Über Vermehrung und Kultur von Dactylorhiza (M.E.)
Die Orchidee 65(3), 2014 Über Vermehrung und Kultur von Dactylorhiza 185 < Key words: Dactylorhiza, Vermehrung, Erhaltung, Kultur Summary: The author illustrates the propagation of Dactylorhiza and advises about its distribution, cultivation and vulnerability. Meist sind es Vertreter der Gattung Dactylorhiza, mit denen man die ersten Orchideen-Bekanntschaften in der Natur macht. So zählt auch heute noch Dactylorhiza majalis neben Dactylorhiza maculata, Dactylorhiza fuchsii, Epipactis helleborine und Listera ovata zu den häufigsten Vertretern ihrer Familie in Deutschland, obwohl Dactylorhiza maculata in manchen Bundesländern auch schon vom Aussterben bedroht ist. Eigenartigerweise besiedelt Dactylorhiza majalis in Mitteleuropa auch die Mittelgebirge und die Alpen bis in eine beträchtliche Höhe, wogegen sie Richtung Norden nicht weit vordringt. Nach Auffassung einiger Fachleute fehlt sie auf den britischen Inseln, andere zählen einige britische Sippen als Unterarten zu Dactylorhiza majalis (A. u. P. Woods, 1993). Nach Norden nimmt die Sippe schnell ab, was mir zuerst in Schweden auffiel. Richtung Nordost ist es ähnlich, wo sie in Estland schon gar nicht mehr vorkommt (Dactylorhiza baltica soll sie hier»vertreten«). Dafür ist dort Dactylorhiza incarnata eine der häufigsten Arten. Über die Verbreitung Richtung Osten ist mir wenig bekannt, sie wird aber Asien kaum erreichen. Hierdurch wird deutlich, dass Arten in manchen Gebieten relativ häufig vorkommen, in anderen dagegen durchaus selten sein können oder fehlen. Allgemein gelten die Knabenkräuter der Gattung Dactylorhiza als taxonomisch schwierigste Gruppe mitteleuropäischer Orchideen (Haeupler, Muer, 2000). Eine kleine Gruppe von Arten (Dactylorhiza sambucina, Dactylorhiza romana, Dactylorhiza flavescens u. a.) sind als solche gut abgrenzbar. Bei den übrigen ist die Variabilität enorm, dazu kommen Übergangssippen und nicht selten Hybriden. Hybrid-Sippen sollen sich oft unabhängig von den Eltern (»explosionsartig«) vermehren und sind Dactylorhiza foliosa Dactylorhiza incarnata manchmal schwer zu bestimmen. Bei meinen Hybriden konnte ich allerdings oft geminderte Fruchtbarkeit und vermutlich auch Sterilität feststellen. Von unserer Dactylorhiza majalis wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine fast inflationäre Zahl von Varietäten und auch einige Unterarten beschrieben. Nur eine kleine Zahl davon hat überhaupt einen taxonomischen Wert, einige sind umstritten und so selten, dass man sie am besten gar nicht nennt. Durch mikrogenetische Verfahren kann man in Zukunft vielleicht noch einige Fragen klären. Die Vermehrung ist bei vielen Arten der Gattung relativ einfach, bei kleinen, zierlichen und manchen asiatischen Arten ist es etwas schwieriger oder kann länger dauern. Ein wenig Arbeit ist noch nötig, um alle Arten sicher heranzuziehen und ins Freiland zu übertragen. Ich pikiere die Sämlinge ein Jahr nach der Aussaat und lasse sie dann ein Jahr in den Töpfen. Besser ist es wahrscheinlich, wenn man die Sämlinge aus dem sterilen Medium gleich ins Freiland-Grundbeet pikiert, wie ich es immer mit Cypripedien gehandhabt habe. Zumindest im ersten Winter decke ich die Sämlinge mit Polystyrolplatten ab, weil sonst der Frost die Knöllchen aus der Erde drücken kann. Ein Sämling blühte einmal 20 Monate nach der Aussaat. Die normale Anzuchtdauer von der Aussaat bis zur ersten Blüte beträgt aber drei bis fünf Jahre, d.h. die Sämlinge blühen ab der dritten Vegetationsperiode. Bei mir blühen bei den meisten Aussaaten alle Pflanzen ab der vierten Vegetationsperiode. Bei gesunden Beständen und einigermaßen guter Sämlingsqualität ist der Erfolg fast hundertprozentig. Anm. d. Redaktion: * Dactylorhiza osiliensis wird in der Kew-Liste als Dactylorhiza praetermissa subsp. osiliensis geführt Günter Bergel, Bogenstr. 20, 16831 Rheinsberg, interessiert sich seit seiner Kindheit für Orchideen und beschäftigt sich mittlerweile hauptsächlich mit winterharten Arten. Darüber hinaus bemüht er sich um die Erhaltung der Orchideenstandorte in seiner Umgebung. Alle Abbildungen sind vom Autor. Ich gebe das Saatgut zur Aussaat in ein Labor. Aus Zeit- und Platzgründen habe ich seit Jahren keine Aussaaten mehr selbst durchgeführt. Es ist üblich, die Sämlinge ein oder zwei Jahre nach der Aussaat in Erde zu übertragen. Je nach Art pikiere ich die Sämlinge in ein Gemisch aus Sand, Lehm und Kalk, Dactylorhiza osiliensis*: Art, Unterart oder Varietät?
186 Über Vermehrung und Kultur von Dactylorhiza Die Orchidee 65(3), 2014 Pikieren von Dactylorhiza-Sämlingen im Winter (oben links und rechts) Die gleichen Sämlinge wie oben sechs Monate später Wurzelknöllchen im zweiten Winter in sauberen Sand oder in Sphagnum. Dactylorhiza-Sämlinge sind sehr robust. Ich pikiere sie im Herbst, weil ich dann sicher bin, dass sie ausreichend gekühlt werden. Nach einem Jahr im Topf oder Grundbeet kann man die Pflanzen dann an Ort und Stelle auspflanzen. Aus Qualitätsgründen sollte man aber erst die Blüten abwarten und begutachten. Zum Auspflanzen im Garten bietet sich ein breites Teichufer oder ein (Kalk-)»Moor«innerhalb der Teichfolie am Gartenteich besonders an. Dadurch kann man den Pflegeaufwand auf ein Minimum herabsetzten. Gießen und Düngen entfällt hier (es sei denn, man muss den Gartenteich in Trockenperioden einmal auffüllen), lediglich der Pflanzenbestand muss gelegentlich ausgelichtet, d.h. unliebsame Pflanzen (auch Lebermoos) müssen entfernt werden. Da ich einen Naturgarten habe, sind mir natürlich Tiere aller Art bis hin zu Fuchs und Dachs willkommen. Damit meine Orchideen nicht durch Erdbewegungen der Tiere, besonders durch Vögel, die gern Lehm abtransportieren, beschädigt werden, überspanne ich den Boden mit Kaninchendraht, der bald von Moos überwachsen und daher nicht mehr sichtbar ist. Hier neigen Dactylorhiza-Arten auch zur vegetativen Vermehrung, indem kräftige Pflanzen zwei oder mehrere neue Knollen bilden können. Man kann der vegetativen Vermehrung auch etwas nachhelfen, was hier aber nicht das Thema sein soll. Der Samen einiger Arten keimt auch im Garten, auf Kübelballen oder in Blumentöpfen gut. Besonders gern keimen sie zwischen Schnittlauch,
Die Orchidee 65(3), 2014 Über Vermehrung und Kultur von Dactylorhiza 187 Dactylorhiza foliosa-hybride Dactylorhiza foliosa Dactylorhiza majalis Erdbeeren, Lilien oder auf Töpfen mit Spiranthes, um nur einige Beispiele zu nennen, sobald man dort das Hacken usw. einmal ruhen lässt. Gegen alle Arten und Gattungen von Blatt- und Stängel-Älchen scheinen Dactylorhizen resistent zu sein. Mit Schnecken habe ich keine Probleme und die paar Blattläuse überlasse ich Marienkäfer und Co. Pilzkrankheiten können zum Problem werden. Ich las einmal, dass eine»bakterielle«seuche ganze Dactylorhiza-Bestände vernichtet haben soll. Ein Bekannter hatte Proben in ein Berliner Pflanzenschutzamt gegeben, war aber nicht in der Lage, mir Genaueres mitzuteilen. Bei mir trat die Krankheit mehrmals auf. Dactylorhiza foliosa erwies sich Dactylorhiza baltica Helle Farbform von Dactylorhiza majalis
188 Über Vermehrung und Kultur von Dactylorhiza Die Orchidee 65(3), 2014 lässt man verkommen. Eine Erhaltung unserer natürlichen Flora ist aus politischen und ökonomischen Gründen nicht möglich. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts (Fukarek, Henker, 2006) setzte eine ökosystemfremde Überhöhung der landwirtschaftlichen Produktion ein (von deren Produkten heutzutage die Hälfte weggeworfen wird). Dies hatte u. a. eine raumgreifende Überdüngung zur Folge, ebenso eine Überlastung mit anderen Chemikalien, Pflanzenschutzmitteln und Medikamenten. Hinzu kommt auch noch ein ständig wachsender Freizeit- und Besucherdruck. Der natur- und klimaschädliche Torfab-bau trägt auch zum Schwund der Orchideenarten bei. Dies bedeutet, dass die Wiesen- und Kalkflachmoor-Orchideen heute zum Pflegefall geworden sind, deren Standorte mindestens einmal im Jahr gemäht werden müssen. Die Arten der Gattung Dactylorhiza kommen hauptsächlich auf (Feucht-) Wiesen, in Kalkflachmooren, seltener in sauren Mooren und wenige Arten auch im Wald (z.b. Dactylorhiza romana, Dactylorhiza flavescens) vor. Vierjährige Sämlinge von Dactylorhiza foliosa Dactylorhiza purpurella dagegen als resistent, ihre Hybriden leider nicht. Die Bekämpfung mit einem Pilzmittel, das den Wirkstoff Mancozeb enthält, war sehr wirksam, und nach zweimaliger Spritzung war die Seuche weg. Dies und anderes weist aber darauf hin, dass es sich um eine Krankheit handelt, die durch einen Pilz hervorgerufen wird. Auch eine Art Wurzelhalsfäule, die ich mir mit drei Dactylorhiza- Pflanzen zugekauft hatte, konnte ich mit dem gleichen Mittel verlustlos ausschalten. In freier Natur sieht es bei uns schlecht aus mit der Gattung Dactylorhiza, ebenso wie mit der übrigen Flora. Größere Flächen werden intensiv genutzt, kleinere, abseits gelegene Flächen Dactylorhiza foliosa Dactylorhiza sambucina Auch in Ländern Nord-, Süd- und Osteuropas, wo heute noch reiche Orchideenbestände zu sehen sind, ist ihr Schicksal eng mit der Aufgabe der traditionellen Landwirtschaft verbunden. Relativ sicher sind Orchideen in geeigneten Parkanlagen (hier können sie auch angesät werden), militärischen Übungsgebieten und besonders auf Flugplätzen. Beeindruckend ist z. B. der Orchideenbestand des Flugplatzes Samsun in der Türkei. Hier fehlt aber etwas die Vielfalt und empfindliche Arten kommen zumeist nicht vor. Der Leser wird feststellen, dass ich den»naturschutz«und Botanische Gärten noch nicht erwähnt habe. Dies wäre ein Extrakapitel, aber es lohnt sich nicht. In den letzten Jahren wurden z. B. im Rheinsberger Gebiet die beiden letzten Vorkommen von Dactylorhiza maculata im Rahmen von»naturschutzmaßnahmen«(tümpelbau und Anstau) durch Abbaggern und Überstauen schwer geschädigt und dezimiert. Unbedingt möchte ich aber neben dem allgemeinen Desinteresse doch die Initiative einzelner Naturfreunde und einiger Einrichtungen erwähnen, die sich für die Standorterhaltung einsetzen. Ob damit die Arten langfristig überleben können, bleibt abzuwarten. Literatur: Fukarek, F.; Henker, H. (2006): Flora von Mecklenburg-Vorpommern; Jena Heupler, H.; Muer, T. (2000): Bildatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands; Stuttgart Woods, P.; Clarke, S. (1993): Wild Orchids of Scotland; Edinburgh