Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation, auch bekannt als Bewegung Freies Deutschland

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Transkript:

22. Januar 2009 Dr. Annette Neumann Betriebszellen der Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation Zur SJB-Organisation Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation, auch bekannt als Bewegung Freies Deutschland gehört zu den größten Widerstandsorganisationen aus der Arbeiterbewegung, die in der Endzeit des Naziregimes - von 1942 bis 1945 - im Berliner Stadtbereich aktiv war, Verbindungen zu anderen kommunistischen Widerstandsgruppen im Reich, aber auch zum sozialdemokratischen Widerstand und zu bürgerlichen Oppositionskreisen hatte. Sie wurde initiiert, organisiert und koordiniert von den kommunistischen Funktionären Anton Saefkow, Franz Jacob und Bernhard Bästlein, wuchs aber bald über diesen ursprünglichen Rahmen hinaus. Zu den rund 450 Akteuren der Untergrundorganisation gehörten vornehmlich Arbeiter aber auch Ärzte, Lehrer, Ingenieure und Künstler. Circa 200 von ihnen waren vor 1933 in der KPD, 22 in der SPD bzw. SAP organisiert, ebenfalls rund 200 waren parteilos; jede vierte war eine Frau. Ca. 160 Männer und Frauen waren vor 1933 gewerkschaftlich organisiert, über 60 davon im DMV. Sie alle handelten mit Zivilcourage und Entschlossenheit gegen Krieg und Nazidiktatur, gegen Unrecht, Intoleranz und Antisemitismus. Fast 300 von ihnen wurden seit Sommer 1944 verhaftet; 104 Frauen und Männer bezahlten diesen Einsatz mit ihrem Leben. Sie wurden 1

hingerichtet, in Untersuchungs- bzw. Vollstreckungshaft oder Konzentrationslagern ermordet oder verloren auf andere Weise ihr Leben. Ende des Jahres 1942 fanden sich Saefkow und Jacob in Berlin zusammen, im Frühjahr 1944 stieß auch Bästlein dazu und bildete mit ihnen den Dreierkopf wie die Gestapo später diese Führungsgruppe nannte. Die drei verstanden sich als illegale Leitung der Berliner KPD und entwickelten in Anknüpfung an die Widerstandserfahrung der 30er Jahre und unabhängig von der KPD-Führung im sowjetischen Exil eigene Vorstellungen für die illegale Arbeit und für den politischen Neuanfang nach dem Sturz des Naziregimes. Zu den Betriebsgruppen Der Aufbau von illegalen Betriebsgruppen vor allem in der Rüstungsindustrie war eine entscheidende Organisationsbasis für den Widerstand der SJB-Gruppe. Das referiert sich jetzt leicht. Aber dahinter verbarg sich die Frage, wie kann man mitten im Krieg Männer und Frauen in großer Zahl für den betrieblichen Widerstand gewinnen. Schließlich waren seit 1933 immer wieder Widerstandsgruppen aus der Arbeiterbewegung liquidiert und ihre Akteure in Zuchthäusern und Konzentrationslagern eingesperrt worden. In den Betrieben gab es einen funktionierenden Werkschutz, Abwehrbeauftragte, Zuträger u.ä. Wer sich gegen Ende des Krieges auf Aktivitäten gegen das Naziregime einließ, begab sich in ernste Gefahr, riskierte sein Leben. Umso höher ist zu bewerten, daß es gelang, betriebliche Widerstandsgruppen aufzubauen und sie zu vernetzen. Bei der Rekrutierungsarbeit ließen sich die Organisatoren davon leiten, wer war vor 1933 gewerkschaftlich organisiert, wer gehörte zur KPD oder wen kannte man aus Arbeitersportvereinen. Und bei wem konnte man sicher sein, daß er nicht von der Naziideologie infiziert war. In einigen Betrieben waren auch Sozialdemokraten in diese Gruppen einbezogen. So tastete man sich voran und schließlich 2

gelang es 1943/44 für das Ziel Fort mit Hitler. Schluß mit dem Krieg! zahlreiche Mitstreiter zu mobilisieren, konspirative Strukturen aufzubauen und Verbindungen zu ca. 70 Berliner Betrieben, zu Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern zu knüpfen. Das Schema im Hintergrund zeigt Betriebe, zu denen Verbindungen existierten oder in denen es Widerstandsgruppen gab. In den meisten dieser Betriebe waren ein oder zwei NS-Gegner aktiv, über die eine Verbindung zur SJB-Organisation bestand. In 15 bis 20 Berliner Betrieben existierten Betriebsgruppen von bis zu 20, 30 oder 40 Personen. Die größten Betriebsgruppen der SJB-Organisation gab es in der Maschinen- und Armaturenfabrik Teves in Wittenau mit ca. 40 Personen bei einer Belegschaft von rund 2400 dies nur, um an dieser Stelle die Relationen deutlich zu machen. Bei den Argus- Motorenwerken in Reinickendorf waren es 20 bis 30, in den Siemenswerken über 20 Personen. Auch in der Askania-Werke AG in Mariendorf und Weißensee, im Kettenwerk Alkett in Tegel-Borsigwalde, bei der Firma Ludwig Loewe in Moabit und bei der Zahnräderfabrik Friedrich Stolzenberg in Reinickendorf waren größere Betriebsgruppen aktiv. Bei der Betriebsarbeit ging es darum, mündlich oder über Handzettel, Flugblätter u.ä. Informationen über den tatsächlichen Kriegsverlauf und über tagespolitische Ereignisse in Umlauf zu setzen, Quartiere für illegal lebende Mitstreiter zu organisieren, Geld und Lebensmittelkarten zu sammeln und Informationen aus den Betrieben, insbesondere die Rüstung betreffend, auszuwerten sowie eventuelle Sabotageaktionen zu starten. Die Solidarität mit Zwangsarbeitern und gegebenenfalls die Zusammenarbeit mit ihnen war in den 40er Jahren wichtiger Bestandteil der betrieblichen Widerstandsarbeit. 3

Zur Unterstützung dieser Betriebsgruppen haben die Organisatoren Instrukteure eingesetzt, die die Betriebe mit Flugschriften und anderen Materialien versorgten und Rückkopplung ermöglichten, also Reaktionen und Informationen zurückbrachten. Erich Fähling z.b., der als Schriftsetzer in der Buch- und Offsetdruckerei Bertinetti beschäftigt war, stieß 1943 zur SJB- Gruppe und hielt die Verbindung zu Betrieben im Berliner Osten, vor allem zu Hasse & Wrede in Marzahn, zur Siemens Plania AG und zu Osram Warschauer Brücke. Als Fachmann brachte er sich auch in den Herstellungsprozeß von Flugblättern ein und war an der Beschaffung einer Druckmaschine für die Organisation beteiligt. Weitere Instrukteure waren: Fritz Goltz - Verbindungsmann zu Argus, Alkett, Teves u.a. Betriebe im Berliner Norden; Max Sauer Tegeler Gaswerke, AWG Weißensee u.a. Betriebe im Osten der Stadt. Sauer organisierte darüberhinaus Hilfsaktionen für jüdische Freunde, gab ihnen Unterkunft und besorgte falsche Papiere. Das Thema: Juden in der SFJ-Organisation also Unterstützung für jüdische Mitstreiter und Zusammenarbeit im Widerstand wäre so wie auch der Anteil der Frauen einen extra Abschnitt wert. Schließlich gehörten zu den Instrukteuren Wilhelm Moll (Siemens & Halske), Hermann Michaelis (Siemens-Betriebsgruppen) und Gustav Wegener (Askania Werke, AEG, Bosse, Kabelwerk Schönow, Bramo Basdorf u.a.). Einen wichtigen Stellenwert in der Widerstandsarbeit kam der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern zu. Heute können sich die meisten Menschen nicht mehr vorstellen, wie kompliziert es war, unter illegalen Bedingungen Flugschriften herzustellen. Texte mußten entworfen, die Flugblätter gedruckt und verteilt werden. Zur Beschaffung von Papier und Druckmaschinen brauchte man Geld insgesamt ein beträchtlicher organisatorischer Aufwand. Eines dieser Flugblätter vom Frühjahr 1944 mit dem Titel Arbeiter und Arbeiterinnen der Berliner Betriebe! ist in ca. 2000 Exemplaren gedruckt worden und aus Nazijustizakten 4

wissen wir, daß es ein relativ breites Echo fand, weil es auf geschickte Weise an die Arbeitsund Lebensbedingungen im 5. Kriegsjahr anknüpfte. Dort heißt es: Setzt Euch gegen die Weiterführung des Krieges zur Wehr! Verweigert die 12stündige Arbeitszeit! Verlangt Euren freien Sonntag und den freien Sonnabendnachmittag! Fordert die Erhöhung der Lebensmittelrationen! Drückt Euch mit allen Mitteln vor der Verlängerung der Arbeitszeit und sabotiert jede Maßnahme, die höhere Arbeitsleistung aus Euch herauspressen soll! Es endet mit dem eindringlichen Appell: Die Arbeiter beendeten den ersten Weltkrieg! Sie müssen auch den Schluß des zweiten erzwingen!. Im Folgenden zwei Beispiele: 1. Beispiel: Zahnräderfabrik Friedrich Stolzenberg in Reinickendorf Um den Meister Max Sauer fand sich hier eine rührige Widerstandsgruppe zusammen, deren Kern aus Siegfried Forstreuter, Karl Lüdtke, Harry Harder und Waldemar Hentze bestand. Sauer versorgte als Verbindungsmann die Gruppe mit Flugschriften und anderen illegalen Materialien. Sie trafen sich wiederholt mit Saefkow und anderen in den Wohnungen von Forstreuter, Harder und Lüdtke zu Diskussionen. Lüdtke nahm den illegal lebenden Jacob bei sich auf. Harder stellte über einen Freund Verbindung zu einem Kriegsgefangenenlager in Fürstenberg her und versorgte französische, sowjetische und serbische Kriegsgefangene mit Informationen und Materialien und brachte Reaktionen zur Zentrale zurück. Verhaftet im Juli 1944 wurden Forstreuter, Lüdtke und Harder vom VGH zum Tode verurteilt. Ein interessantes Detail: Von zwei Meistern aus der Firma ist ein Gnadengesuch für Karl Lüdtke überliefert. Dieses Gnadengesuch ist wie alle Gnadengesuche nach Todesurteilen abgelehnt worden. Aber dennoch ist dies ein anrührendes Beispiel für Solidarität. Auch aus einigen anderen Betrieben sind solche Gnadengesuche bekannt, in Einzelfällen gab es sogar 5

Unterschriftensammlungen für Verurteilte, was vom obersten Ankläger des VGH F Parrisius sehr übel vermerkt worden ist. Die Belegschaft der Firma Stolzenberg hat 1946 eine Gedenktafel zu Ehren der 4 toten Kollegen am Werktor angebracht. Auf der Tafel ist neben den Namen so eine Art Schlußwort von Karl Lüdtke nach der Urteilsverkündung zu lesen: Lieber vom Feind erschlagen, als für den Feind zufallen! Das war ein Gedanke, der so oder ganz ähnlich in mehreren Abschiedsbriefen von Hingerichteten zu finden ist. 2. Beispiel: Askania-Werke AG in Alt-Mariendorf, Weißensee Hier wurden kriegswichtige Präzisionsinstrumente produziert. In diesem Betrieb mit einer Belegschaft von ca. 2000 Mann fand sich eine größere Gruppe von NS Gegnern zusammen. Den Kern dieser Gruppe von 30-40 Personen bildeten Paul Hirsch, Paul Junius und Karl Lade. Sie hatten über den Franzosen Jaques Seintier Kontakt zu französischen Zwangsarbeitern und gaben Flugschriften z.b. auch in französischer Sprache weiter. Als nach 1941 sogenannte Ostarbeiter aus der Sowjetunion bei Askania eingesetzt waren, wurden mehrere Kollegen mobilisiert; sie sammelten Lebensmittel, Zigaretten, Medikamente, Kleidung und zeigten ihre Solidarität, indem sie Nachrichten von Feindsendern über den Kriegsverlauf übermittelten. An Sabotageakten in der Rüstungsindustrie waren eine ganze Reihe Männer und Frauen in Berliner Rüstungsbetrieben beteiligt. Über derartige Handlungen ist relativ wenig bekannt, aber einigen Akteuren von 1943/44 verdanken wir interessante Berichte. Bei Sabotageaktionen ging es nicht etwa um spektakuläre Unternehmungen, sondern darum, mit Umsicht und größter Vorsicht Störfälle zu arrangieren und als zufällige technische Defekte zu tarnen. So berichtet Gerhard Zeidler, wie bei Askania um bei unserem Beispiel zu bleiben - Maschinen für mehrere Tage außer Betrieb gesetzt wurden, indem 6

schwerbeschaffbares Spezialöl abgelassen wurde. Werkstücke wurden so manipuliert, daß sie im Endeffekt nicht funktionstüchtig waren oder Drehbänke wurden stillgelegt, indem Maschinenöl im zentralen Ölkanister, aus dem die Arbeiter sich bei Schichtbeginn ihre Ölkannen füllten, verunreinigt wurde. Nach einiger Zeit fielen dann nacheinander die Werkbänke aus. Keiner dieser Sabotageakte wurde als solcher erkannt und so zum Auslöser für Gestapoermittlungen oder Verhaftungen. Dennoch gerieten die Aktivisten von Askania 1944 in den Strudel der Ereignisse. Zur Jahreswende 1943/44 geriet die SJB-Gruppe ins Visier des RSHA, der Gestapo. Zu diesem Zeitpunkt wurden Ermittlungen gegen die Verfasser und Verteiler von Flugschriften aufgenommen, die Ende 1943 in Berlin und Randgebieten aufgetaucht waren. Es wurde eine Gestapo-Sonderkommission gebildet, die mit Hochdruck ermittelte, wochenlang Personen observierte und der es gelang, einen Gestapospitzel im Umkreis des Dreierkopfes zu platzieren. Dabei handelte es sich um den kommunistischen Funktionär Ernst Rambow, den Saefkow aus gemeinsamer Arbeit vor 1933 und aus dem Zuchthaus Oslebshausen kannte und der ihm deshalb vertraute. Als Rambow Anfang 1944 zur Saefkow-Jacob-Bästlein- Gruppe stieß, stand er bereits seit längerem in den Diensten der Gestapo. Nachdem Bästlein und Anfang Juli 1944 Saefkow und Jacob festgenommen waren rollte eine große Verhaftungswelle an, die sich bis ins Jahr 1945 erstreckte und der allein im Juli über 60 Mitstreiter zum Opfer fielen. Zu den ersten Opfern zählten auch 21 Arbeiter der Betriebsgruppe von Askania, die alle im Juli/August 1944 festgenommen wurden. Sie wurden angeklagt wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung oder Nichtanzeige dieser Delikte und Ende 1944 in mehreren Prozessen vom Volksgerichtshof verurteilt. Der Chef des Werkschutzes von Askania, Dr. Müller, begründete seinen Antrag auf Prozeß-Teilnahme mit dem Hinweis, daß er das 7

Verfahren gegen die Angeklagten mit in Gang gesetzt habe. Dieser Vorgang illustriert eindrucksvoll die Gefahren illegaler Arbeit angesichts von Werkschutzeinrichtungen und Abwehrbeauftragten, die es in jeder Firma gab. Sechs Männer Karl Lade, Karl Rühlmann, Walter Zimmermann, Stanislaus Szczygielski, Herrmann Wolff und Paul Hirsch haben ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt. Lade, Zimmermann, Szczygielski und Rühlmann sind zum Tode verurteilt und im Januar 1945 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet worden, Wolff starb im Zuchthaus in Vollstreckungshaft und Hirsch, der auf dem Weg zu seiner Verhandlung vor dem VGH fliehen konnte, kam später auf tragische Weise ums Leben. Die anderen sechs sind zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden und haben im Zuchthaus Brandenburg ihre Befreiung erlebt. Wir streben an, im Juni 2009 in Berlin mit einer Ausstellung die Geschichte, die Aktivitäten und die Verfolgung der SJB-Widerstandsorganisation zu zeigen. Von den 104 Toten dieser Gruppe haben rund 50 niemals eine öffentliche Ehrung erfahren. Diese zumeist völlig unbekannten Männer und Frauen sollen mit Stolpersteinen geehrt werden, um sie so dem Vergessen zu entziehen. 26 dieser Stolpersteine sind bereits verlegt worden, z.t. in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Für März ist die Verlegung weiterer 8 Steine in Reinickendorf vorgesehen. Es sind dies: Heinz Drzymala und Karl Fübinger (Teves), Friedrich Nitschke (Kinotechnische Werkstatt), Franz Pieper (AEG Drontheimer Straße), Pauline Schmidt, Walter Zimmermann (Askania) und Hans Schulz (Fa. Loewe). 8