Gottesdienstübertragung aus der Evangelischen Kirche in Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen am Radio! Liebe Gemeinde! Italien: Pizza, Rotwein, dolce vita, süßes Leben, Eiscreme, Kunst, Kultur und Kirchen das alles ist Italien. Wer kommt da nicht ins Schwärmen? Meine Tochter Miriam und ich machten uns auf den Weg, voller Spannung und Erwartungen. Sie hatte gerade ihren Bachelor gemacht. Als Kunststudentin wollte sie gerne einmal persönlich die Bilder sehen, über die sie im Laufe ihres Studiums gearbeitet hat. Und so fuhren wir los, nach Rom, Ravenna und Florenz. Viele Museen, aber auch zahlreiche Kirchen standen auf dem Programm. Intensive, erlebnisreiche Tagewaren das. In den vatikanischen Museen und dann im Petersdom bestaunten wir die Werke berühmter Künstler. Es folgte eine Kirche nach der anderen, ein Kunstwerk nach dem anderen. Nach ein paar Tagen stellten wir fest. Wir können keine Kreuzigungsgruppe, keinen einzigen Märtyrer mehr sehen. Wir fragten uns: Soll das etwa eine Einladung für unseren christlichen Glauben sein? Überall Leid, Schmerzen, Folter, Qual. Wo bleibt da die Lebensfreude, die Hoffnung, die uns im Leben trägt? Sicherlich alles Leid, alles Elend, alle Not hat ihre Berechtigung, Krankheiten, Gefahr und Tod beherrschen nach wie vor unser Leben. Aber, aber, aber Ostern, liebe Gemeinde, beginnt damit, dass Menschen in ein Grab schauen. Auch meiner Tochter und mir ging es so, als in Italien waren. - 1 -
Auch den Künstlern, den Malern aller Zeiten erging es so. Auch ihnen sind die Bilder des Todes näher, greifbarer. Sie stehen ihnen lebhaft vor Augen, alles andere bleibt ihrer Phantasie überlassen. Wenn wir uns, Auferstehungsbilder anschauen, so erscheinen sie oft sehr kitschig, wenig aussagekräftig. Alles bleibt unvollkommen und nebulös. Wie soll es gehen, wie wird es sein? fragen wir uns. Und weil wir es uns nicht erklären können, kann es dann auch nicht sein. Zu sehr sind wir auf den Tod fixiert und übersehen dabei die Bilder des Lebens. Stellen wir uns vor: Da sieht ein Mensch, der vom christlichen Glauben überhaupt keine Ahnung hat, alle diese künstlerisch wertvollen Bilder. Was wird er denken: Soll mich das wirklich verlocken, selbst Christ zu werden, dieser Glaubensgemeinschaft beizutreten? Was erwartet mich da: Leid, Angst, Qual? Und da hört ein Mensch von all den tragischen Ereignissen, die tagtäglich passieren, von Schicksalsschlägen, Krankheit und Tod und erlebt es sogar am eigenen Leib. Was soll ihm da Glaube bedeuten, weiteres Leid, Fragen, Zweifel? Musik Ostern beginnt aber auch damit, dass Menschen wie in einem Grab gefangen sind. So ergeht es einem Menschen, von dem ich heute erzählen will. Der Mann ist vom Kopf ab gelähmt. Aber Philippe hat seine Gedanken und Gefühle nicht verloren. Philippe ist ein reicher Unternehmer, der seit einem Gleitflugabsturz auf fremde Hilfe angewiesen ist. Nichts kann er allein machen, nur die Worte und die Mimik können ausdrücken, was er empfindet. Philippe ist ein Gefangener in seiner - 2 -
hilflosen Körperhülle. Er ist gerade mal 42 Jahre alt, als es passiert. Drei Jahre später stirbt seine Frau. Die Tochter befindet sich mitten in der Pubertät. Philippe ist reich, er kann sich alles leisten. Sein Maserati steht verstaubt im Hof, und wenn er Lust hat, kauft er eben mal ein teures Bild. Aber es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen. Umgeben von einem kleinen Mitarbeiterstab sucht Philippe einen neuen Pfleger. So begegnet er Driss, einem jungen Schwarzen, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Driss möchte eigentlich nur eine Unterschrift, um weiterhin Arbeitslosenunterstützung zu erhalten. Aber dann hat er plötzlich einen Job. Philippe gefällt die Art des jungen Mannes. Driss scheint keinerlei Mitleid für Philippe, den schwer kranken Mann zu empfinden. Auch wenn Driss das Leben in der Luxusvilla reizt, ist er zunächst nicht bereit, die nötige Pflege komplett zu übernehmen. Als er zum ersten Mal die Gummihandschuhe überzieht und merkt, was da an ekligen Aufgaben auf ihn zukommt, sagt er: es gibt Dinge, die mache ich nicht. Was diese Pflege bedeutet, wird ihm da so richtig bewusst. Es geht ja nicht nur darum, diesen kranken Mann zu füttern oder ihn aus dem Bett zu heben. Nein, da kommt eine ganze Menge unangenehmer Arbeiten auf ihn zu. Driss ist aber nicht als sanfter Samariter unterwegs und zu jeder Hilfe bereit. Er hat seinen eigenen Kopf und seine eigene Sicht der Welt. Und als er den verstaubten Maserati auf dem Hof stehen sieht, da setzt er kurz entschlossen Philippe hinein und lässt den praktischen Kombi samt Rollstuhl einfach stehen. Philippe ist von Driss beeindruckt, weil dieser kein Mitleid mit ihm hat. Das fasziniert ihn. Er spürt die Energie und Lebensfreude des jungen Mannes. Die Geschichte von Philippe und Driss wird in einem Film erzählt. Der Film beschreibt die Geschichte eines Menschen, der in seinem kranken Körper bereits gestorben zu sein scheint. - 3 -
Mit dem Mund kann Philippe zwar ein Stäbchen führen, um ein Blatt um zu drehen. Aber er kann keinen Bissen alleine zu sich nehmen, keine Bewegung ohne fremde Hilfe machen. Er ist in seinem Körper wie in einem Grab. Was ist die Perspektive für Philippe, wo die Hoffnung? Alles scheint aussichtslos, nichts und niemand kann helfen, diese Situation zu verändern. Oder vielleicht doch? Musik Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? So fragen die Männer die Frauen, die am offenen Grab von Jesus stehen. Die Frauen sind gekommen, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen, ihn zu salben und mit wohlriechenden Kräutern einzuölen. Aber das Grab ist leer. Der Tote ist verschwunden. Sie treffen auf zwei Männer, vor denen sie erschrecken, es sind Engel. Und ihre Frage trifft sie überraschend: was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Jesus ist nicht hier, er ist auferstanden. Es ist das Unmögliche, liebe Gemeinde, was ihnen Menschen begegnet. Den Menschen damals wie heute. Deshalb ist es so schwer in Bilder und in Worte zu fassen. Wie soll man es zeigen, wie soll man von dem sprechen, was eigentlich unmöglich ist? Wahrscheinlich gelingt es nur, wenn wir die Spuren aufsuchen, die Spuren des Lebens, die leeren Gräber, die es schon mitten im Leben zu bestaunen gibt. Denn: das Unmögliche die Auferstehung, liebe Gemeinde, gibt es schon hier mitten in unserem Leben. Wir brauchen nur genau hin zu sehen, uns die Bilder des Lebens anzusehen. Es gibt sie schon hier und jetzt. - 4 -
Im Film gibt der junge Driss dem depressiven und kranken Philippe wieder neuen Lebensmut. Nach und nach entwickelt sich zwischen den ungleichen Männern eine ungewöhnliche Freundschaft. Angetrieben durch Driss lebensbejahende, unkomplizierte Art, gelingt es ihm, Philippe aus seiner Lethargie zu reißen. Die beiden unternehmen sogar einen gemeinsamen Paragliding Flug. Schließlich kann Philippe sich sogar wieder verlieben und ein neues, glücklicheres Leben beginnen. Am Ende sind die Beiden ziemlich beste Freunde geworden. Ziemlich beste Freunde ist ein wunderbarer Film. Fast wie ein schöner Traum, aber das Beste an dieser Geschichte ist, dass sie wahr ist. Am Ende des Films wird eine kurze Aufnahme des echten Philippe Pozzo di Borgo und seines Freundes Driss, er heißt Abdel Yasmin Sellou gezeigt. Philippe hat seine Lebensgeschichte diktiert. Sie ist in dem Buch Le second souffle`, Der zweite Atem veröffenlicht worden. Wie die Geschichte ausgeht? Philippe Pozzo di Borgo lebt heute mit seiner Frau und zwei Töchtern in Marokko. Abdel Yasmin Sellou leitet seine eigene Transportfirma in Algerien und hat drei Kinder. Einmal im Jahr treffen sie sich sie wurden Freunde fürs Leben, ziemlich beste Freunde. - 5 -
Liebe Gemeinde! Es gibt sie, die Spuren der Auferstehung. Bereits mitten im Leben. Wir brauchen nicht nur auf die Bilder des Todes starren, weil sie uns so vertraut sind und wir zu wenige andere Bilder kennen. Es gibt sie, die guten Erfahrungen, die wir Menschen immer wieder in ihrem unserem Leben machen.. Was aber ist, liebe Gemeinde, wenn sich der Tod nicht besiegen lässt? Wenn mein Weg mich immer wieder zum Grab führt und ich den Blick nicht davon lösen kann? Wenn mein Leben vom Tod überschattet bleibt? Dann können wir uns an die Spuren halten, die wir sehen können. Oder an Geschichten, wie die von Philippe und Driss. In solchen Erlebnissen spiegelt sich ein wunderbarer Glanz von jener Welt, die uns einmal erwartet. Denn was immer auch geschieht: Wenn das Unmögliche möglich wird, dann ist Ostern. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in diesen Herrn Jesus Christus. Amen. - 6 -