Kurantmünzen in der volksmagischen Apotheke

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Transkript:

Kurantmünzen in der volksmagischen Apotheke Mit Beispielen aus den Sammlungen des Historischen Museums Luzern und der Schenkung Dr. Josef Zihlmann Kurt Lussi Abstract Der Gebrauch von Kurantmünzen spielt in der europäischen Volksmagie eine wichtige Rolle. Als besonders zauberkräftig gelten Gold- und Silbermünzen, deren Motive sich auf Gott und die Heiligen der Kirche beziehen. In der alpenländischen Volksmagie die grösste Bedeutung erlangt haben «Händleinheller» aus Schwäbisch Hall. Die in grosser Zahl geprägten Münzen zeigen auf der einen Seite die Hand Gottes und auf der anderen ein Spaltenkreuz. Funde in Beromünster und anderen Orten der Zentralschweiz weisen darauf hin, dass Münzen mit volksmagischer Bedeutung weit über ihren ursprünglichen Entstehungsort hinaus verbreitet waren. Keywords Religion, Volksglaube, Zauberglaube, Kurantmünzen, Amulette Dieser Text entstand 2014 im Rahmen eines Vortrags zur volksmagischen Verwendung von Gold- und Silbermünzen (gekürzte und auf die Münzensammlungen des Historischen Museums Luzern angepasste Version). Verfasst von Kurt Lussi, Konservator Historisches Museum Luzern. Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. 1

Die Münzsammlung des Historischen Museums Luzern Das Historische Museum Luzern besitzt drei grosse numismatische Sammlungen. Jene des Kantons Luzern umfasst 8'000 Exemplare. Als Depositum befindet sich im Bestand des Museums zudem die Sammlung der Korporation Luzern, die rund 1'100 Münzen umfasst. Die dritte ist jene des Historischen Vereins der Fünf Orte, die zu einem grossen Teil aus Fundmünzen besteht. Mit der 2003 erfolgten Neueinrichtung des Museums hat Aldo COLOMBI von den drei Sammlungen 372 Münzen ausgewählt und in einer Publikation beschrieben. 1 Fast alle Münzen dieser drei Sammlungen dienten einst als Zahlungsmittel. Einige wenige Exemplare hatten jedoch eine erweiterte Bedeutung. Man verwendete sie nicht nur im täglichen Geldverkehr, sondern auch als Amulette gegen dämonische Einflüsse, zur Abwehr und Heilung von Krankheiten und als Schutzzeichen gegen die Gefahren des Alltags. Hinweise darauf finden wir in grosser Zahl in Zauberbüchern, Sagensammlungen und volkskundlichen Arbeiten. Ihre Verwendung als Amulette unterscheidet sie von den Pesttalern, den Petrus- und Benediktuspfennigen, den kirchlichen Weihemünzen, den Medaillen sowie den heute noch in grosser Zahl verbreiteten Zeieli, die alle eigens als Schutzzeichen geprägt und verbreitet wurden. Damit das Buttern gelingt Der Gebrauch von Kurantmünzen im Zauberglauben spielt in der europäischen Volksmagie eine wichtige Rolle. Nach Siegfried SELIGMANN waren in Schottland und England Münzen zeitweise sogar die gebräuchlichsten Zauberzeichen. 2 Am häufigsten verwendet wurden sie beim Buttern: Um sich gegen die Einflussnahme von Hexen zu schützen, legte man unter das Butterfass eine zusammengebogene silberne Sixpence- Münze, ein Hufeisen oder ein aus Zweigen des rowan-tree (Eberesche, lat. Sorbus aucuparia L.) gebildetes Kreuz. 3 In unserer Gegend tat es eine einfache Silbermünze. Bei Alois LÜTOLF lesen wir: «Das Butern wird gar häufig durch Zauber verhindert. Man kann denselben indess [ ] unwirksam machen, indem man eine Silbermünze hineinbringt.» 4 Dieser Glaube hat sich gemäss den Aufzeichnungen von Josef ZIHLMANN bis in die Gegenwart erhalten. 5 Gold und Silber Gold und Silber haben in fast allen Kulturen eine besondere magische Kraft, einerseits wegen ihrer Seltenheit und andererseits auch wegen ihres Glanzes: Rote, raue Flecken am Kinn reibt man mit einem Goldstück. Dann verschwinden sie. Auf die gleiche Weise behandelt man das Gerstenkorn (lat. hordeolum, schweizerdeutsch Urseli; eine meist 2

eitrige Entzündung der Drüsen der Augenlider). 6 Zur Zeit des Osmanischen Reiches schützte man sich auf dem Balkan mit Gold- und Silbermünzen gegen den Bösen Blick. In Serbien trugen Frauen zwei Goldstücke in den Haaren; in Albanien hatten die Frauen Ohranhänger, an deren Enden venezianische oder türkische Goldmünzen hingen und in der Türkei befestigte man ein Goldstück an der Mütze des Neugeborenen. 7 Zum Schutz vor dem Bösen Blick werden auf dem Balkan Silbermünzen an die Kleider genäht oder um den Hals getragen. Sie stammen meist aus türkischer Zeit, da weite Teile des Balkans bis zum Zusammenbruch des Osmanischen Reiches unter türkischer Herrschaft standen. Vom Silber glaubt man, es werfe den Bösen Blick zurück. Im erweiterten Sinne schützt Silber vor Behexung und macht Schadenzauber unwirksam; eine Vorstellung, die im 17. und 18. Jahrhundert mit britischen Auswanderern in die Vereinigten Staaten gekommen und dort Teil der volksmagischen Vorstellungen des Voodoo Hoodoo geworden ist. 8 In ganz Europa verbreitet ist der Glaube, wonach man eine Hexe durch den Schuss mit einer Silbermünze bzw. einer daraus gefertigten Kugel töten kann. 9 In Friesland verfertigte man die Kugeln aus silbernen Trachtenknöpfen, die fossilen Seeigeln nachgebildet waren. Diese Knöpfe sind bis heute Teil des filigranen Brustschmucks aus Silber. Auf der friesischen Insel Föhr besteht er aus zehn bis zwölf, auf Amrum meist aus acht Silberknöpfen sowie einer mehrgliedrigen Halskette. Hergestellt wird der Silberschmuck in Portugal, von wo er von friesischen Seefahrern eingeführt wurde. Mit den aus den Knöpfen hergestellten Kugeln schoss man auf die vermeintliche Zauberin. Man glaubte, dass eine gewöhnliche Bleikugel von der Hexe magisch zurückgeschickt und so den Schützen selbst treffen würde. 10 In Schwaben darf die Gemeine Wegwarte (Cichorium intybus) nur mit einer Gold- oder Silbermünze geschnitten werden, sonst verliert sie ihre Kraft. 11 Eine besondere Regel gilt für die Gewinnung der Wurzeln, die bei sich getragen vor Unheil schützen und ins Bett von Gebärenden gelegt die Geburt beschleunigen sollen. Nach der Magiologia des Bartholomäus ANHORN von 1675 darf man die Wegwarte nicht ausreissen, sondern man muss sie nach besonderen Vorschriften am Festtag des hl. Johannes des Täufers (24. Juni) ausgraben. Bevor man mit dem Graben beginnt, ist die Pflanze mit Gold (bzw. einer Goldmünze) zu berühren. 12 Fast das Gleiche wird vom Eisenkraut (Verbena officinalis) gesagt, das besonders im Liebeszauber eine Rolle spielt. Bevor man es ausgräbt, sollte man sich des alten Spruchs erinnern: «Verbeen hilft dir sehr, Dass dir die Frawen werden hold, Doch brauch kein eisen, Grabs mit goldt.» 13 3

Bei all diesen Beispielen ist nicht die Geldmünze wirksam, sondern das Metall. Dies gilt auch, wenn zum Beispiel verlangt wird, dass einer für zauberische Zwecke gefangenen Schlange oder Eidechse der Kopf mit einer Goldmünze abgeschnitten werden soll. 14 Auch hier ist es das Edelmetall, das seine magische Kraft entfaltet und nicht das Geldstück. In der Regel schrieb man jedoch nicht allen Gold- oder Silbermünzen eine zauberische Wirkung zu, sondern nur ganz bestimmten: Wenn man in Schottland eine Kuh nach dem Kalben erstmals molk, legte man einen Schilling in den Melkeimer. Ebenso goss man das Wasser, das man ihr danach zu trinken gab, über einen neuen Schilling. Dies schützte das Tier vor Verhexung. Als besonders zauberkräftig galten alte Schillinge vom Typ «cross t shillan» oder «crossie-croon shillan». Wer einen solchen Schilling hatte, hütete ihn wie einen Schatz. Jene, die nicht das Glück hatten, einen geerbten «cross t shillan» zu besitzen, behalfen sich mit gewöhnlichen Silbermünzen, die zu jener Zeit in Umlauf waren. 15 Abb. 1: Shilling vom Typ «cross t shillan» von 1745. Die kreuzweise angeordneten und gekrönten Wappenschilder verstärken die magische Wirkung des Silbers, dem wie dem Gold apotropäische Kräfte zugeschrieben werden. Privatsammlung. Foto: Kurt Lussi, Ruswil. Bezüglich der Herkunft des Namens «crossie-croon shillan» bestehen unterschiedliche Meinungen. Am zutreffendsten ist wohl jene, wonach der Name von Schillingen abgeleitet sein soll, bei denen die Wappen auf der Rückseite kreuzförmig angeordnet und gekrönt sind. Das macht Sinn: Mit dem Kreuz als Symbol des Triumpfes Christi über den Tod schützt man sich bis heute gegen das Böse. Im erweiterten Sinne beziehen sich darauf auch die Kronen über den Kreuzenden. Im Brief an die Hebräer heisst es zutreffend, dass Christus um seines Todesleidens willen «mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt» worden sei. 16 4

Die Beispiele aus England und Schottland zeigen, dass das Volk für seine Zauberhandlungen vielfach Münzen benutzte, die als Zahlungsmittel in Umlauf waren, wobei man je nach Tradition nicht irgendeine Münze, sondern nur eine ganz bestimmte verwendete. Wurden die betreffenden Münzsorten nicht mehr geprägt oder ausser Kurs gesetzt, änderte dies nichts an ihrer magischen Kraft. Nicht der Wert als Zahlungsmittel war entscheidend, sondern das Vertrauen des Volkes in ihre Wirksamkeit als Zauberzeichen, denn wenn sich in der Vergangenheit bestimmte Münzen oder Münzsorten als Heil- und Zaubermittel bewährt hatten, würden sie dies auch in Zukunft tun. Die Ausserkurssetzung und die damit einhergehende Seltenheit steigerten bloss ihren magischen und folglich auch materiellen Wert. Silberdrachme aus der Zeit Alexanders des Grossen Dies erklärt zum Beispiel auch, weshalb in Italien noch heute Drachmen aus der Zeit Alexanders des Grossen (356 323 v. Chr.) als Amulette gegen den Bösen Blick verwendet werden. Abb. 2: Tetradrachme Alexanders des Grossen, Sohn Philipps II. von Macedonien. Die Rückseite zeigt den Göttervater Zeus mit Zepter und Adler. Historisches Museum Luzern, Inv. Nr. M 0024. Foto: Historisches Museum Luzern, Theres Bütler. Der noch immer lebendige Glaube an die schützende Wirkung der Silberdrachmen reicht zurück in die römische Zeit. In der Familie des Gegenkaisers Macrianus Minor (verstorben 261 n. Chr.) war es üblich, dass Männer ständig ein Bild Alexanders als Schutzamulett bei sich trugen; die Frauen befestigten es an ihrem Haarschmuck, ihren Armbändern, Ringen und Kleidern. Die Sitte nahm später derart überhand, dass im 4. Jahrhundert der hl. Johannes Chrysostomos öffentlich gegen jene wetterte, die um den 5

Hals oder die Fussgelenke Münzen mit dem Bilde des schon zu Lebzeiten kultisch verehrten Alexanders banden. 17 Für seine Verehrung als gottgleiche Gestalt hatte Alexander persönlich gesorgt. Zeitgenössische Münzen zeigen ihn meist in der Gestalt des griechischen Helden Herakles, dessen Haupt mit dem Fell des Nemëischen Löwen bedeckt ist. Mit dieser Anspielung führte er seine Abstammung auf den Himmelsgott Zeus zurück, dessen Sohn Herakles gewesen war. Auf die göttliche Herkunft beziehen sich auch die Rückseiten vieler Silberdrachmen aus der Zeit des grossen Feldherrn. Sie zeigen meist Zeus mit Zepter und Adler. Der Adler verkörpert Ganymed, der Legende nach einer der Söhne des trojanischen Königs Tros. Zeus soll den schönen Jüngling so sehr geliebt haben, dass er ihn in Gestalt eines Adlers auf den Olymp entführte. Das Zepter in der Linken des Göttervaters nimmt Bezug auf seine Himmels- und Weltherrschaft. Letzteres hatte auch Alexander angestrebt. Hochwertige Nachbildungen antiker griechischer Münzen aus alexandrinischer Zeit finden sich bis in die Renaissance. Von weitaus geringerer Qualität sind die Repliken, die man in südlichen Ländern mit anderen schutzmagischen Zeichen an Amulettketten gegen den Bösen Blick hängt. Aus Unkenntnis oder vielleicht auch aufgrund von Verwechslungen werden anstelle von Repliken alexandrinischer Drachmen oft auch Münzen aus der Zeit der griechischen Republik (1924 1935) verwendet. Mit Ausnahme ihrer hellenischen Herkunft haben diese Münzen jedoch keinen Bezug zu Alexander dem Grossen: Das auf ihnen abgebildete Haupt ist jenes der Athena, der griechischen Göttin der Weisheit, der Strategie, der Kunst und des Kunsthandwerks. Regenbogenschüsselchen Die Zauberkraft, die man einer Münze zumisst, kann auch mit der ihr zugeschriebenen übernatürlichen Entstehung zu tun haben. Zu dieser Gruppe gehören die Regenbogenschüsselchen (lat. Scutellae iridis). Das sind kleine, zwischen etwa einem und fünf Gramm wiegende Münzen aus Gold, Silber oder Elektrum im Wert von einem Stater oder einem Bruchteil davon. Hergestellt wurden sie vermutlich von den keltischen Stämmen der Boier und Vindeliker sowie den Rheingermanen zwischen etwa 300 v. Chr. bis zur Zeitwende. Dafür spricht, dass sie hauptsächlich in Mittel- und Süddeutschland, dem ursprünglichen Siedlungsgebiet dieser Stämme, gefunden werden. Der Goldstater im Besitz des Historischen Museums Luzern kam im Wauwiler Moos zum Vorschein. Möglicherweise war er ursprünglich Teil eines Ensembles von Opfergegenständen, die wohl absichtlich im Moor deponiert worden waren. Dafür sprechen die Funde, die bei den Ausgrabungen in Egolzwil (Egolzwil 3) gemacht wurden. Bei einer Sondierung 1932 sowie anlässlich der Grabungen des Schweizerischen Landesmu- 6

seums im Jahre 1952 kamen vollständig erhaltene keltische Tongefässe zum Vorschein. Nach Ebbe NIELSEN lassen die Fundumstände darauf schliessen, dass die Gefässe bewusst im Moor deponiert wurden. Vielleicht enthielten sie ursprünglich Esswaren, die den in den Sümpfen wohnenden Gottheiten oder Ahnengeistern geopfert wurden. 18 Abb. 3: Keltischer Goldstater aus dem Wauwilermoos. Die Vorderseite zeigt einen kleinen Buckel. Auf der Rückseite ist eine Muschel dargestellt. Historisches Museum Luzern, Inv. Nr. M 04755. Foto: Historisches Museum Luzern, Theres Bütler. Ihren Namen haben diese Münzen einerseits von ihren an kleine Schüsseln erinnernden Formen und andererseits von den Vorstellungen, die sich mit ihnen verknüpfen. Man glaubte, sie wären nicht von Menschenhand geschaffen, sondern von einem Regenbogen gezeugt worden, weshalb man sie dort finden könne, wo dieser scheinbar die Erde berühre. 19 Dies mag damit zu tun haben, dass man die glänzenden Münzen am ehesten nach Gewittern auf Äckern fand. Durch das Umpflügen gelangten sie an die Oberfläche, wo sie vom Regen freigewaschen wurden und folglich ihres Glanzes wegen leicht entdeckt werden konnten. Nach anderen Auffassungen werden die Regenbogenschüsselchen vom Sturmwind an bestimmte Stellen getragen oder sie fallen als von Gotteshand geschaffene Zeichen vom Himmel. Letzteres führte wohl dazu, dass man ihnen eine grosse Heilwirkung bei Fallsucht (Epilepsie) zuschrieb. Die Ausbuchtung der Münzen ermöglichte zudem eine spezielle volksmedizinische Anwendung: In die Vertiefung konnte man einen kleinen Tropfen Wasser oder Milch geben. Durch die Berührung mit dem Metall und den göttlichen Zeichen nahmen die Flüssigkeiten nach dem Glauben des Volkes die heilenden Kräfte der Münzen auf. So befreite man in Bayern Kinder von Krämpfen, indem man sie aus einem Regenbogen- 7

schüsselchen trinken liess. 20 Nach einer anderen Anleitung legte man die kleinen Goldoder Silbermünzen in Flüssigkeiten, wodurch sich ihre magischen Kräfte auf diese übertrugen. Die Einnahme der dadurch geheiligten Substanzen sollte das Fieber lindern und zu einer leichten Geburt verhelfen; als besonders heilkräftig galten dabei jene Münzen, bei denen in der Vertiefung ein Kreuz oder ein Stern zu sehen waren. 21 Auf das Minimalste reduziert sind die Darstellungen bei den Goldstatern der Boier. Auf der Vorderseite des Staters in der Münzensammlung des Historischen Museums Luzern ist bloss ein Buckel zu sehen. Auf der Rückseite ist eine Muschel dargestellt. Ähnliche Stücke wurden auch in Basel in der Keltensiedlung «Gasfabrik» gefunden. 22 All das lässt darauf schliessen, dass die Goldstater der Boier auch ausserhalb ihres eigentlichen Siedlungsgebietes als Zahlungsmittel oder Opfergaben verwendet wurden. Münzen als Schutz- und Zauberzeichen In der europäischen Volksmagie haben Münzen oder Münzsorten besonders dann eine magische Bedeutung, wenn sich die Münzbilder auf Gott, Christus und die Heiligen beziehen. In der alpenländischen Volksmagie eine überregionale Bedeutung erlangt haben diesbezüglich die Händleinheller aus Schwäbisch Hall, die man weit über den Entstehungsort hinaus bis in die frühe Neuzeit als magisch-religiöse Schutzzeichen verwendete. Abb. 4: In der Galluskapelle im Stift Beromünster zum Vorschein gekommener Händleinheller. Die doppelseitig geprägte Münze zeigt auf der einen Seite eine offene Hand und auf der anderen ein Gabelkreuz mit Kugeln. Historisches Museum Luzern, Inv. Nr. M 07648. Foto: Historisches Museum Luzern, Theres Bütler. 8

Erstmals geprägt wurden die Händleinheller (lat. Denarius hallenses bzw. Hallenses denarii) Ende des 12. Jahrhunderts unter Kaiser Friedrich I. «Barbarossa» (um 1122 1190) in Schwäbisch Hall. Die aus dünnem Silberblech geprägten Münzen zeigen auf der einen Seite ein gleichschenkliges Spaltenkreuz und auf der anderen eine Hand, die als die Hand Gottes gedeutet wird und die den kleinen Münzen auch den Namen gab. Ihre Verbreitung im gesamten süddeutschen und schweizerischen Raum hat wohl mit einem Dekret Kaiser Karls IV. (1316 1378) zu tun. Gemäss einer Nürnberger Chronik durfte spätestens ab 1356 mit Erlaubnis des Kaisers nebst Hall auch Nürnberg die schon zu dieser Zeit beliebten und in grosser Zahl verbreiteten Händleinheller prägen. In der Chronik wird jedoch ausdrücklich vermerkt, dass auch die Nürnberger Heller mit «Hand und Creutz» zu versehen seien, damit «man das Geld erkennen koenne». Und in derselben Chronik wird zudem erwähnt, dass ab 1385 auch Augsburg und Ulm gestattet sein solle, Händleinheller herauszugeben. 23 Die Hand Gottes Ihre Bedeutung als universelles magisch-religiöses Schutz- und Zaubermittel verdankten die Händleinheller jedoch der nach oben gerichteten Hand, in der man nach einem um 1300 von Hugo von TRIMBERG verfassten Lehrgedicht ursprünglich vielleicht eine Schwurhand oder ein Symbol für die oft fehlende Redlichkeit der Kaufleute sah. 24 In diesem Gedicht heisst es: «Nun ist beyde creutz unnd handt verkert, An den hälleren, war man nun fert. Dann breite heller waren hievor. Die hatten creutze die stunden entbor. Und ein hanndt gar gleich geschlagen, Die stehnt nun als sie sein benagen, Das man sie kaum erkennen mag, Manchen kauffmann reuwet der schlag. Die treuwe bezeichnet uns die handt, Den glauben thut uns das das creutze bekandt. Treuwe und glauben han eynen gebrech, In der schrifft, dan manch blech, Wirdt auff kupffer angeschlagen. Laβt euch die warheyt fürbaβ sagen: Treuwe und glaube hant eynen namen, In der geschrifft, das sollen sich schamen, Alle die ungetreuwe sindt, Dann sie seindt nit Gottes kindt, 9

Wer rechte liebe zu Gott hat, Der ist getreuwe an aller stadt.» 25 In einem im Pfinzing schen Geschlechterbuch beschriebenen Orakel hatte der Händleinheller die Funktion einer Schicksalsmünze. Nach den noch erhaltenen Aufzeichnungen im Pfinzingarchiv war ein gewisser Berthold Tucher unschlüssig, ob er in seinem vierundfünfzigsten Lebensjahre nochmals heiraten oder sein Leben «im Geistlichen Stannde» vollenden solle. In seiner Not beschloss er, den Entscheid in Gottes Hände zu legen. Er besorgte sich dazu einen jener Händleinheller, die seit acht Jahren mit Erlaubnis von Kaiser Karl auch in Nürnberg geprägt werden durften. Mit der Münze in der Hand besuchte er alsdann die Heilige Messe. Nach dem Segen kniete er nieder, nahm sich vor, dass das nach oben liegende Kreuz den Geistlichen Stand und das Händlein den Ehestand bedeuten solle und warf den Heller in die Luft. Nachdem dreimal nacheinander das Händlein erschienen war, hielt er noch am gleichen Tag um die Hand der Jungfrau Anna auf dem Hof St. Egidien bei Essen an, die ihm nacheinander vier Söhne und vier Töchter schenkte. 26 Mit Bezug auf eine Stelle im Buch des Propheten Jesaja sah das Volk in der Darstellung jedoch nicht eine Schwur- oder Orakelhand, sondern die Hand Gottes. 27 Damit standen die Händleinheller über allen anderen Münzen, denen man aufgrund ihrer Motive ebenfalls magische-religiöse Kräfte zuschrieb, denn die Hand Gottes ist das bedeutendste aller christlichen Symbole. In der christlichen Kunst versinnbildlicht die dextera Dei, die rechte Hand Gottes, nicht nur die schöpferische, sondern auch die führende, schützende und strafende Macht des Herrn. Im Buch Exodus, das den Auszug der Israeliten aus Ägypten schildert, spricht der Herr zu Moses: «Jetzt wirst du sehen, was ich dem Pharao antue. Denn von starker Hand gezwungen, wird er sie [die Israeliten] ziehen lassen, ja von starker Hand gezwungen, wird er sie sogar aus seinem Land ausweisen.» 28 In der christlichen Ikonographie am geläufigsten ist das Bild der Hände Gottes, die oft von Wolken umrahmt am Himmel erscheinen. Sie versinnbildlichen die schöpferische und über allem herrschende Macht Gottes. Darstellungen der aufwärts gerichteten Hand Gottes tauchen bereits seit dem 8. Jahrhundert in Handschriften und Elfenbeinarbeiten auf. Sie sind noch im 14. Jahrhundert verbreitet und erscheinen vereinzelt bis zum Ende des Spätmittelalters und im frühen 16. Jahrhundert. 29 Die Symbolik des Kreuzes Die andere Seite der Händleinheller zeigt ein aus vier gleichlangen Armen gebildetes griechisches Kreuz (lat. crux quadrata), dessen Enden gespalten und mit einem Punkt versehen sind. Die in zwei Spitzen auslaufenden Balkenenden können als Anker gedeu- 10

tet werden. Anker sind in der christlichen Symbolik Zeichen der Hoffnung der Glaubenden an die Unsterblichkeit der Seele und die himmlische Herrlichkeit. 30 Gleichschenklige Kreuze wie jene auf den Händleinhellern haben in vielen Kulturen eine grosse symbolische Bedeutung. Sie können Sinnbilder sein für die Vereinigung von Himmel und Erde, wobei der Mittelpunkt des Kreuzes als kosmisches Zentrum und folglich als das in ihm wirkende göttliche Prinzip betrachtet wird. 31 Eine andere Interpretation sieht im gleichschenkligen Kreuz die Vereinigung des geistig-männlichen (vertikaler Kreuzbalken) mit dem weiblich-materiellen Prinzip (horizontaler Kreuzbalken). 32 In diesem Zusammenhang stellt das gleichschenklige Kreuz die Schöpfung dar, bei der alle notwendigen Voraussetzungen zu gleichen Teilen vorhanden sind. Wird es in einen Kreis gesetzt, versinnbildlicht es als kosmisches Zeichen die Sonne und ihren Lauf oder auch die vier Himmelsrichtungen. 33 Abb. 5: Händleinheller, Silber, Schwäbisch Hall, 1. Hälfte 14. Jh. Abgebildet ist die Rückseite mit dem Breitgabel- oder Spaltkreuz, an dessen Ende sich jeweils eine Kugel befindet. Privatsammlung. Foto: Kurt Lussi, Ruswil. Im Christentum ergibt sich die magische Schutzwirkung der Händleinheller aus dem Bezug des gleichschenkligen Kreuzes auf das Leiden und Sterben Christi. Bereits aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther wird ersichtlich, dass das Kreuz nicht nur das Holz des Todes ist, sondern ein mit göttlicher Kraft erfülltes Zeichen für jene, die vor der ewigen Verdammnis gerettet werden wollen. 34 In diesem Sinne steht es für den Sieg des Lichtes über die Mächte der Finsternis, Auferstehung und neues Leben im Lichte Gottes. Durch seine symbolische Bedeutung wird es zu einem Heilszeichen, dem eine göttliche Kraft innewohnt. Man bekreuzigt sich zum Beispiel in Momenten höchster Gefahr, wie das in vielen Ländern südlich der Alpen noch immer allgemein üblich ist. Unter dem Dachfirst sowie in Stuben und an Scheunen angebrachte Kruzifixe letz- 11

teres sind Kreuze mit dem Corpus Christi machen Hexenwerk und Schadenzauber missgünstiger Mitmenschen unwirksam. Als Wetterkreuze bewahren die Zeichen des Leidens und Sterbens Christi die Felder und die heranwachsende Ernte vor Blitz, Hagel und Unwettern. Der Händleinheller in der Volksmedizin Kreuz Christi, Anker und schützende Hand Gottes auf einer ursprünglich in Silber geprägten Scheidemünze, in deren Besitz sich ihres geringen Wertes wegen jedermann bringen konnte: Dies erklärt die über Jahrhunderte ungebrochene Beliebtheit der Händleinheller im Zauberglauben des Volkes. Das Vertrauen in die magische Kraft dieser Münzen dauerte auch dann fort, als sie längst nicht mehr in Umlauf waren, denn die Einschmelzung der vorhandenen Bestände führte nicht etwa zu einem Rückgang ihrer volksmagischen Bedeutung, sondern sie bewirkten das Gegenteil. Die nun selten gewordenen Heller wurden als Teil der immer wieder vererbten volksmagischen Apotheke bis ins 19. Jahrhundert in der Volksmedizin und als Schutzamulette verwendet. Darüber Aufschluss geben uns historische Quellen. 1740 schreibt der deutsche Numismatiker, Historiker und Heraldiker Johann David KÖHLER (1684 1755) in seiner Muenz=Belustigung über die Händleinheller: «Je mehr diese Gattung alter Pfennige allbereit sind, eingeschmoltzen worden, je grösserer Aberglaube wird von dem gemeinen und aberglaeubischen Volcke, an vielen Orten noch damit getrieben; welches solche fuer ein kraefftiges Verwahrungs=Mittel wieder alle Verwundung, die hinfallende Sucht [Epilepsie], das Beschreyen [Verhexen] der Kinder und vieles anderen Ungluecks und uebeln Zufaelle ansiehet und gebrauchet; dahero werden sie von etlichen Leuten stets bey sich getragen, den Kindern am Hals gehaengt, unter die Baeume vergraben, in die Brandewein=Blasen geworffen, in die Muehldaemme gelegt, ja gar von einigen verschluckt; oder doch etwas davon abgefeilet und als eine Artzeney eingenommen. Manchen gewinnsuechtige Spieler bilden sich auch ein, damit vieles Glueck zu haben; und wie wollte ich auch alle das aberglaubische Zeug erzehlen koennen, das damit vorgenommen wird. Das macht alles die naerrische Einbildung von dem anjetzo ungewöhnlichen Gepraege mit dem Creutze und der Hand...» 35 Aus KÖHLERS Bemerkungen ist unschwer zu entnehmen, dass allein den Händleinhellern übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden. Das heisst: Damit ein Heller für magische Zwecke in Frage kam, mussten darauf sowohl die Hand, als auch das Spaltenkreuz abgebildet sein, wie dies bei unseren Beispielen der Fall ist. Ob der Heller in Schwäbisch Hall, in Nürnberg, Frankfurt oder sonst wo geprägt wurde, war nicht von Bedeutungen. Alle übrigen Heller haben keinen volksmagischen Wert. Dazu gehören alle Scheidemünzen im Wert von einem oder mehreren Hellern, bei denen auf der einen Seite die 12

Wertbezeichnung und auf der anderen das Porträt eines Herrschers, ein Stadtwappen, eine Krone oder der Reichsadler zu sehen sind. Abb. 6: Angster der Abtei St. Gallen von 1424. Dargestellt ist das Gotteslamm mit Kreuzesfahne. Historisches Museum Luzern, Inv. Nr. M 06286. Foto: Historisches Museum Luzern, Theres Bütler. Das Lamm Gottes In der christlichen Symbolik beziehen sich Darstellungen des Gotteslammes mit Siegesfahne (lat. Agnus Dei) auf den Opfertod und damit das Erlösungswerk Christi. Sie entwickelten sich einerseits aus den alttestamentlichen Berichten über das Passahlamm und den durch sein Blut gewährten Schutz und andererseits aus der im Neuen Testament vom hl. Johannes verwendeten Bezeichnung Jesu als Gotteslamm, das der Welt Sünde trägt. 36 Als Christussymbol erscheint das Lamm mit Siegesfahne zuerst auf Grabinschriften in den römischen Katakomben San Callisto und Santi Nereo e Achilleo. Im Mittelalter finden wir es als Zeichen des Opfertodes Christi auf Sarkophagen, liturgischen Geräten und in Messbüchern. Im Volksglauben haben vor allem die Agnus Dei genannten Wachsmedaillons eine grosse Bedeutung erlangt. Sie zeigen auf der einen Seite eine Marien- oder Heiligendarstellung und auf der anderen das Lamm Gottes mit Siegesfahne. Unterhalb des Lammes ist der Name des Papstes eingeprägt, in dessen Pontifikat das Agnus Dei hergestellt und gesegnet wurde. Grosse Agnus Dei wurden in goldverzierte Monstranzen gelegt und in Kirchen und Kapellen zum Schutz vor Sturm und Hagel aufgestellt. Kleinere Medaillons legte man zusammen mit Reliquien in Messingbehälter. Man trug sie bei 13

sich, um gegen die Anzauberung von Krankheiten und Hexenwerk, überhaupt gegen jeglichen Schadenzauber und die Anfechtungen des Teufels geschützt zu sein. Darstellungen des Gotteslammes finden sich seit dem Mittelalter auch auf Münzen. Früheste Beispiele sind die vom Kloster St. Gallen herausgegebenen vierzipfligen Pfennige (um 1170 1180) und die später geprägten «Ewigen Pfennige» (einseitige Brakteaten, um 1295 1335). Letztere zeigen ein nach links schreitendes Lamm mit zurückgewandtem Kopf, Nimbus und Kreuzfahne. Abb. 7: Breslauer Johannisgroschen aus der Zeit des Matthias Corvinus, ohne Jahr (1469 1479). Auf die Stirn gelegt, stillen Johannisgroschen das Nasenbluten. An den Oberschenkel einer werdenden Mutter gebunden, erleichtern sie die Geburt. Sammlung Zihlmann, Inv. Nr. SZ 01156). Foto: Historisches Museum Luzern, Kurt Lussi. Die Verwendung der St. Galler Angster und Pfennige als volkstümliche Schutzzeichen ist nicht belegt. Die grosse Rolle, welche die Regensburger Lämmleindukaten und die zwischen 1469 und 1479 unter Matthias Corvinus geprägten Breslauer Johannisgroschen (mit dem hl. Johannes und dem Gotteslamm) im Volksglauben spielten, lässt dies jedoch vermuten. Die Heiligen der Kirche Unter den Münzen mit Darstellungen der Heiligen der Kirche werden denjenigen die grössten übernatürlichen Kräfte zugeschrieben, welche die Muttergottes und das Jesuskind zeigen. Zu dieser Gruppe gehören die bayerischen Marien- oder Madonnentaler, die oft tiefe, über das Marienbild gehende Furchen aufweisen. Dies sind nicht etwa Justierspuren, sondern Belege für den magischen Gebrauch der Taler. Dem abgeschabten und durch das Marienbild geheiligten Silberstaub sprach man heilende und helfen- 14

de Wirkung zu. Man verabreichte ihn schwangeren Frauen. Dies sollte die Geburt eines Kindes erleichtern. 37 Nach anderen Quellen drückte die Hebamme der Gebärenden einen Marientaler in die Hand, um das «Überlaufen des Herzblutes» zu verhindern. Bei verzögerter Entbindung wurde der Schwangeren in Siebenbürgen ein Marientaler ans Handgelenk gebunden. Damit musste sie dreimal um den Tisch gehen. Als magisch wirksam galten jedoch nur jene Taler, bei denen die Madonna das Kind vom Betrachter aus gesehen rechts trägt, wie das bei den bayerischen Madonnentalern des 18. Jahrhunderts die Regel ist. 38 Abb. 8: Marientaler aus Bayern. Quer über das Marienbild laufende Rillen weisen auf den volksmedizinischen Gebrauch der Münze hin. Privatsammlung. Foto: Kurt Lussi, Ruswil. Noch im Dunkeln liegt die volksmedizinische Bedeutung der Lödgerthaler (Leodegarstaler) von Murbach (1630) und Luzern (1622 1706). Nach SELIGMANN wurden beide wie die Benediktuspfennige als magische Schutzzeichen verwendet. 39 Als Bedrohungen in Frage kommen Besessenheit und Augenkrankheiten. Der Grund für diese Annahme ist das Patrozinium des hl. Leodegar, der bei Augenkrankheiten und Besessenheit angerufen wird. 40 15

Abb. 9: Luzerner Taler von 1698 mit dem stehenden hl. Leodegar. Der Bohrer in seiner Hand bezieht sich auf sein Martyrium (Blendung), der Krummstab auf seine 663 erfolgte Ernennung zum Bischof von Autun. Historisches Museum Luzern, Inv. Nr. M 06868. Foto: Historisches Museum Luzern, Theres Bütler. 16

Anmerkungen 1 COLOMBI, Aldo: Die Münzenausstellung im Historischen Museum Luzern. Luzern 2004. 2 SELIGMANN Siegfried: Der böse Blick und Verwandtes. Berlin 1910, Bd. 2, S. 19. 3 GREGOR, Walter: Notes on the Folk-Lore of the North-East of Scotland. Pitsligo, Aberdeenshire 1881, S. 194. 4 LÜTOLF, Alois: Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Lucern, Uri, Schwiz, Unterwalden und Zug. Luzern 1862, S. 225. 5 ZIHLMANN, Josef: Volkserzählungen und Bräuche. Hitzkirch 1989, S. 384. 6 BÄCHTOLD-STÄUBLI, Bd. 3, Sp. 609 610. 7 SELIGMANN Bd. 2, 20. Diese Sitten lassen sich bis heute nachweisen. An die Stelle echter Goldmünzen sind jedoch Imitationen von Münzen aus osmanischer Zeit getreten. 8 PUCKETT, Newbell, Niles: Folk Beliefs of the Southern Negro. London 1926, S. 157 ff. 9 HENDERSON, William: Notes on the Folk-Lore of the Northern Counties of England and the Borders. London 1886, S. 165 166. 10 THENIUS, Erich; Norbert VÁVRA: Fossilien im Volksglauben und im Alltag. Frankfurt am Main 1996, S. 41 (nach PHILIPPSEN 1923). Fossile Seeigel, wie etwa der auf Rügen, der grössten deutschen Insel vor der pommerschen Ostseeküste, oft vorkommende Echynocorys ovata wurden mit dem Donnergott Donar in Verbindung gebracht. Man nannte sie Donnersteine und schrieb ihnen magische Kräfte zu. 11 BÄCHTOLD-STÄUBLI, Bd. 3, Sp. 595. 12 MARZELL 1967 [1938], 300. 13 KRONFELD 1898, 74. 14 BÄCHTOLD-STÄUBLI, Bd. 3, Sp. 595. 15 GREGOR, S. 190 191. 16 Hebr 2, 9. 17 SELIGMANN, Bd. 2, S. 304. SELIGMANN stützt sich bei seinen Ausführungen auf Trebellius POLLIO, einen der fiktiven Verfasser der Historia Augusta. Das vermutlich im 5. Jahrhundert n. Chr. entstandene Werk enthält dreissig Biografien römischer Kaiser und Usurpatoren. 18 NIELSEN, Ebbe: «Helvetier am Wauwiler Moos und am Sempachersee», in: Heimatkunde des Wiggertals, Bd. 65, S. 148. 19 ZEDLER, Johann Heinrich (Hg.): Grosses vollständiges Universal Lexjcon Aller Wissenschafften und Künste. Halle und Leipzig 1731-1754, Bd. 30, Sp. 1755. 20 WUTTKE, Adolf: Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart. Leipzig 1925, S. 92, RZ 112 und S. 360, RZ 542. 21 Nach ZEDLER, Bd. 30, Sp. 1758. 22 COLOMBI, S. 7. 23 KÖHLER, Johann David: Im Jahr 1740 wöchentlich heraus gegebener Historischer Münz=Belustigung Zwölffter Theil. Nürnberg 1740, S. 261 262. 24 Hugo von TRIMBERG: Der Renner. Ein Lehrgedicht (um 1300), nach der Druckausgabe von Cyriacus Jacob zum Bock. Frankfurt am Main 1549, fol. 94, nach MAUÉ, Hermann und Ludwig VEIT: Münzen in Brauch und Aberglauben. Mainz 1982, S. 79. 17

25 Hugo von TRIMBERG: Der Renner. Ein Lehrgedicht (um 1300), nach der Druckausgabe von Cyriacus Jacob zum Bock. Frankfurt am Main 1549, fol. 94, zitiert nach MAUÉ und VEIT, S. 79. 26 Es handelt sich dabei wohl um Berthold Tucher von Simmelsdorf (1310 1379), der mit Anna Pfinzing verheiratet war, auf die er wohl schon vor dem Orakel ein Auge geworfen hatte. Aufgrund der Aufzeichnungen im Pfinzing schen Archiv lässt sich die Heirat auf das Jahr 1364 datieren, was sich mit der Angabe an gleicher Stelle deckt, wonach Berthold Tucher das Orakel acht Jahre nach Erteilung der Prägeerlaubnis durch Kaiser Karl (1356) durchführte. Der entsprechende Auszug aus dem Geschlechterbuch ist publiziert bei MAUÉ und VEIT, S. 80. 27 «So spricht der Herr: [ ] Denn all das hat meine Hand gemacht.» (Jes 66, 1 2) 28 Ex 6, 1. 29 KIRSCHBAUM, Engelbert SJ (Hg.): Lexikon der Christlichen Ikonographie. Rom, Freiburg, Basel, Wien 1970, Bd. 2, Sp. 212. 30 Vgl. Hebr 6, 18 19. 31 MÜHLSTEDT, Corinna: Christliche Ursymbole. Stuttgart 2009, S. 144. 32 LURKER, Manfred: Wörterbuch der Symbolik. Zürich 1984, S. 376. 33 LURKER, S. 377. 34 Vgl. 1 Kor 1, 17 18. 35 KÖHLER, S. 264. 36 Vgl. z. B. 2 Moses 12, 3 und 29.38 ff. im Alten sowie Joh 1, 29 und 36 im Neuen Testament. 37 MAUÉ und VEIT, S. 76 und das in dieser Publikation publizierte Bild eines bayerischen Madonnentalers aus der Zeit von Karl II. Theodor (König von 1777 1799). 38 BÄCHTOLD-STÄUBLI, Bd. 8, Sp. 658. 39 SELIGMANN Bd. 2, S. 22. 40 SCHAUBER, Vera; Hanns Michael SCHINDLER: Heilige und Namenspatrone im Jahreslauf. Augsburg 1993, S. 511. Literatur BÄCHTOLD-STÄUBLI, Hanns (Hg. unter Mitwirkung von Eduard HOFFMANN-KRAYER): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Berlin und Leipzig 1927 1941 (9 Bände, 1 Registerband). COLOMBI, Aldo; Theres BÜTLER; James PERRET: Die Münzenausstellung im Historischen Museum Luzern. Luzern 2004. GREGOR, Walter: Notes on the Folk-Lore of the North-East of Scotland. Pitsligo, Aberdeenshire 1881 (Publications of the Folk-Lore Society, VII). HENDERSON, William: Notes on the Folk-Lore of the Northern Counties of England and the Borders. London 1886. 18

KIRSCHBAUM, Engelbert SJ (Hg.) in Zusammenarbeit mit Günter BANDMANN, Wolfgang BRAUNFELS, Johannes KOLLWITZ, Wilhelm MRAZEK, Alfred A. SCHMID, Hugo SCHNELL: Lexikon der Christlichen Ikonographie. Rom, Freiburg, Basel, Wien 1970. KÖHLER, Johann David: Im Jahr 1740 wöchentlich heraus gegebener Historischer Münz=Belustigung Zwölffter Theil. Nürnberg 1740. KRONFELD, Ernst Moritz: Zauberpflanzen Und Amulette: Ein Beitrag zur Culturgeschichte und Volksmedicin. Wien 1898. LURKER, Manfred (Hg. unter Mitarbeit zahlreicher Fachwissenschaftler): Wörterbuch der Symbolik. Zürich 1984. LÜTOLF, Alois: Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Lucern, Uri, Schwiz, Unterwalden und Zug. Luzern 1862. MARZELL, Heinrich: Geschichte und Volkskunde der deutschen Heilpflanzen. Darmstadt 1967 (1938). MAUÉ, Hermann; Ludwig VEIT (Hg.): Münzen in Brauch und Aberglauben. Schmuck und Dekor Votiv und Amulett politische und religiöse Selbstdarstellung. Mainz 1982 (Begleitpublikation zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, 11. September bis 10. November 1982). MÜHLSTEDT, Corinna: Christliche Ursymbole. Wie sie entstanden, was sie bedeuten, was sie uns heute sagen. Stuttgart 2009. NIELSEN, Ebbe: «Helvetier am Wauwiler Moos und am Sempachersee», in: Heimatkunde des Wiggertals, Bd. 65. NIEMER, Gotthard: Das Geld. Ein Beitrag zur Volkskunde. Breslau 1930. PUCKETT, Newbell Niles: Folk Beliefs of the Southern Negro. London 1926. SCHAUBER, Vera; Hanns Michael SCHINDLER: Heilige und Namenspatrone im Jahreslauf. Augsburg 1993. SELIGMANN, Siegfried: Der böse Blick und Verwandtes. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens aller Zeiten und Völker. Berlin 1910 (2 Bände). THENIUS, Erich; Norbert VÁVRA: Fossilien im Volksglauben und im Alltag. Frankfurt am Main 1996. WUTTKE, Adolf: Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart. Leipzig 1925. 19

ZIHLMANN, Josef: Volkserzählungen und Bräuche. Handbuch luzernischer Volkskunde. Hitzkirch 1989. ZEDLER, Johann Heinrich (Hg.): Grosses vollständiges Universal Lexjcon Aller Wissenschafften und Künste Welche biβhero durch menschlichen Verstand erfunden und verbessert worden. 64 Bände, 4 Supplementbände. Halle und Leipzig 1731 1754. 20