98 KATALOG 99 II WILHELM LEIBL UND SEINE AKADEMIEFREUNDE THEODOR ALT UND RUDOLF HIRTH DU FRÊNES Darum weg mit allem Kram, wie großen Namen, Vermögen und wie all dieser Plunder heißt, und studiert die Natur, denn daraus ergibt sich allein die wahre Befriedigung und Freude... Wilhelm Leibl an seinen Bruder Ferdinand, Februar 1870 An der Münchener Akademie traf Leibl schon in der vorbereitenden Malklasse bei Hermann Anschütz auf die Freunde und Mitschüler, die später zum Kern des Leibl-Kreises gehörten:, Karl Haider, Rudolf Hirth du Frênes und Johann Sperl. Gemeinsam war den jungen Künstlern die Opposition gegen die akademischen Normen der Zeit: Die pompöse, auf die Bravour der Malerei und die Dramatik des erzählerischen Inhalts setzende Historienmalerei, wie sie vor allem der Akademieprofessor Karl Theodor von Piloty lehrte, erschien ihnen oberflächlich und aufgesetzt. Die theaterhaften Szenen hatten mit ihren persönlichen Erfahrungen nichts zu tun. Da bildete die Schule des Genremalers Arthur von Ramberg, in dessen Meisterklasse Leibl, Sperl, Hirth du Frênes und Alt 1866 eintraten, ein Gegengewicht. Der neue Professor lehrte eine hohe Malkultur von feinsten malerischen Nuancen. Weitere prägende Eindrücke verdankten die Künstler dem Studium der Alten Meister in der Alten Pinakothek in München. Hier fanden sie die Authentizität, die sie in der neueren Malerei vermissten, die Treue zum Gegenstand und zur Natur bei gleichzeitig höchstem malerischem Niveau. Diese Auseinandersetzung äußert sich unter anderem in s Bildnis von Leibls Jugendfreund Anton Wingen, in dem der junge Künstler ein Porträt des flämischen Barockmalers Anthonis van Dyck zitiert, aber auch in der Komposition von Leibls unvollendetem Bildnis eines Herrn, das in der Sitzhaltung auf barocke Porträts etwa von Rubens zurückgeht. Von der Barockmalerei lernten die jungen Künstler auch die eher malerische als zeichnerische Auffassung, die sich in Leibls und Alts Porträts dieser Jahre in einem lockeren, fleckenhaften Duktus äußert. Die sichtbare Handschrift zeigt auch die Individualität des Künstlers: Bei aller Sachlichkeit der Anschauung ist es doch die subjektive Empfindung, die dem gemalten Gegenstand Leben verleiht. In den Jahren um 1870 formte sich bei Leibl und seinen Freunden die Überzeugung, dass das Wie in der Kunst wichtiger sei als das Was, die reine Malerei bedeutender als der dargestellte Gegenstand. Je mehr die Malerei selbst dem Auge zu bieten hat, umso unbedeutender kann das Bildthema sein. So wurden Porträt, Stillleben und Landschaft, in der Akademie bis dahin eher untergeordnete Gattungen, die eigentlichen Experimentierfelder der jungen Künstler. n Kat. 14 Wilhelm Leibl Des Künstlers Vater, Domkapellmeister Karl Leibl, 1866 79 x 63 cm Bez. u. r.: W. Leibl./66. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
100 KATALOG II WILHELM LEIBL UND SEINE AKADEMIEFREUNDE THEODOR ALT UND RUDOLF HIRTH DU FRÊNES 101 n Kat. 15 Leibl im Kreis seiner Freunde, um 1867 31 x 41 cm Bez. u. r.: Th Alt ; u. l.: W. Leibl Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München Neue Pinakothek n Kat. 16 Wilhelm Leibl Bildnis eines Herrn, um 1871 (Untermalung) 100 x 77 cm Museum im Kulturspeicher Würzburg
102 KATALOG II WILHELM LEIBL UND SEINE AKADEMIEFREUNDE THEODOR ALT UND RUDOLF HIRTH DU FRÊNES 103 n Kat. 17 Wilhelm Leibl Totenschädel mit Leichentuch, 1868 Öl auf Pappe 43 x 36,5 cm Bez. o. r.: W. Leibl 68 Staatliche Kunsthalle Karlsruhe n Kat. 18 Wilhelm Trübner Vanitas-Stillleben, 1869 Leinwand 35 x 40 cm Bez. o. l.: W. Trübner. 1869 Stiftung Museum Kunstpalast Düsseldorf
104 KATALOG II WILHELM LEIBL UND SEINE AKADEMIEFREUNDE THEODOR ALT UND RUDOLF HIRTH DU FRÊNES 105 n Kat. 19 Bildnis Anton Wingen, 1867 37 x 28,2 cm Privatbesitz n Kat. 20 Weibliches Bildnis, um 1870 37,4 x 35 cm Kunsthalle Bremen Der Kunstverein in Bremen
106 KATALOG II WILHELM LEIBL UND SEINE AKADEMIEFREUNDE THEODOR ALT UND RUDOLF HIRTH DU FRÊNES 107 n Kat. 21 Rudolf Hirth du Frênes Bildnis eines kleinen Mädchens, 1873 48 x 37 cm Bez. u. r.: R. Hirth du Frênes/1873 Museum im Kulturspeicher Würzburg n Kat. 22 Bildnis eines Knaben, um 1872 42 x 28,5 cm Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
108 KATALOG II WILHELM LEIBL UND SEINE AKADEMIEFREUNDE THEODOR ALT UND RUDOLF HIRTH DU FRÊNES 109 n Kat. 23 Bildnis des Pfarrers Alt, 1874, auf Pappe aufgezogen 47,5 x 35,3 cm Niedersächsisches Landesmuseum Hannover n Kat. 24 Im Atelier 68 x 40,5 cm Galerie Wimmer, München
110 KATALOG II WILHELM LEIBL UND SEINE AKADEMIEFREUNDE THEODOR ALT UND RUDOLF HIRTH DU FRÊNES 111 n Kat. 25 Frau am Kamin, um 1870 33,5 x 24,5 cm Privatbesitz n Kat. 26 Wilhelm Leibl Interieur mit Mutter und Kind (Studie), um 1870 37,5 x 44,3 cm Privatbesitz
112 KATALOG III DER LEIBL-KREIS NACH 1869 WEITERE KREISE 113 III DER LEIBL-KREIS NACH 1869 WEITERE KREISE Durch dieses Haschen nach guten Sujets, was mit der Kunst der Malerei nichts gemein hat, werden in Deutschland keine Maler hervorgebracht und ist alle Malerei bis auf den heutigen Tag dort zum Teufel gegangen. Wilhelm Leibl aus Paris an seinen Bruder Ferdinand, 12. Mai 1870 Der kleine Kreis, der sich in den 1860er Jahren an der Münchner Akademie um Wilhelm Leibl gesammelt hatte, war Teil einer größeren Bewegung: Überall in Europa rangen Künstler um eine neue malerische Ausdrucksform, die sich durch Abwendung vom Idealismus und Hinwendung zur Natur auszeichnete. In Frankreich hatte Gustave Courbet seine kraftvollen Bilder einfachster, bis dahin gar nicht bildwürdiger Gegenstände 1855 unter dem Kampfbegriff des Realismus ausgestellt; die Bewunderung für Courbet wurde in Deutschland ganz wesentlich durch den Frankfurter Maler Victor Müller vermittelt. Als Mitglied der Jury der epochemachenden Internationalen Ausstellung im Münchner Glaspalast 1869 war Müller dafür verantwortlich, dass Courbets Werk hier mit mehreren Bildern gezeigt wurde. Courbet kam selbst zur Ausstellung nach München und traf hier auch mit Müller und den Künstlern um Wilhelm Leibl zusammen. Besonders Leibls Bildnis der Mina Gedon (Abb. S. 19), das auf der Internationalen Ausstellung allgemeine Aufmerksamkeit fand, weckte die Bewunderung Courbets. Dadurch ermutigt, folgte Leibl einer Einladung nach Paris. Dort traf er 1869/70 auf junge Künstler aus Frankfurt, darunter Louis Eysen und Otto Scholderer. Dessen Bild der Blumenbinderin steht Leibls Hauptwerk der Pariser Zeit, der Jungen Pariserin (Abb. S. 21), in der malerischen Auffassung des Einfigurengenres bemerkenswert nahe. Wieder in München, traf Leibl 1870 auf Hans Thoma, der gleichfalls aus Frankfurt gebürtig und mit Scholderer befreundet war. Sein Selbstbildnis aus München zeigt exemplarisch Thomas Auseinandersetzung mit der Porträtmalerei des Leibl-Kreises. Zu Leibls Freunden gehörte in diesen Jahren auch Fritz Schider, zu dem Leibl eine besonders enge persönliche Beziehung hatte und der später Leibls Würzburger Nichte Lina Kirchdorffer heiratete. Auch Schider orientierte sich in den frühen 1870er Jahren an der französischen Malerei: Die Frische der malerischen Erfassung eines atmosphärischen Eindrucks in seinem Bild Am Chinesischen Turm steht bereits dem Impressionismus nahe. 1871 lernte Leibl zwei weitere Künstler kennen, die später zu den wichtigsten Vertretern des Leibl- Kreises gehörten: Carl Schuch und Wilhelm Trübner. Leibl begegnete ihnen beim Landschaftsmalen in Bernried und legte ihnen seine Kunstauffassung dar. Beide Künstler wurden von dieser Begegnung und den durch Leibl vermittelten Ideen tief geprägt und entwickelten sie auf je eigene Weise weiter. Die gegenseitigen Porträts der jungen Künstler sind Ausweis der freundschaftlichen Bindungen, die den Leibl- Kreis in diesen Jahren zu einer lebendigen Gemeinschaft machten. n Kat. 27 Otto Scholderer Blumenbinderin, um 1869 84 x 64 cm Bez. u. r.: O S Kunsthalle Bremen Der Kunstverein in Bremen