Stabilität aus der Natur

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Transkript:

Stabilität aus der Natur Cellulose gilt als unerschöpfliche Rohstoffquelle für die Chemie. Arne H. Kull, Jürgen Ott und Hans-Günter Poersch-Panke, Bomlitz. Im Zusammenhang mit nachwachsenden Rohstoffen wird oft an eine günstige CO 2 -Bilanz und an die Schonung fossiler Rohstoffvorkommen gedacht - zwei wichtige Aspekte in der Diskussion um Klimaschutz und begrenzte Erdölreserven. Der technische und wirtschaftliche Erfolg beim Einsatz nachwachsender Rohstoffe wird allzu oft übersehen. Dabei fehlt es nicht an positiven Beispielen. Holz kann als direkter Energieträger oder leistungsfähiger Werkstoff eingesetzt werden und bildet als Schlüsselrohstoff der Papierindustrie die Basis vieler Folgeprodukte (Abb.1). Stärke, Zucker und verschiedene pflanzliche Öle sind die Rohstofflieferanten ungezählter Endprodukte. Das Spektrum reicht von Tensiden für biologisch abbaubare Wasch- und Reinigungsmittel über Lackharze, Kunststoffe und Schmiermittel bis zum biologischen Dieselkraftstoff. Nachwachsende Rohstoffe erreichen in Deutschland einen Anteil von etwa zwei Millionen Tonnen bzw. zehn Prozent des Rohstoffeinsatzes in der organisch-chemischen Produktion. Dabei beeinflusst die Rohstoffauswahl die Kosten, Qualität und Leistungsmerkmale eines Produktes. Zuweilen besitzen die von der Natur bereitgestellten Stoffe besondere Strukturelemente, die der Chemiker nur mühsam und entsprechend teuer nachbauen kann. Wenn diese natürlichen Strukturen maßgeblich zum hohen Nutzen eines Produktes beitragen, wird ein nachwachsender Rohstoff besonders attraktiv. Cellulose ist ein solcher Rohstoff. Cellulose sorgt als Gerüstpolysaccharid in den meisten Pflanzen für die Stabilität der Zellwände und ist das am häufigsten vorkommende Biopolymer. Besonders cellulosereiche Fasern, wie sie in Baumwolle, Flachs oder Hanf vorkommen, können nach verschiedenen Behandlungsschritten und ohne chemische Derivatisierung zu Textilien, faserverstärkten Werkstoffen oder Seilen weiterverarbeitet werden. Die Cellulose-Moleküle sind lange, extrem regelmäßige, steife und gerade Ketten aus vielen hundert bis mehreren tausend verknüpften Glucoseringen. Jede einzelne Glucoseeinheit trägt drei funktionelle Gruppen - die Hydroxylgruppen an den Kohlenstoffatomen 2, 3 und 6. Diese vielen Hydroxylgruppen bilden ein hochgeordnetes Netzwerk von Wasserstoffbrückenbindungen und sorgen für einen festen Verbund der Cellulosemoleküle in jeder faserförmigen Elementarfibrille der Pflanzenzellwand. Cellulose lässt sich daher weder in Wasser noch in allen gängigen Lösungsmitteln lösen. Kettenlänge der Cellulose entscheidet Die wirtschaftlich bedeutende Weiterverarbeitung von Cellulose zu Folien, Filmen und Fasern (Regenerat-Cellulose, Viskose, "Cellophan") erfolgt daher nach einer zwischenzeitlichen Umwandlung in lösliche Derivate (zum Beispiel im Xanthogenat-Verfahren) oder in besonderen Lösungsmitteln, deren Polarität oder komplexierende Wirkung die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Cellulosemolekülen in ausreichendem Maße stören - beispielsweise durch die Beigabe von N-Methylmorpholin-N-Oxid oder alkalischen Kupfer-Amin-Komplexen. Für Lacke und Farben spielen die Cellulosederivate eine Rolle, die in den üblichen Systemen gut löslich sind. Dabei wird ein Teil der Hydroxylgruppen durch chemische Reaktionen in andere Gruppen überführt. Die daraus resultierenden Celluloseester oder Celluloseether können dann das für die Löslichkeit störende Netzwerk von Wasserstoffbrückenbindungen mit benachbarten Molekülen nicht mehr ausbilden. Dazu müssen Cellulose-Rohstoffe für die chemische Derivatisierung in besonders reiner und einheitlicher Form vorliegen. Deshalb werden je nach Verfahren und Zielprodukt die geeigneten Rohstoffe aus einer Vielzahl hochveredelter Holzzellstoffe und Baumwoll-Linters ausgewählt. Das in lösungsmittelbasierten Lacken und Druckfarben eingesetzte Bindemittel Nitrocellulose (NC) gehört zur Gruppe der Celluloseester (Cellulosenitrat oder auch Ester der Salpetersäure). Celluloseether wie Methylhydroxyethylcellulose (MHEC), Hydroxypropylmethylcellulose (HPMC) oder die polyanionische Natrium-Carboxymethylcellulose (CMC) sind wasserlösliche Produkte, die wegen ihrer hohen Verdickungsleistung und guten Wasserrückhaltung als Rheologie-Additive für wässrige Dispersionsfarben eingesetzt werden. Speziell niedrig viskos eingestellte HPMC dient im Pharmabereich zur Herstellung von Tablettenüberzügen. Wie ein wasserlösliches Gegenstück zur NC, besitzt diese HPMC eher die Eigenschaften eines Bindemittels als eines Verdickers. Bei löslichen Cellulosederivaten ist die Kettenlänge der Cellulose entscheidend dafür, in welcher Größenordnung sich die Viskosität der Lösung bei gegebener Konzentration einstellt. Die Art der Derivatisierung und der Substitutionsgrad - also die durchschnittliche Zahl der pro Glucosering umgesetzten Hydroxylgruppen auf einer stufenlosen Werteskala von 0 bis 3 - richten sich nach Kriterien wie gute Löslichkeit im jeweiligen Lösungsmittel und Verträglichkeit mit den übrigen Komponenten eines Anwendungssystems sowie gegebenenfalls nach weiteren physikalisch-chemischen Eigenschaften. Der Einfluss der Derivatisierung auf die Viskosität ist für die Feinoptimierung der Rheologieadditive von Bedeutung (Abb.2). Polyurethane erhöhen Beständigkeit der Druckfarbe Nitrocellulose dient seit Beginn des 20. Jahrhunderts als Lackbindemittel. Der Grund ist die schnelle physikalische Trocknung der NC-Lacke, die optimal die Anforderungen der industriellen Fertigung erfüllte. Heute sind die wichtigsten Anwendungsgebiete Druckfarben sowie Holz- und Möbellacke. Die ausgezeichnete Verträglichkeit der Nitrocellulose mit vielen anderen in Lacken und Farben verwendeten Substanzen eröffnet ein breites Einsatzspektrum mit sehr unterschiedlichen Anforderungen. Neben harten NC-Filmen auf Holz können durch geeignete Weichmacher auch flexible Eigenschaften erzielt werden - wie beim Bedrucken von Folienverpackungen oder der Beschichtung von Leder. Nitrocellulose ist - abhängig vom Substitutionsgrad - esterlöslich (E-Typen) oder auch zusätzlich alkohollöslich (A-Typen). Die Substitutionsgradbereiche der verschiedenen Typen sind in der Norm ISO 14446 beschrieben, wobei der analytisch direkt zugängliche Stickstoffgehalt herangezogen wird (Abb. 3). Die Länge der Cellulosekette beeinflusst die mechanischen Lackeigenschaften (Abb. 4). Die beim Übergang von niedrigviskosen zu mittel- und hochviskosen Nitrocellulosen steigende Kettenlänge verbessert den Zusammenhalt der Moleküle und führt zu systematisch steigender maximaler Dehnung und höherer Festigkeit der Filme. Während mit niedrigviskosen Nitrocellulosen

festkörperreiche sowie hochpigmentierte Lacke und Druckfarben formuliert werden können, verwendet man die hoch viskosen Produkte häufig auch zur Viskositätseinstellung eines Lackansatzes. Bevorzugtes Anwendungsgebiet für niedrig viskose NC-Typen sind Lebensmittelverpackungen. Ob in Druckfarben oder als Überdrucklack für Kunststoff- sowie Aluminiumfolien: Nitrocellulose ist frei von Monomeren und gibt beim Trocknen das Lösungsmittel besonders schnell und vollständig ab. Eine Beeinträchtigung des Geschmacks der verpackten Lebensmittel wird so vermieden. Mittelviskose Nitrocellulosen werden am häufigsten eingesetzt. Im Verpackungsdruck dominieren hier die A-Typen (Viskositätskennzahl 500). Für Holzlacke werden vorwiegend mittelviskose E-Typen verwendet. Die generell hoch geschätzte "Anfeuerung" der natürlichen Holzmaserung durch NC-Lacke wird insbesondere bei dunklen Hölzern wie der Eiche durch kein anderes Lacksystem erreicht. Hochviskose Nitrocellulosen ergeben sehr flexible und dünne Filme. Anwendungen sind beispielsweise Lederlacke, Metalllacke (Zaponlack) oder auch spezielle Anwendungsgebiete wie die Herstellung von Membranfiltern. Zur Optimierung der lacktechnischen Eigenschaften haben sich Kombinationen von NC mit anderen Bindemitteln bewährt. Alkydharz-NC-Kombinationen in Holzlacken sind eher der Standard als die Ausnahme. In 2K-Polyurethanlacken beschleunigt zugesetzte NC die physikalische Trocknung und ergibt härtere Lackfilme. Bei Druckfarben werden häufig Polyurethane zugesetzt, um die Beständigkeit der Druckfarbe und die Haftung auf den Verpackungsfolien zu verbessern. Pigmente an der Sedimentation gehindert Nitrocellulose ist nur in organischen Lösemitteln und nicht in wässrigen Systemen anwendbar. Der Grund ist die Unlöslichkeit von Nitrocellulose in Wasser. In der aktuellen Diskussion werden wasserbasierten Lacksystemen ohne weitere Prüfung per se bessere ökologische Eigenschaften als lösemittelbasierten Systemen bescheinigt. Durch die VOC-Richtlinie und deren Umsetzung in nationales Recht wird weiter Druck auf die Lösemittel-basierten Lacksysteme erzeugt. Bei Holzlacken ist mit einem Rückgang der Lösemittel-basierten Systeme zu rechnen. Wie stark dieser sein wird, lässt sich nicht vorhersagen. Im Bereich Holzlack ist der Exportanteil nach Osteuropa (einschließlich der osteuropäischen Länder außerhalb der EU) sehr hoch, wodurch die Auswirkungen der EU-Richtlinie nur sehr schwer abgeschätzt werden können. Bei Druckfarben für flexible Verpackungen sind die Druckereien schon seit Mitte der 80er Jahre mit Abluftreinigungsanlagen ausgerüstet, so dass die Erfüllung der neuen Verordnungen kein Problem ist. Celluloseether - vor allem Methylhydroxyethylcellulose (MHEC), Hydroxyethylcellulose (HEC) und Carboxymethylcellulose (CMC) - werden aufgrund ihrer vielfältigen Eigenschaften weltweit zur Herstellung von Dispersionsfarben und -putzen eingesetzt. Sie unterstützen dabei nicht nur den Dispergierprozess während der Farbenherstellung, sondern verleihen dem Endprodukt erst marktgerechte Eigenschaften. Celluloseether verbessern das Fließverhalten und fungieren zudem als Suspendierund Wasserrückhaltemittel. Insbesondere Spritzneigung, Offenzeit, Verlauf, Deckvermögen und Lagerstabilität werden maßgeblich vom eingesetzten Celluloseether bestimmt. In Leimfarben übernimmt dieser Rohstoff zusätzlich die Funktion des Bindemittels. Ohne Zugabe eines Celluloseethers würde man anstelle einer homogenen Dispersionsfarbe eine dünne, flüssige Pigment- und Füllstoffsuspension erhalten, deren mineralische Bestandteile sich innerhalb von wenigen Minuten auf dem Boden des Behälters absetzen würden. Auch die Verarbeitung mit Rolle und Pinsel wäre nicht möglich. Es ließe sich weder der Untergrund gleichmäßig benetzen noch ein homogener Farbfilm auftragen, der anschließend rissfrei trocknet. Dispersionsfarben mit einer typischen Einsatzmenge von 0,3 bis 0,6 Prozent an Rheologieadditiv zeichnen sich - abhängig von der Rezeptur und den gewünschten Anwendungseigenschaften - durch eine hohe Viskosität bei niedriger Schergeschwindigkeit aus. Dadurch werden die Pigmente und Füllstoffe wirksam an der Sedimentation gehindert. Auf Grund ihres ausgeprägt pseudoplastischen Fließverhaltens eignen sich Celluloseether hierzu besonders. Herausragende Biokompatibilität Mit steigender Schergeschwindigkeit nimmt die Viskosität stark ab - eine wichtige Voraussetzung für ein cremiges und leichtgängiges Verstreichen. Die bei sehr hoher Schergeschwindigkeit noch vorhandene Viskosität wird nun benötigt, damit es beim Auftrag mittels Farbrolle nicht zu einem Durchrutschen kommt. Maßgeblichen Einfluss auf die Höhe dieser "Streichbremse" hat neben der Struktur ebenfalls die Viskositätsstufe des Celluloseethers. Insbesondere MC-basierende Celluloseether niedriger Viskosität zeigen hier hervorragende Eigenschaften und ermöglichen einen kontrollierten Farbauftrag mit hoher Nassfilmstärke bei nur einem Anstrich. Das Ergebnis ist ein hohes Deckvermögen der Farbe ("Einschichtfarbe"). Der Einsatz niedrigviskoser Methylcellulosen führt außerdem zu einer weiteren Verbesserung der Spritzneigung beim Rollenauftrag (Abb.5). Celluloseether zeichnen sich neben ihrer rheologischen Wirkung durch ein einzigartiges Wasserrückhaltevermögen aus, das von keiner anderen in Dispersionsfarben eingesetzten Substanzklasse erreicht wird. Die kontrolliert verzögerte Abgabe des Wassers ermöglicht so ein ansatzfreies Verarbeiten auch auf großen Flächen und stark saugenden Untergründen. Mit dem zunehmenden Absatz von emissions- und lösemittelfreien Farben gewinnt diese Eigenschaft immer mehr an Bedeutung, da die Offenzeit nicht mehr durch die Zugabe von Glykolen oder Weichmachern eingestellt werden kann. Die längsten Offenzeiten werden mit niedrigviskosen Celluloseethern erreicht, da hier die zur Verdickung notwendige Einsatzmenge höher ist. Niedrigviskose Celluloseether verleihen der Dispersionsfarbe besonders hochwertige Eigenschaften. Die im Markt ebenfalls gängigen hochviskosen Produkte ermöglichen auf Grund ihrer hohen Verdickungseffizienz hingegen die Formulierungen besonders wirtschaftlicher Farben mit niedriger Einsatzmenge an Celluloseether (Abb.6). Die künftige Nutzung nachwachsender Rohstoffe im Bereich der chemischen Grundstoffe wird - bei identischen oder gleichartigen Produkten auf Erdölbasis - davon abhängen, welche Mengen der Rohstoffe bereitgestellt werden können und wie sich die Kostensituation über den jeweiligen Produkt-Lebenszyklus darstellt. Mittel- und langfristig gehen Experten von einem weiteren Wachstum aus. Chancen für die Entwicklung besonders hochwertiger Produkte liegen auch weiterhin in der gezielten Nutzung der Syntheseleistung der Natur, die mit Cellulose und anderen Polysacchariden einzigartige Grundgerüste für funktionale Polymere bereitstellt. Kombiniert mit einer Vielzahl chemischer Modifizierungsmöglichkeiten eröffnen sich hier weitere Potenziale für Anwendungen in Coatingssystemen. Attraktive Zukunftschancen für Cellulosederivate liegen

zudem in den Life-Sciences. Schon heute wird NC zur Fixierung medizinischer Wirkstoffe in Form von Filmen auf der Haut von Patienten verwendet. CMC und HPMC werden als Additive, Matrix oder Überzüge in Lebensmittel- und Pharmaprodukten sowie im Kosmetikbereich eingesetzt. Diese Cellulosederivate sind von herausragender Biokompatibilität, ungiftig und allergenfrei und haben somit die besten Voraussetzungen für weitergehende Entwicklungen in bio-medizinischen Anwendungen. Die Forschungsgebiete reichen von Wirkstoffdepots bis zu verbesserter Wundheilung und Implantat-Materialien. Hier können nachwachsende Rohstoffe ihre ureigensten Vorteile ausspielen. Dr. Arne H. Kull, arbeitet bei Wolff Cellulosics auf dem Gebiet der Rheologie von Celluloseethern und Anwendungssystemen. Er studierte Chemie an der Universität Hamburg und promovierte dort zu dem Thema Rheologie von Elastan-Spinnlösungen. Seit 1998 ist er bei Wolff Cellulosics in der Forschung und Entwicklung tätig. 2001 übernahm Arne Kull die Leitung des Labors für Rheologie und Dispersionsfarben. Dr. Jürgen Ott, ist Spezialist für Dispersionssysteme bei Wolff Cellulosics. Nach seiner Promotion an der Ruhr-Universität Bochum in organischer Chemie sammelte er zwölf Jahre Erfahrungen mit Rohstoffen der Farben- und Lackindustrie. Seit 2002 verstärkt Jürgen Ott das Marketing Baustoffadditive von Wolff Cellulosics und leitet das Arbeitsgebiet Dispersionssysteme. Dr. Hans-Günter Poersch-Panke, ist einer der Know-how-Träger für Nitrocellulose bei Wolff Cellulosics. Nach seinem Chemiestudium an der Technischen Universität Berlin promovierte er dort in technischer Polymerchemie. Nach Stationen in der Produktion und Anwendungstechnik Nitrocellulose ist er seit 2004 im Marketing Druckfarben und Lacke verantwortlich für Mittel- und Osteuropa sowie Key Accounts.

Abb. 1: Verbrauch und nachwachsende Menge an Cellulose.

Abb. 2: Kettenlänge ausgewählter Cellulosederivate.

Abb. 3: Substitutionsgrad und Löslichkeit von NC.

Abb. 4: Kettenlänge und mechanische Eigenschaften des NC-Lackfilms.

Abb. 5: Rheologieprofil von Methylhydroxyethylcelluloseethern verschiedener Viskosität.

Abb. 6: Einfluss der Viskosität des Celluloseethers auf die Offenzeit.