Influenza 2009 in Europa (Stand Freitag 6.11.2009; Erfassung bis 44. Kalenderwoche) Zum raschen Überblick wird erst kurz die Lage dargestellt. Mehr Informationen auch zur Impfung können dem Anhang entnommen werden. ILI = Influenza-like illness = Arztbesuche wegen grippeähnlichen Krankheiten; ARE = akute respiratorische (Atemwegs-) Erkrankungen; KW = Kalenderwoche Insgesamt zeigt sich auf der Nordhalbkugel ein vorzeitiger und deutlicher Anstieg sowohl der ILI- bzw. ARE- als auch Influenzavirusnachweisraten (wobei der neue Stamm dominiert); d.h. die Influenzaktivität setzte 10 Wochen früher ein als in den vorhergehenden Jahren (damals jeweils Beginn Ende Dezember/Anfang Januar mit einem Maximum Ende Januar um Kalenderwoche 4). ARE-Aktivität in Deutschland in der 44. KW Vorwoche Vorjahr
Anhang: Zusatzinformationen und Graphiken aus Bayern und dem Rest der Welt Bayern: Die Aktivität der akuten respiratorischen Erkrankungen (ARE) liegt in der 44. Kalenderwoche (KW) über den jahreszeitlich zu erwartenden Werten. Bei einem Praxisindex von 115 für die ARE-Hintergrund-Aktivität ist der Wert für Deutschland mit 135 geringfügig, für Bayern mit 193 deutlich erhöht. Bei deutlicher Viruszirkulation besonders im Süden Deutschlands ist eine zusätzliche Krankheitslast durch die Neue Influenza A/H1N1 auf Bevölkerungsebene nachweisbar. A) ARE-Praxisindex in Bayern mit Vergleich zu den Vorjahren: B) Wöchentliche IfSG-Meldezahlen in Bayern
Welt: Die Entwicklung lässt sich neben der eingangs genannten Influenza-Surveillance auch anhand der wöchentlichen Todesfälle verfolgen, die als Spitze des Eisbergs leichter zu erfassen sind als Massenerkrankungen. Die folgenden kumulierten Zahlen geben keinen Überblick über das aktuelle Geschehen, sondern nur über die Verteilung der Todesfälle in der Welt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass während unseres Sommers auf der Südhalbkugel Winter herrschte und damit dort saisonale Grippe und Neue Grippe zusammenfielen. Bislang starben in der Welt mindestens 6.394 Menschen an der Neuen Grippe. Darunter Brasilien 1.368, USA 1.004, Argentinien 593, Indien 478, Mexiko 377, Australien 186, Thailand 184, Kanada 101, Europa 389, darunter UK 154, Spanien 73, Frankreich 49, Italien 25, Norwegen 15 und Deutschland 9. Anhand der Übersterblichkeit im Winter schätzt man die jährlichen Sterbefälle an der saisonalen Grippe in Deutschland auf 10.000. Diese bleiben jedoch weitgehend verborgen und berühren die Bevölkerung allgemein (bis auf die Hinterbliebenen) kaum, während jetzt jeder einzelne tragische Todesfall wegen der Neuen Influenza durch die Medien geht. Mit zunehmenden Erkrankungszahlen sind wie in anderen Ländern auch in Deutschland vermehrt Todesfälle, auch bei Personen ohne Vorerkrankungen zu befürchten. C) Sterbefälle an Neuer Influenza in der Welt (nach Meldewoche bei WHO) Bericht aus Neuseeland: Der Vergleich zweier verschiedener Erfassungssysteme (Meldungen aus der Bevölkerung sowie von praktischen Ärzten) legt nahe, dass nur eine von 18,3 grippekranken Personen einen Arzt aufsuchte. Dies würde bedeuten, dass insgesamt 323.400 Neuseeländer erkrankten. Übernimmt man die Erfahrung aus der saisonalen Grippe, dass etwa ein Drittel sich ansteckt, ohne Krankheitszeichen zu entwickeln, so wird geschätzt, dass etwa 11 % der Bevölkerung sich mit dem neuen Influenzavirus A (H1N1)v 2009 infizierten. Verglichen mit der Tödlichkeit der Pandemie 1918 (2,0 % der Erkrankten bzw. 0,7 % der Bevölkerung starben) verlief die Pandemie 2009 sehr mild (16, inzwischen 19 Todesfälle bei 323.400 Erkrankten ergibt 0,005 % der Erkrankten).
D) ILI-Rate in England mit Vergleich zu früheren Jahren (RC GP-Erfassung): Wie man sieht, ist dort im Juli 2009 (KW 29/30) anders als in Deutschland deutlich eine erste Pandemiewelle (je 100.000 Kranke/Spitzen-Woche) abgelaufen. E) ILI-Rate in den USA mit Vergleich zu den Vorjahren: Der jetzige Anstieg (2. Welle) beginnt deutlich früher und ist deutlich höher als in den normalen Influenzasaisons 2006/2007, 2007/2008 und 2008/2009. Man beachte die erste (kleinere) Pandemiewelle Ende April 2009 in KW 17/18. F) ARE-Praxisindex in Deutschland mit Vergleich zu den Vorjahren
Zur Impfung gegen die Neue Influenza Frage an den Amtsarzt: Lassen Sie sich impfen? Wenn ja, mit welchem Impfstoff? Empfehlen Sie Ihrer Familie eine Impfung? Wenn ja, mit welchem Impfstoff und wann? Antwort: 1. Die verschiedenen Impfstoffe sind mir egal, eine Zulassung erhält ja nur, wer nach allen verfügbaren Informationen ausreichend sicher ist. Man hat die Adjuvantien ("Verstärker") eingeführt, um den Virusanteil geringer zu halten. D.h. früher gab es bei den saisonalen Grippeimpfungen bei inaktivierten Ganzvirusimpfstoffen mehr Reaktionen wie Fieber, so dass manche auf Spalt- bzw. Untereinheiten umstellten. Der im Jahr 2000 zugelassene saisonale Grippeimpfstoff Fluad enthält z.b. ein Adjuvans (übrigens auch der HPV-Impfstoff Cervarix). Die Verstärker sollen mehr lokale Reaktionen(Schwellung, Schmerzen) hervorrufen, aber die sind in der Regel nach drei Tagen vorbei. Pandemieimpfstoffe ohne Verstärker enthalten 7,5 µg (Celvapan), mit Verstärker 3,75 µg (Pandemrix) Virusantigen (deshalb braucht man ja bei der geringeren Virusmenge Verstärker, um eine ausreichende Immunantwort hervorzurufen; außerdem soll dies zu einer Kreuzimmunität gegen ein verändertes Pandemievirus beitragen). Studien an Schwangeren gibt es natürlich bei allen neuen Pandemieimpfstoffen verständlicherweise nicht, wohl aber Erfahrungen aus früheren Grippeimpfungen (mit Impfstoffen ohne Verstärker). Deshalb empfiehlt die STIKO, Schwangere mit einem nicht-adjuvantierten Spaltimpfstoff zu impfen (soll Mitte November kommen). 2. Jede vermeidbare schwere Erkrankung bis hin zum Todesfall ist eine zuviel. Deshalb sollten alle das Impfangebot annehmen. Wenn sich jetzt alle gleichzeitig impfen ließen (was leider mangels Impfbereitschaft, Impfstoff und Impflogistik nicht möglich ist), wäre eine Pandemie bei uns in drei Wochen kein Thema mehr. 3. Auf der Südhalbkugel (dort Winter statt unseres Sommers) fielen saisonale Grippe und Neue Grippe zusammen, wobei der neue Pandemiestamm dominierte. Dies wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei uns im Winter der Fall sein. Bemerkenswert ist, dass die Krankheitsraten und Virusnachweise bereits jetzt (und nicht wie sonst üblich im Januar) ansteigen. D.h. die Influenzaaktivität setzte auf der Nordhalbkugel früher ein. 4. Ich habe mich bereits mit Pandemrix impfen lassen, wegen a) Vorbildcharakter als Amtsarzt, b) um meine Umgebung nicht zu gefährden, c) um nicht in der Arbeit auszufallen und d) um meine Ruhe zu haben, falls doch eine schwere Grippewelle kommt. 5. Wegen d) empfehle ich meiner Familie die Impfung (zumal sie von den Kassen gezahlt wird - meine Frau wurde bereits vom Betriebsarzt mit Pandemrix geimpft.). Dies gilt insbesondere für meine Töchter, falls die mal schwanger werden wollen (Schwangere haben durch die Erkrankung ein deutlich erhöhtes Komplikationsrisiko bis hin zum Todesfall). Natürlich kann man abwarten, ob die Neue Grippe weiter mild verläuft und die Krankheitswoche mit drei bis vier Fiebertagen durchmachen aber warum sollte man das Risiko eines gefährlichen Verlaufs eingehen? Wenn gehäuft Todesfälle auftreten und eine gewaltige Grippewelle durchs Land rollt, könnte es Probleme geben, sich erst dann impfen zu lassen (Panik- Ansturm; Impfung in eine mögliche Inkubation hinein, d.h. man hat sich schon angesteckt; ausreichender Impfschutz erst nach drei Wochen; derzeit wird noch geklärt, ob auch 10- bis 60-Jährige eine zweite Impfung nach drei Wochen brauchen, um auf der sicheren Seite zu sein). Zusammengestellt von Dr. Volker Juds (www.juds.de), Gesundheitsamt Garmisch (www.gesundheitsamt.de). Quellen: www.who.int (Welt), www.euroflu.org (EU) und nationale Influenzaseiten wie www.influenza.rki.de (D), www.invs.sante.fr (F), www.msc.es (E), www.hpa.org.uk (UK), www.cdc.gov/h1n1flu (USA)
Zur Influenza-Überwachung In den Anfängen einer Influenza-Pandemie ist deren Ausbreitung über die zahlenmäßige Erfassung von Virusnachweisen in Nasen-Rachen-Abstrichen zu verfolgen. Bei sehr großen Erkrankungszahlen ist dieses Verfahren weder sinnvoll noch praktikabel. In diesem Fall können Ausmaß und Verlauf der Neuen Influenza A (H1N1) 2009 im Rahmen der üblichen Influenza-Surveillance (Überwachung der saisonalen Grippe, z.b. AGI, InfluNet, FluWatch) beobachtet werden. Dabei meldet ein repräsentatives Netzwerk von praktischen Ärzten laufend den Anteil an Patienten mit grippeähnlichen Krankheiten (ILI = Influenza-like Illness). Damit kann die zeitliche und räumliche Entwicklung samt Altersverteilung sogar innerhalb eines Landes oder in einzelnen Regionen dargestellt werden. Zusätzlich wird über stichprobenartige Untersuchungen der Anteil von Virusnachweisen samt Subtypen bestimmt. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn wie zuletzt auf der Südhalbkugel saisonale Wintergrippe und Influenza- Pandemie zusammentreffen. Dabei hat sich gezeigt, dass das neue Virus zum dominierenden Stamm wurde (siehe Anhang). Bei der saisonalen Grippe kann man die Beteiligung der verschiedenen Influenza A und B-Viren unterscheiden, die sich auch in einer Zweigipfeligkeit der epidemiologischen Verlaufskurve äußern kann. In der Regel geht ein prozentualer Anstieg des Virusnachweises im Untersuchungsgut mit einem Anstieg der Erkrankungszahlen einher. Meist wird die ILI-Rate auf 100.000 Einwohner bezogen, in manchen Ländern (z.b. Italien, Kanada, Australien) auf 1.000 Patientenkontakte (in Norwegen und den USA auf 100 Arztbesuche, also in Prozent angegeben). In Deutschland werden stattdessen akute respiratorische Erkrankungen (ARE) über einen speziellen Praxis-Index erfasst. Aus diesen Gründen sind die einzelnen Zahlen und Raten manchmal nicht direkt vergleichbar, wohl aber die graphischen Darstellungen in Form von Verlaufskurven. Insbesondere kann man sehen, ob und wann überhaupt eine so genannte Pandemiewelle aufgetreten ist (z.b. in Deutschland im Sommer nicht), ob und wann diese bereits wieder abgeklungen ist (z.b. in England im Juli) und ob sich ggf. eine erste oder weitere Pandemiewelle gerade entwickelt. Diese wöchentliche Erfassung von Krankheitsraten gibt natürlich einen realistischeren Überblick über das Geschehen auf Bevölkerungsebene als das Addieren von Virusnachweisen allein, da deren Zahlen abhängig sind von den jeweiligen Empfehlungen und Entscheidungen, ob und wann man Abstriche entnimmt. Die tatsächlichen Erkrankungszahlen liegen viel höher als die Meldezahlen, da viele Kranke keinen Arzt aufsuchen und nicht gemeldet werden. Aus den ILI- Raten in Verbindung mit den prozentualen Virusnachweisen wurden in England für die letzte Woche 84.000 Neuerkrankungen an A/H1N1 2009 abgeschätzt (Vorwoche 78.000), Spanien 127.000 (81.000) und Frankreich 341.000 (266.00) (hier Arztbesuche). Die Ukraine meldete insgesamt 634.000 ARE-Fälle, darunter 95 Todesfälle. Diese müssen aber nicht alle auf der Neuen Grippe beruhen.