Der Gifthäubling, Galerina marginata,

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Transkript:

Der Gifthäubling, Galerina marginata, tödlich giftig und doch häufig verkannt? Christoph Hahn, Institut für Systematische Botanik der LMU München, Sektion Mykologie Menzinger Str. 67, 80638 München, ch.hahn@botanik.biologie.uni-muenchen.de Viele Speisepilzsammler sind hoch erfreut, wenn sie einen vom Stockschwämmchen übersäten Buchenstubben finden. Der Korb ist schnell gefüllt, die Pilzmahlzeit steht an. Wenn es nur nicht diesen tödlichen Doppelgänger in Form des Gifthäublings gäbe! Ein kurzer Blick ins Bestimmungsbuch gibt dann aber zumeist Anlass zur Beruhigung. Der Nadelholzhäubling, wie er oft noch genannt wird, wachse doch nur selten auf Laubholz, ist niemals büschelig zu finden und meist auch noch kleiner als das Stockschwämmchen. Zu allerletzt trete er auch nicht in solchen Massen auf, sondern meist nur in Form einzelner Fruchtkörper. Also kann man doch ohne Angst haben zu müssen, die ganze Familie, ja vielleicht auch Nachbarn ob des reichhaltigen Fundes zu Tisch bitten? Eine trügerische Sicherheit! Auch wenn die obigen Angaben häufig richtig sind, so müssen sie nicht immer gelten. Essbare Pilze muss man aber immer eindeutig von den giftigen Arten zu unterscheiden in der Lage sein, oder aber man darf sie gar nicht erst sammeln. Einige dieser Regeln kritisch zu betrachten, das ist das Ziel dieses Beitrages. Auslöser war ein erstaunlicher Massenfund des Gifthäublings im Nationalpark Bayerischer Wald. Dort bin ich tätig im Projekt Prozesse zur Herausbildung einer natürlichen Diversität im Vergleich ungenutzter und genutzter Wälder im Nationalpark Bayerischer Wald und seinem forstlich genutzten Umfeld als Bearbeiter der bodensaprotrophen und ektotrophen Grosspilzflora unter der Leitung von Prof. Dr. R. Agerer (finanziert vom BMBF - Bundesministerium für Bildung und Forschung). Hierfür werden insgesamt 12 Probeflächen unterschiedlicher Waldnutzungs- und Zustandsformen untersucht. Die Borkenkäferexplosion im Nationalpark erzwingt in den Randbereichen eine intensive Bekämpfung des Forstschädlings. Hierfür werden (möglichst) alle befallenen Fichten gefällt und an Ort und Stelle zerhäckselt. So entstehen viele Räumungsflächen, auf denen nur noch vereinzelte Buchen und Tannen stehen bleiben. Der Boden ist hier meist stark durch Forstfahrzeuge gestört, das Häckselgut bedeckt grosse Flächen und ist stellenweise in den Boden eingearbeitet. Ideale Bedingungen also für Holzzersetzer wie Schwefelköpfe oder Flämmlinge. Drei dieser Räumungsflächen werden im Rahmen des genannten Projektes kartiert. Auf einer der regelmässigen Begehungen fielen schon von weitem grosse Mengen an dicht wachsenden Pilzfruchtkörpern auf den Häckselmassen auf. Der späte Herbst 2000 war sehr regenreich, und so kam es dank der für Pilze optimalen Bedingungen zu Massenaspekten auf den offenen, ansonsten durch Sonneneinstrahlung stark austrocknenden Flächen. Grünblättrige Schwefelköpfe (Hypholoma fasciculare) begrüssten mich in Unmengen. Dazu gesellten sich Hunderte von Falschen Pfifferlingen (Hygrophoropsis aurantiaca), mindestens so viele Einsiedlerschwefelköpfe (Hypholoma marginatum), auch Rauchblättrige Schwefelköpfe (Hypholoma capnoides) und Tonblasse Schüpplinge (Pholiota lenta) waren sehr individuenreich, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Nichts ungewöhnliches also. Doch dann kam etwas Unerwartetes. Dicht an dicht gedrängt, über- und untereinander standen sie da, Hunderte von Gifthäublingen auf kleinster Fläche. Doch nicht nur die Menge ist rekordverdächtig, nein, besonders das Wuchsverhalten war beeindruckend. Schnelles Nachzählen ergab über 200 Fruchtkörper allein in einem Büschel(!). Die Stielbasen waren alle zusammengewachsen, die Hüte hatten teils kaum Platz, sich zu entfalten. Insgesamt standen schätzungsweise weit über 1000 Fruchtkörper auf insgesamt drei verschiedenen Häckselhaufen. Ich hatte bereits früher schon büschelige Gifthäublinge gefunden und im Tintling vorgestellt (HAHN 1998), doch der damalige Fund mit seinen maximal sechs Fruchtkörpern pro Büschel war im Vergleich äusserst kümmerlich. Ich hatte erst einmal, nämlich 1992, einen ähnlichen Aspekt gesehen. Dabei handelte es sich um ein Vorkommen von Kuehneromyces lignicola auf einem Sägemehlhaufen in Raitenhaslach (Oberbayern), ebenfalls zu Tausenden (siehe LOHMEYER et. al. 1993). Dieser Pilz sieht dem Gifthäubling noch viel ähnlicher als das Der Tintling 2 (2001) Seite 26

gewöhnliche Stockschwämmchen, auch würde hier das büschelige Wachstum eher zutreffen. Dennoch war ich mir sicher, im Bayerischen Wald Gifthäublinge vor mir zu haben, da mich irgendwie die Farbgebung der Lamellen doch eher an diese erinnerte und auch der Mehlgeruch dies andeutete. Gewissheit brachte aber nur das Mikroskop. Der Gifthäubling besitzt sehr typische, warzige Sporen, deren Exospor sich etwas ablöst, was gut zu erkennen war. Dem optimalen Substrat entsprechend, bildeten sich nicht nur üppige Büschel aus. Die Fruchtkörper an sich konnten mit bis zu 6 cm Hutdurchmesser eine stattliche Grösse erreichen. Soviel zu dem Fund im Bayerischen Wald. Was passiert denn überhaupt, wenn man versehentlich die falschen Stockschwämmchen zubereitet und verspeist hat? Diese Frage ist einfach zu beantworten, wenn man einschlägige Literatur über Pilzvergiftungen konsultiert, so z. B. BRE- SINSKY & BESL (1985). Galerina marginata enthält das von den Knollenblätterpilzen bekannte a-amanitin sowie Spuren des ß-Amanitins. Trotz der im Vergleich zu Knollenblätterpilzen etwas geringeren Amatoxin-Konzentration ist der Gifthäubling als tödlicher Giftpilz einzustufen. Die letale Dosis dürfte bei 100-150 g Frischpilz liegen, wobei bereits erheblich geringere Mengen gefährliche Vergiftungen hervorrufen können. (BRESINSKY & BESL 1985: 37). Die Symptomatik der Galerina-Vergiftung entspricht der einer Knollenblätterpilzvergiftung, bis hin zum Tod durch Leberversagen. Unbedingt zu erwähnen ist, dass nicht nur Galerina marginata s. str., also der Gifthäubling im engen Sinn, tödlich giftig ist, sondern auch seine nahen Verwandten (Galerina autumnalis, G. badiceps, G. beinrothii, G. unicolor und weitere). Stockschwämmchensammeln kann also schnell zum Russischen Roulette werden. Folgende Aussagen treffen für den Gifthäubling (im weiteren Sinne, inkl. nahestehender Arten) zu, auch wenn sie im Widerspruch zu manchen Bestimmungsmerkmalen stehen: 1.) Der Gifthäubling kann, wenn auch selten, büschelig wachsen und in Massen fruktifizieren. 2.) Der Gifthäubling wächst sowohl auf Nadelwie auch auf Laubholz. Galerina marginata CH 572/2000: Gifthäublingsaspekt auf Holzhäcksel/Nadelstreuhaufen; das Büschel unten links im Bild besteht aus über 200 Fruchtkörpern.

s Galerina marginata, CH 572/2000: Kleines Büschel 3.) Der Gifthäubling kann mindestens so stattlich werden wie Stockschwämmchen. 4.) Der Gifthäubling kann sogar direkt neben und auch zwischen Stockschwämmchen wachsen. Dies ist besonders gefährlich! 5.) Der Gifthäubling (s. l.) riecht nicht immer nach Mehl. Zu 1.) Dies dürfte inzwischen eindrücklich gezeigt worden sein (siehe Abbildungen und auch HAHN 1998). Zu 2.) Inzwischen wird langsam der irreführende Name Nadelholzhäubling verdrängt. Jedes Jahr finde ich regelmässig und häufig Gifthäublinge an Buchenstubben. Nadelholz ist wohl das bevorzugte Substrat, aber Laubholz wird eben auch nicht verschmäht. Dafür wächst auch das echte Stockschwämmchen hin und wieder auf Nadelholz. Zu 3.) Die Bedingungen im Bayerischen Wald waren natürlich optimal, somit überraschen die 6 cm Hutdurchmesser nicht zu sehr. Immerhin gibt BON (1992) in seinem monographischen Schlüssel der Gattung Galerina einen Hutdurchmesser von bis zu 8 cm (!) für Galerina marginata und bis zu 6,5 cm für G. autumnalis an. Zu 4.) Während meiner Ausbildung zum Pilzberater zeigte der Kursleiter, Walter Pätzold (Schwarzwälder Pilzlehrschau, Hornberg), dem gesamten Kurs mit Stockschwämmchen beimpfte Buchenstämme. Nachdem die Stämme mehrere Jahre gute Ernte im Freiland erbrachten, stellte sich auf einem Stamm ein ungebetener Gast ein. Zwischen den immer noch reichlich fruktifizierenden Stockschwämm-chen wuchsen doch tatsächlich Gifthäublinge! Dies wird wohl keiner der damaligen Kursteilnehmer jemals vergessen. Auch Herr Edmund Garnweidner (Fürstenfeldbruck) hat beide Arten auf ein und dem selben Ast gefunden (ebenfalls Buche) und fotografiert. Das Bild, auf dem die Arten nebeneinander wuchsen, sich die Hüte aber fast berührten, ist in HOFRICHTER (2000: 55) abgebildet. Welcher Sammler würde nicht im Eifer des Gefechts den Ast komplett abernten? Zu 5.) Der Gifthäubling im engeren Sinne, Galerina marginata s. str., soll typischerweise deutlich nach Mehl riechen. SMITH & SINGER (1964) bemerken jedoch, dass der Geruch von sehr schwach zu stark mehlig variiert ( odor and taste varying from very slightly to strongly farinaceous, SINGER & SMITH 1964: 259.). Zudem werden dort Aufsammlungen aus Spanien (Pyrenäen) und dem Kaukasus diskutiert, die gar keinen Geruch besitzen, mikroskopisch aber Galerina marginata entsprechen. Im Klartext heisst dies, Galerina marginata riecht eben nicht immer nach Mehl. Es gibt aber auch noch weitere, sehr ähnliche und ebenso giftige Verwandte. So riecht z. B. Galerina autumnalis nur schwach und flüchtig nach Mehl (BON 1992, SINGER & SMITH 1964), Galerina unicolor meist einfach nur nach Pilz oder wenn, dann nur sehr schwach nach Mehl (BON 1992). SINGER & SMITH (1964) schreiben Galerina unicolor zwar Mehlgeruch zu, diskutieren aber auch hier Aufsammlungen, die völlig geruchlos waren. Galerina badipes, eine weitere amanitinhaltige Art (BRESINSKY & BESL 1985) des Formenkreises um den Gifthäubling, riecht letztendlich gar Der Tintling 2 (2001) Seite 28

nicht oder höchstens ganz schwach nach Mehl (BON 1992) und hat einen süsslichen, nur manchmal schwach mehligen Geschmack [ sensiblement inodore, saveur douce (parfois un léger gout un peu farineux), KÜHNER 1935: 222]. Der Geruch ist somit als sicheres Merkmal, das vor Vergiftungen schützen könnte, unbrauchbar. Ausserdem kenne ich keinen Speisepilzsammler, der an jedem einzelnen Pilz riecht, bevor er ihn isst. Und wehe, er hat gerade einen Schnupfen. Gerüchen möchte ich mein Leben nicht anvertrauen. Die oft zitierte Hutrandriefung sei nur am Rande erwähnt, denn sie kommt auch bei Stockschwämmchen vor. Abgetrocknete Exemplare zeigen zudem gewöhnlich keine Riefung. Als weiterführende Literatur zum Gifthäublings- Formenkreis wie auch zur Gattung Galerina insgesamt sei BON (1992), KÜHNER (1935) und SMITH & SINGER (1964) empfohlen. Wie kann man denn dann den Gifthäubling erkennen, so dass man gefahrlos Stockschwämmchen sammeln kann? r.: Galerina marginata, CH 572/2000: Ältere Einzelfruchtkörper mit genattertem Stiel und immer noch deutlich erkennbarem Ring. u.: Stockschwämmchen Kuehneromyces mutabilis: Typische, schüppchenbesetzte, junge Fruchtkörper, einzeln bis büschelig wachsend. Tutzing, 11. 10. 1993, MTB 8033/4, ohne Beleg.

Galerina marginata, CH 572/2000: Junge Exemplare mit deutlichem Ring Ganz sicher geht es mit dem Mikroskop, da die Gifthäublinge warzige Sporen haben, während Stockschwämmchen glatte Sporen mit Keimporus besitzen. Dies ist für den Speisekorbmykologen aber wohl kaum von Nutzen. Der wohl einzige sichere makroskopische Unterschied besteht in der Stielbeschuppung. Gifthäublinge haben einen glatten Ring und Stiel, während Stockschwämmchen an der Ringunterseite und am Stiel feine Schüppchen haben. Es gibt Bilderbuchexemplare mit sehr deutlichen Schuppen. Allerdings lassen sich die Schüppchen leicht zerdrücken bzw. abwischen. Im Nachhinein die Aufsammlung zu überprüfen, nachdem die Beute am Stiel gepackt und gepflückt wurde und im Korb hin und her geschüttelt wurde, ist meist schwierig und verlangt fast detektivischen Spürsinn, denn von den Schüppchen ist dann nicht mehr viel übrig. Aus diesem Grund lasse ich persönlich in der Pilzberatung keine Stockschwämmchen durchgehen. Das Risiko ist mir einfach zu hoch. Man darf auch nicht vergessen, dass der Beratung Suchende später ohne Rückversicherung Stockschwämmchen sammeln wird. Zu dem Risiko, dem sich viele Sammler unnötigerweise aussetzen, noch ein paar Beispiele: Während der jährlichen Pilzausstellung im Botanischen Garten München komme ich mit vielen Besuchern ins Gespräch. Aus Neugierde frage ich gerne explizit nach, ob jemand auch Stockschwämmchen für den Kochtopf sammelt. Anschliessend erkundige ich mich immer nach dem Gifthäubling. Es ist kaum zu glauben, wie wenig Leute diesen Pilz überhaupt kennen. Meist ist nur vom Schwefelkopf die Rede. In der Ausstellung kann man glücklicherweise den Doppelgänger direkt demonstrieren (wir legen Stockschwämmchen und Gifthäubling immer nebeneinander). Bis auf wenige, die alles kennen, wenn sie auch keinen Namen dafür parat haben ( den würde ich ja nie sammeln, der sieht doch komisch aus... ), habe ich so viele Leute vor weiteren Selbstversuchen bekehrt. Auch auf Lehrwanderungen ist es immer wieder interessant, Gifthäublinge vorzuzeigen (die Art ist ja schliesslich häufig, zumindest im Münchner Süden) und den Teilnehmern gezielte Fragen zu stellen. Zu guter letzt habe ich mich natürlich auch im Bayerischen Wald umgehört, direkt ausgelöst durch meinen kapitalen Fund. Befragt wurde meine Zimmerwirtin und die Kassiererin im benachbarten Tante-Emma-Laden. Beide sammeln leidenschaftlich Steinpilze, Reherl (Pfifferlinge), Jagerhaxn (Birkenpilze) und natürlich Stockschwammerl. Vom Gifthäubling hatten beide noch nie gehört. Sollten sie zufällig mal auf meinen Kartierungsflächen in die Pilze gehen, na dann prost Mahlzeit! Man mag sich wundern, dass man so selten von Vergiftungen mit Galerina marginata hört. Es gibt Der Tintling 2 (2001) Seite 30

sie aber! Leider werden Pilzvergiftungen nicht statistisch erfasst und publiziert. Nur wenn Pilzberater von Krankenhäusern beauftragt werden, die Giftpilze zu bestimmen, kann man hin und wieder mündlich Einzelheiten erfahren. So hatte Edmund Garnweidner (Leiter der Münchner Pilzberatung) eine Galerina marginata-vergiftung einer Mutter und 5 Kindern (!) als Fall zu verifizieren. Die Pilze wurden im Bayerischen Wald gesammelt, die Familie in München stationär behandelt. Glücklicherweise haben sich wohl nur wenige Gifthäublinge zu den in diesem Fall gesammelten Winterpilzen (Flammulina velutipes) in den Korb verirrt. Die Sammlerin konnte definitiv ausschliessen, Knollenblätterpilze verspeist zu haben. Die Frage, ob sie vielleicht doch ein paar Stockschwämmchen zusätzlich mitgesammelt habe, hat sie letztendlich dann aber bejaht. Alle, auch die Kinder, haben überlebt. Ein weiterer, schwerer Vergiftungsfall durch Galerina marginata ist aus Braunschweig bekannt geworden (ANDERSSON 1999). Hier führte ein Massenvorkommen auf Rindenmulch zur folgenschweren Pilzmahlzeit. Da die Symptomatik von Amanitinvergiftungen eindeutig erkannt werden kann, bleibt die Frage, wie viele Galerina-Vergiftungen fälschlicherweise Knollenblätterpilzen zugeordnet werden. Meine Empfehlung: Hände weg vom Stockschwämmchen, es sei denn man hat viel Erfahrung und kann wirklich völlig sicher Stockschwämmchen von allen (!) giftigen Häublingen unterscheiden. Funddaten von Galerina marginata: Deutschland, Bayern, Reg.-Bez. Niederbayern, Lkr. Freyung-Grafenau, Nationalpark Bayerischer Wald, Guglöd, leg. / det. Ch. Hahn, 31. 10. 2000, CH 572/2000, Beleg im Privatherbar, wird später in der Botanischen Staatssammlung (M) hinterlegt. Literatur: ANDERSSON H. (1999): Schwere Pilzvergiftung durch Galerina marginata. DGfM-Mitteilungen 9(1): 21, Beilage zur Z. Mykol. 65(1). BRESINSKY A. & BESL H. (1985): Giftpilze. Ein Handbuch für Apotheker, Ärzte und Biologen. Wissensch. Verlagsges. Stuttgart. 295 pp. BON M. (1992) Clé monographique des espèces galero-naucorioides. Doc. Mycol. 21(84) : 1-89. HAHN C. (1998): Galerina marginata. Der Tintling 3(4): 44. HOFRICHTER R. (2000) : ADAC Naturführer Pilze. ADAC-Verlag, München, 192 pp. KÜHNER R. (1935) : Le genre Galera (Fries) Quélet. Encyclopédie mycologique 7, Lechevallier, Paris, 240 pp. LOHMEYER T.R., CHRISTAN J. & GRUBER O. (1993): Clitocybe puberula Kuyper, Lentaria albovinacea Pilát und andere Pilze auf Sägemehlablagerungen bei Burghausen/Oberbayern. Z. Mykol. 59(2): 193-214. SMITH A. H. & SINGER R. (1964): A monograph on the genus Galerina Earle. Hafner Publisher, New York, 384 pp. Der Tintling 2 (2001) Seite 31