Predigt über Eph 6,10-17, 21.S.n.Tr. (24.10.10), Britzingen/Dattingen Liebe Schwestern und Brüder! Der Kampf des Guten gegen das übermächtige Böse ist ein beliebtes Motiv in vielen Büchern und Filmen. Leserinnen oder Zuschauer finden sich in dem bedrängten Häuflein der Guten wieder und fiebern der finalen Schlacht entgegen. Möglicherweise sagt das etwas darüber aus, wie sie ihre eigene Wirklichkeit erleben. Vielleicht ist es auch nur die Lust an der Spannung. Als ich den Predigttext für heute gelesen habe, kam mir eine Szene aus "Der Herr der Ringe" in den Sinn. Im dritten Teil arbeiten sich zwei kleine Hobbits immer weiter ins Herz von Mordor, dem Reich des Bösen und der Finsternis vor. Währenddessen sammeln sich vor den Toren Mordors die letzten verbliebenen aufrechten Krieger zur entscheidenden Schlacht gegen die Armeen des Bösen. Aragorn, der zurückgekehrte König, und Gandalf, der Zauberer und geistige Anführer des Widerstands, reiten vor ihren Leuten auf und ab und sprechen ihnen den Mut der Verzweiflung zu. Der Predigttext für heute würde sich gut als eine solche Rede machen. Aber natürlich stammt er nicht aus dem Herrn der Ringe, sondern aus der Bibel. Nämlich aus dem 6ten Kapitel des Epheserbriefes: Zuletzt: Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt. So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an den Beinen gestiefelt, bereit einzutreten für das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. "Die Waffenrüstung Gottes." Bei aller Faszination für Tolkien oder andere Abenteuer-, Fantasyoder Actionfilme und -romane: Ist das eine angemessene Bildersprache für die Bibel? Gut, David und Goliath z.b. würde auch gut in dieses Genre passen. Aber die Aufforderung an die Christenheit, sich Waffen anzulegen? Mancher aufrechte Pazifist wird sich mit Grausen abwenden und zu dem Schluss kommen, dass ein solcher Text heutzutage schlichtweg nicht mehr gepredigt werden dürfe. Wenn ich diese Gutmenschen-Position teilen würde, wäre meine Predigt hier zu Ende. Andere werden dagegenhalten, dass es höchste Zeit für den Griff zu den Waffen des Glaubens sei. Schließlich befinde sich die Christenheit längst in der apokalyptischen Schlacht gegen das Böse. Dessen Armeen, der Islam und der moderne Atheismus, stünden nicht nur vor den Toren, sondern hätten das Feld schon so gut wie übernommen. Es wird Sie kaum überraschen, dass ich 1
auch diese Position nicht teile. Der Gürtel der Wahrheit, von dem im Text die Rede ist, ist für mich nicht der "bible-belt" des christlichen Fundamentalismus. Bei sorgfältigem Lesen widerspricht der Text beiden Positionen. Dem Unbehagen der Gutmenschen sei entgegengehalten, dass die kriegerischen Bilder dadurch unterlaufen werden, wie sie konkret gefüllt werden. Ein Teil der "Waffenrüstung Gottes" dient zum Beispiel dem "Evangelium des Friedens". Diejenigen, die die Muslime gerne wieder in die Türkei oder nach Arabien schicken würden und die Atheisten dahin, wo der Pfeffer wächst, seien auf eine andere Stelle hingewiesen: "Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Gewalten, Mächte, Weltenherrscher der Finsternis und die Geister des Bösen in der Himmelswelt." Vom Kampf gegen Menschen ist nicht die Rede. Übrigens an keiner Stelle des Epheserbriefes. Es kommt also entscheidend darauf an, wie die Bilder des Textes gedeutet werden. Was mit den Mächten des Bösen gemeint ist und mit welchen "Waffen" ihnen Widerstand zu leisten ist. Die Mächte des Bösen Es gehört zum Realismus der Bibel, das die Wirklichkeit des Bösen nicht bestritten oder verharmlost wird. Die Naivität mancher Gutmenschen, die genau das tun, grenzt schon an Fahrlässigkeit. Und gelegentlich laufe ich Gefahr, mich bei ihnen wiederzufinden. Das Böse ist Teil unserer Wirklichkeit. Für mich zeigt es sich in Krieg und Terror, in den Millionen von Menschen, die an Unterernährung sterben, und darin, dass die Menschheit auf dem Weg ist, die Schöpfung zu zerstören. Es zeigt sich auch in unserem gesellschaftlichen Umfeld: In Kindern, die vernachlässigt und missbraucht werden, oder in Menschen, die auf der Straße oder dem Schulhof bedroht werden. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. An eins der schlimmsten Kapitel der Geschichte des Bösen wurde am vergangenen Freitag erinnert: An den 19. bis 22. Oktober 1940, als die Juden aus Baden nach Gurs verschleppt wurden. Das Gedenken an sie steht stellvertretend für die über sechs Millionen Juden, die während der Naziherrschaft ermordet wurden. Dieses Verbrechen ist ein Beleg dafür, wozu Hass und Angst Menschen treiben können. Hinter den genannten Erscheinungsformen des Bösen stehen die Mächte des Bösen. Was Luther mit "die listigen Anschläge des Teufels" übersetzt, heißt im Griechischen "ta\v meqodei/av tou= diabo/lou". Wortwörtlich: Die Methoden des Diabolos, des großen Durcheinanderwerfers. Diese Methoden, diese Mächte treiben die Menschen dazu, das Böse zu tun oder zumindest zu bewirken. Sie sind nicht aus Fleisch und Blut und deshalb mit normalen Waffen nicht zu bekämpfen. Zu diesen Mächten gehören für mich Hass, Größenwahn oder rücksichtsloser Egoismus. Auch die Intoleranz, die andere Menschen nicht anders sein lässt, gehört für mich dazu. Daher mein Unbehagen gegenüber jeder Art von Fundamentalismus. Nebenbei bemerkt: Für mich ist Religion keine Ursache des Fundamentalismus, sondern nur ein Feld, auf dem er sich besonders 2
gut austoben kann. Und auch nur eines unter anderen. Man denke an Gurs. Die Ursache für all diese Methoden des Bösen, ihre Grundtriebkraft vermute ich woanders. Hinter all dem sehe ich Angst. Angst vor dem Fremden bzw. die Angst, die eigene Identität zu verlieren. Die Angst, zu kurz zu kommen. Die Angst, dass hinter dem Wohlstand das Nichts lauern könnte, weshalb krampfhaft an ihm festgehalten werden muss. Die Angst, in Wahrheit klein und unzulänglich zu sein, weshalb nach nach außen Größe und Macht gezeigt werden muss. Um der Wahrheit Genüge zu tun: Keine dieser Ängste ist mir völlig fremd. Und ich nehme an, vielen von Ihnen auch nicht. Deshalb ist es so wichtig, wie der Predigttext mit der Angst umgeht. Er malt eben nicht das Bösen in grausigen Bildern aus. Er benennt seine Macht, aber der Schwerpunkt liegt auf der anderen Seite. Ausführlich beschreibt er die Mittel, mit denen dem Bösen Widerstand geleistet werden kann. Der Text soll Mut machen nicht Angst. Die "Waffenrüstung Gottes" Mit einer Ausnahme dienen die Waffen, die der Text aufzählt, ausschließlich dem Schutz und nicht auch dem Angriff. Vom Gürtel ist die Rede, vom Brustpanzer, dem richtigen Schuhwerk, dem Schild und dem Helm. Einzig das Schwert fällt etwas aus der Reihe. Aber im Schwertkampf wird es oft zur Abwehr von Schlägen eingesetzt. Die Waffenrüstung Gottes dient in erster Linie der Verteidigung, dem Widerstand gegen die Mächte des Bösen, der im Text immer wieder beschworen wird. Und selbst diese defensiven Waffen verlieren alles kriegerische dadurch, wofür sie jeweils stehen. "Umgürtet euch mit Wahrheit." Um Hass zu überwinden, ist es nötig, die Wahrheit anzusehen und auszusprechen. Deshalb ist es so wichtig, sich dem zu stellen, was in Deutschland vor 70 Jahren geschehen ist. Und das ist auch der Grundgedanke hinter Wahrheitskommissionen in Staaten wie Ruanda oder Chile. Die Wahrheit ist eine Grundvoraussetzung für Vergebung und Versöhnung. Die Wahrheit deckt auch Größenwahn und Egoismus als das auf, was sie sind: Wurzeln der Menschenverachtung und krampfhafte Versuche, die eigene Angst loszuwerden. Die Wahrheit des Evangeliums von Gott geliebt zu sein, befreit von solchen Versuchen. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit auf dieser Welt ist eine Wurzel für viele Kriege und Terrorakte. Umgekehrt dient Gerechtigkeit dazu, die Saat des Hasses auszutrocknen. Wer als gerecht anerkannt wird, wird selbst in verfeindeten Lagern respektiert. Seine Gerechtigkeit wird ihm zum Schutz, zum Brustpanzer. "Steht beschuht an den Füßen mit der Bereitschaft, das Evangelium des Friedens zu verkündigen." Mit dem richtigen Schuhwerk kann man sowohl den eigenen Standpunkt standhaft vertreten als auch sich auf den Weg zum Gegenüber machen. Auf den Weg, dem anderen die Botschaft des Friedens zu bringen und so den Mächten des Bösen zu widerstehen, die immer weiter Krieg gebären wollen. 3
Den Schild des Glaubens hebt der Verfasser des Briefs besonders hervor. Das Vertrauen in Gott, in seine Liebe, die er uns in Jesus Christus erwiesen hat, ist der stärkste Schutz gegen die Angst. Dieses Vertrauen ist geeignet, alle feurigen Pfeile des Bösen auszulöschen. Dieser Glaube, der die Angst überwunden hat, kann auch andere gelten lassen und hat keine Intoleranz nötig. "Nehmt den Helm des Heils." Oder genauer: Empfangt ihn. All diese Mittel, dem Bösen zu widerstehen, erwerben wir uns nicht selbst. Sie werden uns von Gott geschenkt und mit ihnen das Heil, das in ihnen liegt. Schließlich das Schwert des Geistes. Dieses Schwert ist das Wort Gottes. Es ist geeignet, zu scheiden zwischen wahr und unwahr, zwischen gerecht und ungerecht. Die einzigen Waffen, die Christen aktiv gegen die Macht der Geistlosigkeit einsetzen dürfen, sind der Geist und das Wort. Und wollen sie dabei nicht ihre Deckung aufgeben, muss das Wort der Wahrheit, der Gerechtigkeit und dem Frieden verpflichtet sein. Eine Größe habe ich in der Aufzählung vermisst. Das mag daran liegen, dass der Epheserbrief von einem Schüler des Paulus stammt. Paulus selbst hätte keinesfalls auf die Liebe verzichtet. Man denke nur an 1.Kor 13: Ohne die Liebe ist alles nichts. Ich habe mir überlegt, was für eine "Waffe" die Liebe sein könnte. Ich denke, sie ist die Waffe der Entwaffnung. Beispielsweise wie der "Expelliarmus"-Spruch bei Harry Potter. Die Liebe unterwandert das Böse vollends. Das Böse weiß schlicht nicht, wie es auf die Liebe reagieren soll. Jesus fordert in der Bergpredigt, Böses mit Gutem zu vergelten und seine Feinde zu lieben. Das ist so paradox, dass es die Logik des Bösen sprengt. Selten und nur im Kleinen gelingt mir das. Aber ab und zu führt es tatsächlich zum Erfolg: Wo ich unfreundlichen Menschen beharrlich freundlich begegnet bin, sind sie gelegentlich aufgetaut und es haben sich freundliche Beziehungen ergeben. Das bringt mich noch einmal auf das Thema Toleranz: Ich finde, der Bundespräsident hat Recht, wenn er sagt, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehört. Weil er so Toleranz vorlebt, kann er in der Türkei auch Toleranz für die Christen einfordern und darauf hinweisen, dass sie bisher oft nur ein Lippenbekenntnis ist. Wir sollten nicht Böses, in diesem Fall Intoleranz dort, mit Bösem, nämlich Intoleranz hier, vergelten - und wäre es um des Guten willen. Denn das würde nur immer wieder Böses gebären. Sondern Paulus schreibt: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." Das ist für mich die Kernaussage des Predigttextes heute. Und wenn das wie ein Motto für Gutmenschen klingt, dann sei's drum. Vielleicht nerven die gar nicht nur wegen ihrer Selbstgerechtigkeit (die sie übrigens mit vielen Fundamentalisten teilen) oder ihrer Naivität. Vielleicht erinnern sie Nichtsogutmenschen wie mich schlicht daran, dass ich eigentlich besser sein sollte und könnte. Deshalb lasst euch nicht grauen. Höchstens im Kino, vor dem Fernseher oder beim Lesen, wenn die Armeen des Bösen wieder mal drohen. Im wirklichen Leben tretet dem Bösen getrost 4
entgegen. Denn Gott selbst ist euch Schirm und Schild und hilft euch, das Böse mit Gutem zu überwinden. Amen. Arnold Glitsch-Hünnefeld 5