Gottesdienst zur Visitation + Themenreihe Reformation Allein Jesus Christus Mit der Feier des Heiligen Abendmahl s 16.10.16 um 10.00 Uhr in Bolheim Lukas 19,1-10 Pfarrerin Hanna Nicolai 1 Liebe Gemeinde, Da hat er sich verguckt. In eine Frau. Er interessiert sich für sie. Redet mit ihr, will wissen, was sie macht, wofür ihr Herz schlägt, was ihr wichtig ist. Recherchiert zu Hause im Internet auf einmal alles über Pferde. Schließlich ist das eine ihrer großen Leidenschaften. Damit er sie besser versteht in ihrer Welt. Liebe macht blind heißt es ja aber Liebe macht vielmehr noch interessiert. Interesse hat er an ihr, ihrer Person. Nimmt sich Zeit, stellt seine eigenen Hobbies zurück, macht manche Dinge mit die er sonst nie gemacht hätte, hört ihr zu, weil er sie kennenlernen will, weil er mit ihr Zeit verbringen will. Weil mit ihr das Leben so viel schöner ist. Da ist der Sänger Andreas Bourani. Bekannt geworden durch den WM-Song Ein hoch auf uns. Wenn sich seine Fans um ihn drängen, dann wollen sie in der Regel ein Selfie mit ihm. Hauptsache mit dem Star zusammen auf einem Bild, so war es gestern in der Zeitung zu lesen. 2 Dieser Selfie-Wahnsinn geht mir dermaßen auf den Geist. Ich finde es traurig, sagt Bourani. Wenn ich Leuten begegne, haben sie überhaupt kein Interesse daran, mit mir zu reden und mich kennenzulernen. Ein Star, dieser Bourani und doch links liegen gelassen. Er ist gut für ein Selfie aber nicht für mehr. Wichtig und doch nicht wichtig. Woran merke ich eigentlich, dass sich jemand für mich interessiert? Dass er nicht an meinem praktischen Geschick oder an meinem Wissen oder an meiner Berühmtheit interessiert ist, sondern an mir als Person, als ganzer Person? Ernsthaftes Interesse spüre ich doch dann, wenn jemand zuhört, wenn ich erzähle; wenn jemand nachfragt, wenn ich etwas sage, wenn ich den Eindruck habe: der andere taucht ein in meine Welt, will mich verstehen obwohl er vielleicht keinerlei Ahnung hat von dem was ich mache, was meinen Alltag prägt, was mir wichtig ist. Und echtes Interesse, das merke ich doch daran, 1 Die Predigt greift Auszüge aus dem Material Vergnügt.erlöst.befreit. einfach evangelisch. Die vier Grundgedanken der Reformation: elementar, konkret, zeitgemäß. Hg. Von Kirche Unterwegs 2015 auf. 2 HZ Ausgabe vom 15.10.2016. 1
dass sich jemand Zeit nimmt, sein eigenes zurückstellt, und dann mit Herz und Ohr bei mir ist und nicht gleich wieder bei seinem nächsten Termin oder seinen Sorgen oder seinen Problemen ist und davon erzählt. Da interessiert sich einer für mich das ist ein schönes Gefühl. Ich empfinde mich als wertvoll, als angenommen und geliebt. Doch wie ist das eigentlich bei Gott? Woher kann ich sicher sein, dass er sich für mich interessiert? Ich bin ja nur ein kleines Menschlein im großen Weltall und im Laufe der Weltgeschichte eigentlich nicht mehr als ein Staubkorn! Und manchmal, da habe ich den Eindruck, dass der da oben gut mit anderem beschäftigt ist, dass es so viele Brennpunkte gibt, um die er sich zu kümmern hat, dass ich gar nicht mehr vorkomme bei ihm. Da habe ich den Eindruck: Er hat mich vergessen. Oder ich habe den Eindruck, dass er mehr daran interessiert ist, mir Knüppel in den Weg zu legen, mir Stolperfallen zu stellen, mich aufs Äußerste zu testen, wie lange meine Kraft eigentlich noch reicht, mit dem, was ich durchmachen muss: Krankheit, den Tod eines Kindes, das Zerbrechen von Beziehungen, das Zusammenhalten müssen der Familie. Hat Gott Interesse an mir? Und wenn ja, für was interessiert er sich dann? Schaut er darauf, wie weiß bzw. eher wie besudelt meine Weste ist mit Dingen, die ihm nicht gefallen? Bin ich für ihn als Sünder interessant, die er ertappen und bestrafen kann? Ganz so, wie sich die Polizei für Straftäter oder Verkehrssünder interessiert? Nach was schaut er eigentlich? Martin Luther hat sich das auch gefragt: Interessiert sich Gott eigentlich für mich? Und wenn ja, wie? Und was interessiert ihn an mir? Als Martin Luther im Kloster war als Student, da hat ihn diese Frage existentiell umgetrieben. Und er glaubte Antworten zu haben: Wenn Gott sich für mich interessiert, dann schaut er besonders auf das, was ich falsch mache, wo ich Schuld auf mich lade, wo ich sündige. Er ist der Richter was sollte ihn da sonst an mir interessieren? Und doch hatte Martin Luther die Tiefe innere Sehnsucht nach einem anderen Gott, nach einem an seinem Wohlergehen interessierten Gott. Nach einem ihn liebenden Gott. Filmausschnitt: Luther wird von Staupitz aus Christus verwiesen Wer allein von seinen Erfahrungen her auf Gott zurückzuschließen versucht, wird nie gewiss werden können, wie Gott zu ihm steht. Das lernte Martin Luther über die Jahre hin im Kloster. Er lernte: An meinem Wohlergehen und an meinem Glück kann ich nicht ablesen, dass Gott 2
sich für mich interessiert, ernsthaft interessiert. Wenn ich auf Grund meiner Lebenserfahrungen herausfinden will, ob Gott sich für mich interessiert, ob er es gut mit mir meint oder nicht, dann werde ich wie ein Schiff auf dem wilden Meer dauernd hin und her schwanken. Er interessiert sich für mich, er tut es nicht; er liebt mich, er liebt mich nicht Sein Beichtvater Staupitz öffnete ihm einen anderen Horizont. Wer und wie Gott ist, erkennst du in Jesus Christus. Schau auf ihn. Rede mit ihm. Denn allein in Christus kommst du zur gewiss machenden Erkenntnis, das Gott sich für dich interessiert. Denn wer sich wirklich für einen anderen interessiert, begibt sich in dessen Welt. Das macht Gott: In Jesus gibt er alles auf, was er hat, und kommt zu uns auf die Erde. Und mehr noch: Er wird wie wir. Er liefert sich uns Menschen aus, leidet mit uns, wird von seinen Freunden verlassen, stirbt. Vielmehr: Zur Vergebung unserer Schuld und um unser Vertrauen zu gewinnen, gibt er sich hin, lässt er sich ausliefern und stirbt am Kreuz. An Jesus können wir sehen, wie sehr sich Gott für uns interessiert. Gottes Liebe ist nicht ablesbar an unserem Ergehen, sondern allein am Leiden Jesu Christi. (2x) (Sabine Naegeli). Für Martin Luther wird der Blick auf den gekreuzigten Christus zum tragfähigen Grund für seinen Glauben und dann auch für die Reformation. Martin Luther merkte: Wer auf Jesus schaut, stellt fest, dass Gott uns Menschen nicht allein als Sünder betrachtet, sondern als geliebte Menschen. Wir haben es gehört in der Geschichte von Zachäus. Jesus ist unterwegs. Und er weiß, heute erwarten mich in Jericho viele Menschen. Er weiß aber auch, dass da einer ist, der ihn besonders sucht, der ihn schon lange sucht. Dieser Obergauner und Oberzöllner Zachäus. Und Jesus weiß auch, dass er da zwischen den Blättern sitzt. Er bleibt stehen, schaut ihn an und lädt sich freundlich aber bestimmt bei ihm ein: Ich muss heute dein Gast sein. Und so taucht er ein in die Welt des Zachäus, begibt sich in sein zu Hause. Im Laufe dieses Besuches sagt Zachäus: Ich gebe zurück, was ich zuviel genommen habe. Wie kommt es zu dieser Veränderung? Was hat Jesus gesagt, damit Zachäus diesen Schritt tut? Wir wissen es nicht, es wird uns nicht erzählt. Aber eines ist klar: Jesus trat zwischen Zachäus uns seine Vergangenheit und er erlöste ihn von dem, was ihn gebunden hat. Und er hat ihn heilsam mit Gott verbunden. Er hat ihm neues Leben und eine offene Zukunft eröffnet. Zachäus hat in der Begegnung mit Jesus Vergebung und Versöhnung empfangen. Er weiß sich von Jesus angenommen und geliebt und wird dadurch befreit zu einem Leben in der Liebe zum Nächsten. Zachäus hat erlebt: Jesus nimmt mich bedingungslos an, trotz meiner Schuld. Er 3
vergibt mir, ganz aus Gnade, unverdient. In ihm finde ich das Fundament für mein Leben und für meinen Glauben. Äußerlich wird sich für Zachäus nicht viel verändert haben nach der Begegnung mit Jesus. In den Augen er Menschen wird er weiterhin der Oberzöllner und der Obergauner gewesen sein, gleichwohl sie vielleicht seinen Sinneswandel wahrgenommen haben. Und doch war seine Sehnsucht gestillt. Er wusste: Gott interessiert sich für mich. Auch für mich, der ich seine Gebote mit Füßen getreten habe, auch für mich, der ich Gott mit meinem Verhalten verletzt habe. Unter uns Menschen machen wir immer wieder die Erfahrung: An Versagern verliert man schnell das Interesse. Zachäus hat erfahren: Wo ich meine Not, mein Versagen und meine Schuld zeige, da wendet sich Jesus nicht ab. Bei ihm kann ich ehrlich werden und sein. Im Gegenteil. Da erlebe ich ihn als denjenigen, der mich erlöst und rettet. Jesus lässt sich von unserem Versagen und Unheil nicht abhalten. Sein Interesse an mir ist ungebrochen. Die Erlösung bestand für Zachäus nicht darin, das Jesus ihm seine Sündenlast wie einen Rucksack abgenommen hat und er unverändert der gleiche geblieben wäre. Erlösung ist mehr als allein Abnahme eines Schulden-, Sünden- oder Sorgenpaketes. Erlösung heißt: ich werde verändert. Jesu Zuwendung verändert mich. Er selbst ist das Heil. Das Heil ist nicht etwas, das Jesus gibt. Jesus selbst ist das Heil. Martin Luther beschreibt die Zuwendung Jesu, sein Heil für uns, in einer seiner reformatorischen Hauptschriften als fröhlichen Wechsel 3 : Christus nimmt auf sich unsere Sünde und sie werden in ihm verschlungen und ersäuft, denn seine Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark. Und wir bekommen von Christus Frieden, tiefen Frieden, Heil, ewiges Leben und sind und bleiben damit mit ihm verbunden. So eng wie Bräutigam und Braut. Das ist der fröhliche Wechsel, den Zachäus erlebte. Das ist der fröhliche Wechsel, der Tausch, mit dem uns Christus bis heute beschenken will: mit ihm verbunden werden und verbunden bleiben im Leben und im Tod. Abschließend will ich noch fragen: Warum ist die Konzentration auf Jesus Christus so wichtig? Warum legte Martin Luther so viel Wert auf das Allein Christus? Was ist an Jesus Christus so einzigartig, so exklusiv? Allein in Jesus Christus wird Gottes Interesse an uns Menschen deutlich, ja eindeutig: Es ist das Interesse eines liebenden Vaters an seinen Kindern. Das ist das eine. 3 In Von der Freiheit eines Christenmenschen, These 12. 4
Und das andere: Gott versöhnt uns mit sich allein durch Jesus Christus. Jesus sagt ja von sich Der Menschensohn ist gekommen zu suchen und zu retten was verloren ist. Andere Erlösungswege, andere Wege zu Gott gibt es nicht. Auch wenn wir Menschen da gerne sagen, es soll jeder nach seiner eigenen Facon selig werden. Der Weg, der zum Heil führt, der uns zu Gott führt, der ist uns bekannt: Jesus Christus selbst. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Jesus sagt nicht: Ich zeige euch den Weg. Er sagt auch nicht Ich bin ein Weg unter mehreren möglichen. Nein er sagt: Ich, Jesus, bin der Weg. Bleibt die Frage, wie Jesus Christus uns heute begegnet. Zachäus ist Jesus auf der Straße begegnet. Auch uns kann er dort begegnen, zum Beispiel durch andere Menschen. Jesus hat aber auch andere Wege, bei uns einzukehren: durch ein Gebet, wie Martin Luther es in der Klosterzelle sprach Ich bin dein, erlöse mich oder in dem wir Brot und Kelch im Abendmahl miteinander teilen und wir Gäste sind an Jesu Tisch. Sicher ist: Jesus ist unterwegs zu einem jeden von uns weil wir für ihn mindestens so wichtig sind wie für Verliebte der Partner. Amen. 5