2. Anwendungen mit Befestigungsmitteln 11 2.1 Geschichtliche Entwicklung In der Vergangenheit haben die Baumeister aus der Erfahrung gelernt und ihre Erfahrungen zum sicheren Bauen an ihre Schüler in mündlicher Form weitergegeben. Der Wissensschatz zum stabilen, dauerhaften und ästhetisch ansprechenden Bauen war jedoch nicht allgemein zugänglich sondern Eigentum der Baumeister. Schriftliche Regelungen zum Bauen waren nicht vorhanden. Dass es jedoch bereits in Babylonien um das 22. Jahrhundert vor Christus Bauschäden gab, zeigt das Gesetzbuch des Königs Hammurabi. Passagen des in Bild 2.1 gezeigten Gesetzestextes lauten: 229 (A): Wenn ein Baumeister für jemanden ein Haus errichtet, dessen Konstruktion nicht fest genug ist, so dass das Haus einstürzt und den Tod des Bauherrn verursacht, so soll dieser Baumeister getötet werden. 230 (B): Wenn der Einsturz den Tod des Sohnes des Bauherrn zur Folge hat, so soll der Sohn des Baumeisters getötet werden. 231 (C): Hat der Einsturz den Tod eines Sklaven des Bauherrn zur Folge, so soll der Baumeister dem Bauherrn einen gleichwertigen Sklaven zur Verfügung stellen. 231 (D): Wenn durch den Einsturz Eigentum beschädigt wird, so ist der Baumeister verpflichtet, das wieder herzustellen, was zerstört wurde. Da der Einsturz des Hauses durch eine schlechte Konstruktion verursacht wurde, soll er (der Baumeister) dieses auf eigene Kosten wieder herstellen. 232 (E): Wenn ein Baumeister jemandem ein Haus erstellt hat und das Werk fehlerhaft ist, so dass eine Wand einstürzt, so soll der Baumeister auf eigene Kosten die Wand verstärkt wieder errichten. Das Gesetz enthält bereits eine Beschreibung und gestufte rechtliche Folgerungen aus der Produkthaftung: Stürzt ein fehlerhaft errichtetes Haus ein und verursacht einen Personenschaden tötet den Bauherrn so gilt Strafrecht soll der Baumeister getötet werden. Wird beim Einsturz eines Hauses nur ein Sklave getötet Sklaven galten als Sachen so verpflichtet dies den Baumeister zu vollem Schadenersatz, einem gleichwertigen Sklaven: ziviles Delikts- (Verschuldens-)Recht. Entstehen keine Schäden an anderen Sachen nur eine Wand stürzt ein löst dies eine Pflicht zur Wiedererrichtung der eingestürzten Wand aus, Gewährleistung als Teil des Vertragsrechtes. Diese unterschiedlichen Rechtsfolgen von Schäden durch fehlerhafte Produkte gelten auch heute nahezu unverändert. Bild 2.1: Ausschnitt aus dem Codex Hammurabi Bild 2.2: Colosseum, Rom Im ersten Jahrhundert vor Christus stellte Vitruv im römischen Reich mit seinen 10 Büchern über Architektur erste Regelungen zur Stabilität, Dauerhaftigkeit und Ästhetik von Bauwerken auf. Dazu setzte er auch die Befestigungstechnik ein und beschrieb Befestigungslösungen wie sie beim Bau des Colosseums in Rom
12 Anwendungen mit Befestigungsmitteln eingesetzt wurden. In Bild 2.2 sind die Dübellöcher für die Befestigung der Verkleidung des Colosseums gut zu sehen. Befestigungselemente wurden außerdem zur Verbindung der Fertigteile verwendet. Plutarch (45-125 nach Christus) berichtete aus dem römischen Reich, dass die Bauunternehmen, die qualitativ hochwertige Bauwerke bei gleichzeitig niedrigsten Kosten und schnellster Bauzeit versprachen, den Zuschlag für die Errichtung eines Bauwerks erhielten. Die Faktoren Qualität, Kosten und Zeit existieren demnach nicht erst seit heute und waren damals schon Gründe für den Einsatz der Befestigungstechnik. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Denkweise der Baumeister bezüglich der Befestigungstechnik: Mach es so, wie wir es schon immer gemacht haben. Folgerichtig war die Befestigungstechnik bis ins 20. Jahrhundert hinein auf eingemörtelte oder einbetonierte Einlegeteile aus Holz, zur Übertragung geringer Lasten, oder Stahl beschränkt. Neue Methoden fanden bis dahin kaum Anwendung. Diese Kultur musste dem raschen Fortschritt mit dem Beginn des Zeitalters der Industrialisierung Tribut zollen. Neue Baustoffe wurden entwickelt, künstliche Steine für Mauerwerk wurden industriell produziert und neue Bauweisen wie der Stahlbetonbau entstanden. Dies erforderte neue Befestigungstechniken wie die nachträgliche Dübelmontage, wobei die Vielfalt der Befestigungsmittel bis heute mit der Anzahl der möglichen Anwendungen wuchs. 2.2 Aktuelle Befestigungstechnik Der wesentliche Vorteil aller Typen von Dübeln oder der Direktmontage mit Setzbolzen ist die nachträgliche Montage an einer nahezu beliebigen Stelle im Bauteil. Dazu ist keine detaillierte Vorplanung erforderlich und Nutzungsänderungen bei Bauwerken lassen sich schnell und einfach bewerkstelligen. Inzwischen ist es daher eine tägliche Aufgabe in der Baupraxis, tragende und nicht tragende Konstruktionen an Bauteilen aus Stahlbeton oder Mauerwerk zu befestigen. Neue Untergründe im Beton- und Mauerwerksbau stellen immer wieder neue Anforderungen an die Befestigungstechnik, die sich dieser Aufgabe durch die Entwicklung innovativer Befestigungslösungen erfolgreich stellt. Bild 2.3 gibt eine Übersicht über heute eingesetzte Befestigungssysteme zur nachträglichen Befestigung im Beton- und Mauerwerksbau. Bild 2.3: Befestigungssysteme für die nachträgliche Montage
Anwendungen mit Befestigungsmitteln 13 Für den Anwender in der Praxis wurde es aufgrund der Vielfalt der Befestigungssysteme immer schwieriger, die richtige Befestigungslösung zu finden und sichere Befestigungen auszuführen. Nach dem verstärkten Auftreten von teilweise schweren Schadensfällen beschäftigten sich Sachverständigenausschüsse beim DIBt mit der Befestigungstechnik. Dies führte 1975 zur Erteilung der ersten bauaufsichtlichen Zulassung. Da den bauaufsichtlichen Zulassungsbescheiden dieselben Versuche und Prüfbedingungen zugrunde lagen, konnten Dübelsysteme verschiedener Hersteller untereinander verglichen werden. Zudem wurden die Anwendungsbedingungen genau definiert. Inzwischen gibt es eine für manchen Anwender kaum überschaubare Anzahl unterschiedlicher Befestigungsmittel, die für bestimmte Anwendungsbereiche entwickelt wurden. Für die sichere und dauerhafte Lasteintragung in den Untergrund stehen heute nahezu für jede Anwendung geeignete Dübelsysteme aus Stahl und Kunststoff zur Verfügung. Sie sind durch ihre unterschiedlichen Wirkungsprinzipien, Werkstoffe und Abmessungen den verschiedensten Anwendungen in Verankerungsgründen aus Stahlbeton und Mauerwerk angepasst. Ihr richtiger Einsatz auf der Baustelle ist sicherzustellen. Hierfür wiederum gibt es eine große Vielfalt von bauaufsichtlichen Zulassungen, die Vorschriften für die Anwendung, Bemessung und Montage der Dübel enthalten. Die Wahl eines Befestigungsmittels sollte zunächst auf der folgenden Frage beruhen: Welche Art von Befestigungsmitteln ist am geeignetsten für die Lösung meines Befestigungsproblems? Die zweite Frage ist: Wie kann ich die Leistungsfähigkeit des Befestigungsmittels bestmöglich ausnutzen? Mit diesen Fragestellungen beschäftigen sich im Wesentlichen der Planer und der Ingenieur. Die beste Dübelauswahl und sorgfältigste Entwurfsmethode nützen jedoch nichts, wenn das Befestigungsmittel nicht zuverlässig funktioniert oder nicht richtig montiert ist. Die Faktoren, die eine sichere Befestigung gewährleisten, sind in Bild 2.4 zusammengestellt. Weitere Details zur Dübelauswahl enthält Kapitel 10. Bild 2.4: Erfolgsfaktoren für sichere Befestigungen mit Dübeln [62]
14 Anwendungen mit Befestigungsmitteln Die sichere Funktionsweise von Dübeln wird durch die Zulassungsbescheide der bauaufsichtlichen Stellen sowie die Eigen- und Fremdüberwachung beim Hersteller sichergestellt. Zur Sicherstellung der richtigen Montage der Dübel bietet Würth Kurse zum Zertifizierten Befestigungstechniker, die mit einer Prüfung durch eine neutrale Stelle, dem IWB der Universität Stuttgart, dem führenden Institut für Befestigungstechnik in Deutschland, abgeschlossen werden, an. Es sollte selbstverständlich sein, dass Dübel, die hohe Lasten übertragen sollen und in sicherheitsrelevanten Anwendungen verwendet werden, von erfahrenen Personen geplant und bemessen werden. Nachvollziehbare Berechnungen und Zeichnungen sind zu erstellen. Die Dübelmontage soll durch geschulte und erfahrene Monteure, möglichst Zertifizierte Befestigungstechniker erfolgen. Zuverlässige Verbindungen, basierend auf zuverlässigen Dübeln und rechnerischen Nachweisen, können nur durch die Zusammenarbeit von den beiden Beteiligten, Planer und Monteur, erreicht werden. Beispiele aus dem breiten Anwendungsbereich für Befestigungsmittel enthalten die Bilder 2.5 bis 2.11. Dabei sollte nie außer Acht gelassen werden, dass oftmals die Leistungsfähigkeit einer Verbindung lebenswichtig für die Gebrauchsfähigkeit und Standfestigkeit eines Gebäudes ist. Anschluss Balkon/Vordach Außenwand Innenwand Decke Mauer Stütze Bild 2.5: Beispiele für Einsatzgebiete von Dübeln im Hochbau
Anwendungen mit Befestigungsmitteln 15 Bild 2.6: Befestigung eines Holzstützenfußes mit dem Würth W-FAZ/A4, M10 Bild 2.7: Befestigung eines Stahlpodests mit dem Würth W-VIZ/A4, M16
16 Anwendungen mit Befestigungsmitteln Bild 2.8: Befestigung eines Zauns an einer Tiefgaragenausfahrt mit dem Würth W-FAZ/HCR, M12 Bild 2.9: Befestigung eines Vordachs in Mauerwerk mit dem Injektionsdübel Würth WIT-VM200, Gewindestange M12, A4
Anwendungen mit Befestigungsmitteln 17 Bild 2.10: Befestigung einer Holzkonstruktion mit dem Würth W-VIZ, M10 Bild 2.11: Befestigung von Maschinenkonsolen mit dem Würth W-FAZ/S, M12