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Unverkäufliche Leseprobe Michael North Geschichte Mecklenburg- Vorpommerns 127 Seiten, Paperback ISBN: 978-3-406-57767-3 Verlag C.H.Beck ohg, München

I. Einleitung Nur wenige Länder der Bundesrepublik Deutschland stellen historisch gewachsene Einheiten dar. Sie sind gleichermaßen Resultat der historischen Flurbereinigungen der Napoleonischen Expansion wie der kleindeutschen Reichseinigung Preußen-Deutschlands. In der Mehrzahl handelt es sich sogar um territoriale Neuschöpfungen der Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg. Weitere «neue Bundesländer» erbrachte der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im Jahre 1990. Auch jetzt entstanden aus den ehemaligen Bezirken der DDR politische Konstrukte, die manchmal nur an Vorgängerländer in der unmittelbaren Nachkriegszeit oder der Weimarer Republik anknüpfen konnten. Dennoch sind die gemeinsamen historischen Traditionen bei genauerem Hinsehen oftmals deutlicher, als es der verkürzte Blick auf die jüngste Vergangenheit wahrhaben möchte. Dies gilt in besonderem Maße für das hier zu behandelnde Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, wo nach Bedarf, z. B. bei den Verhandlungen um die Fusion der Landeskirchen, noch immer Antagonismen zwischen Mecklenburg und Pommern konstruiert werden. Das große Potenzial an historischen Gemeinsamkeiten übersieht man geflissentlich. Diese beginnen bereits bei den bis heute in den Ortsnamen allgegenwärtigen slawischen Wurzeln Mecklenburgs und Pommerns. Die bis 1918 in Mecklenburg regierenden Niklotiden stellten ebenso wie das pommersche Greifengeschlecht (bis 1637) die einzigen Herrscherdynastien in Deutschland dar, die sich mit Recht auf slawische Stammväter berufen konnten. Weiter verbindet die beiden Territorien die Lage an der Ostsee, für die «po morje» bzw. «Pomorze» (= Land am Meer) namensgebend wurde. Damit gingen die Integration in das frühmittelalterliche Fernhandelssystem (zwischen Nord- und Ostsee) ebenso wie die Prägung der Region durch den Städtebund der Hanse einher, deren wen disches

8 Einleitung Viertel u. a. die Städte Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald zusammen mit Lübeck, Hamburg und Lüneburg bildeten. Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Hanse war die Ostsiedlung mit der Ausbreitung der deutsch-rechtlichen Stadt. Charakteristisch erscheint darüber hinaus die starke Stellung des Adels, der im Einzugsgebiet der Ostsee seine Gutswirtschaften aufbaute und als führender Stand ein wichtiges Wort bei politischen Entscheidungsprozessen mitsprach. Die agrarische Prägung der Region wirkt trotz Ansätzen einer Industrialisierung bis in die Gegenwart nach. Erst in jüngster Zeit wird aus den strukturellen Besonderheiten (weitgehend fehlende Industrie) durch den Ausbau der bereits in der DDR existierenden Tourismuswirtschaft eine Tugend gemacht.

II. Slawenzeit: Obodriten, Wilzen, Ranen und Pomoranen (7. 11. Jahrhundert) 1. Slawische Stammesherrschaft Im 4. und 5. Jahrhundert verließen die an der südlichen Ostseeküste siedelnden germanischen Stämme im Zuge der Völkerwanderung ihre Wohnsitze und wanderten nach Süden und Osten ab. Eine kleine germanische Restbevölkerung verblieb. In die jetzt dünner besiedelten Regionen wanderten in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts slawische Stämme ein, die unter dem Namen Obodriten erstmals um 780 im Zusammenhang mit dem Kampf des Frankenreiches gegen die Sachsen Erwähnung finden. Die Obodriten gliederten sich in vier Teilstämme, die Wagrier in Ostholstein, die Polaben zwischen Trave und Elbe, die Warnower an der Warnow und die Obodriten, die auch dem Stamm insgesamt ihren Namen gaben, zwischen Wismarer Bucht und Schweriner Seen. Hier schloss sich östlich der möglicherweise bereits früher eingewanderte Stammesverband der Wilzen an, zu dem ebenfalls vier Teilstämme, nämlich Kessiner, Zirzipanen, Tollenser und Redarier, gehörten. Auf Rügen lebten die Ranen, die in der Tempelburg Arkona mit dem Swantewit-Heiligtum ihr politisches und religiöses Zentrum besaßen. Südlich hiervon siedelten an Uecker und Müritz Ukranen und Müritzer. Östlich der Oder finden wir schließlich die Pomoranen, neben denen sich die Wolliner im Odermündungsgebiet und südlich davon die Pyritzer heraus hoben (siehe Karte Umschlaginnenseite). Die zum Teil heftig verfeindeten Stammesverbände standen nicht nur in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern waren auch den Machtansprüchen des Fränkischen bzw. ostfränkisch-deutschen Reiches und seiner Herrschaftsträger sowie der Expansion Dänemarks und des piastischen Polen unterwor-

10 II. Slawenzeit: Obodriten, Wilzen, Ranen und Pomoranen fen. Dies ermöglichte vielfältige politische Allianzen, barg aber auch die Gefahr, zwischen inneren und äußeren Feinden zerrieben zu werden. Dabei scheuten weder christliche Herrscher vor «unheiligen» Allianzen mit slawischen «Heiden» gegen christliche Staaten zurück noch slawische Stämme vor Bündnissen mit deutschen und dänischen Königen gegen ihre slawischen Nachbarn oder innerstämmischen Widersacher. Das 8. und 9. Jahrhundert waren von der Expansion des Frankenreiches und später der Ottonen in das Territorium der Obodriten und Wilzen geprägt. In der Folgezeit kamen die dänische Eroberung der südlichen Ostseeküste und die Einverleibung Pommerns durch Polen hinzu. Die Versuche der ottonischen Herrschaftsausdehnung richteten sich insbesondere gegen die slawischen Gebiete östlich der Elbe. Hier sollten die von König Otto I. eingesetzten Markgrafen neue Territorien erobern und die Slawen christianisieren. Entsprechend gründete Otto 948 die Bistümer Brandenburg und Havelberg, und 968 folgte für die Obodritenmission Oldenburg in Holstein. Bereits im 8. Jahrhundert nahm der Handel im Ostseeraum mit der Entstehung multiethnischer Handelsplätze einen neuen Aufschwung. Zu den prosperierenden Handelsplätzen gehörten das von den Wikingern beherrschte Haithabu an der Schlei, der Schnittstelle zwischen Nord- und Ostseehandel, Reric an der Wismarer Bucht, Wollin an der Odermündung, Truso im Weichseldelta, aber auch Birka im Mälarsee und Staraja Ladoga bzw. Nowgorod in Russland, die das Scharnier vom Ostsee- zum Schwarzmeerhandel darstellten. Daneben existierte eine Vielzahl von kleineren, oft nur vorübergehend aktiven Handelsplätzen, die wie Menzlin an der Peene oder Ralswiek auf Rügen archäologisch nachgewiesen werden können. So dokumentieren die Bestattungssitten in Form von Schiffssetzungen im Falle Menzlins die Anwesenheit von Skandinaviern neben der einheimischen slawischen Bevölkerung und damit die Multiethnizität selbst kleinerer Handelsplätze. Auf die Bedeutung Ralswieks lassen die über 800 Grabhügel und die hier gefundenen Segelschiffe schließen. Andere Handelsplätze werden darüber hinaus in der Chronistik erwähnt. So

1. Slawische Stammesherrschaft 11 erfahren wir über Reric, das wahrscheinlich bei Groß Strömkendorf in der Wismarer Bucht zu lokalisieren ist, dass im ersten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts (808) der Dänenkönig Göttrik (Godofried) die ansässigen Kaufleute von dort nach Haithabu umsiedelte. Adam von Bremen bezeichnet Wollin als die «größte aller Städte» Europas und hebt die Anwesenheit von Slawen, Sachsen, Griechen, Barbaren und Angehörigen anderer Stämme hervor. Hausbau, Begräbnissitten und Fundobjekte verweisen ebenfalls auf skandinavische und friesische Händler. Wollin scheint so attraktiv gewesen zu sein, dass sowohl der polnische Staat als auch der dänische König unter dem Vorwand der Piratenbekämpfung versuchten, sich dieses Emporium einzuverleiben. Der Übergang zwischen Handel und Piraterie war fließend, zumal Menschen das wertvollste Handelsobjekt darstellten. So raubten vermutlich slawische Händler-Piraten den auf Hiddensee und in Peenemünde gefundenen Goldschmuck, den Goldschmiede während des 10. Jahrhunderts in Skandinavien hergestellt hatten. Reguläre Handelsgüter waren dagegen Getreide, Pferde, Honig, Wachs sowie Pelze. Aus dem Westen stammten Mühlsteine, aus Skandinavien Speckstein bzw. Specksteingefäße. Auch Salz wurde gewonnen und gehandelt. Hinzu kam die lokale und regionale gewerbliche Produktion, wie z. B. die Kammherstellung. Zur politischen Organisation liegen nur vereinzelt Quellen vor. An der Spitze der Stämme werden Könige, Fürsten oder Häuptlinge erwähnt, wobei Könige beispielsweise bei den Obodriten den Stammesverband leiteten. Erbliche Fürsten entstammten zumeist einer Adelsschicht, die mit Gefolgschaften auf Burgen saß und von den Abgaben und Diensten der umliegenden Dörfer lebte. In manchen Stämmen, wie bei den Wilzen, war die Volksversammlung ein wichtiges Gremium. Bei ihren Nachfolgern, dem von Redariern, Tollensern, Kessinern und Zirzipanen getragenen Lutizenbund, wurde die Herrschaft in der Volksversammlung von einer Adels- und Priesterschicht ausgeübt. Hierbei lagen die militärisch-politische Führung und die sakrale Funktion in einer Hand. Das Zentrum des Bundes

12 II. Slawenzeit: Obodriten, Wilzen, Ranen und Pomoranen und auch jener Versammlungen war die Tempelburg Rethra, das Heiligtum des Hauptgottes Swarožić. Entsprechend ging auch der Slawenaufstand von 983 von den Lutizen aus, die die politischen und kirchlichen Repräsentanten des Reiches verjagten und die Bischofssitze Havelberg und Brandenburg sowie zahlreiche Kirchen und Klöster zerstörten bzw. plünderten. Der Kaiser und seine Markgrafen waren dagegen machtlos. Zu Beginn des 11. Jahrhunderts avancierte der Lutizenbund aber zu einem geschätzten Alliierten der ostfränkischen Könige, Heinrich II. und Konrad II., in deren Auseinandersetzungen mit Polen. Dennoch konnten sich die Lutizen der expandierenden pommerschen wie auch der obodritischen Herrschaft im 12. Jahrhundert nicht länger entziehen. Bei den Obodriten gelang es den Stammesfürsten über einen längeren Zeitraum, ihre Herrschaft in Allianzen mit dem Fränkischen Reich und Dänemark zu behaupten. Seit dem auf der Mecklenburg residierenden Fürsten Nakon (960 er-jahre) ist eine ununterbrochene fürstliche Dynastie überliefert, die den obodritischen Staat auf der Basis von Burgen, Steuern und militärischen Diensten stabilisierte. Gottschalk, der erste christliche Obodritenfürst, gründete um die Mitte des 11. Jahrhunderts auf der Mecklenburg einen Bischofssitz und ließ auch in anderen Burganlagen Klöster und Kirchen errichten. Dieser Prozess der Herrschaftsintensivierung und Christianisierung wurde aber von der Aristokratie, die noch immer paganen Kulten anhing, im Bündnis mit den Lutizen zerstört. Erst Gottschalks Sohn und Nachfolger Heinrich gelangte um 1090 aus dem dänischen Exil heraus wieder an die Macht und schuf sich mit Alt-Lübeck eine verkehrsgünstig gelegene Residenz im Westen seines Herrschaftsgebietes, der er durch die Prägung von Münzen auch nach außen hin Prestige zu verleihen suchte. Die zentrifugalen Kräfte, insbesondere der Widerstand gegen Zentralisierung und Christianisierung, verhinderten aber weiterhin eine staatliche Konsolidierung, sodass der Obodritenstaat im 13. Jahrhundert die Oberherrschaft des Reiches anerkennen musste. Gleichzeitig veränderte sich die politische Groß-

2. Pagane Religion und christliche Mission 13 wetterlage, als der sächsische Herzog und spätere König Lothar von Supplinburg verschiedene slawische Herrschaftsgebiete zwischen Elbe und Oder in seinen Machtbereich einzugliedern begann. Hierzu übertrug er u. a. die Grafschaft Holstein-Stormarn an Adolf I. von Schauenburg und in der Folgezeit auch das Gebiet der späteren Mark Brandenburg an den Askanier Albrecht den Bären. Entsprechend griff Adolf I. 1127 in den Nachfolgestreit der Söhne Heinrichs, Knud und Sventipolk, ein. Der Schauenburger hatte aber ohne Rücksicht auf die königlichen Interessen interveniert, sodass Lothar 1129 den Dänen Knud Laward mit dem Obodritenreich belehnte. Ihm folgten schon kurze Zeit später nach seiner Ermordung die Fürsten Pribislaw und Niklot, die von Kaiser Lothar abhängig waren. Im Bündnis mit Graf Adolf II. von Holstein gelang es Niklot, seine bis an die Peene reichenden Besitzungen so lange zu behaupten, bis er 1160 von dem Sachsenherzog Heinrich dem Löwen und König Waldemar I. von Dänemark in die Zange genommen wurde. Niklot überlebte diesen Krieg nicht, dennoch erhielt sein zum Christentum übergetretener Sohn Pribislaw 1167 als Vasall Heinrichs des Löwen Niklots Herrschaftsgebiet zum Lehen. Sein Herrschaftszentrum war das Gebiet um die Mecklenburg, während die Grafschaft Schwerin dem Vertrauten Heinrichs, Gunzelin von Hagen, verblieb, der dieses Gebiet nach Niklots Tode erhalten hatte. Pribislaw gründete 1171 das Kloster Doberan und stattete das Bistum Schwerin, das Heinrich der Löwe 1160 von der Mecklenburg dorthin verlegt hatte, mit Land aus. Pribislaws Sohn und Nachfolger Borwin heiratete schließlich eine Tochter Heinrichs und baute die Landesherrschaft aus. So avancierten die Niklotiden zur Herrschaftsdynastie Mecklenburgs. 2. Pagane Religion und christliche Mission Lange Zeit entzogen sich die auf Rügen siedelnden Ranen der Christianisierung. Sie waren mit Handel und Piraterie zu Reichtum gelangt, der großenteils als Tribut an den Swantewit-Tempel in Arkona floss. Trotz der Verehrung dieser paganen Gottheit

14 II. Slawenzeit: Obodriten, Wilzen, Ranen und Pomoranen und der großen Bedeutung der Priesterkaste bei politischen Entscheidungen ließen sich die Ranen durchaus in Allianzen mit den deutschen und dänischen Königen gegen Lutizen, Obodriten und Pomoranen einbinden. 1168 jedoch eroberten die Dänen endgültig Arkona und zwangen die Rügener Fürsten, ihr Land vom dänischen König zu Lehen zu nehmen. Die neue kirchliche Organisation wurde dem dänischen Bistum Roskilde übertragen. Das slawische Fürstenhaus erlosch 1325 mit Wizlaw III. und seinem Sohn Jaromar, sodass Herzog Wartislaw IV. von Pommern-Wolgast Rügen erhielt. Pommern (bzw. das Gebiet der Pomoranen) war ein Objekt der Begierde, um das sich gleichermaßen Polen, das Reich und Dänemark, aber auch die Markgrafen von Brandenburg stritten. Insgesamt erscheinen die Pomoranen laut Aussage der schriftlichen Quellen wie der Reiseberichte Ottos von Bamberg weniger stark als Stammesverband organisiert, sondern als einzelne Stämme, die sich in «frühstädtischen» Gemeinwesen an der Ostseeküste konzentrierten. Im Laufe des 10. Jahrhunderts wurden die pomoranischen Siedlungsgebiete in das Reich Mieszkos I. von Polen eingebunden, und in der Folgezeit wurde eine Burg in Danzig zum Schutz der Weichselmündung errichtet. Im Jahre 1000 gliederte man Pommern in Gestalt des neuen Bistums Kolberg auch religiös in den piastischen Staat ein, da dieses der Erzdiözese Gnesen unterstellt war. Trotz zeitweiliger Unabhängigkeit von Polen 1046 taucht ein Fürst Zemuzil (Siemysl) auf schien sich im beginnenden 12. Jahrhundert der Zugriff der polnischen Krone unter Bolesław Krzywousty (Schiefmund) auf das Gebiet der Pomoranen wieder intensiviert zu haben. Das polnische Heer eroberte Stettin und unterwarf den über beide Ufer der Odermündung herrschenden Fürsten Wartislaw, wobei die Christianisierung als Mittel der Integration bzw. der Anbindung der Odermündung an das piastische Polen dienen sollte. Nachdem der erste Missionsversuch eines spanischen Mönchs trotz engagierter Predigten in Wollin keine Erfolge zeigte, berief Bolesław im Einverständnis mit Papst und Kaiser den Bischof Otto von Bamberg als Missionar. Otto hatte früher

2. Pagane Religion und christliche Mission 15 als Kaplan am polnischen Hof gewirkt und verfügte somit über die notwendigen Sprach- und Landeskenntnisse. Auf zwei Missionsreisen zwischen 1124 und 1128 versuchte er, mit Predigten und Massentaufen das Christentum in Pommern einzuführen. 1124 /25 besuchte er Pyritz und Cammin, den Sitz des pommerschen Herzogs, sowie die Handelsemporien Wollin, Stettin und Kolberg, wo er Kirchen errichten ließ. Allein durch den Übertritt eines Angehörigen der Stettiner Aristokratie namens Domizlaus zeitigte die Reise kurzfristige Erfolge. Letztere machte der Einfluss der heidnischen Priester in den Volksversammlungen der genannten «Frühstädte» aber schnell wieder zunichte. Auf seiner zweiten Reise kam Otto inzwischen unterstützt von König Lothar in die westlichen Gebiete Pommerns, nach Demmin, Gützkow und Usedom, wo er die führenden Vertreter der dort siedelnden Slawen zur Taufe bewegen konnte. Wolgast und ein zweites Mal Wollin, Stettin und Cammin folgten als weitere Stationen. Erst 1140 war die Zeit reif für die Etablierung eines Bischofssitzes in Wollin. Wartislaw gelang es aber nicht, sich von der polnischen Oberherrschaft zu befreien. Im Gegenteil, er hatte ebenso wie die Obodriten in Mecklenburg die dänische Herrschaft zu fürchten. In dem nach Bolesławs Tod 1138 einsetzenden Zerfall des Piastenstaates in Teilfürstentümer ließ der Druck auf Pommern nach. Stattdessen intensivierte sich der Zugriff Dänemarks und auch Heinrichs des Löwen, die bereits das Obodritenland und Rügen unter ihre Herrschaft gebracht hatten. Die dänische Einflussnahme auf dem Festland spiegelt sich in der Stiftung von Klöstern wider. Dänische Mönche des Klosters Esrom gründeten das Kloster Dargun (bei Demmin) und auch 1173/74 Kloster Kolbatz südöstlich von Stettin. Die Darguner errichteten 1199 das Kloster Hilda (Eldena), wo sie vor den dänisch-brandenburgischen Auseinandersetzungen Zuflucht suchten. Nach dem Sturz Heinrichs des Löwen als Herzog von Sachsen und Bayern er hatte Kaiser Friedrich I. Barbarossa die Unterstützung der Italienpolitik verweigert entstand ein Machtvakuum an der Ostseeküste. Die Dänen unterwarfen Herzog Bogislaw I. 1185 der dänischen Lehnshoheit, die mit

16 II. Slawenzeit: Obodriten, Wilzen, Ranen und Pomoranen jährlichen Tributzahlungen und Absicherung durch Geiseln verbunden war. Da auch die mecklenburgische Landesherrschaft unter dänische Oberhoheit gelangte, reichte die dänische Vormachtstellung jetzt von Holstein bis nach Pommern und wurde von König Friedrich II. anerkannt (1214). Es bildete sich aber schon bald eine große Allianz, um die dänische Herrschaft zu beseitigen. Unter der «Führung» Adolfs IV. von Holstein besiegte ein Bündnis der Grafen von Schwerin und der Herren von Werle (Mecklenburg), des Erzbischofs von Bremen und des Herzogs von Sachsen, der Städte Lübeck und Hamburg sowie der Dithmarscher Bauern 1227 in der Schlacht von Bornhöved den dänischen König Waldemar II. und verschaffte damit den norddeutschen Städten und Territorien (das Fürstentum Rügen ausgenommen) die Unabhängigkeit von Dänemark. Pommern wurde den Markgrafen von Brandenburg als Reichslehen übertragen, die 1236 vom Pommernherzog ebenfalls das später mit Mecklenburg vereinigte Land Stargard erhielten. Mecklenburg und Holstein fielen zurück unter die sächsische Lehnshoheit. Allein Lübeck erhielt die Reichsunmittelbarkeit. Diese begründete den Aufstieg der Travestadt zu der führenden Stadt im Ostseeraum, die dann auch als Modell für Stadtgründung und -entwicklung in Mecklenburg und Pommern dienen sollte.