Leben und Sterben vor Gottes Angesicht Predigt zu Röm 14,7-9 (Drittletzter So n Trin, 6.11.16) Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Liebe Gemeinde, wenn ich meinen Schülern in der Berufsschule in Buchen erzähle, dass ich gar kein Lehrer, sondern Pfarrer bin, kommen manchmal sehr interessierte Rückfragen. Manchmal lassen sich diese Fragen verknüpfen mit dem Thema, das wir gerade behandeln, z.b. das Thema Sterben und Tod : Sind Sie da eigentlich dann selbst auch betroffen, wenn Sie eine Beerdigung halten? Gute Frage. Und wenn ein Kind stirbt? Vorgestern haben wir in Großeicholzheim ein elfjährigen Mädchen beerdigt. Vor acht Monaten wurde bei ihr ein Hirntumor festgestellt. Heute vor einer Woche ist sie an diesem Tumor verstorben. Was kann man da sagen? Was kann da trösten? 1
Jede Beerdigung ist anders, denn es handelt sich jedes Mal um einen anderen Menschen, der verstorben ist. Aber bei jeder Beerdigung gibt es auch Dinge, die gleich sind. Es werden Lieder gesungen, oft Von guten Mächten wunderbar geborgen, es wird das Vaterunser gebetet. Wenn wir von der Friedhofshalle zum Grab gehen, sind meine ersten Worte immer drei Verse aus dem Römerbrief. Diese drei Verse sind heute morgen der Predigttext, Römer 14, die Verse 7 bis 9. Paulus schreibt: 7 Keiner von uns lebt sich selber, keiner von uns stirbt sich selber. 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. (Gebet) Liebe Gemeinde, nirgendwo liegen Leben und Sterben so dicht beieinander wie auf dem Friedhof. Umgeben von 2
Grabstätten, umgeben von der Wirklichkeit des Todes, betroffen von dem konkreten Todesfall kommen Menschen zusammen, die alle noch leben. Und doch an diesem Ort und in diesem Moment merken: Das Leben geht nicht immer so weiter. Eines Tages werde auch ich an der Reihe sein, diesem Leben Lebewohl zu sagen. Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. So heißt es in Psalm 90. Und im Buch Prediger heißt es: Es ist besser in ein Haus zu gehen, wo man trauert, als in ein Haus, wo man feiert, denn da zeigt sich das Ende aller Menschen, und der Lebende nehme es zu Herzen. Zu wissen, dass Leben und Sterben dicht beieinander liegen das galt in früheren Zeiten als ein Zeichen von Weisheit. Unklug verhält sich derjenige, der den Tod verdrängt und so tut, als würde es immer so weitergehen. Unsere Zeit ist in diesem Sinne eine unkluge Zeit. Denn in unserer Zeit wird der Tod gerne ausgeklammert und an den Rand gedrängt. Der Tod hat nichts Schillerndes, man kann ihn schlecht vermarkten. Im Tatort am Sonntagabend da darf er kurz mal 3
vorkommen, aber nur auf dem Bildschirm, nicht im wirklichen Leben. Keiner von uns lebt sich selber, keiner von uns stirbt sich selber. Paulus klammert den Tod nicht aus. Im Gegenteil. In diesen drei Versen rückt er Leben und Tod ganz nah aneinander. So nah wie ich es vorgestern Nachmittag erlebt habe. Direkt vom Friedhof bin ich ins Gemeindehaus gegangen, wo es mit der Kinderbibelwoche weiterging, deren Abschluss wir nachher mit einem Familien-Gottesdienst feiern. Aber auch bei einer Beerdigung geht es ja gerade angesichts des Todes um das Leben. Um den Mut zum Leben hier und jetzt, und um die Hoffnung auf das ewige Leben im Reich Gottes. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn, sagt Paulus. Was heißt das eigentlich? Dem Herrn leben, dem Herrn sterben? Soll das heißen: Für Jesus leben, für Jesus sterben das würde doch verdrehen, woran wir glauben. Schließlich glauben wir daran, dass Jesus für uns gestorben ist. Und nicht umgekehrt. 4
Dem Herrn leben, dem Herrn sterben das erklärt sich aus dem, was Paulus davor schreibt: Keiner von uns lebt sich selber, keiner von uns stirbt sich selber. Damit ist gemeint: Kein Leben und kein Sterben geschieht völlig isoliert. Niemand von uns hat sich selbst geschaffen, niemand von uns hat sich selbst das Leben geschenkt. Unser Leben steht in einem unauflöslichen Bezug zu unseren Eltern, die uns gezeugt und geboren haben. Aber genauso auch: Unser Leben steht in einem unauflöslichen Bezug zu Gott, der uns geschaffen und unser Leben gewollt hat. Und diese Bezug bleibt. Der Bezug zu den Eltern kann verloren gehen. Es gibt Kinder, die ihre Eltern nicht kennen. Eins steht fest: Kein Mensch kann so vereinsamen, dass sein Leben nicht mehr in Bezug zu Gott steht: Keiner von uns lebt sich selber. Und genauso auch unser Sterben, genauso auch unser Tod. Selbst wenn ein Mensch sich ganz allein auf eine Expedition begibt, zum Bergsteigen, oder auf einen Segeltrip. Und dann fällt er in eine Gletscherspalte und bricht sich das Genick. Oder er kentert mit seinem Boot und 5
ertrinkt. Auch dann gilt: Kein Mensch stirbt sich selber. Kein Mensch stirbt ohne den Bezug zu Gott. Denn am Ende steht nicht das Nichts, am Ende steht die Begegnung mit ihm, unserem Schöpfer. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn das heißt also: Unser Leben und unser Sterben geschieht vor Gottes Angesicht. Ob ein Mensch das glaubt oder nicht. Deshalb das nur nebenbei bemerkt kann es keine christliche Position sein, Leben vorzeitig zu beenden und aktive Sterbehilfe zu leisten, auch wenn es gut gemeint ist und vor Schmerzen bewahren soll. Unser Sterben ist genauso wie unser Leben Sterben vor dem Angesicht Gottes. Er ist der Herr über Leben und Tod, und wir setzen uns unerlaubterweise an seine Stelle, wenn wir das Lebensende vorzeitig herbeiführen. Und so rücken Leben und Sterben eng zu einander. Beides geschieht vor Gottes Angesicht. In beidem ist er der Herr. Damit soll keine Angst gemacht werden, sondern im Gegenteil: Paulus möchte trösten und Hoffnung wecken. 6
Wenn Jesus der Herr ist über den Tod, dann hat der Tod seinen Schrecken verloren. Dann hat er seine Endgültigkeit verloren. Dann ist der Tod nur eine Zwischenstation, ein Umsteigebahnhof. Die Reise geht noch weiter. Vor der Beerdigung vorgestern war ich bei den Eltern, und sie haben mir lange erzählt. Von den gesunden Zeiten und von der Krankheitszeit. Davon wie eine gute Diagnose im Sommer nochmal Hoffnung geweckt hat. Und trotzdem war immer klar: Es ist ein bösartiger Tumor. Es ist eine Krankheit, die in aller Regel dazu führt, dass das Leben nicht mehr sehr lange dauert. Dennoch, mit diesem Wissen im Hintergrund, gab es in der Krankheitszeit auch fröhliche Momente. Und vor allem ganz viel intensive Gemeinschaft in der Familie und mit Freunden. Wir müssen Leid und Sterben nicht ausblenden, um Lebensglück zu empfinden. Weil beides, Leben und Sterben, ineinander verwoben sind und über beidem ist einer der Herr: Jesus Christus. 7
Und wie ist er zum Herrn über Leben und Tod, über Lebende und Tote geworden? Paulus schreibt: Dazu ist Jesus Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sein. Jesu eigener Tod am Kreuz, seine eigene Auferstehung hat die entscheidende Wende gebracht. Hier auf Golgatha rücken Leben und Sterben ganz eng zusammen. In seinem Sterben verhilft Jesus als Gottes Sohn dem Leben zum Sieg, und in seiner Auferstehung wird dieser Sieg sichtbare Wirklichkeit. Da zeigt sich: Er ist tatsächlich der Herr, der Herr über alles, was lebt, der Herr über alle, die sterben. Wenn wir uns ihm anvertrauen, dann kann passieren, was will: Wir gehören zu ihm, im Leben und im Sterben. Und das ist unser Trost. Das gibt uns guten Grund, mutig und fröhlich unser Leben zu gestalten. Im Wissen, dass das Leben auf dieser Erde einmal vorbei sein wird. Und in dem Vertrauen, dass wir gehalten sind in Gottes starker Hand. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 8