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Transkript:

Nr. 83 März/April 2012 We l t Tr e n d s Ze i t s c hr i f t f ü r i nte r n at i on ale Politik Arabische Jahr II des Aufstands Brüche Libyen nach Gaddafi Terrorismus im Frühling? Ägypten ohne Pharao Islam und Demokratie WeltBlick Nordkorea nach Kim Jong-il Rüstung im Reich der Mitte Dänemark regiert Europa Forum Iran Jenseits von Hormus Albtraum Militärschlag Bücher & Tagungen W e lt Tr e n 20 Jahre ds www.welttrends.de

2 WeltTrends 83 Inhalt 1 Editorial 4 WeltBlick 5 Lateinamerikanische Lektionen Ricardo Lagos 7 Rüstung im Reich der Mitte Dustin Dehez 12 Dänemark regiert Europa Thomas Zelt 17 Nordkorea nach Kim Jong-il Eric J. Ballbach 22 Wer braucht das Vetorecht? Erhard Crome 28 Zwischenruf von Wolfgang Schwarz 30 Thema: Arabische Brüche 33 Jahr II des Aufstands Volker Perthes 39 Arabischer Frühling und Terrorismus Hans Joachim Gießmann 49 Libyen: Gedanken nach dem Exil Tareq Bouchuiguir 57 Chancen der arabischen Revolution Hartmut Elsenhans 65 Ägypten am Scheideweg Thorsten Hasche 74 Islam und Demokratie? Kai Hafez 84 Statistik: Arabien in Zahlen

Inhaltsverzeichnis 3 Historie: Wiener Konvention statt Götterschutz Enrico Seewald 89 Forum: Iran 92 Vor dem Militärschlag? Interview mit Bahman Nirumand 93 Sicherheitskonferenz Nahost Ali Fathollah-Nejad 98 LipGlosse: Die Krise ist sicher! 102 Analyse: Irakpolitik der Türkei Ergin Günes 104 Replik: China und Deutschland Welche Partnerschaft? Matthias Adolf 113 Bücher und Tagungen 116 Wiedergelesen: Franz Neumann Behemoth 117 Rezensionen 120 Impressum 125 Annotationen 126 Neuerscheinungen 130 Konferenzen 132 Briefe an die Redaktion 140 Säbelrasseln am Persischen Golf Kommentar von Hubert Thielicke 142 Wort und Strich 144

Der König ist tot es lebe der König? Nordkorea nach Kim Jong-il Eric J. Ballbach Asien, Totalitarismus, Dynastien Die Nachricht vom Tod des nordkoreanischen Staatschefs Kim Jong-il und der Aufstieg Kim Jong-uns zum Großen Nachfolger warfen eine Reihe von Fragen sowohl hinsichtlich der generellen sicherheitspolitischen Entwicklungen in Nordost asien als auch der weiteren Entwicklungen in Nordkorea auf. Wird dem Machtwechsel ein umfassender politischer Wandel folgen? Ohne einen Regimewandel muss die Antwort ein klares Nein sein. Kim Jong-il passed away at 8:30 a.m. on Dec. 17 from a great mental and physical strain, so hieß es in einer von der nordkoreanischen Nachrichtenagentur am 19.12.2011 veröffentlichten Meldung; es wurde volle Loyalität des Militärs, der Partei und der Bevölkerung gegenüber der neuen Führung unter dem Großen Nachfolger und herausragenden Führer Kim Jong-un eingefordert. 1 Neben der generellen sicherheitspolitischen Entwicklung in Nordostasien wirft das Ableben Kim Jong-ils und der Aufstieg Kim Jong-uns Fragen hinsichtlich der zukünftigen Innenpolitik Nordkoreas und der konkreten Ausgestaltung der Machttransformation auf. Zahlreiche internationale Medien, Politiker und Beobachter aus der Wissenschaft äußerten die Vermutung, dass das Ende der Ära Kim Jong-il zu einem umfassenden (politischen) Wandel Nordkoreas führen werde. 2 Doch wie wahrscheinlich sind solche Szenarien? Selbstverständlich ist eine abschließende Beantwortung dieser Frage zum jetzigen Zeitpunkt schwierig und auch der mangelnde Zugang zu Informationen und Entwicklungen im inneren Führungszirkel Nordkoreas wirken erschwerend. Jedoch lässt die Interpretation der jüngsten Ereignisse aus historischer Perspektive eher Kontinuität denn Wandel in Nordkorea vermuten. Denn trotz maßgeblicher prozessualer Unterschiede bei der Machtüber- Eric J. Ballbach, M. A., geb. 1979, Institut für Koreastudien, Freie Universität Berlin. eric.ballbach@fu-berlin.de 1 Die Meldung wurde der Nationalen Verteidigungskommission, dem Zentralkomitee und Zentralen Militärkomitee der Arbeiterpartei, dem Präsidium der Obersten Volksversammlung und dem Kabinett zugeordnet. 2 Die Natur und Auswirkungen dieses Wandels werden höchst unterschiedlich eingeschätzt und reichen von Reformprognosen über interne Machtkämpfe bis zu einem Kollaps des Regimes. Vgl. z. B. Süddeutsche Zeitung, 19.12.2011. http://www.sueddeutsche.de/politik/reaktionen-auf-den-tod-von-kim-jongil-der-groesste-anzunehmende-trauerfall-fuer-nordkorea-1.1238425 (abgerufen am 14.02.2012). WeltTrends Zeitschrift für internationale Politik 83 März/April 2012 20. Jahrgang S. 17-21

18 WeltTrends 83 nahme Kim Jong-uns ist ein umfassender politischer Wandel ohne einen Regimewandel nicht zu erwarten. Unterschiedliche Wege zur Nachfolge Als der nordkoreanische Staatsgründer und ewige Präsident Kim Il-sung im Juli 1994 verstarb, war die Nachfolgefrage bereits seit vielen Jahren beantwortet. Unter dem Eindruck spezifischer externer und interner Entwicklungen wie z. B. der Entstalinisierungskampagne Chruschtschows in der Sowjetunion, dem Schicksal der Viererbande nach dem Tode Maos in China sowie der physischen Schwäche von Kim Yong-Ju legte sich der um sein politisches Erbe besorgte Kim Il-sung bereits früh auf Kim Jong-il als Nachfolger fest. Dies verschaffte der Führung um Kim Il-sung einen großen zeitlichen Spielraum zur systematischen Vorbereitung der Machttransformation, welche bereits 1974 ihren (inoffiziellen) Anfang nahm. 3 Nachdem Kim Jong-il die wichtigsten Stationen innerhalb der Partei und des Militärs durchlaufen und deren höchste Ämter in Personalunion eingenommen hatte, übernahm er 1997 nach einer dreijährigen Vermächtnisherrschaft offiziell die Macht in Nordkorea mit spezifischen Erfahrungen in Partei, Regierung und Militär sowie einem fest etablierten System von Verbündeten und Vertrauten. Kim Jong-il wurde also systematisch und sichtbar als Nachfolger Kim Il-sungs aufgebaut mit gleichzeitiger Vererbung des Führerkults. Dass sich die gegenwärtige Nachfolge durch Kim Jong-un maßgeblich von jener Kim Jong-ils unterscheidet, wirft daher nicht nur die Frage auf, welche Konsequenzen die gegenwärtige Nachfolgeregelung für die konkrete Ausgestaltung der Macht(-verteilung) haben wird, sondern auch, ob es Kim Jong-un ebenfalls gelingt, ein stabiles System von Vertrauten und Verbündeten aufzubauen. 4 Wie Hayes, Bruce und von Hippel zutreffend feststellen, ist eines der zentralen Probleme der Mangel an Informationen über Kim Jong-ils dritten Sohn. [Kim Jong-un] has as only ever appeared in public accompanied by his father after nearly 14 months in the limelight. 5 In dieser relativ kurzen Zeitspanne stieg er ohne Marsch durch die Institutionen eilig 3 Lim, Jae-Cheon: Kim Jong-il s Leadership of North Korea. Routledge, London / New York 2009, S. 51. 4 Fraglich ist auch, inwiefern Nordkoreas familieninternes Erbsystem mit einem generellen Legitimationsproblem konfrontiert ist, je weiter sich die Familienlinie von Kim Il-sung entfernt. 5 Hayes, Peter u. a.: Kim Jong-il s Death Suggests Continuity Plus Opportunity to Engage. NAPSNet Policy Forum, 19.12.2011. http://www.nautilus.org (abgerufen am 14.02.2012).

WeltBlick 19 in die höchsten Machtpositionen auf und erhielt den Rang des Viersternegenerals ohne tatsächliche militärische Erfahrungen. Führerkult und Stabilität Kim Jong-un ist anders als Kim Jong-il ein Nachfolger ohne besondere Erfahrung und Reputation. Er steht formal an der Spitze, da ihn sein Vater und andere einflussreiche Personen dazu auserwählt haben, die familiäre Linie sowie die Politik seiner Vorgänger fortzusetzen. Die Tatsache, dass Kim Jong-uns primäre Qualifikation erbbiologischer Natur ist, verweist auf die enorme Bedeutung, die das Regime in Pjöngjang der Aufrechterhaltung der politisch-dynastischen Nachfolgeregelung beimisst. 6 Die Legitimität Kim Jong-uns als neuem Führer Nordkoreas ist allein darin begründet, dass er der Sohn des verstorbenen Herrschers ist. Akzeptiert man dies nicht, stellt man die Legitimität des gesamten Regimes infrage. Dieses System der familieninternen Machtvererbung mag aus westlich-demokratischer Perspektive mehr als ungewöhnlich erscheinen. Es wurde daher wiederholt gefragt, wie ein solches System im 21. Jahrhundert noch existieren könne. Dabei wird jedoch übersehen, dass die familieninterne Machtvererbung kein seltenes Phänomen der internationalen Politik darstellt. Zwar bezeichnet sich das nordkoreanische Regime als eine Demokratische Volksrepublik, doch weist der Status der Führerfamilie Kim durchaus Ähnlichkeiten zu dem einer königlichen (Alleinherrscher-)Familie auf. Dabei gründet sich die Legitimität des nordkoreanischen Regimes auf die Legende von Kim Il-sung als Unabhängigkeitskämpfer gegen die japanische Kolonialherrschaft und dem damit verbundenen Führerkult. Mit der Vererbung politischer Macht von Kim Il-sung an Kim Jong-il ging dann auch eine Vererbung des Führerkults einher ein Phänomen, das sich gegenwärtig erneut beobachten lässt und das nicht zuletzt dadurch erleichtert wurde und wird, dass die nordkoreanische Bevölkerung bis heute außer Monarchie, Kolonialverwaltung und der strikt autoritären Machtund Herrschaftsstruktur der Kim-Familie keine andere Form politischer Herrschaft kannte bzw. kennt. Weiterlesen: Sungbok Cho, Atomfrage Nordkorea WeltTrends 66 6 Kim Jong-uns Weg zur Nachfolge bedeutet jedoch nicht, dass inoffiziell keine Arrangements und Absprachen hinsichtlich der Nachfolgeregelung und der potenziellen Umstrukturierung der Machtverteilung zwischen Personen und Institutionen getroffen wurden. Die zentrale Frage der Nachfolgeregelung, welche die Regimestabilität berührt, wurde nicht ad hoc beantwortet.

20 WeltTrends 83 Kontinuität des Autoritarismus Weiterlesen: H. Maretzki, Koreanische Wiedervereinigung WeltTrends 5 Entsprechend haben weder Land noch Bevölkerung Erfahrungen mit einer demokratischen politischen Kultur oder einer kollektiven Führung gemacht. 7 Auch die Tatsache, dass Kim Jong-un als Schüler wenige Jahre in der Schweiz verbrachte, ändert daran nichts. Die neue Führung wird daher, unabhängig von ihrer personellen Zusammensetzung, in den Strukturen des grundsätzlich seit den 1940er Jahren bestehenden autoritären Regimes agieren, dem sie entspringt. Somit würde wohl auch ein etwaiger Machtkampf, den manche Beobachter für möglich halten, innerhalb dieses Gefüges ausgetragen werden und nicht zu Regimeveränderungen führen. Außerdem gibt es keine Anzeichen für die Existenz einer politischen Opposition und alle (bekannten) politischen Persönlichkeiten, die für einen solchen Machtkampf infrage kämen, entspringen ebenfalls dem Regime bzw. profitieren davon. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass der Führungswandel in Pjöngjang zu einer generellen Veränderung der strukturellen politischen Rahmenbedingungen und damit letztlich zu weitreichenden Neuerungen in der (Außen-) Politik des Landes führen wird. Auch ist fraglich, ob die neue Führung in Nordkorea, die im bestehenden Regime sozialisiert wurde, langfristig gehegte Feindbilder und antagonistische Identitätsstrukturen (insbesondere gegenüber den USA, Japan und Südkorea) sowie die Bedrohungsdiskurse und Ideologie kurzfristig ändern wird. Diese sind zu zentral für die (Re-) Konstruktion der nationalen Identität und die Legitimation des Regimes in Pjöngjang. Kurzfristige Implikationen Geht man von Kontinuität in der zentralen politischen Konstitution Nordkoreas aus, stellt sich die Frage nach den kurzfristigen Implikationen der jüngsten Entwicklungen für den politischen Fortgang auf der koreanischen Halbinsel. Während Nordkorea nach dem Tod von Kim Jong-il darauf bedacht sein wird, die neue Führung in Pjöngjang zu konsolidieren wobei weitere Provokationen durchaus möglich sind, sprechen die allgemeinen politischen Rahmenbedingungen eher für ein 7 Was nicht ausschließt, dass Kim Jong-un ein Gremium aus Verwandten und hochrangigen Partei- und Armeekadern um sich etabliert.

WeltBlick 21 politisch ruhiges Jahr 2012. Wie Hayes, Bruce und von Hippel ausführen: Kim Jong-il s death may make Korea the land of the morning calm for at least a year during which political transitions will also occur in China, South Korea, Japan, Russia, and the United States. 8 Vor diesem Hintergrund sind jedoch kaum Fortschritte in zentralen Punkten wie der Nuklearfrage bzw. den Sechs-Parteien-Gesprächen zu erwarten nicht zuletzt, weil die neue Führung in Pjöngjang Zeit brauchen wird, um sich zu festigen und damit andere Policy- Entscheidungen in den Hintergrund gedrängt werden, und das Augenmerk der übrigen involvierten Staaten Nordostasiens Einwohner Fläche Bevölkerung Hauptstadt Staatsform Staatsoberhaupt Regierungschef Religionen BIP pro Kopf 2009 im regionalen Vergleich (in Euro) Nordkorea in Daten 24 Mio. (Deutschland: 82 Mio.) 123.000 km² (Deutschland: 349.000 km²) Koreaner, chinesische Minderheit im Norden Pjöngjang Volksrepublik Kim Jong-un Choe Yong Rim Buddhismus; Konfuzianismus Nordkorea: 700 Japan: 29.900 China: 2.800 Südkorea: 15.000 (Deutschland: 31.200) Quelle: Auswärtiges Amt, Statistisches Bundesamt angesichts bevorstehender Wahlen ebenfalls primär auf innenpolitischen Entwicklungen liegen wird. Denkbar wäre aber auch, dass die kostenintensive Trauerfeier Kim Jong-ils, die zu erwartenden Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Staatsgründer Kim Il-sung sowie der harte Winter angesichts der nach wie vor prekären wirtschaftlichen Situation den kurzfristigen Bedarf Nordkoreas an Kapital, Energie, Gütern und Lebensmitteln steigert. Dieser wurde in der Vergangenheit wiederholt durch die Rückkehr an den Verhandlungstisch bzw. durch die speziellen Beziehungen zu China gedeckt. Die internationale Gemeinschaft sollte daher abwägen, ob eine Druckpolitik in diesem Kontext Erfolg versprechend ist. Denn Nordkorea ist nicht nur dazu fähig, externem Druck zu widerstehen. Die von dem Regime in Pjöngjang angeführte Auflehnung gegen diesen externen Druck wurde zu einem zentralen Element der nationalen Identität. Gleichzeitig wird insbesondere China auf Stabilität in Nordkorea und damit letztlich auch auf eine reibungslose Machttransformation bedacht sein. 8 Hayes u. a. 2011.

Themenhefte 83 Arabische Brüche 82 Autoritarismus Global 81 Atomare Abrüstung 80 Japan in der Katastrophe 79 Rohstoffpoker 78 Polen regiert Europa 77 Vom Fremden zum Bürger 76 Herausforderung Eurasien 75 Exit Afghanistan 74 Vergessene Konflikte 73 Klimapolitik nach Kopenhagen 72 Südafrika und die Fußball-WM 71 Selektive Grenzen 70 Brodelnder Iran 69 Europäische Brüche 68 NATO in der Sinnkrise 67 Außenpolitik in Schwarz-Rot 66 Energiesicherheit Deutschlands 65 Naher Osten Ferner Frieden 64 Konfliktherd Kaukasus 63 Geopolitik Ost 62 Zerrissene Türkei 61 Soziale Bewegungen in Lateinamerika 60 Russische Moderne 59 EU-Außenpolitik nach Lissabon 58 Regionalmacht Iran 57 Ressource Wasser 56 Militärmacht Deutschland? 55 G8 Alternativ 54 Identität Europa 53 Rotes China Global 52 Deutsche Ostpolitik 51 Geheime Dienste 50 Kerniges Europa 49 Militär in Lateinamerika 48 Internet Macht Politik 47 Europäische Arbeitspolitik Bestellen Sie mit einer Mail an bestellung@welttrends.de auf www.amazon.de Suchwort Welttrends 46 Globale Finanzmärkte 45 Von Dynastien und Demokratien 44 Modernisierung und Islam 43 Großmächtiges Deutschland 42 Europäische Außenpolitik 41 Transatlantische Perspektiven II 40 Transatlantische Perspektiven I 39 Wohlfahrt und Demokratie 38 Politisierung von Ethnizität 37 Vergelten, vergeben oder vergessen? 36 Gender und IB 35 Krieg im 21. Jahrhundert 34 EU-Osterweiterung im Endspurt? 33 Entwicklungspolitik 32 Balkan Pulverfaß oder Faß ohne Boden? 31 Recht in der Transformation 30 Fundamentalismus 28 Deutsche Eliten und Außenpolitik 27 10 Jahre Transformation in Polen 26 (Ab-)Rüstung 2000 24 Wohlfahrtsstaaten im Vergleich 21 Neue deutsche Außenpolitik? 20 Demokratie in China? 19 Deutsche und Tschechen 18 Technokratie 17 Die Stadt als Raum und Akteur 16 Naher Osten Region im Wandel? 14 Afrika Jenseits des Staates 12 Globaler Kulturkampf? 11 Europa der Regionen 8 Reform der UNO 7 Integration im Pazifik 6 Zerfall von Imperien 5 Migration 3 Realer Post-Sozialismus 2 Chaos Europa 1 Neue Weltordnung www.welttrends.de