«Eisen zu viel oder zu wenig?»



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Medizinische Fortbildungsveranstaltungen «Eisen zu viel oder zu wenig?» in redaktioneller eller Zusammenarbeit mit: Schweizerisches Medizin-Forum Swiss Medical Forum Forum Médical Suisse und fördern dieses Projekt, um die Hausärzte in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Die Sponsoren haben keinen Einfluss auf den Inhalt der Fortbildung. Die Fortbildung ist produktneutral.

Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Photis Beris Prof. Dr. Reto Krapf Dr. Edy Riesen Prof. Dr. Rolf A. Streuli Prof. Dr. AndréTichelli Prof. Dr. Walter A. Wuillemin Die Beiträge basieren auf folgenden Fortbildungsartikeln: «Die transfusionsassozierte Eisenüberlastung» von Laura Infanti und Reto Krapf, erschienen in Schweiz Med Forum 2009;9(23):417 420 «Eisenmangel ohne Anämie ein heisses Eisen?» von Ferdinand Martius, erschienen in Schweiz Med Forum 2009;9(15 16):294 299 Bildnachweis: Titelbild und Seite 2 Knorre / Dreamstime.com Seite 8 Aniram / Dreamstime.com

Eisen intravenös Sündenfall oder Apfel der Erkenntnis? Edy Riesen Im VW Käfer, den die Tochter des Landarztes jeweils dem Vertreter ausleihen musste, ging es nachmittags in der ausgedehnten Bauerngemeinde auf die Aussenhöfe und Weiler des Luzerner Hinterlandes. Der liebenswürdige Abteilungsassistent im ersten Praktikum meines Wahlstudienjahres hatte mich Anfang der 70er Jahre, das heisst zwei Jahre vor dem Staatsexamen, überredet, meine erste Praxisvertretung zu machen. Ich würde gut eingeführt werden von der tüchtigen Landarztfrau. Mit der Unverblümtheit des jungen Menschen und unter dem Diktat der gestrengen Ehefrau des Arztes (der im Ferienhaus weilte) ging ich an die Arbeit. Manche Dinge vergisst man bekanntlich nie. So sehe ich immer noch die grosse Zwanzigerspritze vor mir, in die ich Vitamin-B- Komplex, Strophantin und Eisen aufzuziehen hatte. Der Nutzniesser dieses imposanten Cocktails war ein mageres, schütteres Männchen, ehemaliger Posthalter des Weilers und jetzt herzinsuffizient und anämisch. Dr. M. war überzeugt, dass sein Patient von der wöchentlichen intravenösen Spritze sehr profitieren würde. Fast dreissig Jahre war dann das intravenöse Eisen weg vom Fenster, und ich machte mir während dieser Zeit manchmal stille Vorwürfe, dass ich da etwas Falsches getan hätte. Als vor einigen Jahren die neuen intravenösen Eisenpräparate auftauchten und vor allem seit die intravenöse Applikation von Eisen fast zur Tagesroutine geworden ist, habe ich zwar auch wieder gewisse Vorbehalte gegenüber der unkritischen, intravenösen Applikation. Aber mein schon lang verstorbener Kollege ist posthum definitiv rehabilitiert und mit ihm der damalige unbedarfte Student der Medizin, der viel zu lange Gewissensbisse hegte. Es gibt viele Gründe, warum es schön ist, im Beruf älter zu werden. Ein Grund ist sicher, dass der Überblick über einige Jahrzehnte Medizin einen lehrt, wie auch sakrosankte Grundsätze und Lehrmeinungen über den Haufen geworfen werden und wie immer wieder Dinge auftauchen, die schon einmal da gewesen waren. Bereits Adam hat nach der erzwungenen Aufgabe seiner phytotherapeutischen Praxis (cave Äpfel!) im Paradies bitterlich erfahren müssen, dass jegliche Überheblichkeit fehl am Platz ist. Ich würde zu gerne wissen, worüber unsere Nachfahren dereinst in fünfzig Jahren die Nase rümpfen werden. Denn dass sie es tun werden, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Erschienen in: PrimaryCare 2009; 9: Nr. 13 PrimaryCare wird im Anschluss an die ersten Fortbildungsveranstaltungen über die Workshops berichten. 1

Die transfusionsassoziierte Eisenüberlastung Das Wichtigste in Kürze für Nicht-Hämatologen Einführung Eine immer noch kleine, aber aufgrund der steigenden Lebenserwartung doch zunehmende Zahl von Patienten mit hämatologischen Erkrankungen wie myelodysplastische Syndrome, Thalassämien und andere mehr sind für das Überleben, aber ebenso auch zum Erhalt einer akzeptablen Lebensqualität auf regelmässige Erythrozyten-Transfusionen angewiesen. Die Einführung des Erythropoetins hat die Transfusionsbedürftigkeit von Patienten mit terminalem Nierenversagen praktisch eliminiert und das in dieser Patientenpopulation vormals grosse Problem der transfusionsassoziierten Eisenüberlastung massiv zurückgestuft. Der menschliche Organismus weist ein effizientes und restriktiv wirkendes System zur Verhinderung einer diätetischen Eisenüberlastung auf. Sind die Eisenspeicher ausreichend, so synthetisiert die Leber das Protein Hepzidin, welches die duodenale Eisenresorption via Internalisierung des Eisentransporter-Proteins Ferroportin hemmt. Einmal in den Körper aufgenommenes Eisen kann aber nicht effizient und vor allem nicht reguliert ausgeschieden werden. Lediglich 1 mg Eisen verlässt den Körper pro Tag über abgeschilferte Haut- und intestinale Schleimhautepithelien. Bei der Transfusion eines Erythrozytenkonzentrates gelangen 200 250 mg Eisen in den Körper, zu deren Elimination also etwa die gleiche Anzahl Tage benötigt werden. Bei rezidivierend und andauernd erforderlichen Erythrozytentransfusionen ist deshalb die Eisenüberlastung ohne Gegenmassnahmen eine obligatorische und kalkulierbare Folge. 100 Eisentransfusionen führen so zu einer Eisenüberlastung von ca. 20 g. Die Eisenüberlastung nach Transfusionen kann sich auch viel schneller als bei primären Eisenüberlastungserkrankungen wie der Hämochromatose entwickeln. Dies illustriert folgendes Rechenbeispiel: Während Patienten mit homozygoten Formen der Hämochromatose 2 3-mal mehr Eisen resorbieren als Gesunde (eine Ausnahme bildet die seltene Form der juvenilen Hämochromatose), führt eine Transfusion eines Erythrozytenkonzentrates schlagartig zu 100-mal mehr Eisen im Körper als durch eine normale intestinale Resorption an einem Tag erfolgen würde. 2

Folgen der transfusionsassoziierten Eisenüberlastung Bei progredientem Anstieg der Eisenspeicher kommt es zuerst zu einer vollständigen Sättigung des Transferrins und in Folge dann auch des intrazellulären Speicherproteins Ferritin. Sind diese Puffermechanismen erschöpft, so kommt es zur Bildung von Eisenbindung an andere, zirkulierende Moleküle (non-transferrin-bound iron [NTBI]) und zur Akkumulation von reaktiven Eisenkomplexen innerhalb von parenchymatösen Zellen. Im Rahmen des Elektrontransfers zwischen den Eisenmolekülen verschiedener Wertigkeit (Fe 3+ und Fe 2+ ) kommt es in der Folge zur Ausbildung äusserst reaktiver freier Radikale wie Hydroxyl- und Sauerstoffradikalen mit nachfolgender Gewebeschädigung. Von den Geweben sind namentlich endokrine Organe wie die Hypophyse, die Schilddrüse, die Inselzellen des Pankreas und die Gonaden betroffen. Von den parenchymatösen Organen werden primär das Herz und die Leber geschädigt. Klinisch wichtig ist, dass viele Patienten mit einer signifikanten Eisenüberlastung asymptomatisch sein können. Die initialen Symptome sind oft wenig spezifisch und umfassen Abgeschlagenheit, Arthralgien, Glukoseintoleranz, allenfalls Libidoverlust. Abbildung 1 illustriert den Zusammenhang zwischen den Serumferritinkonzentrationen und dem zu erwartenden Organschaden. Im Gegensatz zur hereditären Hämochromatose, bei der die Parenchymschädigung sich über Jahrzehnte entwickelt, ist bei der transfusionsassoziierten Eisenüberlastung der zeitliche Zusammenhang nicht klar etabliert, Schäden können aber innert weniger Jahre auftreten. Aus diesen Gründen ist die regelmässige Kontrolle der Eisenspeicher zur Verhinderung einer chronischen, bezüglich der Organschädigungen allenfalls nun irreversiblen Eisentoxizität entscheidend. Diagnostik der Eisenüberlastung In Tabelle 1 sind die diagnostischen Instrumente zur Diagnose einer Eisenüberlastung aufgeführt. Der Goldstandard ist nach wie vor die Leberbiopsie, doch weisen auch bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanz u.a. eine gute Korrelation mit den Gewebeeisenkonzentrationen und damit potentieller Organschädigung auf. In aller Ferritin (μg/l) 1250 1000 750 500 Abbildung 1 Beziehung zwischen Serumkonzentration von Ferritin und Ausmass bzw. Folgen der Eisenüberlastung. 250 Normalbereich Lebereisen Körpereisen Organschäden Leberzirrhose, erhöht erhöht fassbar Organversagen 3

Regel genügt allerdings die Bestimmung der Serumferritinkonzentration. Bei der Interpretation ist zu berücksichtigen, dass Ferritin als Akutphasen- und «Entzündungsmarker» bei interkurrenten Erkrankungen aus anderen Gründen erhöht sein kann. Unter Berücksichtigung dieser Limitationen ist die Ferritinkonzentration nicht nur der wichtigste diagnostische Test, sondern auch der beste Verlaufsparameter unter Therapie und widerspiegelt das Ausmass der Eisenspeicher immer noch am besten. Tabelle 1. Diagnostik der Eisenüberlastung. 1. Serumferritinspiegel 2. Leberbiopsie 3. Magnetresonanz-Bildgebung der Leber und des Herzens 4. SQUID (Superconducting Quantum Interference Device) Prävention und Therapie der Eisenüberlastung In Tabelle 2 sind die wichtigsten Aspekte einer Präventionsstrategie der Eisenüberlastung aufgeführt. Als wichtigste präventive Massnahme ist eine zurückhaltende Transfusionsstrategie zu nennen: «So wenig wie möglich, so viel wie nötig». Tabelle 2. Verhinderung der transfusionsassozierten Eisenüberlastung. 1. Berücksichtigung der Hämoglobinwerte in den Transfusionsempfehlungen: a Transfusionen bei einem Hämoglobin <7 g/dl oder bei Symptomen b Keine Transfusionen bei einem Hämoglobin >10 g/dl und bei fehlenden Symptomen c Bei Hämoglobinwerten zwischen 7 und 10 g/dl: individuelle Beurteilung (Komorbiditäten) 2. Erythropoetintherapie, falls möglich und wirksam 3. Eisenchelatortherapie bei Ferritinwerten von >1000 μg/l Eisenchelatortherapie In der Schweiz sind drei Eisenchelatoren zugelassen, deren wichtigste Eigenschaften in Tabelle 3 + 4 zusammengefasst sind. In jedem Fall ist eine Eisenchelatortherapie aufwendig und teuer. Für die optimale Dosierung eines Eisenchelators müssen sowohl das Therapieziel (Reduktion bzw. Stabilisierung der Eisenspeicher) als auch die Transfusionshäufigkeit einbezogen werden. Der Therapieverlauf wird mit der regelmässigen (monatlichen bis dreimonatlichen) Messung des Serumferritins kontrolliert. Dabei haben alle Eisenchelatoren eine dosisabhängige Wirkung auf die Eisenmobilisation gezeigt. Des Weiteren können Deferoxamin sowie die oral verabreichten Eisenchelatoren Deferasirox und Deferipron die Akkumulation von Eisen in der Leber und auch im Herz verhindern bzw. rückgängig machen. 4

Tabelle 3. Indikationen von in der Schweiz zugelassenen Eisenchelatoren. Deferoxamin (Desferal ) Deferipron (Ferriprox ) Deferasirox (Exjade ) Monotherapie zur Chelatbildung bei chronischer Eisenüberladung, z. B. Transfusionshämosiderosen, wie sie bei Thalassaemia major, sideroblastischer Anämie, autoimmun-hämolytischer Anämie und anderen chronischen Anämien auftreten; idiopathische (primäre) Hämochromatose bei Patienten, deren Begleiterkrankung (z.b. schwere Anämie, Herzerkrankungen, Hypoproteinämie) einen Aderlass ausschliessen; Eisenüberladung im Zusammenhang mit Porphyria cutanea tarda, bei Patienten, bei denen ein Aderlass nicht möglich ist. Behandlung der akuten Eisenvergiftung. Behandlung der chronischen Aluminiumüberladung bei Patienten mit terminalem Nierenversagen (Patienten unter Langzeit-Dialyse) mit aluminiumbedingten Knochenerkrankungen und/ oder Dialyse-Enzephalopathie und/oder aluminiumbedingter Anämie. Zur Diagnose der Eisen- und Aluminiumüberladung. Behandlung von Eisenüberladung bei Patienten mit Thalassaemia major, bei denen eine Behandlung mit Deferoxamin kontraindiziert oder ungeeignet ist. In Kombination mit Desferal bei schwerer Hämochromatose mit kardialem Befall. Behandlung der transfusionsbedingten Hämosiderose. Tabelle 4. Merkmale von in der Schweiz zugelassenen Eisenchelatoren. Übliche Tagesdosis (mg/kg/tag) Applikationsart Deferoxamin (Desferal ) Deferipron (Ferriprox ) Deferasirox (Exjade ) 25 60 75 20 30 Subkutan/intravenös 8 12 (24) Stunden, 5 Tage/Woche Oral, 3-mal täglich Oral, 1-mal täglich Halbwertszeit 20 30 Minuten 3 4 Stunden 8 16 Stunden Eliminationsweg Urin, Faeces Urin Faeces Hauptsächlichste Nebenwirkungen Kosten pro Monat (CHF), (75-kg-Individuum) Anzahl Tabletten/Tag (75-kg-Individuum) Hautreaktionen inkl. Urtikaria, selten: Katarakte, Taubheit, Mukor-Mykose, Yersinien-Infekte 1100 2150 (plus Kosten für Personal, Infusionen usw.) Arthralgien, gastrointestinale Beschwerden, selten: Leberenzymerhöhungen, sehr selten: Neutropenie/Agranulozytose Gastrointestinale Beschwerden (ca. 20%), Hautausschläge (ca. 10%), Zytopenien, Hörbeeinträchtigung, Kataraktbildung, leichte Niereninsuffizienz 1520 2846 4270 11 3 5 5

Die Applikation von Deferoxamin ist mühsam und erfordert eine mehrstündige (z.b. über Nacht) subkutane oder intravenöse Zufuhr. Diese aufwendige Verabreichung ist leider auch die Erklärung für das hohe Mass an Malcompliance unter den Patienten und damit für das Therapieversagen. Allerdings ist davon abgesehen das Deferoxamin ein meist sehr gut toleriertes Medikament. Das Ausmass der Eisenmobilisation kann durch Ascorbinsäure (Vitamin C) gefördert werden. Seh- und Hörverluste durch Deferoxamin müssen mit Beschränkung der Einzeldosis auf weniger als 2500 mg pro Infusion zu verhindern versucht werden. Eine eigenartige, seltene, den oralen Präparaten nicht eigene Nebenwirkung ist die Infektanfälligkeit auf Mukor-Pilze und Yersinien. Das erste oral verfügbare Eisenchelatorpräparat, das Deferipron (Ferriprox ) ist durch seine, wenn auch seltene, Eigenschaft, eine grundsätzlich reversible Neutropenie bis Agranulozytose zu verursachen, belastet (ca. 0,5 Agranulozytosen auf 100 Patientenbehandlungsjahre), wobei einige Todesfälle aufgetreten sind. Zusätzlich besteht der noch nicht eliminierte Verdacht, dass dieses Präparat die Fibrosierung in Leber und Herzen stimulieren könnte. Obwohl es im Vergleich zu den anderen Präparaten relativ kostengünstig ist, bedeutet die Vielzahl von Tabletten, die täglich einzunehmen sind, für die Patienten doch auch eine gewisse Belastung. Einige kleinere Untersuchungen weisen darauf hin, dass eine Kombination von Deferoxamin und Deferipron zu einer stärkeren Eisenmobilisierung führen kann, als Maximaldosen der Einzelpräparate, allerdings mit dem Nachteil der additiven Nebenwirkungen. Tabelle 5. Therapiekontrolle bei Deferasirox (Exjade )-Therapie. Kontrollparameter Transfusionszahl Serumferritin Serumkreatinin Proteinurie/Albuminurie Leberfunktionsteste Hämatologie ORL und ophthalmologische Untersuchungen Kontrollfrequenz Dauernd Monatlich, Dosisadaptation basierend auf den 3 6-monatlichen Ferritintrends Doppelbestimmung als Baseline; während des ersten Monats der Behandlung oder nach Modifikationen wöchentlich; danach monatlich Monatlich Serumtransaminasen, Bilirubin und alkalische Phosphatase als Baseline, dann im 1. Monat alle 2 Wochen, danach monatlich Hämatokrit, Leukozyten und Thrombozyten monatlich Eine Baseline-Untersuchung, dann jährlich 6

Das patientenfreundlichste Präparat ist heute Deferasirox (Exjade ), dessen Tagesdosis mit 3 bis 5 Tabletten zu erreichen ist, das aber auch mit Abstand das teuerste Medikament für diese Indikation auf dem Markt ist. Bei Deferasirox wurde gezeigt, dass es je nach Transfusionsfrequenz in einer Dosis von 20 mg/kg KG/Tag die Eisenspeicher stabilisieren (Nullbilanz, Zufuhr = Mobilisation) und in einer Dosis von 30 mg/kg KG/Tag eine Nettomobilisation von Eisen erreichen kann. Langzeitstudien mit bald 5jährigen Follow-up zeigen, dass die Tagesdosis gemäss den Trends der Ferritinspiegel über 3 6 Monate eintitriert werden muss. Trotz der ansehnlichen Follow-up-Periode bestehen Empfehlungen des entsprechenden Monitorings namentlich potentieller, bislang aber anscheinend nicht progredienter nephrotoxischer, hämatotoxischer, ototoxischer und ophthalmotoxischer Nebenwirkungen (Tab. 5). Mindestens zu Beginn der Therapie sind gastrointestinale Nebenwirkungen wie Nausea, Erbrechen und Bauchschmerzen mit 20% und Hautreaktionen bis zur leukozytoklastischen Vaskulitis mit bis zu 10% aber relativ häufig. Zusammenfassend ist die Eisenüberlastung durch Langzeittransfusionen ein seltenes, für die betroffenen Patienten und deren Ärzte aber wichtiges Problem, welches eine andauernde Therapie mit entsprechender Kontrolle erfordert. Alle Therapien sind teuer. Beim parenteralen Deferoxamin ist die Methode der Applikation umständlich, das Medikament wird aber von den Nebenwirkungen her gut toleriert. Das orale Deferipron kann Agranulozytosen verursachen. Deferasirox ist das praktikabelste Medikament, dessen Konvenienz aber durch seinen sehr hohen Preis und seine zu Therapiebeginn häufigen gastrointestinalen und kutanen Nebenwirkungen sowie die Notwendigkeit eines Monitorings erkauft wird. Empfohlene Literatur Cappellini MD. Long-term efficacy and safety of deferasirox. Blood Reviews. 2008;22(Suppl 2):S35 S41. Masche UP. Deferasirox. Pharma-Kritik. 2006;2:6. Murphy MF, et al. British Committee for Standards in Haematology, Blood Transfusion Task Force. Br J Haematol. 2001;113:24 32. Cohen AR, et al. Effect of transfusional iron intake on response to chelation therapy in thalassemia major. Blood. 2008;111:583 94. Matmani M, et al. Influence of iron chelators on myocardial iron and cardiac function in transfusiondependent thalassaemia: a systematic review and meta-analysis. Br J Haematol. 2008;141:882 90. Demarmels-Biasutti F. Regulation des Eisenstoffwechsels. SMF. 2009, im Druck. Arzneimittel-Kompendium der Schweiz. www.kompendium.ch Deferasirox: Pennell DJ, Porter JB, Cappellini MD, Li C-K, Aydinok Y, et al. Efficacy and safety of deferasirox (Exjade) in reducing cardiac iron in patients with β-thalassemia major: Results from the cardiac substudy of the EPIC trial. In ASH Annual Meeting, San Francisco, USA, 6 9 December 2008; Blood (ASH Annual Meeting Abstracts) 2008 112: Abstract 3873. Deferiprone: Pennell DJ, Berdoukas V, Karagiorga M, Ladis V, Piga A, et al. Randomized controlled trial of deferiprone or deferoxamine in beta-thalassemia major patients with asymptomatic myocardial siderosis. Blood. 2006;107(9):3738 44. Der Text dieser Broschüre ist eine per 10. 7. 2009 durch R. Krapf und E. Weber (Novartis Pharma Schweiz AG) ergänzte und aktualisierte Version des ursprünglich im Schweizerischen Medizin-Forum SMF Nr. 23/2009 erschienenen Fortbildungsartikels. Dieser Artikel liegt auf der Website im Volltext vor, siehe www.medicalforum.ch 7

Eisenmangel ohne Anämie Nichthämatologische Auswirkungen des Eisenmangels: Welches sind die Grundlagen, welche Bedeutung haben sie? Das Thema «Eisenmangel ohne Anämie» ist aktuell und nicht unumstritten. Das Aufkommen von gut verträglichen parenteralen Eisenpräparaten hat der Diskussion zusätzlich Auftrieb gegeben. Grundlagen Das gesamte Körpereisen bei einem gesunden Mann beträgt 3,5 4 g, bei einer Frau 2,5 3 g. Es setzt sich zusammen aus ca. 1200 mg Speichereisen, gebunden in Ferritin oder Hämosiderin, der Rest ist Funktionseisen: 2500 mg Hb-Eisen, 150 mg Myoglobineisen, 80 mg freies intrazelluläres Eisen, 8 mg Enzymeisen. Das Transportsegment umfasst ca. 3 mg transferringebundenes Eisen, dieses wird etwa 8-mal pro Tag umgesetzt, d.h. aus den RES-Speichern in die Erythropoese verschoben. Die Erythropoese benötigt also jeden Tag etwa 25 mg Eisen. Die täglichen Verluste im Darm liegen bei 1 2 mg, die präzis regulierte Resorption im Darm beträgt entsprechend 1 2 mg für Männer und postmenopausale Frauen, 3 4 mg für menstruierende Frauen. 1 mg zusätzlich resorbiertes Eisen pro Tag (30 mg/monat) kann einen menstruellen Blutverlust von ca. 70 ml kompensieren. Eisen spielt in vielen Proteinen des Körpers als Sauerstoffbinder oder als Katalysator eine zentrale Rolle, wobei es in verschiedener chemischer Konstellation vorliegen kann (Tabelle 1). Tabelle 1. Einige eisenhaltige Proteine und Enzyme. Protein, resp. Enzym Name Funktion Hämhaltige Proteine (Eisen in Porphyrinring) Eisen-Schwefel- Verbindungen Eisen Flavoproteine Hämoglobin Myoglobin Cytochrome Cytochromoxidasen Peroxidasen Katalasen Aconitase Succinyldehydrogenase Cytochromreduktasen NADH-Dehydrogenase Acyl-CoA Dehydrogenase Xanthinoxidase O 2-Transport und -speicherung, Zellatmung, Entgiftung Schutz vor oxidativer Schädigung Enzym des Zitronensäurezyklus, gleichzeitig ein Regulator des Eisenstoffwechsels Energiestoffwechsel Purinstoffwechsel 8

Der Eisenmangel lässt sich grob in 3 Stufen einteilen: 1 Negative Eisenbilanz mit Abbau der Speicher. 2 Leere Eisenspeicher ohne Anämie. Eisenabhängige Stoffwechselprozesse sind möglicherweise beeinträchtigt. Synonyme: Eisenmangel ohne Anämie (EoA), non-anemic iron deficiency, mild iron deficiency. 3 Manifeste Eisenmangelanämie. Epidemiologische Untersuchungen in Europa und Amerika zeigen, dass etwa 15% aller Frauen im Menstruationsalter die Kriterien eines EoA erfüllen. Etwa 3% haben eine manifeste Eisenmangelanämie. Nichthämatologische Effekte bei EoA Die Datenlage, inwieweit nichthämatologische Effekte bei EoA klinisch relevant sind, soll in der Folge kurz beleuchtet werden. Lange Zeit war der EoA vorwiegend ein Untersuchungsgegenstand der Sportmedizin, die versuchte, die Leistung von Athletinnen und Athleten zu optimieren. Muskelkraft und Ausdauer Bereits in den siebziger Jahren wurden elegante Tierversuche durchgeführt. Eisenarm ernährte, anämische Ratten wurden auf ein Hämoglobin von 6 g/dl transfundiert, Ratten mit vollen Speichern auf denselben Wert mit Austauschtransfusionen eingestellt. Im Laufrad liefen beide Gruppen weniger als 10 Minuten bis zur Erschöpfung. Anschliessend wurden beide Gruppen sukzessive wieder auf normale Hb-Werte auftransfundiert. Nur die Gruppe mit vollen Gewebeeisenspeichern verbesserte sich bezüglich Ausdauer auf 20 Minuten, die andere blieb trotz Transfusion unverändert bei 10 Minuten. Nicht ein Myoglobinmangel, sondern ein Mangel an mitochondrialer a-glycerophosphatase korrelierte mit der mangelnden Leistungsfähigkeit. Diese Tierexperimente sind allerdings nicht tel quel auf die EoA-Situation übertragbar, da hier ein viel schwererer Gewebeeisenmangel vorlag. Die meisten interventionellen Studien widmen sich dem Thema der muskulären Leistungsfähigkeit und Ausdauer. Da die ATP-Produktion eisenabhängig ist, besteht eine plausible Erklärung der Fe-Wirkung. Einige ältere Studien zeigen keinen Effekt, die neueren der letzten 15 Jahre in der Regel eine Verbesserung der muskulären Funktionen unter Eisensubstitution bei EoA. Die Verblindung ist bei oraler Eisengabe wegen der Stuhlverfärbung allerdings schwierig. Standardpräparat in den Studien ist FeSO 4, wobei darauf geachtet werden muss, ob die Dosierung in mg FeSO 4 oder in mg elementarem Eisen angegeben wird. 100 mg FeSO 4 enthalten 20 mg elementares Eisen, umgekehrt entsprechen beispielsweise 9

80 mg elementares Eisen 400 mg FeSO 4 (inkl. Kristallwasser). Andere Eisensalze (Fumarat, Glycinat) sind gleichwertig. Kognitive Funktionen und Verhalten Intrauterin und im Kindesalter führt schwerer Eisenmangel zu Wachstumsverzögerung und gestörter ZNS-Entwicklung. Häufig ist der Eisenmangel gekoppelt mit anderen Nahrungsdefiziten, so dass eine isolierte Betrachtung schwierig ist. Nur bei Kindern über 2 Jahren liess sich eine Verbesserung durch Intervention erzielen. Restless-legs-Syndrom (RLS) Eine Verbindung von restless legs zu niedrigen Eisenspeichern wurde lange postuliert, ebenso positive Erfahrungen mit oraler Eisentherapie. Eisen spielt im ZNS eine Rolle im Dopaminstoffwechsel (Tryptophanhydroxylase) und in der Myelinisierung der Nervenscheiden. Eine grosse Studie bei RLS-Patienten zeigte jedoch normale Eisenparameter im peripheren Blut. Die heutige Hypothese ist eher, dass bei einem Teil der RLS-Patienten eine Störung des Transports von Fe durch die Blut-Hirn-Schranke vorliegt, die partiell durch pharmakologische Eisendosen gebessert werden kann. Haarausfall Sowohl bei androgenetischer Alopezie, Alopezia areata wie beim diffusen Haarausfall (chronisch telogenes Effluvium) wurden Assoziationen mit EoA gesucht. Die Arbeiten kommen zu widersprüchlichen Resultaten. Interventionsstudien haben leider nur sehr kleine Zahlen. Ein peroraler Therapieversuch bei niedrigen Ferritinwerten ist sicher gerechtfertigt. Thermoregulation EoA-Patienten reagieren auf Kälteexposition mit höherer Noradrenalinausschüttung und deutlich höherem Sauerstoffverbrauch als Probanden mit normalen Eisenreserven. Bei Eisenmangelanämie ist die Störung noch stärker ausgeprägt. Dies sind die Resultate einer Studie an 21 Freiwilligen, die über eine Stunde in ein Wasserbad gesetzt wurden, welches von 36 auf 28 Grad gekühlt wurde. Die Autoren postulieren eine mitochondriale Entkoppelung der oxidativen Phosphorylierung als mögliche Ursache. Weitere Studien liegen nicht vor. Infektanfälligkeit Bei schwerem Eisenmangel sind lymphozytäre und granulozytäre Funktionen beeinträchtigt. Auf der anderen Seite ist die Eisensequestrierung eine Hauptwaffe des Körpers im Kampf gegen Bakterien. Diese widerstrebenden Mechanismen führen auch zu widersprüchlichen Daten über den bezüglich Infektabwehr optimalen Eisenstatus. In Frankreich zeigte sich in einer grossen prospektiven Kohortenstudie bei menstruierenden Frauen kein Unterschied bezüglich Infektanfälligkeit zwischen der Gruppe mit Eisenmangel (Ferritin 8,2 ± 4,0 µg/l) vs. der Gruppe mit 10

guten Eisenreserven (Ferritin 46,1 ± 12,8 µg/l). Beide Gruppen umfassten je gegen 400 Frauen. Diese assoziative Studie zeigte auch bezüglich aller weiteren erfragten Parameter kaum Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Fatigue Müdigkeit ist ein häufiger Konsultationsgrund in der ambulanten Praxis und heute wohl in der Schweiz die häufigste Indikation zur Eisentherapie in der EoA-Gruppe. Die einzige neuere Studie zu dieser Fragestellung stammt aus Lausanne. Frauen ohne Anämie (Hb >117 g/l), aber mit ungeklärter Müdigkeit wurden doppelblind entweder mit 80 mg Eisen oder Placebo behandelt. Der Ferritinwert war kein Einschlusskriterium. 85% der Probandinnen hatten Werte unter 50 µg/l, 51% unter 20 µg/l. Ausgeschlossen wurden Probandinnen mit anderen psychischen oder somatischen Erkrankungen, auch solche mit Chronic Fatigue Syndrome. Primärer Endpunkt war die Messung der Fatigue auf einer visuellen Analogskala von 1 bis 10. Nach einem Monat Therapie ergab sich bei 136 ausgewerteten Probandinnen in der Eisengruppe eine Abnahme der Fatigue von 6,4 auf 4,5 (29%), in der Placebogruppe von 6,5 auf 5,6 Punkte (13%) mit guter Signifikanz. Der Score für Ängstlichkeit verhielt sich ähnlich. Die Änderung des Depressionsscores war nicht signifikant verschieden in beiden Gruppen. Die Subgruppenanalyse ergab, dass die Unterschiede nur für Frauen mit einem Ferritin <50 µg/l zutrafen. Abklärung des Eisenmangels ohne Anämie Anamnese Es gelten die gleichen Regeln wie bei manifester Eisenmangelanämie, und wir verweisen auf die Lehrbücher der Inneren Medizin und Hämatologie, vor allem für Listen der möglichen Blutungsquellen. Da der Eisenmangel oft multifaktoriell ist, sollen vier Faktoren systematisch erfragt werden: 1. Vermehrter Bedarf: Abschluss der Wachstumsphase? Durchgemachte und aktuelle Schwangerschaften, Geburten und Aborte? Dauer der Stillperioden? 2. Ernährungsgewohnheiten: Fleisch- und Fischkonsum? Früchte/Fruchtsäfte? Einnahme grosser Mengen von Hemmstoffen der Eisenresorption (Tee, Kaffee, pflanzliche Ballaststoffe, Kalzium)? 3. Gestörte Aufnahme: Gewichtsprobleme, Blähungen, Durchfälle, Nahrungsmittelunverträglichkeiten? Familienanamnese für Sprue oder Diabetes mellitus Typ 1? Magendarmoperationen, Einnahme von Antazida aller Klassen? Abklärung bezüglich Helicobacter pylori-status. 4. Übermässige Eisenverluste: Episoden von protrahiertem Nasenbluten, Hämatemesis, Meläna, Makrohämaturie oder Hämoptoe? Ulkus- und Refluxanamnese. Ausdauersport, Spitzensport. Blutspenden. Menarche, Menstruationsdauer/ intensität, Antikonzeption (Pille oder Spirale)? 11

Neuere Arbeiten zeigen, dass eine Besiedelung mit Helicobacter pylori auch ohne Ulkus und manifeste Gastritis zu einem auf orale Eisentherapie refraktären Eisenmangel führen kann. Die Mechanismen sind noch nicht definitiv geklärt. Die autoimmune atrophische Gastritis mit Hypazidität sowie sämtliche Antazida, vor allem die Protonenpumpeninhibitoren (PPI), behindern die Eisenaufnahme, führen allein aber selten zu manifestem Eisenmangel. Auch die Inzidenz der Sprue sollte nicht unterschätzt werden. Sie beträgt in mehreren Studien um 5% aller Patienten mit unklarer oder therapierefraktärer Eisenmangelanämie. Bei postmenopausalen Frauen und Männern >40 Jahren ist eine endoskopische gastrointestinale Abklärung zwingend, sonst nur bei zusätzlichen Verdachtsmomenten. Neben eisenarmer Ernährung steht menstrueller Blutverlust bei EoA-Patientinnen im Alltag weit im Vordergrund. Dieser ist notorisch schwierig zu beurteilen. Volumina über 80 ml gelten als Menorrhagie. Die folgenden Punkte können als Indizien für ungewöhnlich starke Periodenblutungen gewertet werden: Tampons alleine ungenügend, mehr als 12 Binden/Periode (oder mehr als 4/Tag), Abgang von grossen Gerinnseln (>2 cm) oder Persistenz von Gerinnseln am 2. Tag, Dauer mehr als sieben Tage. Nichtgestagenhaltige Spiralen erhöhen, orale Antikonzeptiva verringern den Blutverlust. Labor Fast alle der erwähnten Studien stellen lediglich auf den Ferritinwert und das Hb ab. Zur Beurteilung der Eisenspeicher ist Ferritin am besten gegen den Standard der Eisenfärbung im Knochenmark validiert. Werte unter 15 µg/l sind hochspezifisch für leere Speicher, im Bereich 15 30 µg/l sind die Reserven leer oder knapp, zwischen 30 und 50 µg/l sind die Daten uneinheitlicher, ab 50 µg/l bestehen genügende Reserven. Da Ferritin auch ein Akutphase-Protein ist, dessen Konzentration bei Entzündungsreaktionen und Leberparenchymschädigung ansteigt, sollten immer parallel mindestens ein CRP-Wert und die ALAT bestimmt werden. Ist einer dieser Werte erhöht, so kann der Ferritinwert nicht als repräsentativ für die Eisenspeicher angesehen werden, er ist relativ zu hoch. Diese Konstellation verlangt nach einer Klärung der Ursache vor einer allfälligen Eisentherapie. 12

Therapie Ernährungsumstellung Es ist möglich, die Eisenreserven durch alleinige Ernährungsberatung und -umstellung zu vergrössern, allerdings ist viel Geduld notwendig, und die kontinuierlichen Verluste dürfen nicht allzu gross sein. Neben vermehrten Fisch- und Fleischgerichten, Fruchtsäften und Obst ist Reduktion der Inhibitoren der Eisenresorption angezeigt: Tee, Kaffee, pflanzliche Ballaststoffe, Milchprodukte und andere kalzium- und phosphatreiche Nahrungsmittel sollen nicht gleichzeitig mit den eisenhaltigen Hauptmahlzeiten eingenommen werden. Gusseisernes Kochgeschirr ist Aluminiumpfannen vorzuziehen (besonders wirksam bei säurehaltigen Gerichten). Für Patientinnen mit Vorbehalten gegen Tabletten oder Infusionen ist dieser Ansatz eine Option. Orale Eisentherapie Bei isoliertem Eisenmangel ohne Begleiterkrankung ist die intestinale Eisenresorption maximal stimuliert, anstelle der üblichen 10% können 20% bis 40% des zugeführten Eisens aufgenommen werden. Die orale Eisentherapie ist günstig und sicher und somit immer noch Standard der Substitutionstherapie. Der Wirkungseintritt ist zwar gegenüber parenteraler Eisentherapie verzögert, in einer Situation von EoA in aller Regel kein medizinischer Notfall ist er aber schnell genug. Eine optimale Resorption erfolgt bei nüchternem Magen eine Stunde vor den Hauptmahlzeiten. Zweiwertiges Eisen wird besser resorbiert als dreiwertiges, da es nicht zuvor noch reduziert werden muss. Allerdings ist es schlechter verträglich. Eine hohe Protonenkonzentration verbessert die Aufnahme. Von Vorteil ist die Gegenwart Tabelle 2. In der Schweiz zugelassene Eisen-Monopräparate. Wirkstoff Handelsname Eisen-II-chlorid Ferrascorbin Eisen-II-fumarat + -gluconat Duofer Lufer Eisen-II-fumarat Ferrum Hausmann Eisen-II-glycin-sulfat-Komplex ferro sanol Eisen-II-sulfat Aktiferrin Fe-III Ferro Gradumet Tardyferon Fe-Polymaltose Maltofer Fe-Carboxymaltose Ferinject Eisen-III-Saccharose-Komplex Venofer 13

von Substanzen, welche die Löslichkeit fördern wie Ascorbinsäure und tierische Eiweisse. Tabelle 2 listet die in der Schweiz zugelassenen Eisenpräparate auf. Die schlechte gastrointestinale Verträglichkeit (Blähungen, Schmerzen, Obstipation) wird als Argument gegen den Einsatz von Eisentabletten angegeben. Im klinischen Alltag ist mit einer Nebenwirkungsrate von ca. 20% zu rechnen. In mehreren Studien lag die Abbruchquote wegen Nebenwirkungen im Schnitt bei 5%, sie war meist in der Placebogruppe nur minim geringer. A priori sollte also nie auf einen oralen Therapieversuch verzichtet werden. Eine einschleichende Dosierung mit 80 100 mg in der ersten Woche, dann erst Erhöhung auf die volle Dosis von 200 mg wird empfohlen. Bei Unverträglichkeit kann auf ein anderes Präparat gewechselt werden, allenfalls mit dreiwertigem Eisen, oder es wird mit den Mahlzeiten eingenommen. Unter oraler Eisentherapie kann das Ferritin als Verlaufsparameter jederzeit gemessen werden. Ein Anstieg um 10 µg/l entspricht einer Zunahme des Speichereisens um ca. 100 mg. Ein fehlender Anstieg des Hämoglobins (oder Ferritins bei EoA) trotz mehrwöchiger oraler Therapie muss eine Reevaluation auslösen: Unterschätzte persistierende Verluste? Eisenbindende Nahrungsbestandteile? Medikamentöse Interferenz? Sprue? Helicobacter pylori-besiedelung? Autoimmungastritis? Compliance? Intravenöse Eisentherapie Die neuen in der Schweiz verfügbaren Präparate haben bei korrekter Anwendung sehr selten ernsthafte Nebenwirkungen. Eine klare Indikation bleibt dennoch zwingend. Bei EoA ist diese bei dokumentierter Unverträglichkeit, bei Malabsorption oder nicht beeinflussbarer Malcompliance gegeben. Da kein Hb-Eisen ersetzt werden muss, werden zum Auffüllen der Speicher 500 1000 mg benötigt, diese können fraktioniert in Dosen von 200 mg (Fe-Saccharose), oder bei Fe-Carboxymaltose auch in 1 2 Einzeldosen appliziert werden. Eine Kontrolle des Ferritinspiegels ist erst nach 8 12 Wochen sinnvoll, da in den ersten Wochen nach i.v.-gabe ein vorübergehender starker Anstieg des Serumferritins erfolgt, welcher nicht mit der Menge des Speichereisens korreliert. Weitere Gaben richten sich nach den geschätzten Verlusten (100 ml Blut mit einem Hk von 0,35 enthalten 35 mg Eisen) oder besser nach dem Ferritinwert. Für Eisengaben bei Ferritinwerten >50 µg/l gibt es keine rationale Evidenz. Angesichts der Tatsache, dass bei dem metabolischen Syndrom mit Insulinresistenz regelmässig auch ohne Hämochromatosekonstellation erhöhte Ferritinwerte gemessen werden, ist Vorsicht geboten. Die Ferritinwerte entstehen hier vor allem durch die Leberentzündung und nur zum kleineren Teil durch vermehrtes Eisen. Durch Aderlässe kann jedoch bei jedem Ferritinwert die Insulinresistenz deutlich verbessert werden. Es ist durchaus denkbar, dass das um 10 Jahre verspätete Auftreten der Arteriosklerose bei Frauen zum Teil auf deren knappen Eisen- 14

speichern beruht. Auch in Hinblick auf die negativen Daten der hochdosierten Vitaminsubstitution in Bezug auf die Langzeitmortalität sollte man vorsichtig sein und bei sonst Gesunden nicht sensible körpereigene Regulationsmechanismen überspielen. Völlig anders sieht die Situation bei Erkrankungen mit funktionellem Eisenmangel aus: Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, Tumorleiden, entzündlichrheumatischer Erkrankung und möglicherweise auch schwerer Herzinsuffizienz mit Anämie. Bei diesen Patienten ist bei normalem oder hohem Serumferritin genügend Speichereisen vorhanden, dieses steht aber für die Hämopoese nicht oder nur unzureichend zur Verfügung. Bei dieser Konstellation ist die orale Eisentherapie wirkungslos, parenterales Eisen wirkt häufig gut und kann Transfusionen sparen. Es handelt sich durchwegs um Erkrankungen, bei denen allfällige metabolische Spätfolgen gegenüber der akuten Verbesserung der Lebensqualität in den Hintergrund treten (Tabelle 3). Tabelle 3. Etablierte und in Prüfung befindliche Indikationen für eine parenterale Eisentherapie. a) Reiner Eisenmangel Störungen der Eisenresorption (z.b. Sprue, ausgedehnte Magen- oder Dünndarmresektionen, bariatrische Eingriffe) Eisenverluste, die mit peroraler Therapie quantitativ nicht ausgeglichen werden können (z.b. schwere Menorrhagien, rez. GI-Blutungen bei M. Osler) Schwere peripartale oder postoperative Blutungsanämie Blutungsanämie bei Zeugen Jehovas Unverträglichkeit der peroralen Therapie oder unbeeinflussbare Malcompliance b) Kombination Eisenmangel mit Zusatzfaktor oder funktioneller Eisenmangel Chronisch entzündliche Darmerkrankungen Rheumatoide Arthritis Niereninsuffizienz (mit oder ohne Dialysepflichtigkeit), vor allem unter Erythropoetin-Therapie Tumoranämie mit Eisenmangel (?) Schwere Herzinsuffizienz mit begleitender Anämie Zusammenfassend lässt sich sagen, dass EoA eine klinische Realität ist, die Datenlage für muskuläre Leistungsfähigkeit ist solide, für Kognition und Fatigue leider nur auf wenigen Arbeiten beruhend. Patientinnen mit Beschwerden sollten eine Therapie erhalten. Angesichts der überwiegend subjektiven Beschwerden und des grossen Placeboeffekts sind noch einige sauber randomisierte und geblindete Studien notwendig, wie bereits Beutler vor fast 50 Jahren festgestellt hat. 15

Empfohlene Literatur Streuli R. Ferrum bonum et laudabile (lucrosumque). Schweiz Med Forum. 2008;8(32):563. Beutler E, Larsh SE, Gurney CW. Iron therapy in chronically fatigued nonanemic women: a double-blind study. Ann Intern Med. 1960;52:378 94. McCann JC, Ames BN. An overview of evidence for a causal relation between iron deficiency during development and deficits in cognitive or behavioral function. Am J Clin Nutr. 2007;85:931 45. Allen RP, Earley CJ. The role of iron in restless legs syndrome. Movement disorders. 2007;22:S440 S448. Trost LB, Bergfeld WF, Calogeras E. The diagnosis and treatment of iron deficiency and its potential relationship to hair loss. J Am Acad Dermatol. 2006;54:824 44. Duport N, Preziosi P, Boutron-Ruault M-C, Bertrais S, Galan P, Favier A, et al. Consequences of iron depletion on health in menstruating women. Eur J Clin Nutr. 2003;57:1169 75. Verdon F, Burnand B, Fallab Stubi C-L, Bonard C, Graff M, Michaud A, et al. Iron supplementation for unexplained fatigue in non-anaemic women: double blind randomised placebo controlled trial. BMJ. 2003;326:1124 6. Heath AM, Skeaff CM, O Brien SM, Williams SM, Gibson RS. Can dietary treatment of non-anemic iron deficiency improve iron status? J Am Coll Nutr. 2001;20:477 84. Valenti L, Fracanzani AL, Dongiovanni P, Bugianesi E, Marchesini G, Manzini P, et al. Iron depletion by phlebotomy improves insulin resistance in patients with nonalcoholic fatty liver disease and hyperferritinemia: evidence from a case-control study. Am J Gastroenterol. 2007;102:1251 8. Auerbach M, Coyne D, Ballard H. Intravenous iron: from anathema to standard of care. Am J Hematol. 2008:83;580 8. Der Text dieser Broschüre ist die überarbeitete Version eines Fortbildungsartikels, welcher im Schweizerischen Medizin Forum SMF Nr. 15/2009 erschienen ist. Er liegt auf der Website im Volltext vor, siehe www.medicalforum.ch 16