Das Bärensteiner Kanzelwort

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Transkript:

Das Bärensteiner Kanzelwort Predigt zu Pfingstmontag,13. Juni 2011 (Regionalgottesdienst am Bärenstein) über Genesis 11, 1-9, von Pfarrer Frank Bohne Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Das Wort für die Predigt steht im 1. Buch Mose im 11. Kapitel und ist zugleich die alttestamentliche Lesung für Pfingstmontag: Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen, denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder. Der Herr segne an uns sein Wort! Liebe Pfingstgemeinde! Babel wohl kein anderer Name hat sich derart ins kollektive Gedächtnis eingeprägt wie der Name dieser Stadt. Die Geschichte vom Turmbau ist eine der wenigen biblischen Geschichten, die auch über Kirchenmauern hinaus hohe Bekanntheit genießt. Etliche Sprichwörter und geflügelte Worte sind wohl direkt auf sie zurückzuführen: Die Rede von der babylonische Sprachverwirrung zum Beispiel. Der Begriff Sündenbabel. Dass man bestimmte Dinge nicht auf die Spitze treiben soll und manche Sachen nicht in den Himmel wachsen dürfen. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist zum Synonym geworden für menschlichen Größenwahn, der zu einem schlimmen Ende führt. Eine alte und bekannte Geschichte also. Ihre Moral scheint auf der Hand zu liegen: Bleib mit deinen Wünschen und Träumen auf dem Teppich! Und halt dich bescheiden, dann kann dir so was nicht passieren Doch haben wir die Geschichte damit schon verstanden? Was ist ihr Kern? Wirklich nur ihre vordergründige Moral? Vielleicht sind wir so sehr an sie gewöhnt, dass wir ihre Feinheiten und ihre sprachliche Kunst gar nicht mehr wahrnehmen? Vielleicht liegt es ja daran, dass einem beim Hören der Geschichte immer gleich bestimmte Bilder in den Sinn kommen. Bei vielen hat sich vermutlich längst die bekannte Darstellung aus der Malerei vor dem inneren Auge eingestellt: Der Turmbau zu Babel nach Pieter Brueghel. In der Mitte seines Gemäldes wächst ein mächtiger Kegel in den Himmel hinein. Die Spitze ist schon von Wolken umgeben. Während man oben noch weiter baut, hat man weiter unten mit dem Innenausbau begonnen oder das Gebäude gar schon bezogen. Wenn Maler wie Bruegel den Turmbau so zeigten, dann wollten sie natürlich nicht historisch abbilden, was damals geschah. Vielmehr haben sie ihrer eigenen Zeit damit den Spiegel vorgehalten. Das Bauen oben, und das zeitgleiche Wohnen unten zeigt die tiefe Spaltung der Gesellschaft schon zu Bruegels Zeiten

Maler verschiedener Stil-Epochen haben sich am Turmbau versucht. Meist zeigen sie das Monströse des Bauwerks. Und verdecken damit etwas, das für das Verstehen der Geschichte wichtig ist: Vielleicht ist es ja die in uns allen steckende babylonische Versuchung wir als die Nachfahren der Bauleute damals dass wir uns vom Großen, vom Lauten und Mächtigen viel eher faszinieren lassen, als vom Kleinen, Leisen, Schwachen. Verdeckt wird dadurch der Anfang der Geschichte: Der Turmbau endet nämlich nicht bloß mir dem Focus auf der Sprache. Gott lässt das Vorhaben an der Sprache scheitern. Die Geschichte beginnt auch mit einem Hinweis auf Sprache: Es ist von Anfang an die Sprache, über die das Unheil seinen Lauf genommen hat. An der Sprache, mit der das Unternehmen begonnen wird, kann man schon das ganze Verhängnis ablesen. Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache Philosophen haben schon immer davon geträumt, eine einzige Sprache zu erschaffen, mit der sich alle Menschen verständigen könnten und dann wirklich einander verstehen. Man müsste dann nicht mehr die vielen Vokabeln und die ganze Grammatik pauken, um sich mehr schlecht als recht in einer fremden Sprache verständlich zu machen. Dann brauchte es endlich keine Missverständnisse mehr zwischen den Menschen zu geben. Wäre das nicht eine große Erleichterung? Es könnte aber auch eine Schreckens-Vision sein: Eine Sprache. Eine Stadt. Eine Welteinheitsregierung. Uns Ossis läuft da schon beim Hören die Gänsehaut über den Rücken Die Einheitssprache ist immer auch die Einheitsmeinung von der Einheitspartei. Eine Sprache, die neben sich nichts anderes duldet und irgendwann den Einheitsmenschen hervorbringt. Wohlan, lasst uns Ziegel streichen und brennen und lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen und uns einen Namen machen so beginnt es. Da tun sich Menschen in einer Ebenen des Ostens zusammen, um gemeinsam etwas Großes zu leisten. Da gibt es Unternehmergeist, der Menschen gewiss Lohn und Brot gibt. Ein Bauwerk wie dieses kann unzählige Familien auf Jahre hin ernähren. Und sogar für Kunst und Kultur fällt noch etwas ab. Wirtschafts-Weise würden heute wohl vom 1. Aufschwung Ost reden. Der Turm ist nicht zuletzt auch architektonisch ein Meisterwerk. Nicht nur in die Breite, auch in die Höhe zu bauen, ist eine Herausforderung für die Konstruktion und das Material. Alles in allem geht hier etwas vorwärts. Gesellschaftlich und wirtschaftlich. Städtisches Leben entsteht. Eine Zivilisation macht große Fortschritte. An solchem wissenschaftlichen Fortschritt und wirtschaftlichem Wohlergehen kann doch eigentlich nichts Schlechtes sein. Allerdings sollte man auch fragen, um welchen Preis das geschieht. Die Erfindung des Rades war auch eine tolle Sache. Lasten können so viel effektiver bewegt werden. Allerdings hat das bis heute auch zu einer ungeheuren Beschleunigung unserer Lebensabläufe geführt. Auch die Erfindung des Automobils hat viele gute Seiten gehabt. Allerdings leben wir nach gut 120 Jahren nun unter einem Himmel, dessen Atmosphäre fast schon zerstört ist Fortschritt ist zunächst nicht verwerflich. Er gehört zum Auftrag des Menschen, sich die Erde Untertan zu machen. Der Tribut, der dafür gezahlt werden muss, sollte aber auch im Blick bleiben. Achten wir noch einmal auf die Sprache: Wohlan! heißt es da. Das ist nicht bloß eine Aufforderung. Das klingt nach einer Art Mobilmachung der Massen. Auch mit Sprache kann man Gewalt ausüben. Wer wüsste das besser als wir Deutschen? Das Wortspiel, das sich dann hinter den hebräischen Buchstaben verbirgt, ist allerdings nur schwer zu übersetzen. Wohlan, lasst uns Ziegel ziegeln und einen Brand brennen, ist nur ein schwacher Versuch. Ich höre dahinter eine Anspielung auf das Geschick der Israeliten in Ägypten: Da zwangen die Ägypter die Israeliten unbarmherzig zum Dienst und machten ihnen das Leben sauer mit schwerer Arbeit in Ton und Ziegeln und mancherlei Frondienst auf dem Felde mit all ihrer Arbeit, die sie ihnen auflegten ohne Erbarmen. So heißt es im 2. Mosebuch.

Wenn wir auf die Sprache achten, dann bemerken wir, dass Gewalt und Sklaverei die Kehrseite des Strebens nach Fortschritt und Wohlstand werden können. Es ist ja längst kein Geheimnis der Globalisierung mehr, dass Städte und Türme hier im Norden mit den Slums der Menschen und den Wunden der Erde im Süden zu tun haben. Die Spitze des Turms jedenfalls soll bis in den Himmel reichen. Und der Himmel war nach antiker Vorstellung der Wohnort für Gott. Wenn jener Turm bis in den Himmel reichen soll, dann muss das nicht gleich etwas Verwerfliches bedeuten. Es könnte ja der tief sitzende Wunsch dahinter stehen, wieder mit Gott in Kontakt zu kommen. Bedenken wir: Nach der Geschichte mit Adam und Eva und ihrem Rauswurf war die unmittelbare Nähe zum Schöpfer verspielt. Der Mensch lebt nun jenseits von Eden, außerhalb vom Paradies. Und das heißt auch: in einer schmerzlichen Distanz zu Gott. Die Turmbaugeschichte erzählt also auch davon, wie der Mensch diese Distanz von sich aus überbrücken will. Man könnte sagen: Dieser Turm wird auch gebaut aus Frömmigkeit. Das mag auf den ersten Blick irritieren. Aber so gesehen hat der Turm zu Babel mehr mit dem Kölner Dom gemein, als wir vermuten. Wir sehen ihn heraus grinsen im Wetteifer mancher Dörfer, die um jeden Preis den höheren Kirchturm, die größere Kirche oder die schöneren Glocken haben mussten als ihre Nachbarn. So sehr der Wunsch verständlich ist, mit dem Turm die Nähe Gottes wieder herzustellen, so sehr können wir darin aber auch die Ur-Sünde des Menschen entdecken, zu sein wie Gott. Sich selber dazu aufzuschwingen. Die Menschen wollen sich ein Denkmal setzen. Zeigen, was aus ihnen geworden ist und noch werden kann, notfalls ohne Gott. Leistung ist alles. Was machbar ist, das wird auch gemacht werden. Hoch und immer höher soll es gehen. Das kennen wir heute aus ganz anderen Zusammenhängen. Noch heute gibt es den Wettlauf, das höchste Gebäude zu errichten. Als Zeichen der eigenen Wirtschaftskraft. Lange stand das höchste Gebäude der Welt in New York. Dann in Thailand, in Taiwan, in China. Zurzeit ist es mit 828 Metern der Burj Chalifa in Dubai City. Hoch und immer höher hinaus. Das kennen wir auch von unserer Wirtschaftsideologie. Es kann und muss eigentlich immer ein Mehr an Wachstum geben. Obwohl keiner sagen kann, wozu. Und denken Sie bitte jetzt nicht das A Wort. Arbeitsplätze. Uns könnte zum Feiertag der Brechreiz kommen. Es ist die Ideologie, die Irrlehre unserer Tage, der wir uns mit Haut und Haar verschrieben haben, und zu der es keine Alternative zu geben scheint. Über Epochen der Geschichte hatte jedes Wirtschaftswachstum nur das eine Ziel: eine langsam aber stetig wachsende Bevölkerung satt zu bekommen. Doch bei uns? Wir in Europa werden weniger. Wozu also Wachstum hier bei uns? Exportweltmeister sein, und wachsen wie bisher, heißt: Geld von wo anders zu uns her holen. Es hier anzulegen und sich an Börsenkursen aufzugeilen. Am besten in Rohstoffpapieren. Oder in Anteilscheinen auf die Weltgetreide Ernten der nächsten 20 Jahre Ein Prozentpunkt rauf, und wir werden reicher, auch ohne zu arbeiten. Einen runter: Upps! Da werden ein paar hunderttausend Bauern in der dritten Welt wohl fasten müssen Kein Wunder, hätten sie sich um Wachstum bemüht!? Doch wehe, wenn sich ein paar Ober-Spekulanten verrechnen. Krise, Absturz, bitte helft uns, helft! Wir tun s auch nie wieder! Jedenfalls nicht gleich Auch wir schichten Stein auf Stein, oder sollte ich sagen Schein auf Schein? - wie Babel. Hoch und immer höher hinauf. Das gilt in so vielen Bereichen. In Genlabors den Schöpfer spielen. In schlauen Brütern die Atome spalten, auf Teufel komm raus. So ist der Turm auch ein Symbol dafür, wie der Mensch nicht bereit ist, sich mit den Grenzen seines Geschöpf-Seins abzufinden. Der Mensch überschreitet das Maß des Menschlichen, treibt seine eigene Entwicklung voran.

Und Gott? Er setzt dem menschlichen Treiben eine Grenze. Man möchte rufen: Endlich! Da fuhr der HERR hernieder, heißt es nicht ohne Ironie in unserer Geschichte. Gott muß erst einmal herabkommen. Sich beugen und die Augen reiben, um den Spielzeug-Turm zu sehen, der doch so groß sein sollte, dass er bis in den Himmel reicht. Der Mensch hat wohl jedes Augenmaß verloren. Wie schon die Paradiesgeschichte ist dieses Setzen einer Grenze auch hier mit einem Verlust verbunden. Dem Verlust einer zuvor einheitlichen Sprache. Manche mögen das als Strafe empfinden. Ich sehe das anders. Eine Strafe ist, so sein zu müssen wie in dieser Geschichte. Immer mehr zu wollen. Immer höher hinauf, immer besser, immer größer, immer reicher. Ohne zu wissen, wozu. Dass Gott die Sprache der Menschen verwirrt, bewahrt vor schlimmerem. Gott setzt dem Größenwahn eine (vorübergehende) Grenze. Der Traum vom ÜBER-Menschen wird zerstört. Und indem Gott das tut, bewahrt er davor, dass wir UN-Menschen werden. Die vielen Sprachen am Ende sind vergleichbar mit den Schurzen, die Gott dem ersten Menschpaar gibt, als er sie hinaus in jene Freiheit treibt, in die sie wollten. Mit dem Turmbau zu Babel und seinem bescheidenen Ausgang endet die biblische Urgeschichte. Danach schlägt Gott noch einmal ein neues Kapitel auf. Gott beginnt noch einmal von vorn und ruft aus ebenjenem Lande zwei Menschen heraus, in dem der Turm gebaut wurde. Es sind Abraham und Sarah aus Haran. Gott gibt den beiden, worum sie nicht gebeten und was sie - im Gegensatz zu den Turmbauern - auch nicht erstrebt hatten: Er gibt ihnen einen Namen, ein Land und seinen Segen. Ihrer soll gedacht werden auf ewig. Weil sie sich Gott anvertrauten. Und aus diesem Volk lässt Gott viel später seinen Sohn Jesus Christus kommen. Mit IHM und in IHM kommt Gott noch weit tiefer herab, als es beim Turmbau zu Babel der Fall war. Er bückt sich bis in den Dreck von Bethlehem und in die Brühe des Jordan. Gott kommt in seine Welt, in den Sprachraum von uns Menschen. Und er spricht die Sprache der Liebe. Eine, die jeder versteht. Nimmt sich Zeit für die Schwachen. Geht zu auf die Leute am Rand. Hält quäkende Kinder im Arm. Heilt Wunden und macht Hungrige satt. Der Gottessohn gebraucht die Grammatik jener Welt, wie Gott sie sich gedacht hat. Um zu lieben, zu trösten, zu verbinden braucht es keine Übersetzer. Nur Nachahmer. Und der samaritanische Aussätzige, die syro-phönizische Frau, der hebräische Zöllner und der lateinische Hauptmann, sie haben verstanden. Was beim Turmbau zunächst nur eine Notlösung war die Sprache zu verwirren das wird nun auf den Punkt gebracht: Im Leben, Sterben und Auferstehen von Christus hat Gott die Lösung unseres Problems. Die Lösung heißt ER-Lösung. Jesus stirbt - und wird auferweckt - für alle. Es gibt einen guten Grund, die Turmbaugeschichte gerade an Pfingsten zu erzählen. Denn am Pfingsttag, so erzählt die Bibel, waren Menschen aus allen Sprachen in Jerusalem. Sie beteten dort und sie waren wohl auch fromm. Doch als der Heilige Geist über die Jünger kam, als ER sie ermutigte und aus der Deckung trieb und sie die Frohe Botschaft verkündeten, da haben alle, die es hörten, auf einmal auch verstanden. Auch dazu schenkt Gott seinen Geist: zum Verstehen. Denn das Beherrschen von Sprachen, selbst frommer Sprachen, ist für sich allein zu gar nichts nütze. Gott kehrt zu Pfingsten die Sprachverwirrung nicht einfach um. Denn auch das Reden, auch unsere Wörter, gehören zu dieser vergänglichen Welt. Der Geist lindert das Trennende, und ER gibt damit einen Vorgeschmack auf Gottes neue Welt, wo wir einander ganz verstehen.

Gottes Geist schenkt den Menschen, an denen ER wirkt, eine neue Sprache. Es ist nicht länger die Sprache Babels. Die Deklination von Ich Mir Meiner Mich. Die Sprache, die zum Über- und zum Unmenschen führt. Es ist eine Sprache, die uns nachdenklich macht. Die uns in Kontakt bringt mit Gott. Weil sie uns Worte auf die Zunge legt, auf die wir nicht von selber kommen. Worte, mit denen wir beten können, und die aus fremden Konkurrenten unsere Geschwister macht. Wer von solcher Sprache berührt ist, der will keine Türme mehr bauen. Der lässt das Höher - Größer - Reicher hinter sich. Wer von der Sprache Christi, der Sprache des Vaters und des Geistes berührt wird, der wird zum lebendigen Stein in einem Bauwerk, das nicht von Menschen gemacht ist, sondern durch Gottes Geist gestiftet: Die Kirche Jesu Christi, zu deren Gliedern wir in unsrer Taufe geworden sind. Wer von Gottes Geist, von seiner Sprache berührt ist, der muss sich auch keinen Namen mehr machen. Weil er schon längst bei Gott einen Namen hat. Eingeschrieben im Buch des Lebens auf ewig. Fürchtet euch nicht. Denn ER hat uns erlöst. Er hat uns beim Namen gerufen. Wir sind sein. Und der Friede Gottes, der mehr umfasst, als wir verstehen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. Predigtlied: Singt von Hoffnung, Nr. 23