Der Soziologe und der Historiker

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Transkript:

Pierre Bourdieu / Roger Chartier Der Soziologe und der Historiker Aus dem Französischen von Thomas Wäckerle Verlag Turia + Kant Wien Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographic Information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available on the internet at http://dnb.ddb.de. ISBN 978-3-85132-660-4 Originaltitel: Le sociologue et l historien Éditions Agone, Marseille, & Raisons d Agir, Paris, France, 2010 Cover: Bettina Kubanek Verlag Turia + Kant, 2011 A-1010 Wien, Schottengasse 3A / 5 / DG 1 Büro Berlin: D-10827 Berlin, Crellestraße 14 / Remise info@turia.at www.turia.cc

Inhalt Vorwort À voix nue... 7 I Soziologie als Beruf... 23 II Illusionen und Wissen... 45 III Strukturen und Individuum... 65 IV Habitus und Feld... 83 V Manet, Flaubert und Michelet.. 101

Vorwort À voix nue Mein erster Eindruck beim Lesen dieser Gespräche, die ich mit Pierre Bourdieu 1988 geführt habe, war, dass ich sie so wiederfand, wie sie in meiner Erinnerung an diese fünf Sendungen geblieben waren: energisch, lustig, leidenschaftlich. Ich glaube, das Verdienst dieses kleinen Buches ist, die Art seines Denkens ganz nahe an der Lebendigkeit des Austausches begreifbar zu machen, indem es die Rauchmäntel ablegt, die es manchmal bedecken, sei es in Form der Lehrautorität, die der Lehrstuhl des Collège de France 1 verleiht, oder in Form der polemischen Kämpfe des Soziologen, der in seine Zeit eingreift. Gänzlich ohne die Kontinuität und Kohärenz einer Arbeit zu verschleiern, die seit ihren Anfängen auf denselben Analysekategorien und demselben Anspruch auf kritische Klarheit basierte, lassen diese fünf Gespräche einen etwas anderen Pierre Bourdieu antreffen, der weniger von den Rollen gefangen ist, für die er sich später entschied oder die man ihm aufzwang. Ein fröhlicher, heiterer Bourdieu, ironisch gegenüber anderen, aber auch gegenüber sich selbst; 1 Pierre Bourdieu trug seine Inauguralvorlesung für den Lehrstuhl der Soziologie am Collège de France am 23. April 1982 vor. Sie wurde von den Éditions de Minuit unter dem Titel Leçon sur la leçon herausgebracht (deutsch in: Pierre Bourdieu, Sozialer Raum und»klassen«. Leçon sur la leçon, Suhrkamp 1985, Anmerkung des Übersetzers). 7

ein Bourdieu, der sich über die wissenschaftlichen Brüche im Klaren ist, die von seiner Arbeit vollzogen wurden, aber gleichermaßen immer bereitsteht für den Dialog mit anderen Disziplinen und Zugängen. Beim Lesen dieser Gespräche darf die zeitliche Differenz nicht vergessen werden, man muss an ihren Zeitpunkt zurückkehren. 1988 wurde France Culture von Jean-Marie Borzeix 2 geleitet, der sich wünschte, Bourdieu in seine Sendereihe»À voix nue«einzubeziehen. Wenn die Entscheidung über seinen Gesprächspartner auf einen Historiker fiel, der nicht mehr wirklich ein Debütant war, aber ebenso wenig unter den Auffälligsten, so zweifellos weil sich die Bewunderung und intellektuelle Freundschaft, die ich für Bourdieu hegte, bereits durch seine Präsenz in mehreren Programmen ausdrückte, die ich gestaltete und noch immer gestalte, ein Montag pro Monat für»les lundis de l histoire«3. Jene Sendung dieser Reihe, die seinen beiden, in kurzem zeitlichen Abstand von einander erschienenen Büchern Die feinen Unterschiede und Sozialer Sinn 4 gewidmet war, setzte ihn mit Patrick Fridenson und Georges Duby in Dialog, mit denen er 2 Jean-Marie Borzeix leitete France Culture von 1974 bis 1997. 3 So auch am 24. Oktober 1983 für eine Sendung, die der Geschichte und der Soziologie der Kunst gewidmet war, mit Carlo Ginzburg und Louis Marin, und am 8. Juli 1985 in Bezug auf das Buch von Alain Viala, Naissance de l écrivain. Sociologie de la littérature à l âge classique, mit Christian Jouhaud und Alain Viala. 4 Bei Éditions de Minuit 1979 beziehungsweise 1980 erschienen (deutsch bei Suhrkamp 1982 und 1987, A.d.Ü.). 8

in gegenseitiger Wertschätzung verbunden war 5. Das blieb mir eine der stärksten Erinnerungen. Zu einer Zeit, als Die feinen Unterschiede Ziel harscher Kritik bestimmter Historiker war, die das Buch schlecht oder zu gut verstanden hatten, zeigte dieser Austausch im Gegenteil, dass sowohl der Historiker als auch der Soziologe die Klassifikationskämpfe als ebenso real zu verstehen hatten wie die Klassenkämpfe (wenn sie überhaupt von einander zu trennen waren) und dass die rivalisierenden Vorstellungen von der sozialen Welt eben diese hervorbrachten, ganz genauso wie sie ihr auch Ausdruck verliehen. Der Bourdieu von 1988 war für viele der Mann dieses Buches Die feinen Unterschiede. Unter Mithilfe von Polemiken und Medien hatte dieses Werk den Soziologen vor den Vorhang der intellektuellen und öffentlichen Bühne geworfen 6. Aber bereits vor der Veröffentlichung dieses Buches hatte Bourdieu eine lange Forschervergangenheit und ein gewichtiges und dichtes Werk 7, abgesteckt durch seine ethnologischen Ar- 5 Diese Sendung der»lundis de l histoire«wurde am 25. Februar 1980 ausgestrahlt. 6 Am 21. Dezember 1979 hatte Bourdieu das Buch bei einer Ausstrahlung von»apostrophes«im Fernsehen vorgestellt, wo er in Begleitung von Fernand Braudel und Max Gallo Gast von Bernard Pivot war. Der Titel der Sendung war»l historien, le sociologue et le romancier«. 7 Dank der sehr bemerkenswerten Arbeit von Yvette Delsaut und Marie-Christine Rivière kann man sich davon ein Bild machen in der Bibliographie des travaux de Pierre Bourdieu, suivi d un entretien sur l esprit de la recherche, Le Temps des cerises, 2002, aktualisiert 2009. 9