzpeter, 1961) beschriebenen charakteristischen Tages-, Wochen- und Jahresgängen. Diese sind abhängig vom Anteil der Aerosolpartikel, an die sich die Radonfolgeprodukte Blei-210, Blei-214, Wismut-214, Polonium-214 und Polonium- 218 anlagern können. Dieser Anteil wiederum hängt von den meteorologischen Bedingungen (Sonneneinstrahlung, Regen, Schneebedeckung, Wind) und zivilisatorischen Einflüssen (Heizperiode) ab. Mittels der Spurenanalyse wurden 1998 von einem Großteil der europäischen Spurenmessstellen, so auch von den süddeutschen Messstellen des DWD, eine erhöhte Aktivitätskonzentration von Cäsium-137 in der Luft gemessen (Abb. 4). Dabei handelte es sich lediglich um Messwerte in der Größenordnung von 20 µbq/m 3, also

Klimastatusbericht 2002 DWD 69 Abb. 5 Ausbreitungsrechnung mit dem Lagrangeschen Partikel Dispersions Modell (LPDM) basierend auf archivierten meteorologischen Daten - akkumulierte Bodenkonzentration von Cäsium-137 nach der Freisetzung aus einer Stahlschmelzanlage in Algeciras/ Spanien. ein Millionstel des Wertes, der als Folge von Tschernobyl gemessen wurde. Mittels Rückwärtstrajektorien wurde die Herkunftsrichtung bestimmt, der Freisetzungsort war allerdings nicht auszumachen. Wenige Tage später wurde von den spanischen Behörden die Freisetzung von Cäsium-137 aus einer Stahlschmelze in Algeciras /Spanien gemeldet. Eine Strahlenquelle war unerkannt eingeschmolzen worden. Retrospektiv ließ sich die Verfrachtung ausgehend von Algeciras in zunächst östlicher, dann nordöstlicher Richtung anhand der Messergebnisse der europäischen Spurenmessstellen und der eigenen Messergebnisse nachvollziehen und anhand der archivierten meteorologische Daten eine Ausbreitungsprognose erstellen, die den tatsächlichen Gegebenheiten sehr gut entsprach (Abb. 5). Seit dem Jahr 2000 werden auch im Rahmen des Global Atmosphere Watch Programms der Weltorganisation der Meteorologie (WMO) Spurenmessungen an der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus/Zugspitze durchgeführt. Dazu zählen die Radonfolgeprodukte, Beryllium-7, Kohlenstoff-14 und Krypton-85. Das Radionuklid Krypton-85 wird bei der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen freigesetzt. Die Messreihe des DWD auf der Zugspitze für das Jahr 2001 gibt den aktuellen Pegel mit ca. 1,2 Bq/m 3 Luft wieder (Abb.6). Gezeigt sind die Messwerte und die Messunsicherheiten. Gelegentliche Erhöhungen sind meist direkt mit den genehmigten Emissionen der Wiederaufarbeitungsanlagen LaHague/Frankreich oder Sellafield/Großbritannien zu korrelieren. Seit den 70er Jahren lässt sich durch Messungen des Instituts für Atmo-

70 DWD Klimastatusbericht 2002 sphärische Radioaktivität (IAR) insgesamt eine leichte Zunahme der Aktivitätskonzentration deutlich feststellen (Sartorius und Weiss, 1999). Die Messungen auf der Zugspitze sollen zur genauen Identifizierung der Herkunft der Luftmassen beitragen. Dies unterstützt die Interpretation der Ergebnisse aus den Untersuchungen über die klimarelevanten Schadstoffe in der Atmosphäre. Abb. 6 Messwerte für Kr-85 für am Standort Zugspitze im Jahr 2001. Ausblick Unabhängig von der Art der Freisetzung, ob Unfall oder Absicht, ist der Messbetrieb zur Überwachung der Umweltradioaktivität so ausgelegt, dass Aktivitätskonzentrationen sowohl im Spurenmessbereich als auch bei massiven Kontaminationen bestimmt werden können. Die meteorologischen Ausbreitungsrechnungen erlauben stets frühzeitige Aussagen über die Transportrichtung der kontaminierten Luftmassen und so eine Abschätzung der zu erwartenden Gefährdung. Der Pegel der Umweltradioaktivität wird durch die Messergebnisse des Routinemessprogramms dokumentiert. Ziel bleibt es auch in der Zukunft, das Überwachungsprogramm auf einem gleichbleibend hohen Niveau fortzuführen, trotz einer dünner werdenden Personaldecke. Die Messungen und die Programme zur Berechnung von Ausbreitungsprognosen basieren auf einem gesetzlichen Auftrag und gehören damit zu den Kernaufgaben des DWD. Der Übergang aus dem Normalbetrieb in den sogenannten Intensivbetrieb eines Katastrophenfalls ist die zeitkritischste Phase. Die zugrundeliegenden Alarmpläne werden regelmäßig durch Übungen überprüft und ständig verbessert.

Klimastatusbericht 2002 DWD 71 Zukünftig werden zunehmend mehr automatisch arbeitende Luftmonitore eingesetzt, die Kommunikationswege und die Verfahren im Labor fortlaufend dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik angepasst sowie alle Maßnahmen zur Qualitätssicherung in einem Qualitätsmanagementsystem zusammengefasst. Speziell die Ergebnisse der Spurenanalyse dienen im Sinne der Früherkennung der Beurteilung von kleinsten Veränderungen der Umweltradioaktivität, verursacht durch den Eintrag geringster Konzentrationen von Radionukliden. Der schnelle Austausch von Daten zwischen den europäischen Spurenmessstellen auf der fachlichen Ebene ist gut organisiert. Dieser Datenaustausch erlaubt eine schnellere Beurteilung einer Gefährdungslage und soll weiter ausgebaut werden. Im Rahmen des wissenschaftlich ausgerichteten GAW-Messprogramms werden die Radioaktivitätsmessungen auf der Zugspitze auch weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Klassifizierung von Luftmassen liefern. Literatur M. Hinzpeter, F.Becker, H.Reifferscheid Atomtechnisches Aerosol und atmosphärische Radioaktivität, Schriftenreihe des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft, Strahlenschutz, Heft 7, Gersbach & Sohn Verlag GmbH, Braunschweig 1959 W. Kiesewetter, Die Radioaktivitätsüberwachung der Niederschläge und ihre Bedeutung, Fachgespräch-Überwachung der Umweltradioaktivität, Praxis der Überwachung der allgemeinen Umweltradioaktivität, München, 10.-12.März 1981 T.Steinkopff, W.Kiesewetter, Der Reaktorunfall von Tschernobyl - Vergleichende Analysen der großräumigen radioaktiven Belastung von Luft und Niederschlag an den Meßstationen des Deutschen Wetterdienstes, Fachgespräch Überwachung der Umweltradioaktivität: Der Reaktorunfall in Tschernobyl:Ergebnisse, Erfahrungen, Folgen; München 16. und 17. November 1987 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Integrierten Meß- und Informationssystem nach dem Strahlenschutzvorsorgegesetz (AVV-IMIS) vom 27.September 1995, Bundesanzeiger vom 24.10.1995, Nummer 200a A. Bühling, L.Hornung-Lauxmann, Allgemeine Verwaltungsvorschrift und Intensivmessprogramm zum Strahlenschutzvorsorgegesetz, 9.Fachgespräch zur Überwachung der Radioaktivität, München-Neuherberg 25. bis 27.04.1995 T. Steinkopff, H.Wershofen, R.Winkler, Analyse, Spurenanalyse, Ultraspurenanalyse StrahlenschutzPraxis, Heft 3/99, TÜV- Verlag, 1999 M. Hinzpeter, H.K.Meyer Meteorologische Einflüsse auf radioaktive Beimengungen in der Atmosphäre, Schriftenreihe des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft, Strahlenschutz, Heft 16, Gersbach & Sohn Verlag, München 1961 H. Sartorius, W.Weiss Die Pegel der radioaktiven Edelgase Krypton-85 und Xenon-133 in der Luft und deren Interpretation, Strahlenschutzpraxis, Heft 3/99, TÜV-Verlag, 1999