Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen HSK Sicherheitstechnische Kriterien für die Standortevaluation: Grundsätze, Herleitung und Anwendung Sachplan Anhang I (Dokument HSK 33/001) Dr. Johannes Vigfusson Chef der Sektion Geologische Tiefenlagerung, HSK Informationsveranstaltung Schweizer Sachplan Geologische Tiefenlager Bregenz, 11. August 2006 003775607
Gliederung der Präsentation 1. Grundsätze und gesetzliche Anforderungen an die Sicherheit geologischer Tiefenlager 2. Umsetzung der Anforderungen: Rolle der Geologie 3. Herleitung sicherheitstechnischer Kriterien für die Standortevaluation 4. Anwendung der Kriterien bei der Standortevaluation 2
1. Grundsätze und gesetzliche Vorgaben zur Sicherheit geologischer Tiefenlager International anerkannte Prinzipien, Grundsätze und Anforderungen an geologische Tiefenlager (ICRP, IAEA) Internationales Übereinkommen über die sichere Behandlung radioaktiver Abfälle (Joint Convention, von CH ratifiziert) berücksichtigt in Kernenergiegesetz (KEG) Kernenergieverordnung (KEV) Richtlinie HSK-R-21 mit quantitativen und qualitativen Anforderungen Oberstes Ziel: Dauernder Schutz von Mensch und Umwelt 3
Wichtigste Anforderungen nach KEG/KEV Grundsätze: Entsorgung der Abfälle grundsätzlich in der Schweiz Entsorgung aller radioaktiven Abfälle in geologischen Tiefenlagern Dauernder Schutz von Mensch und Umwelt muss gewährleistet sein Vereinbarkeit mit Umwelt-, Natur- und Landschaftsschutz, Raumplanung Anforderungen an geologische Tiefenlager: Sicherheit: Schutzziele gemäss HSK-R-21, umfassende Sicherheits- und Szenarienanalysen, Berücksichtigung von Ungewissheiten durch konservative Annahmen, Stand von Wissenschaft und Technik Auslegung des Lagers: Konzept der gestaffelten passiven Sicherheitsbarrieren, Pilotlager, Testbereiche, nach Einlagerung erfolgt Beobachtungsphase, Rückholbarkeit, Verschluss Standort: geologische Langzeitstabilität, ausreichende Ausdehnung an einschlusswirksamen Formationen, günstige hydrogeologische und geochemische Verhältnisse, gute Charakterisier- und Explorierbarkeit 4
Schutzziele der Richtlinie HSK-R-21 Schutzziel 1: Die. Freisetzung von Radionukliden aus einem verschlossenen Endlager infolge realistischerweise anzunehmender Vorgänge und Ereignisse soll zu keiner Zeit zu jährlichen Individualdosen führen, die 0.1 msv übersteigen. Schutzziel 2: Das aus einem verschlossenen Endlager infolge unwahrscheinlicher, unter Schutzziel 1 nicht berücksichtigter Vorgänge und Ereignisse zu erwartende radiologische Todesfallrisiko für eine Einzelperson soll zu keiner Zeit ein Millionstel pro Jahr übersteigen. Schutzziel 3: Nach dem Verschluss eines Endlagers sollen keine weiteren Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit erforderlich sein. Das Endlager soll innert einiger Jahre verschlossen werden können. 5
Schutzziel: max. 0.1 msv pro Jahr 6
Konzept der gestaffelten passiven Barrieren Schema der Auslegung der Sicherheitsbarrieren für ein HAA- bzw. ein SMA Lager nach Konzepten der NAGRA 7
2. Umsetzung der Anforderungen: Die Rolle der Geologie Räumliche Trennung (Isolation) der Abfälle von der Biosphäre und den dort ablaufenden schnellen Vorgängen Gewährleistung einer physikalisch-chemisch stabilen Umgebung für die technischen Barrieren Langfristige Barrierenwirkung der Geosphäre (Einschluss der Abfälle, Begrenzung und Verzögerung der Freisetzung) Die Zeiträume für den erforderlichen Einschluss der Abfälle und die Sicherheitsbetrachtungen betragen je nach Inventar mehrere 10 000 bis über eine Mio. Jahre. 8
3. Herleitung sicherheitstechnischer Kriterien für die Standortevaluation Aus den gesetzlichen Anforderungen an die geologische Tiefenlagerung, dem dargelegten Sicherheitskonzept und der Rolle der Geologie lassen sich drei Gruppen von Kriterien ableiten, die bei der Evaluation geeigneter Standorte zu beachten sind: Einschluss- und Barriereneigenschaften des Wirtgesteins Langzeitstabilität (Erhaltung der Barrierenwirkung) Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen Schliesslich muss das geologische Tiefenlager auch bautechnisch machbar sein: Bautechnische Eignung 9
Massgebende Kriterien für die Standortevaluation Kriteriengruppe Kriterien 1. Eigenschaften des Wirtgesteins 1.1 Räumliche Ausdehnung 1.2 Hydraulische Durchlässigkeit 1.3 Geochemische Bedingungen 1.4 Freisetzungspfade 2. Langzeitstabilität 2.1 Beständigkeit der Eigenschaften 2.2 Erosion 2.3 Lagerbedingte Einflüsse 2.4 Nutzungskonflikte 3. Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen 3.1 Charakterisierbarkeit der Gesteine 3.2 Explorierbarkeit 3.3 Prognostizierbarkeit 4. Bautechnische Eignung 4.1 Felsmechanische Eigenschaften 4.2 Untertägige Erschliessung 10
Erläuterung der Kriterien (Sachplan Anhang): Beispiel Hydraulische Durchlässigkeit 11
Kriteriengruppe 1 1. Eigenschaften des Wirtgesteins 1.1 Räumliche Ausdehnung 1.2 Hydraulische Durchlässigkeit 1.3 Geochemische Bedingungen 1.4 Freisetzungspfade z. B. Opalinuston: sehr gering durchlässig Oberfläche 100 m 2 /g dichtet sich selbst ab 12
Kriteriengruppe 2 2. Langzeitstabilität 2.1 Beständigkeit der Eigenschaften 2.2 Erosion 2.3 Lagerbedingte Einflüsse 2.4 Nutzungskonflikte Italien: Baum aus dem Pleistozän (1.5 Mio. Jahre alt) 13
Kriteriengruppe 3 3. Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen 3.1 Charakterisierbarkeit der Gesteine 3.2 Explorierbarkeit 3.3 Prognostizierbarkeit 14
Kriteriengruppe 4 4. Bautechnische Eignung 4.1 Felsmechanische Eigenschaften 4.2 Untertägige Erschliessung 15
4. Anwendung der Kriterien bei der Standortevaluation Bei der schrittweise Einengung der in Frage kommenden Gebiete und Standorte gilt stets der Grundsatz: Die Sicherheit hat oberste Priorität; der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt muss gewährleistet sein. Der Sicherheit nachgeordnet sind Aspekte der Raumplanung, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Sachplan sieht folgende drei Etappen vor: Etappe 1: Auswahl potenzieller Standortregionen Etappe 2: Auswahl von mindestens zwei Standorten Etappe 3: Standortwahl und Rahmenbewilligungsverfahren 16
Etappe 1: Auswahl potenzieller Standortregionen (Vorgehen in vier Schritten) Schritt 1: Die Entsorgungspflichtigen müssen für die verschiedenen Lager in einem ersten Schritt folgende Vorgaben festlegen und erläutern: Abfallkategorien (Abfallvolumen, Nuklidinventar, Toxizität) und Zuteilung Barrieren- und Sicherheitskonzept des Lagers Erwartete Beiträge der verschiedenen Elemente des Barrierensystems zur Sicherheit des gesamten Lagers Quantitative Anforderungen an das Wirtgestein und die Geosphäre: - zu betrachtender Zeitraum - Tiefenlage, Grösse und Platzbedarf des Lagers - Mächtigkeit, laterale Ausdehnung und Durchlässigkeit des Wirtgesteins bzw. des einschlusswirksamen Gebirgsbereiches Qualitative Bewertungsskala für die Anwendung der weiteren Kriterien 17
Etappe 1: Auswahl potenzieller Standortregionen (Schritte 2 bis 4) Schritt 2: Identifikation geeigneter geologisch-tektonischer Grossräume bezüglich Langzeitstabilität und Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen. Schritt 3: Identifikation geeigneter Wirtgesteine bezüglich Einschlusseigenschaften, Langzeitstabilität, Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen und bautechnischer Eignung. Schritt 4: Identifikation geeigneter Konfigurationen (Tiefenlage, räumliche Ausdehnung, geologisch-tektonische Komplexität, Einschlusseigenschaften, Langzeitstabilität, Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen und bautechnischer Eignung) Vorschlag potenzieller Standortregionen. 18
Etappe 2: Auswahl von mindestens zwei Standorten Innerhalb der vorgeschlagenen und genehmigten Regionen werden von den Entsorgungspflichtigen mindestens zwei Standorte zur Aufnahme in die Objektblätter vorgeschlagen. Schritt 1: Bezeichnung von Standorten in den ausgewählten Regionen, Evaluation bezüglich Anordnung und Ausgestaltung der Oberflächenanlagen in Zusammenarbeit mit den betroffenen Kantonen. Dies führt zu mindestens einem Standort pro Region. Sicherheitsbewertung für alle so identifizierten Standorte mit quantitativer Analyse der Sicherheitsfunktionen. Schritt 2: Wahl von mindestens zwei Standorten aufgrund provisorischer Sicherheitsanalysen und einer gesamtheitlichen Betrachtung aller Aspekte. 19
Etappe 3: Standortwahl, Rahmenbewilligungsverfahren Die Entsorgungspflichtigen wählen unter Einbezug der betroffenen Regionen und Kantone den Standort, an welchem das geologische Tiefenlager realisiert werden soll. Schritt 1: Sicherheitstechnischer Vergleich der Standorte Standortwahl. Die geologischen Kenntnisse müssen von den Entsorgungspflichtigen auf einen Stand gebracht werden, der den Vergleich der Standorte aus sicherheitstechnischer Sicht ermöglicht. Falls nötig, sind die Kenntnisse mit erdwissenschaftlichen Untersuchungen zu ergänzen. Schritt 2: Vorbereitung und Einreichung des Gesuches um die Rahmenbewilligung nach KEG und KEV. 20