Die sprachliche Form Die sprachliche Form»Don Karlos«ist ein sprachlich sehr eingängiges Drama in Blankversen (s. unten S. 34f.). Stilfiguren Unter Parallelismus versteht man den gleich laufenden Bau mehrerer aufeinander folgender Sätze oder Satzteile, nicht selten unter Heranziehung gleichen Wortmaterials. Anapher: Beginnen aufeinander folgende Sätze, Satzteile oder Verse mit dem gleichen Wort oder der gleichen Wortgruppe, wird ein größerer Nachdruck erzeugt. Hintergrund Eine Epipher ist das Gegenteil der Anapher: aufeinander folgende Sätze, Satzteile oder Verse enden auf das gleiche Wort. Antithesen, d. h. die Aufeinanderfolge gegensätzlicher Begriffe oder Gedanken, findet man im»don Karlos«recht häufig. Chiasmus: Überkreuzstellung von Wörtern in aufeinander folgenden Sätzen oder Satzteilen. Ein Paradoxon ist eine auf den ersten Blick widersinnig scheinende Behauptung. Oxymoron (griech.»scharfer Unsinn«): Kombination zweier Begriffe, die sich logisch ausschließen. Wenn derselbe Wortstamm kurz hintereinander in verschiedenen Wortarten auftaucht, spricht man von einer Figura etymologica. Gemination: Widerspiegelung der Erregung der Figuren in der aufeinander folgenden Wiederholung eines Wortes/einer Wortgruppe. 30
Die sprachliche Form Beispiele (Hervorhebungen vom Autor) [...] es zu wissen, / Dass unsre Freude fremde Wangen rötet, / Dass unsre Angst in fremden Busen zittert, / Dass unsre Leiden fremde Augen wässern! [...] (V. 1116ff.) Unendlich, / Wie Ihre Liebe, ist Ihr Schmerz. Unendlich, / Wie er, ist auch der Ruhm, ihn zu besiegen. (V. 757ff.; häufig auch verbunden mit Parallelismus) Doch würd ich Eure Majestät beschwören, / Um Ihrer Ruhe willen Sie beschwören, / Bei dem Entdeckten stillzustehn [...] (V. 2704ff.) Sein Blut ist heiß, warum sein Blick so kalt? (V. 876); Gott richtete im Himmel, ich auf Erden (V. 1430); Was bis zu Schwächen mich / Gebracht, kann auch zu Raserei mich führen. (V. 3777f.) [...] wie viel schneller man / Die Welt mit einem Könige versorge, / Als Könige mit einer Welt. (V. 1410ff.) [...] und so / Ward ich dein Feind, dir kräftiger zu dienen. (V. 4633f.); Der Entwurf / Ist teuflisch, aber wahrlich göttlich. (V. 5002f.; zugleich Antithese) Zittern / Nicht alle Schrecken dieses Glücks noch in mir? (V. 1293f.) Hintergrund Zu überzeugen / Fällt keinem Überzeugten schwer. (V. 2052f.) Hier, / Hier hier auf diesem heiligen Altare, [...] (V. 4265f.) 31
Textanalyse Die folgende Textanalyse behandelt den»don Karlos«unter drei verschiedenen Deutungsansätzen: als Freundschaftsdrama, als Familiendrama und als politisches Drama. Es ist in der Forschung mittlerweile umstritten, das Stück wie»drei Dramen in einem«zu behandeln. Da in der Unterrichtspraxis jedoch mehrheitlich darauf zurückgegriffen wird, nimmt auch die folgende Analyse diesen Ansatz auf. Politisches Drama Karlos als Held der Liebeshandlung im Spannungsfeld zwischen Liebe zu Elisabeth politischem Auftrag Familiendrama Posa als Held der Freiheitshandlung im Spannungsfeld zwischen Freundschaft zu Karlos Liebe zur Menschheit Freundschaftsdrama 1.»Don Karlos«als Freundschaftsdrama 1.1 Freundschaftskult im 18. Jahrhundert Freundschaft als Form zwischenmenschlicher Beziehung ist so alt wie die Geschichte; erst dem 18. Jahrhundert blieb es vorbehalten, daraus einen gefühlsseligen Kult zu entwickeln. Das Erlebnis der Freund- 42
Textanalyse schaft war gleichsam etwas Religiöses, etwas für die Ewigkeit Bestimmtes. Mögen uns heute jene Gefühlsaufwallungen übertrieben vorkommen, mit denen sich Schillers Zeitgenossen tränenreich begrüßten oder verabschiedeten die Frage bleibt, warum ausgerechnet zu jener Zeit Freundschaft dermaßen überschwänglich erlebt wurde. Ein wichtiger Grund liegt in der Entwicklung des Erziehungswesens. Europaweit waren die Besitzenden im 18. Jahrhundert dazu übergegangen, ihre Kinder auf das Erwachsenendasein an isolierten Orten Internaten oder Collèges vorzubereiten. Die Ausbildung dort gründete sich auf Zwang, Disziplinierung und Überwachung. Für die Zöglinge war die Freundschaft zu Gleichaltrigen daher oft die einzige Möglichkeit, diese Kasernierung und Unterdrückung seelisch zu meistern und der Kontrolle durch die Erwachsenen zu entgehen. Nicht selten überdauerte eine solche Bindung die Jugendjahre. Auch im studentischen Leben oder in Form von Dichterzirkeln spielten Freundschaftsbünde im 18. Jahrhundert eine Rolle. Gewiss war Schillers schwere Zeit an der herzoglichen Militärschule mit ausschlaggebend dafür, Freundschaft zu Altersgenossen als lebenswichtig, ja als heilig zu empfinden. Entsprechend häufig finden wir dieses Thema in seinen Werken verarbeitet: in der»ode an die Freude«, in den»räubern«, in dem Gedicht»Die Freundschaft«(Teil eines geplanten Freundschaftsromans) oder in der Ballade»Die Bürgschaft«, die eine Freundschaft verherrlicht, die bis zur gegenseitigen Bereitschaft geht, für den anderen zu sterben. Die Freundschaft zwischen Karlos und Posa hat dieselben Voraussetzungen wie so manche Jugendfreundschaft des 18. Jahrhunderts. Auch sie ist ein Produkt strenger Erziehung (vgl. die Erzählung von Karlos in I/2), auch sie durchbricht die Standesgrenzen: Dieses Possenspiel des Ranges / Sei künftighin aus unserm Bund verwiesen! (V. 931f.). Indem der Königssohn Karlos seinem adeligen Freund das 43
Aufgaben mit Lösungstipps Aufgaben mit Lösungstipps Wenn Sie die Textanalyse durchgearbeitet haben, müssten Sie für eine Klassenarbeit bzw. mündliche oder schriftliche Prüfung schon recht gut gerüstet sein. Die folgenden Aufgaben sollen Ihnen zu einigen weiteren Aspekten, die bislang nicht direkt zur Sprache gekommen sind, Denkanstöße liefern.? Aufgabe 1 Beschreiben Sie den Charakter von Don Karlos.! Lösungstipp Karlos ist ein in sich unausgegorener, unvollkommener Charakter; gerade dadurch wird er aber für das Drama interessant: Schwermut (vgl. I/1; ein Vorbild Schillers für Karlos Charakter war Shakespeares melancholischer Prinz Hamlet) jugendliche Unbeherrschtheit (vgl. V. 1052ff.), impulsives, gefühlsbetontes Verhalten das Gegenbild zu seinem Vater Zerstreutheit (vgl. Szene mit Eboli, II/8) seine Neigung zu plötzlichen Stimmungsumschwüngen (vgl. z. B. V. 1298ff.; V. 1460ff.). Die Eboli, deren Verführungskünste bei Karlos erfolglos bleiben (II/8), sieht in ihm einen schlangenglatten Sonderling (V. 1740). Sein Vater schätzt ihn als schwach ein; seine unangemessene Weichherzigkeit (vgl. V. 1181/2) macht ihn für die Politik wenig geeignet. Weitere Aspekte: Vergleich mit dem historischen Karlos (s. oben S. 24ff.) Freundschaft mit Posa (s. oben S. 42ff.) Verhältnis zum Vater (s. oben S. 49ff.). 57
Aufgaben mit Lösungstipps? Aufgabe 2 König Philipp eine tragische Gestalt?! Lösungstipp Noch bevor Philipp die Bühne betritt, wird er von Karlos als [d]er Fürchterliche (V. 313) bezeichnet: ein unerbittlicher, gefühlskalter Vollstrecker der Ordnung (vgl. auch die Verbannung der Marquisin von Mondekar in I/6). Erst später wird Philipps tragische Situation offenbar. Sie resultiert aus seiner Einsamkeit: Ich bin allein. (V. 1111) aus seinem Misstrauen, das ihn selbst anfällig für Intrigen macht. Seinem Sohn lässt er nachspionieren, selbst Posa verdächtigt er zunächst, unaufrichtig zu sein (vgl. V. 3084ff.). aus seiner Eifersucht: Die Angst, dass er die Königin verlieren könnte (vgl. V. 867), führt dazu, dass es zum Bruch mit ihr kommt und seine Familie im Chaos endet. Philipps Reste an Menschlichkeit werden von Posa in der Audienzszene geweckt. Der Marquis erkennt die Einsamkeit des Königs als Resultat der gottähnlichen Verehrung, die er genießt. Der König solle sich daher der Verwirklichung von Aufgaben widmen, die einen besseren Staat entstehen lassen das ist Posas Therapie: Weihen Sie / Dem Glück der Völker die Regentenkraft, [...] (V. 3239f.). In der Folge werden alle Chancen verspielt. Philipp ist unfähig, das Wesen des misstrauischen Tyrannen abzuschütteln, und vernichtet das, was ihm nahe steht: Posa, schließlich auch seine Familie. Zwar zeigt sich der König menschlicher Regungen fähig (sein Weinen in IV/23, sein Wille zur Versöhnung mit Karlos in V/4), doch am Ende ist er von allen entfremdet. 58