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Transkript:

Präsident Prof. Dr. Werner Zögernitz Wien, 10.3. 2010 www.parlamentarismus.at info@parlamentarismus.at Durch den Vertrag von Lissabon ist eine neue Qualität der EU- Mitwirkung eingetreten. Mit seinem Inkrafttreten wurden für die nationalen Parlamente neue Rechte geschaffen, die einen direkten Eingriff in den europäischen Gesetzgebungsprozess ermöglichen. Mit dem Vertrag von Lissabon werden nämlich die nationalen Parlamente ausdrücklich in das System des Unionsrechtes eingebaut. Bisher hatten National- und Bundesrat lediglich wenn auch starke Mitwirkungsbefugnisse bei der innerösterreichischen Vorbereitung von Verhandlungen auf EU-Ebene. So konnten und können beide Kammern Stellungnahmen beschließen, durch die der im EU-Rat anwesende Bundesminister gebunden ist und davon nur unter äußerst restriktiven Bedingungen abweichen kann. Dabei handelt es sich um eine indirekte Mitwirkung der beiden Kammern an der EU-Rechtssetzung, die im Regelfall Ausschüssen bzw. Unterausschüssen übertragen wurde. Obwohl der Vertrag von Lissabon grundsätzlich unmittelbar anwendbar ist und den nationalen Parlamenten direkte Rechte daraus erwachsen, ist es sinnvoll, Verfassungsänderungen vorzunehmen. Auf dieser Grundlage müsste dann in die Geschäftsordnungen des Nationalrates, des Bundesrates und allenfalls auch der Landtage das konkrete Verfahren in den Ausschüssen und im Plenum ausgestaltet werden.

2 In Österreich haben die Regierungsparteien am 24.2.2010 eine diesbezügliche Verfassungsnovelle als Initiativantrag eingebracht, der im Verfassungsausschuss zu beraten ist. Die Grünen haben zum Thema Lissabon am 16.2.2010 im Budgetsaals des Parlaments eine Enquete durchgeführt. Was sind nunmehr die Schwerpunkte des Vertrages von Lissabon? Verstärkte Informationspflichten der EU-Organe an die nationalen Parlamente, die Subsidiaritätsprüfung 1 mit der Möglichkeit einer Rüge (gelbe und orange Karte) innerhalb von acht Wochen durch eine qualifizierte Anzahl von nationalen Parlamenten, die Einbringung einer Subsidiaritätsklage innerhalb von zwei Monaten durch jedes nationale Parlament und die Brückenklausel (Passarelle) - d.i. der Übergang von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsbeschlüssen im (Europäischen) Rat sowie der Übergang vom besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren - sowie die Ablehnungsmöglichkeit von diesbezüglichen EU-Beschlüssen innerhalb von sechs Monaten (mit vorheriger Information der nationalen Parlamente). 1 Artikel 5 Abs 3 des Vertrages über die Europäischen Union (EUV) lautet wie folgt: Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.

3 Ich möchte auf diese Schwerpunkte und einige andere Fragen unter Heranziehung des erwähnten Initiativantrages 978/A im Detail eingehen. 1. Verstärkte Informationspflichten der EU-Organe an die nationalen Parlamente o Hiezu wurde im Initiativantrag insbesondere die Bestimmung des Art. 23f Abs. 2 B-VG geschaffen. Danach berichtet jeder Bundesminister zu Beginn eines Kalenderjahres dem National- und dem Bundesrat über die in diesem Jahr zu erwartenden Vorhaben des Rates und der Kommission in der Zuständigkeit seines Bundesministeriums (Arbeitsund Legislativprogramm) sowie o in der Regel über die voraussichtliche österreichische Position dazu. Diese Berichtspflicht verankert die bereits in den vergangenen Jahren unverbindlich eingehaltene Praxis in der Verfassung und ergänzt die bestehenden Informationspflichten der Bundesregierung, um eine breite Befassung der für die einzelnen Materien zuständigen Ausschüsse mit Europathemen sicherzustellen. 2. Subsidiaritätsprüfung (Subsidiaritätsrüge) o Die nationalen Parlamente können innerhalb von acht Wochen nach Übermittlung des Entwurfes eines Gesetzgebungsaktes in den Amtssprachen der Union darlegen, weshalb der Entwurf ihres Erachtens mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar ist. o Um eine möglichst umfassende Entscheidungsgrundlage zu haben, können National- und Bundesrat verlangen, dass ihnen der zuständige

4 Bundesminister eine Äußerung zur Vereinbarkeit des Entwurfes mit dem Subsidiaritätsprinzip übermittelt. o Hiefür besteht eine 2-wöchige Frist nach Einlagen beim Bundesminister. o Nach dem Vertrag von Lissabon obliegt es dem jeweiligen nationalen Parlament, gegebenenfalls die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen zu konsultieren. Diese Aufgabe wird gem. Art. 23g Abs. 3 B-VG dem Bundesrat übertragen. Dieser hat die Landtage unverzüglich über die Entwürfe zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Eine Stellungnahme des Landtages hat darzulegen, weshalb ein Entwurf mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar ist. In einem föderalistischen Staat ist die Länderkammer auf Bundesebene für eine solche Aufgabe geradezu prädestiniert. o Da eine Subsidiaritätsrüge, die von einer qualifizierten Anzahl von Parlamenten unterstützt wird, innerhalb von acht Wochen zu einer gelben oder orangen Karte führen kann, ist eine rasche und reibungslose Zusammenarbeit und Koordination mit anderen nationalen Parlamenten erforderlich. Die Subsidiaritätsprüfung sollte deshalb sinnvoller Weise vom EU-HA bzw. dessen EU-UA und vom EU-A des Bundesrates durchgeführt werden. o Entsprechende Quoren für einen Erfolg sind: Ein Viertel bzw. ein Drittel (gelbe Karte) oder die einfache Mehrheit (orange Karte) der nationalen Parlamente (also derzeit 28 Stimmen von

5 54, da jedes Land, unabhängig von der Zahl der Kammern, zwei Stimmen hat). 3. Subsidiaritätsklage o Wegen des Verstoßes eines europäischen Gesetzgebungsaktes gegen das Subsidiaritätsprinzip kann nach dem Vertrag von Lissabon von jedem Mitgliedsstaat eine Klage beim Gerichtshof der Europäischen Union eingebracht werden. o Eine solche kann vom Nationalrat oder vom Bundesrat innerhalb von zwei Monaten nach Erlassung des Gesetzgebungsaktes beschlossen werden. Während gem. Art. 23h Abs. 1 u. 2 der B-VG-Novelle der Nationalrat generell zur Erhebung einer Klage ermächtigt sein soll, soll die Zuständigkeit des Bundesrates zur Klagserhebung Rechtsakte im Sinne des Art. 23e Abs. 3 B-VG betreffen. Es handelt sich dabei um bundesverfassungsgesetzliche Bestimmungen, durch die die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung oder Vollziehung gem. Art. 44 Abs. 2 B-VG eingeschränkt würde. o Wegen der unmittelbaren rechtlichen Wirkung auf das Vorhaben (rote Karte) sollte hiefür das Plenum von National- und Bundesrat zuständig sein. o Die Übermittlung der Klage erfolgt durch den Bundeskanzler; und zwar im Hinblick auf seine Zuständigkeit zur Vertretung der Republik Österreich vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. Ihm kommt jedoch keine Ingerenz auf den Inhalt zu.

6 4. Brückenklausel (Passarelle) Übergang von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsbeschlüssen sowie Übergang von besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und Ablehnungsmöglichkeit von diesbezüglichen EU-Beschlüssen innerhalb von 6 Monaten (mit vorheriger Information der nationalen Parlamente) o Gem. Art. 23e Abs. 1a der B-VG-Novelle unterrichtet der zuständige Bundesminister die beiden Kammern bereits so rechtzeitig über einen bevorstehenden Beschluss, dass Nationalrat und Bundesrat die Wahrnehmung der Zuständigkeit nach Art. 23e B-VG ermöglicht wird. Sie haben also in dieser Phase Gelegenheit, eine verbindliche Stellungnahme abzugeben. o Gem. Art. 23i Abs. 1 B-VG stimmt das österreichische Mitglied im Europäischen Rat einer Passarelle-Initiative nur dann zu, wenn zuvor der Nationalrat mit Zustimmung des Bundesrates einen entsprechenden Antrag der Bundesregierung ausdrücklich genehmigt hat. Solche Beschlüsse bedürfen nach dem Antrag 978/A einer Anwesenheit mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von Zweidritteln der abgegebenen Stimmen. o Im Falle einer unionsrechtlichen Ablehnungsmöglichkeit von Passarelle-Initiativen hat jedes einzelne nationale Parlament die Möglichkeit, innerhalb von sechs Monaten eine solche Initiative abzulehnen. In Art. 23i Abs. 2 der B-VG-Novelle heißt es dazu: So weit unionsrechtlich die Möglichkeit der Ablehnung einer Initiative oder eines Vorschlages betreffend den Übergang zur qualifizierten Mehrheit oder zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorgesehen ist, kann der Nationalrat mit Zustimmung des Bundesrates diese Initiative

7 oder diesen Vorschlag innerhalb der unionsrechtlich vorgesehenen Fristen ablehnen. (Hiefür genügt eine einfache Mehrheit). 5. Beschlüsse des Europäischen Rates oder des Rates Auf Beschlüsse des Europäischen Rates oder des Rates, die nach dem Recht der Europäischen Union erst nach Zustimmung der Mitgliedsstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft treten, ist Art. 50 Abs. 4 B- VG (Genehmigung von Staatsverträgen betr. die EU) sinngemäß anzuwenden. Das bedeutet, dass hiefür in beiden Kammern eine Zweidrittelmehrheit bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder erforderlich ist. 6. Übertragung von bestimmten grenzüberschreitenden Sachverhalten der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in das Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union und in die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments (bisherige III. Säule) Die diesbezügliche Sonderregelung im bisherigen Art 23f B-VG entfällt daher; im neuen Art. 23j B-VG sind nur mehr die angepassten - Bestimmungen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik enthalten. 7. Terminologische Anpassungen Darüber hinaus sind einige terminologische Anpassungen an den Vertrag über die Europäische Union (EUV) und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bzw. stilistische Änderungen notwendig bzw. sinnvoll.

8 8. Beobachterstatus aufgrund der Erhöhung der Mandatsanzahl für Österreich im Europäischen Parlament von 17 auf 19 Mitglieder In einem eigenen Artikel (II) des Initiativantrages wird die gesetzliche Basis dafür geschaffen, dass zwei österreichische Beobachter in das Europäische Parlament so lange entsandt werden können, bis eine Grundlage in den Verträgen für das vorzeitige Inkrafttreten der im Lissabon-Vertrag bereits vorgesehenen erhöhten Anzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments geschaffen wird und bis die zusätzlichen Mandate endgültig zugewiesen werden können (Änderung des Primärrechts). Für Österreich bedeutet das zwei zusätzliche Europa- Abgeordnete (je 1 SPÖ und BZÖ). Zusammenfassung Die Erwartungslage bezüglich der neuen Bestimmungen des Vertrages von Lissabon ist europaweit unterschiedlich. So glaubt beispielsweise das britische Parlament, dass die EU-Institutionen ohnedies darauf achten werden, dass die Subsidiaritätsklage und vielleicht sogar die Subsidiaritätsrüge nicht zum Tragen kommen. Einige Länder weisen auch darauf hin, dass infolge der notwendigen internationalen Zusammenarbeit und der kurzen Fristen dem Prozedere besonderes Augenmerk zu widmen ist und eine gewisse Beobachtungsphase sinnvoll wäre. Unbestritten scheint aber überall zu sein, dass diese Bestimmungen zumindest eine Art Rute im Fenster darstellen. Was Österreich anlangt sollten die vorher erwähnten Verfassungsänderungen möglichst rasch erfolgen. Bis dahin können entsprechend der Praxis der Subsidiaritätsprüfung in den letzten beiden

9 Jahren die Bestimmungen der EU-Verträge unmittelbar und im Rahmen der geltenden österreichischen Gesetzeslage provisorisch angewendet werden. Bezüglich der geschäftsordnungsmäßigen Umsetzung ist eine Erprobungsphase sinnvoll. Es wäre nämlich insbesondere bei dem zu erwartenden häufigsten Fall, nämlich der Subsidiaritätsprüfung, wichtig, die gemachten Erfahrungen bereits von Anfang an in die Verfahrensregeln einzubauen. Bei der Umsetzung kommt es jedenfalls auf die Qualität und nicht auf die Geschwindigkeit der gesetzlichen Maßnahmen an. Außerdem ist es Sache jedes nationalen Parlaments, seine eigene Arbeitsweise zu bestimmen und darüber zu befinden, in welcher Form eine begründete Stellungnahme an die Kommission zu richten ist. Sowohl Verfassungs- als auch Geschäftsordnungsnovellen bedürfen bekanntlich einer Zweidrittelmehrheit und somit im Nationalrat der Zustimmung von mindestens drei Fraktionen. Der Vertrag von Lissabon überträgt den nationalen Parlamenten neue Aufgaben und bietet die Chance, das Thema EU in der Öffentlichkeit positiv zu diskutieren. Um zu verhindern, dass die Zustimmung zu Europa nicht nur in Krisenzeiten in der österreichischen Bevölkerung zunimmt, sollte die innerstaatliche Umsetzung des Vertrages in Theorie und Praxis genützt werden, um die Akzeptanz der EU bei der heimischen Bevölkerung zu verstärken.

10 Es wäre daher ratsam, kleinliche Expertenstreitigkeiten in der Öffentlichkeit möglichst zu vermeiden und auch von unnötigem politischen Hick-Hack Abstand zu nehmen. Alles in allem bietet der Vertrag von Lissabon neue Chancen für Parlament und EU. Nützen wir sie. Referat gehalten bei der Fachtagung des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrates und des EU- Ausschusses des Bundesrates in Zusammenarbeit mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich und dem Informationsbüro des Europäischen Parlaments für Österreich.