Versuch 13: Gehörsinn

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Transkript:

Versuch 13: Gehörsinn 13.1 Audiometrie Aufgaben Durchführung der Tonschwellenaudiometrie nur für ein Ohr pro VP bei Luft- sowie bei Knochenleitung. Durchführung der Sprachaudiometrie mittels einiger typischer Sprachbeispiele. Optische Untersuchung des Gehörgangs mittels eines Otoskops. Rechenaufgabe: Welche Intensität eines Tones der Frequenz von 256 Hz (c 1 ) kann ein Patient gerade noch wahrnehmen, wenn er in diesem Frequenzbereich einen Hörverlust von 30 db aufweist? Lernziele Formen des Schalls Grundlagen der Akustik Schalldruck Lautstärkepegel Tonschwellenaudiometrie Sprachaudiometrie Hörfläche Sprachverständnis Formen der Schwerhörigkeit Bau und Funktion des Ohrs Wanderwellentheorie Transduktionsprozess an den Haarzellen 13.1.1 Tonschwellenaudiometrie Eine quantitative Beurteilung des Hörvermögens bei unterschiedlichen Frequenzen (Töne) kann mit dem Tonaudiometer durchgeführt werden. Mit den im Praktikum verwendeten Gerät kann die Hörschwellenkurve im Bereich von 250 Hz bis 8 khz für Luftleitung und von 250 Hz bis 6 khz für Knochenleitung gesondert bestimmt werden. Die Hörschwellenkurve gibt den Zusammenhang zwischen Schwellenschallintensität (bzw. -druck) eines Tons und der jeweiligen Frequenz wieder. Sie wird in einem doppellogarithmischen Diagramm dargestellt, wobei als Ordinate ent- Blutuntersuchung

2 Versuch 13: Gehörsinn weder die Schallintensität in [W/m 2 ], die Schalldruckamplitude [N/m 2 ]oder der Schallpegel in [db = dezibel], als Abszisse die Frequenz aufzutragen sind (Abb. 13-1a). Der Schallpegel (L) lässt sich aus der Schallintensität (I) oder dem Schalldruck (p) wie folgt berechnen: I p L lg 2 lg [B] I 0 p0 I p L 10 lg 20 lg [db] [1] I 0 p0 [db] ist keine Maßeinheit im eigentlichen Sinn, vielmehr eine Normierung. Per definitionem wird I 0 =10 12 [W/m 2 ]bzw.p 0 =2 10 5 [N/m 2 ] gesetzt. 13.1 Audiometrie 3 Bei der klinischen Audiometrie interessiert in erster Linie der Hörverlust eines Patienten im Vergleich zum Ohrgesunden. Der Hörverlust wird im klinischen Audiogramm in sog. relativen Dezibel als Ordinate nach unten aufgetragen (Abb. 13-1b). Er gibt an, um wieviel db der Schallpegel gegenüber dem normalen Schwellenpegel erhöht werden muss, um überhaupt eine Hörempfindung auslösen zu können. In diesem Audiogramm ist der Hörverlust des Ohrgesunden über den gesamten Hörbereich per definitionem gleich 0 db relativ, die Hörschwelle wird damit zur abszissenparallelen Geraden. Die Audiometrie erfolgt mit Hilfe eines Tonaudiometers, das diskrete Töne entweder über einen gegen Außenschall abgedichteten Kopfhörer zur Überprüfung Schalldruckpegel [db absolut] -20-10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 Tonhöhe [Hz] 64 128 256 512 1024 2048 4096 8192-20 -10 Normal Hörverlust [db relativ] 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 Tonhöhe [Hz] 64 128 256 512 1024 2048 4096 8192 C c c 1 c 2 c 3 c 4 c 5 c 6 Töne [Oktavschritte] C c c 1 c 2 c 3 c 4 c 5 c 6 Töne [Oktavschritte] Abb. 13-1a Tonschwellenaudiometrie. Dargestellt sind die normale Hörschwelle (graue Kurve) und die Hörschwelle eines Patienten mit typischer Altersschwerhörigkeit (gestrichelte Kurve) für Luftleitung. Die Auftragung der Schalldruckpegel erfolgte in absoluten Werten [db absolut ]. Steigende Schalldruckpegel werden in der klinischen Audiometrie konventionsgemäß nach unten abgetragen. Die beiden Doppelpfeile symbolisieren den Hörverlust in [db relativ ] für die Töne 1024 und 8192 Hz. Abb. 13-1b Klinische Tonschwellenaudiometrie. In der klinischen Untersuchung wird nach unten nur der Hörverlust, der auf die Hörschwelle Normalhörender bezogen ist, in [db relativ ] als Funktion der Tonhöhe abgetragen. Damit wird die normale Hörschwelle bei 0 db relativ durch die abszissenparallele Gerade repräsentiert. Wiederum gestrichelt sind die Audiometriedaten des Patienten der Abb. 13-1a wiedergegeben, d.h. die beiden Pfeile drücken denselben Hörverlust aus.

4 Versuch 13: Gehörsinn 13.1 Audiometrie 5 Abb. 13-2 Audiometer für die Tonschwellenaudiometrie mit den zugehörigen Kopfhörern für Lufleitung (rechts) und dem Knochenleitungshörer (links). der Luftleitung oder über einen Knochenleitungshörer zur Überprüfung der Knochenleitung liefert. Für sämtliche Tonstufen kann der relative Schalldruckpegel in 5dB-Schritten erhöht werden. Das Audiometer (Abb. 13-2) wird mit dem Netzschalter auf der Rückseite eingeschaltet. Es erzeugt Töne (sinusförmige Schallwellen) in diskreten Frequenzschritten (Oktavschritte). Die Lautstärke kann über die unteren beiden Tastschalter in Stufen von 5 db erhöht (t) oder verringert (s) werden. Die Schalldarbietung erfolgt entweder über den Kopfhörer (rotmarkierter Hörer für rechtes, blaumarkierter Hörer für linkes Ohr) oder den Knochenleitungshörer. Die aktuellen Frequenzwerte und Schallpegel werden im Display angezeigt. Die Grundeinstellung nach dem Einschalten ist: Frequenz = 1000 Hz, Luftleitungsmessung über rechten Kopfhörer (RL). Alle weiteren Einstellungen sind mit den diodenmarkierten Tasten im linken Bedienerfeld vorzunehmen. Erst beim Drücken der grünen Signaltaste wird das Schallsignal über Kopfhörer bzw. Knochenschallgeber angeboten. Versuchsablauf: Die Untersuchung soll nur am rechten Ohr durchgeführt werden. Zunächst ist die Hörschwelle für Luftleitung zu bestimmen. Man legt eine Audiogrammkarte ein. Der Kopfhörer ist so aufzusetzen, dass der rotmarkierte Hörer das rechte Ohr beschallt. Achten Sie darauf, dass im Feld Wandler die Diode LL/AC für Luftleitung aktiviert ist. Sie können dann im Feld Wandler das entsprechende Ohr anwählen. Die Messung wird bei einer Frequenz von 1 khz und einem Schallpegel von 0 db gestartet. Nun wird der Schalldruckpegel langsam so weit erhöht, bis die Versuchsperson per Handzeichen signalisiert, den Ton zu hören. Danach wird der Pegel wieder unter die Schwelle gesenkt, und eine zweite Schwellenbestimmung angeschlossen. Der Schwellenwert für den Ton von 1000 Hz wird in die korrekt eingelegte Audiogrammkarte eingetragen. Die Messung wird nun für alle anderen Frequenzstufen analog durchgeführt. Dabei ist es wichtig, dass vor jeder Schwellenbestimmung ein neu eingestellter Ton kurz überschwellig angeboten wird (warum?). Für die Schwellenbestimmungen bei Knochenleitung wird zusätzlich zum Kopfhörer der Knochenleitungshörer auf den Processus mastoideus des zu untersuchenden Ohrs aufgesetzt. Das Audiometer wird von Luftleitung auf Knochenleitung umgeschaltet (Wandler von <LL/AC> auf <KL/BC>), und die Messung der Knochenleitungsschwelle in analoger Weise wiederholt. Bemerkung: Bei Versuchspersonen mit einer ausgeprägten einseitigen Schallempfindungsschwerhörigkeit kann es zu einem Übersprechen des Schallsignals per Knochenleitung über den Schädel auf das kontralaterale, gesunde Ohr kommen, was dazu führen kann, dass der Testton auf dem falschen Ohr zuerst detektiert wird. Um dies zu verhindern, wird dieses Ohr mit einem maskierenden Rauschsignal, das über den Kopfhörer zusätzlich angeboten wird, vertäubt (<Vertäubung> am Audiometer anwählen). 13.1.2 Sprachaudiometrie Beim Verstehen von Sprache spielt einerseits die Sprachverständlichkeit eine wichtige Rolle, d.h. die akustische Aufnahme und Verarbeitung des Sprachmaterials. Andererseits ist die Sprachperzeptionsleistung der Testperson eine weitere wichtige Determinante für das Sprachverständnis, die individuell je nach Bildungsgrad, Schulung des Gehörs, Sprachempfinden u.a. stark variieren kann.

6 Versuch 13: Gehörsinn In der Sprachaudiometrie versucht man die Verständlichkeit von standardisiertem Sprachmaterial quantitativ zu bewerten, um daraus dann in einem weiteren Schritt Rückschlüsse auf die Sprachperzeptionsleistung des Patienten ziehen zu können. Das verwendete Sprachmaterial sollte möglichst repräsentativ für die Sprache und die zu untersuchende Kommunikationssituation sein. Eine Vielzahl von Testvariablen, wie offener Test (unbekannte Sprachitems, die der Proband wiederholen muss) oder geschlossener Test (dem Probanden liegt eine Liste möglicher Items vor), Auswerteverfahren, Art des Sprechers (z.b. synthetische Sprache, Stimmlage), Wahl von überlagerten Störgeräuschen etc., erschweren eine Vergleichbarkeit der verschiedenen Sprachtests untereinander. Der derzeit in der Standardaudiometrie am häufigsten eingesetzte Sprachtest ist der offene Freiburger Wörtertest. Er besteht aus einsilbigen Worten bzw. zweiziffrigen Zahlen, die der Patient in den jeweils anschließenden kurzen Sprechpausen nachsprechen muss. Vielfach unterscheiden sich die Sprachitems nur in einem Phonem, z.b. Zinn Kinn; Farn Farm. Bei Schwerhörigkeiten ist das Sprachverständnis vor allem unter Störgeräuscheinflüssen typischerweise reduziert. Um diese Reduktion der Sprachverständlichkeit zu quantifizieren, wird versucht, den Prozentsatz korrekt verstandener Sprachitems für unterschiedliche Sprachpegel unter allen Bedingungen in Form sog. Diskriminationskurven zu erfassen. D.h. besagter Prozentsatz wird als Funktion des Sprachpegels in [db] aufgetragen. Daraus lässt sich die Verständlichkeitsschwelle ablesen, die dem Sprachpegel entspricht, bei dem der Patient 50% der angebotenen Sprachitems korrekt verstanden hat. Bei der Sprachaudiometrie unter Störgeräuschen interessiert vorwiegend die Sprachverständlichkeitsschwelle für eine Sprachverständlichkeit von 50%, die in diesem Fall der Relation Sprachpegel zu Störgeräuschpegel Rechnung tragen muss. Dieser Parameter ist auf das Beschwerdebild vieler, vor allem älterer Schwerhöriger zugeschnitten, die unter Umgebungsgeräuschen größere Schwierigkeiten als bei ruhiger Umgebung haben, einer Unterhaltung zu folgen ( Cocktail-Party-Effekt bzw. Gesellschaftsschwerhörigkeit). Zur Untersuchung zentraler Hörleistungen kann z.b.der dichotische Sprachverständnistest herangezogen werden. Über Kopfhörer werden der VP simultan Testwortpaare angeboten (z.b. gleichzeitig rechts: Gewitter; links: Sommerwind). Die VP sollte beide Worte verstanden haben und diese dann wiedergeben können. 13.1 Audiometrie 7 Über Kopfhörer können unter Einsatz der Praktikumscomputer verschiedene Sprachtests von einer CD-ROM abgehört werden. Um das Wesen dieser Tests zumindest qualitativ beurteilen zu können, sollte versucht werden, die Sprachverständlichkeit bei sehr niedrigem und bei hohem Sprachpegel ohne sowie unter Störgeräuscheinflüssen zu überprüfen. 13.1.3 Ohrspiegelung (Otoskopie) Die Otoskopie dient der optischen Inspektion des Gehörgangs und Trommelfells. Sie ist in erster Linie die Domäne der HNO- sowie Kinderheilkunde, wo für die regelmäßigen U-Untersuchungen die Inspektion beider Gehörgänge und Trommelfelle zum diagnostischen Standardrepertoire zählt. Die Ohrspiegelung ist für den Patienten ungefährlich und birgt, außer dass Schmerzen bei Entzündungen im Ohrbereich entstehen können, keine weiteren Risiken. Das Prinzip der Otoskopie ist sehr leicht zu verstehen und wurde bereits für die Ophthalmoskopie (s. 12.2.2 Augenhintergrund) ausführlich beschrieben. Da ein tiefer Blick des unbewaffneten Auges in den Gehörgang einer VP durch den Kernschatten, den der Betrachter auf die Eintrittspforte des Ohrs wirft, wenig erkennen lässt, benötigt man eine Beleuchtungsquelle, die ihr Licht entlang der optischen Achse des Betrachterauges sendet. Dies ermöglichen die handelsüblichen Otoskope, wie sie in ihrer Handhabung in Abb. 13-3 beschrieben sind. Abb. 13-3 Einführen des Ohrtrichters eines Otoskops in den Gehörgang. Empfehlenswert ist wie dargestellt, die Ohrmuschel leicht nach hinten oben zu rotieren, damit der Gehörgang gestreckt und der knorperlige laterale Anteil in einer Achse mit dem knöchernen medialen ausgerichtet wird. Der Durchmesser des Ohrtrichters richtet sich nach den anatomischen Gegebenheiten. Bei richtiger Wahl und korrektem Einführen kann man sich eine Übersicht von Gehörgang und Trommelfell verschaffen. Mit der zuschaltbaren Vorsatzlupe wird eine 3,5-fache Vergrößerung erzielt.

8 Versuch 13: Gehörsinn 13.2 Hörtests & räumliches Hören Aufgaben Durchführung der Stimmgabelhörtests nach WEBER und RINNE. Bestimmung der Laufzeitschwelle für das Richtungshören. Demonstrationsversuche zum räumlichen Hören. Nachweis zur Schallabstrahlung eines über Knochenleitung angebotenen Tones. Lernziele Differentialdiagnostik der Schwerhörigkeiten Schallabstrahlung Hörbahn Monaurales und binaurales Hören Räumliches Hören Schallrichtungshören Schallentfernungshören Schallcharakteristik der Ohrmuschel 13.2.1 WEBERscher und RINNEscher Versuch Eine Abnahme des Hörvermögens kann entweder im Sinne einer Empfindungsschwerhörigkeit durch Innenohrstörungen bzw. seltener durch retrocochleäre Erkrankungen oder im Sinne einer Schallleitungsschwerhörigkeit durch Beeinträchtigung des Schallleitungsapparats bedingt sein. Die Empfindungsschwerhörigkeit manifestiert sich meistens zunächst im Bereich hoher Frequenzen, so dass Flüstersprache (hochfrequente Sprachanteile, vor allem Konsonanten) schlecht gehört wird. Bei der Schallleitungsstörung ist entsprechend der Übertragungscharakteristik des Mittelohrs die Hörleistung hauptsächlich für tiefe Töne vermindert. Die Empfindungsschwellen für die über Knochenleitung zugeführten Schallimpulse sind bei der Mittelohr- oder Aussenohrschwerhörigkeit nicht verschlechtert. Durch verminderte Schallabstrahlung über den versteiften Schallleitungsapparat oder verlegten Gehörgang (z.b. bei Cerumen obturans = Ohrschmalzpropf) wird der Ton bei Knochenleitung sogar lauter wahrgenommen. Diese Besonderheiten der beiden Formen der Schwerhörigkeit nutzen wir zur diagnostischen Differenzierung mittels einfacher Stimmgabelhörtests. Diese Tests, die mit geringem Aufwand auch am Krankenbett durchgeführt werden 13.2 Hörtests & räumliches Hören 9 können, sind daher besonders für postoperative Verlaufskontrollen in der HNO-Klinik prädestiniert. 1. WEBERscher Versuch Eine angeregte Stimmgabel wird mit ihrem Fußteil auf die Mitte des Kopfes aufgesetzt. Bei normaler Hörfähigkeit beider Ohren wird der über die Knochenleitung wahrgenommene Ton in der Sagittalebene gehört. Bei einseitiger Schallleitungsstörung wird er als näher zum erkrankten, bei einseitiger Schallempfindungsstörung als näher zum gesunden Ohr wahrgenommen. Man spricht in diesem Fall von Lateralisierung. Führen Sie den Stimmgabelversuch unter folgenden zwei Testbedingungen durch: Simulation einer einseitigen Schallleitungsschwerhörigkeit durch Verschluss eines Gehörganges mit dem Finger. Simulation einer einseitigen Innenohrschwerhörigkeit durch Adaptation eines Ohrs, was auch eine Erhöhung der Innenohrhörschwelle bedingt. Eine monaurale Adaptation lässt sich folgendermaßen erzielen: Über den Kopfhörer wird nur einem Ohr ein Ton (z.b. 500 Hz) mit hoher Intensität ca. 1 min lang angeboten. Danach ist unverzüglich der WEBERsche Stimmgabelversuch durchzuführen. 2. RINNEscher Versuch Eine angeregte Stimmgabel wird mit ihrem Fußteil auf den Processus mastoideus gesetzt. Wenn der Ton über Knochenleitung nicht mehr zu hören ist (die Schwingungsamplitude und damit die abgestrahlte Schallintensität nimmt infolge von Dämpfung mit der Zeit ab), wird die Stimmgabel unverzüglich vor den entsprechenden Gehörgang gehalten. Bei normalem Befund (= Rinne positiv) ist die Schwelle für Luftleitung niedriger als für Knochenleitung. Es gilt dann: T LL > T KL (T LL bzw. T KL = Hördauer für Luft- bzw. Knochenleitung). Bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit wird der Ton dann über Luftleitung nicht mehr wahrgenommen (= Rinne negativ). Es gilt nun: T LL < T KL. Wie fällt der RINNEsche Versuch bei einer Schallempfindungsschwerhörigkeit aus? Versuchen Sie den Befund mit den Zeiten T LL und T KL auszudrücken.

10 Versuch 13: Gehörsinn 13.2 Hörtests & räumliches Hören 11 13.2.2 Schallabstrahlung des Ohrs Wird der Schädelknochen, wie beim WEBERschen Versuch praktiziert, mit einer aufgesetzten schwingenden Stimmgabel in Schwingungen versetzt, gerät die Trommelfell-Gehörknöchelchenkette des Mittelohrs infolge der Massenträgheit und ihrer elastischen Aufhängung gleichfalls in Schwingung. Es wird dadurch zum Schallgeber analog einer Lautsprechermembran. Energetisch betrachtet, wird daher ein nicht zu vernachlässigender Teil der von der schwingenden Stimmgabel dem Schädel zugeführten Schallenergie über beide Trommelfelle nach außen abgestrahlt und kann von Aussenstehenden über ein Mikrofon oder modifiziertes Stethoskop mitgehört werden. Zuerst wird ein Ohr der Versuchsperson A mit einem Ohr der Versuchsperson B über einen Schlauch des modifizierten Stethoskops akustisch verbunden. Dann wird auf den Kopf von A eine angeregte Stimmgabel gesetzt. Der Ton wird auch von B gehört und zwar ausschließlich über den Verbindungsschlauch und damit das Trommelfell von A (Nachweis: Durch Abklemmen des Schlauches ist der Ton schlagartig verklungen, nach Freigabe aber sofort wieder für B hörbar). 13.2.3 Räumliches Hören Bestimmung der Laufstreckendifferenz Zur räumlichen Ortung einer Schallquelle wird beim binauralen Hören die Laufzeitdifferenz, um die ein Schallereignis verspätet über das entferntere Ohr perzipiert wird, als wichtige Information zentral verrechnet. Die Laufzeitdifferenz kann über die Wegdifferenz gewonnen werden, um die eine Schallquelle von der Sagittalebene versetzt sein muss, um als räumlich versetzt wahrgenommen zu werden (Abb. 13-4). Zur Prüfung des Richtungshörens muss die Versuchsperson mit dem Rücken zum Tisch sitzen. Mit einem Schlauch eines modifizierten Stethoskops werden ihre beiden Ohren akustisch miteinander verbunden. Durch leichte Perkussion des Schlauchs mittels eines dünnen Stäbchens wird der auf die Schlauchmitte bezo- Abb. 13-4 Schema zum Richtungshören. Ein Schall der unter einem Winkel gegen die Sagittalebene einfällt, erreicht das entferntere Ohr nach einer Laufstreckendifferenz s = a sin, wenn a den Ohrabstand symbolisiert. Die sog. akustische Raumschwelle beträgt 3. Für einen Ohrabstand a = 21 cm errechnet sich eine Laufstreckendifferenz von 1.1 cm. gene minimale Abstand bestimmt, ab der die VP eine Seitenlokalisation des Perkussionsortes definitv wahrnimmt. Rechnerische Abschätzung der Laufzeitdifferenz: Als Laufstreckendifferenz ( s) ist der Abstand zwischen linker und rechter Seitenlokalisation zu betrachten. Mit Hilfe der Beziehung [2] ist die Laufzeitdifferenz ( t) zu berechnen, wobei (c) die Schallgeschwindigkeit in Luft verkörpert. s t [2] c Bestimmung der Laufzeitdifferenz s Mit Hilfe des Testgeräts»Stereophonie«und dem angeschlossenen Kopfhörer kann jedes Ohr einer VP getrennt beschallt werden. Damit lässt sich direkt die exakte Schwelle für die Laufzeitdifferenz ausmessen, ab der die VP die Schallquelle gerade nach links bzw. nach rechts lateralisiert, je nachdem, ob der Schallreiz etwas zeitverzögert dem rechten bzw. dem linken Ohr angeboten wird. Durch Vergrößerung der Laufzeitdifferenz wird die Lateralisierung deutlicher. Einen akustischen Raumeindruck, d.h. eine Lateralisierung des Schallreizes, erzielt man auch bei exakter Synchronisation der Schallreizung beider Ohren, sofern eine Seitendifferenz in der Schallintensität besteht, was dem Prinzip der a Schallrichtung

12 Versuch 13: Gehörsinn Stereophonie in der Unterhaltungselektronik entspricht. Nimmt man ein Schallereignis mit einem Ohr lauter wahr, wird es aus Erfahrung automatisch zu dieser Seite hin lateralisiert. Dieses Prinzip der Lateralisierung aufgrund von Intensitätsdifferenzen ist für den WEBERschen Stimmgabelversuch von fundamentaler Bedeutung. Mit diesem Gerät lässt sich auch eindrucksvoll demonstrieren, dass für das binaurale räumliche Hören gleichwertig Laufzeit- und Lautstärkepegeldifferenzen zu Bildung eines Raumeindruckes zentralnervös verarbeitet werden. Das Stereophonie-Gerät (Netzschalter rückseitig) erlaubt es, ein kurzes, rhythmisches Schallsignal ( Klick ) zeitversetzt (durch Drehen des Potentiometers Laufzeitdifferenz ) oder abgeschwächt (durch Drehen des Potentiometers Intensitätsbalance ) einem Ohr gegenüber dem anderen anzubieten. Das Schallsignal ist nur bei gedrücktem Kipphebel <Signal> zu hören. 1. In einem ersten Test wird die Laufzeitdifferenz vom Startwert 0 ms aus (der Klickreiz muss zuerst eindeutig in der Sagittalebene gehört werden) so weit erhöht, bis die VP definitiv die Schallquelle nach links bzw. nach rechts lateralisiert. Die Laufzeitdifferenz kann dann am Oszilloskop direkt in [ms] abgelesen werden. 2. Es lässt sich weiterhin eindrucksvoll demonstrieren, dass eine vorgegebene Schallverspätung an einem Ohr und der damit erweckte Raumeindruck durch eine gleichzeitige Erhöhung der Schallintensität am gleichen Ohr kompensiert werden kann und v.v. 13.3 Nystagmus 13 13.3 Nystagmus Aufgaben Ableitung des Elektronystagmogramms (ENG) von einer VP bei willkürlichen Augenbewegungen sowie beim Lesen. Auslösen eines optokinetischen Nystagmus. Beobachtung der Augenbewegung und Registrierung eines ENGs. Auslösen des vestibulären Nystagmus durch Drehbeschleunigung und Registrierung eines ENGs. Registrierung des kalorischen Nystagmus bei thermischer Reizung eines Ohrs. Lernziele Bau und Funktion des Vestibularorgans Adäquate Reizung des Gleichgewichtsorgans Transduktionsprozess in den Haarzellen Nystagmus Augenfolgebewegung Sakkade Vestibulo-okulärer Reflex Postrotatorischer Nystagmus Kalorischer Nystagmus Als physiologischen Nystagmus (genauer Rucknystagmus) bezeichnet man die durch optokinetische oder vestibuläre Reize reflektorisch ausgelösten konjugierten Augenbewegungen mit typischem Wechsel von langsamer und schneller Phase. Die langsame Phase, die Augenfolgebewegung, ermöglicht optische Fixation und damit ein vorübergehendes»einfrieren«und Erkennen des Netzhautbildes trotz Eigen- oder Umweltbewegung. Die schnelle ruckartige Augenbewegung, die Sakkade, dient dem sprunghaften Erfassen eines neuen Blickziels und wird als solche nicht bewusst wahrgenommen. Konventionsgemäß und auch aus praktischen Gründen wird die Nystagmusrichtung nach der schnellen Phase, die grundsätzlich deutlicher als die Augenfolgebewegungen verfolgt werden kann, festgelegt. Die Elektronystagmographie basiert auf den elektrischen Dipoleigenschaften des Augapfels. Ursache des Dipols ist das sog. Bestandspotential, dessen Ursprung in der Netzhaut liegt. Die Hornhaut stellt den positiven, der hintere Augenpol den negativen Pol dar. Da der Bulbus als Dipol im elektrisch leitenden

14 Versuch 13: Gehörsinn 13.3 Nystagmus 15 Medium des umgebenden Kopfbereichs ein elektrisches Dipolfeld aufbaut, kann man prinzipiell von zwei Punkten der Schädeloberfläche eine elektrische Potentialdifferenz abgreifen. Diese Potentialdifferenz, das sog. Elektrookulogramm (EOG) bzw. Elektronystagmogramm (ENG), ändert sich mit der Richtung der Augendipole und ist damit bestens geeignet, Augenbewegungen elektrisch aufzuzeichnen. Der Abgriff erfolgt über Hautelektroden, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Augen direkt auf die Hautoberfläche aufgeklebt werden. Vor Aufkleben der Ableitelektroden sollten die entsprechenden Stirn- und Schläfenpartien mit einem alkoholgetränkten Tupfer entfettet werden. Zwei Elektroden sind in Höhe der Augen auf die linke und rechte Schläfenseite möglichst augennah zu kleben, die dritte für die Erdung etwa in Stirnmitte. Die Elektroden sind über die Eingangsbuchsen mit dem Biovorverstärker des PowerLab-Systems zu verbinden. Unter CHART können nun Elektronystagmogramme nach Betätigung des <Start>-Knopfes aufgezeichnet werden. Um sich mit dem ENG vertraut zu machen, sollte zunächst untersucht werden, wie sich langsame bzw. ruckartige Augenbewegungen darstellen, oder wie das ENG bei vertikalen Augenbewegungen oder bei Blickfixation ausfällt. Exemplarisch sollte als erste Fingerübung ein ENG während des Lesens eines Bildschirmtextes aufgezeichnet werden. Handelt es sich bei dieser Art von Augenbewegungen um einen Nystagmus? 13.3.1 Optokinetischer Nystagmus Durch visuelle Bewegungsreize (z.b. vorbeiziehende Landschaft bei Bahnfahrten Eisenbahnnystagmus) werden reflektorisch langsame konjugierte Augenfolgebewegungen im Wechsel mit Sakkaden ausgelöst. Ziel des optokinetischen Nystagmus ist das reflektorische Fixieren eines bewegten Sehobjektes, wobei es keine Rolle spielt, ob sich das betrachtete Objekt oder der Betrachter bewegt. Die Augenfolgebewegung, die bis zu 50 /sec betragen kann, soll für eine kurze Expositionszeit ein unbewegtes und damit bewusst wahrnehmbares Netzhautbild des bewegten Objekts ermöglichen. Sobald der Augenbulbus eine bestimmte Auslenkung erfahren hat, wird das Auge ruckartig schnell in die normale Blickrichtung zurückgedreht, um sich an einen neuen Fixationspunkt zu heften, wodurch ein weiterer Nystagmuszyklus durchlaufen wird. Am Krankenbett, im Labor oder im Praktikumsversuch kann der optokinetische Nystagmus mit wenig experimentellem Aufwand geprüft werden: Mit Hilfe einer Drehtrommel, die mit einem Streifenmuster bespannt ist, mittels eines bewegten Maßbandes oder mit einer Computeranimation aus bewegten Hell-Dunkel-Streifen lässt sich problemlos ein optokinetischer Nystagmus auslösen und hinsichtlich Amplitude, Wiederholungsfrequenz und Regelmäßigkeit beurteilen. Für die klinische Beurteilung sind vor allem Seitendifferenzen von entscheidender Bedeutung. Es gilt aber zu bedenken, daß bei zu hoher Reizgeschwindigkeit oder mangelnder Aufmerksamkeit des Patienten der optokinetische Nystagmus unterdrückt werden kann oder Unregelmäßigkeiten in seiner Abfolge auftauchen. 13.3.2 Vestibulärer Nystagmus Der vestibuläre Nystagmus wird durch Reizung der vestibulären Bogengänge infolge von Drehbeschleunigungen des Kopfes ausgelöst. Ursache ist der sogenannte vestibulookuläre Reflex, der reflektorisch Reaktionen des Labyrinths mit den Augennervenkernen verbindet. Um ein Sehziel auch bei Kopfdrehung foveal fixieren zu können, müssen sich die Augen entgegengesetzt bewegen. Bei langsamen Kopfbewegungen kann der optokinetische Nystagmus noch Schritt halten. Bei den üblicherweise eher schnellen Kopfbewegungen wird über den vestibulookulären Reflex, der mit äußerst kurzer Latenzzeit greift, eine rasche Augenbewegung entgegen der Kopfdrehung initiiert, die eine foveale Fixierung ermöglicht. Der Reflex funktioniert in allen drei Raumebenen: bei Rotation des Kopfes in der Horizontalen, in der Vertikalen und bei Seitenneigung. Das Übergewicht des vestibulookulären Reflexes gegenüber dem optokinetischen Folgesystem bei Kopfdrehung kann mit folgendem einfachen Test eindrucksvoll untermauert werden: Bewegt man ein Schriftstück rasch vor den Augen hin und her, verschwimmt die Schrift, so dass man nichts lesen kann; die Augenfolgebewegungen sind zu träge. Schüttelt man hingegen den Kopf mit gleicher Relativgeschwindigkeit bezüglich des Schriftstücks hin und her, vermag man Teile des Schriftstücks trotz Kopfbewegung optisch zu fixieren und zu lesen. Die klinisch quantitative Vestibularisprüfung beim Menschen nutzt die komplexe Reizantwort wie Nystagmus und Drehempfindung auf eine standardisierte Drehreizung hin. An Stelle einer Kopfdrehung allein werden die vestibulookulären Reflexe durch Drehung der ganzen VP auf einem Drehstuhl angeregt. Dabei

16 Versuch 13: Gehörsinn 13.3 Nystagmus 17 stellt sich das Problem, dass durch optisches Fixieren der Reflex unterdrückt werden kann. Ein einfacher Nystagmus-Suppressionstest mag dies verdeutlichen: Die VP fixiert die Daumen ihrer ausgestreckten Hände. Wird sie in Drehung versetzt, ist eine gesunde VP durch dieses Manöver in der Lage, jeden Drehnystagmus zu unterdrücken. Um diese Suppression zu verhindern, wird der VP eine FRENZEL-Brille (starke Plusgläser, die ein Fixieren unmöglich machen, da die VP extrem myop gemacht wird) beim Drehstuhl-Versuch aufgesetzt. Unter diesen Bedingungen oder aber bei geschlossenen Augen, was dank der Elektronystagmographie möglich ist, lässt sich ein visuell unbeeinflusster vestibulärer Nystagmus beobachten. Drehempfindung und Nystagmus können besser und anhaltender beurteilt werden, wenn die Reaktionen nicht während der anfänglichen Beschleunigungsphase einer Drehung, sondern postrotatorisch nach dem plötzlichen Anhalten aus der Drehung heraus, die 1 min lang mit konstanter Winkelgeschwindigkeit erfolgte, erfasst werden. Die VP wird mit um 30 nach vorn geneigtem Kopf (warum?) nicht allzu schnell auf eine bestimmte Enddrehgeschwindigkeit beschleunigt, um nach 1 min abrupt abgebremst zu werden. Die nun einsetzende postrotatorische Reaktion lässt sich am besten anhand der Dauer des postrotatorischen Nystagmus quantitativ beschreiben. Trägt man in der Abszisse eines Diagramms logarithmisch die Endwinkelgeschwindigkeit, in der Ordinate hingegen linear die postrotatorische Nystagmusdauer auf, so erhält man eine lineare Beziehung, das sog. Cupulogramm (Abb. 13-5). VP mit überempfindlichen Vestibularreaktionen, die auch eher zu Kinetosen neigen oder für Seekrankheit disponiert sind, weisen ein steileres und bei niedrigerer Schwelle einsetzendes Cupulogramm auf. Wie ist die Richtung des postrotatorischen Nystagmus zu deuten, und wie steht diese im Einklang mit den von der VP beschriebenen Nachdrehempfindungen, die bei noch geschlossenen Augen auftreten? 13.3.3 Kalorischer Nystagmus Ein vestibulärer Nystagmus wird klinisch auch durch Warm- oder Kaltspülung eines Ohres ausgelöst. Man kann dadurch gezielt das linke oder rechte Vestibularorgan einzeln untersuchen, was differentialdiagnostisch für die Klinik von hohem Stellenwert ist. So treten bei Patienten mit akuten Defiziten in den Vestibularorganen, insbesondere wenn Seitendifferenzen der Erregbarkeit bestehen, schwerer Drehschwindel, Nausea (Seekrankheit) oder Fallneigung zur Seite auf. Praktikumsteilnehmer mit Verdacht auf Trommelfelldefekte oder -erkrankungen scheiden als Versuchsperson aus! Durch Neigung des Kopfes um ca. 60 nach hinten wird der laterale Bogengang senkrecht gestellt, wodurch der kalorische Reiz besonders wirksam die zugehörige Cupula erregen kann ( Konvektionstheorie ). Im Praktikum wird als Erwärmungs- bzw. Abkühlungsmedium Luft verwendet, die mit Hilfe des Luftkaloristats»Airmatic«in den Gehörgang geblasen wird. Bei Erwärmung des Gehörganges mit warmer Luft (44 C) tritt ein Nystagmus nach der Seite des erwärmten Gehörganges auf, beim Abkühlen (30 C) nach der entgegengesetzten Seite. Registrieren Sie über mehrere Minuten die Augenbewegungen der VP bei geschlossenen Augen in Form eines ENGs und interpretieren Sie die Aufzeichnung im Hinblick auf die Temperatureinstellungen. 50 Nystagmusdauer [s] 40 30 20 10 0 1 2 5 10 20 50 100 Drehgeschwindigkeit [ /s] Abb. 13-5 Cupulogramm im klinischen Drehversuch. Die postrotatorische Nystagmusdauer wird linear über der Drehgeschwindigkeit, die in logarithmischem Maßstab skaliert ist, aufgetragen. Die ausgezogene Gerade gilt für den Normalfall, die gestrichelte Gerade betrifft einen Patienten, der zur Seekrankheit disponiert ist.