im Gespräch der Theatersprechweise entsprechend klar und laut artikuliert?



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Transkript:

www.philippweiss.at 2 Philipp Weiß im Gespräch Paula Resch Schreibt man Theatertexte mit einer Stimme im Kopf, die der Theatersprechweise entsprechend klar und laut artikuliert? Philipp Weiß Das Schreiben für das Theater ist für mich eine Suche nach Stimmen und deren Komposition. Ich nähere mich fragend den Them en eines Stückes, suche verbale Gesten, Sprechweisen, Rhythm en, rhetorische Logiken und auch die den Reden inhärente Unm öglichkeit des Ausdrucks und Sinns, das Schweigen, Innehalten und Stottern. Diese Kom position der Stim m en wird dann zu einer Art leiblichen Geschichte, die ich auch hören und fühlen muss. Darum lese ich mir meine Texte immer wieder laut vor. Reizt es dich, ein Lesestück zu verfassen oder beschäftigst du dich bei dem Konzept gerne mit Machbarem? Weder noch. Ich bin definitiv kein Praktiker. Ich schreibe nicht, was das Theater braucht oder kann, sondern ich suche in der Sprache und m it der Sprache nach Möglichkeiten zu beschreiben, zu fassen, vorzustellen. Manche Theaterleute, die meine Stücke lesen, sagen: Das ist nicht umsetzbar. Das sind zu viele Figuren, zu abwegige Bilder und Szenerien, das ist zu heterogen und viel zu lang. Die Form ist zu eigenwillig. Manche fühlen sich provoziert durch einen Autor, der offenbar arrogant an den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Branche vorbei schreibt. Wie bekommt man 50 Figuren auf eine kleine Nebenbühne?

3 Ich antworte: Es geht mir nicht darum, zu provozieren. Vielmehr lassen sich für mich komplexe und globale Zusammenhänge nicht in einem Kammerspiel erzählen. Und selbstverständlich verlangt ein Theatertext nach einer Um setzung. Die Schwierigkeiten und Widerstände, die er dabei bereithält, verstehe ich als Gesten, an denen sich Regie und Schauspieler entfalten können. Gehst du einen szenischen Text prinzipiell anders an, als einen Prosatext? Zunächst nicht. In beiden Fällen ist es zuallererst ein Moment des Nichtverstehens, der Sprachlosigkeit, der in mir das Bedürfnis erweckt, zu schreiben. Ich erlebe etwas oder nehme etwas in der Welt wahr, für das die Summe an Sätzen und Begriffen, die meine bisherige Sprache bereithält, nicht ausreicht. Ich verstum m e und beginne dann Fragen zu stellen, den Schreibtisch zu verlassen, in die Bibliothek zu gehen, zu reisen, an Orte oder zu Menschen, die m ir dabei helfen könnten, zu verstehen und eine Sprache zu finden für das noch nicht Bewältigte. Erst an dieser Stelle entscheidet sich, ob es Prosa wird oder ein Stück. Die Form ergibt sich erst aus der Auseinandersetzung mit dem Stoff. Kannst du es nachvollziehen, wenn man sich nicht für das Theater interessiert? Selbstverständlich. Es interessiert sich ja kaum jemand für das Theater. Bei denjenigen, die sich scheinbar dafür interessieren, bleibt auch zu fragen, was ihre Motive sind. Entweder sie arbeiten selbst am Theater und ihr Interesse ist beruflich. Oder das ist in Wien sehr häufig sie vollziehen ein antiquiertes, bürgerliches Ritual, da der Kulturkonsum zum guten Ton gehört. Dann scheint es wichtiger, in feiner Robe gesehen zu werden, als sich m it Inhalten auseinanderzusetzen. Wie viele Menschen das Theater aus Leidenschaft besuchen, es als Erfahrung erleben, als Form, die ihnen tatsächlich etwas über sich selbst und die Welt, in der wir leben, erzählen kann, weiß ich nicht. Bei mir selbst ist das auch nur selten der Fall. die Anstalten 3 2013 Denkst du, es ist mehr Vorwissen nötig um ein Stück zu schreiben als einen Prosatext? Nein. Jeder, der auch nur eine vage Vorstellung davon hat, was ein Roman oder ein Stück ist, wird mit genügend Ausdauer dazu in

4 der Lage sein, das eine oder andere zu schreiben. Will man aber auch zu einer gewissen Fassungskraft und Schönheit finden und eine Öffentlichkeit dam it erreichen, wird m an abgesehen von sehr besonderen Ausnahmen in beiden Fällen nicht umhin kommen, sich intensiv und lange mit der jeweiligen Form auseinander zu setzen. Beschäftigst du dich auch m it Theorie; ist das Mitfühlen auf dem Theater noch aktuell? Die Wiederholbarkeit ist [meines Verständnisses nach] eine Konstante der Theaterkunst. Ist es dilettantisch, als Schaupieler wirklich zu lachen, wenn m an Fröhlichkeit spielt? Zu Fragen der Umsetzung und des Schauspiels kann ich nichts sagen. Aber auch beim Schreiben eines Stückes stellt sich natürlich die Frage, wie man dieses Verhältnis von Körper und Text denkt. Schreibe ich überhaupt Figuren? Mit einer stringenten Innerlichkeit und Psychologie? Geht es mir darum, Themen für das Theater zu emotionalisieren? Das ist heute sehr wohl möglich. Es gibt genügend auch zeitgenössische Stücke, die mit einem realistischen Theaterbegriff versuchen, Identifikation und Empathie zu erzeugen. Doch es gibt spätestens seit Beckett auch dem entgegen gesetzte Ansätze. Werner Schwab soll gesagt haben, er schreibe keine Psychologie, sondern Philosophie. Damit kann ich m ich durchaus identifizieren. Jelinek schreibt entpersönlichte Sprechmaschinen und Pollesch geht es um eine grundsätzliche Entkoppelung von Text und Körper. Ich kann und möchte mich da nicht definitiv zuordnen. Ich sehe in der psychologischen Einfühlung ebenso wie in der entpersönlichten Sprachlichkeit Mittel, mich einem Thema zu nähern. Hast du eine konkrete Vorstellung von dem Beruf des Autors? Da ich seit einiger Zeit allein vom Schreiben lebe, habe ich zumindest eine konkrete Erfahrung damit. Ich erlebe es als einen zweigeteilten Zustand. Auf der einen Seite gibt es diese sehr intime Tätigkeit des Schreibens. Dazu gehört auch das Lesen, das Fragen Stellen, Nachdenken, Beobachten, das Menschen Begegnen, in die Welt Gehen und Recherchieren. Das alles ist mehr eine Lebensform als eine bloße Tätigkeit. Sie hat viel mit mir zu tun und dreht sich um dieses fragile Verhältnis von Ich, Schrift und Welt. Auf der anderen Seite steht das öffentliche Autorsein. Das hat kaum etwas mit mir zu tun. Es geht darum, eine Rolle zu spielen, auf eine bestimmte Weise zu sprechen, zu agieren, sich als Label zu etablieren, zu positionieren und auf dem Markt und in den Institutionen von Theater und Literatur zu bestehen.

5Könnte es sein, dass einen literarischen Text von einem anderen unterscheidet, dass er den Protagonisten das Recht auf eine individuelle Geschichte zuspricht? Ein interessanter Gedanke. Tatsächlich glaube ich, dass»ich«zu sagen immer eine erzählerische Geste impliziert. Was ich bin oder was Du bist, lässt sich nur sagen, indem man eine Geschichte erzählt. Ob die aber literarisch sein muss? Das glaube ich nicht. Mein Großvater etwa hatte die Angewohnheit, kaum setzte m an sich zu ihm, dam it zu beginnen, aus seinem Leben zu erzählen. Kindheitsgeschichten, Kriegsgeschichten, Liebesgeschichten, Erfolgsgeschichten. Das Recht auf seine individuelle Geschichte sprach er sich selbst zu, ganz ohne Literatur. Umgekehrt gibt es wie oben erwähnt seit der Moderne viele literarische Werke, die eben diese individuelle Geschichte verweigern. So etwa in Becketts»Der Nam enlose«, in dem der Erzähler, ohne jem als zu einem Ich oder zu einer Geschichte zu kommen, endlos weiter sprechen muss. Oder Handkes»Wunschloses Unglück«, in welchem er die individuelle Biographie seiner Mutter nur darum erzählen kann, da unzählige vergleichbare Frauenschicksale miterzählt werden, das Besondere also immer schon durch das Allgemeine aufgehoben ist. Ist das Schreiben für dich ein Werkzeug zum Denken? Definitiv! Ich begreife die Literatur als Grundlagenarbeit an der Sprache und damit am Denken. Ich möchte einen Vergleich geben. In der m enschlichen Kultur- und Technikgeschichte war die Erfindung des Mikroskops und Teleskops eine Revolution, die unser Denken und unsere Wahrnehmung maßgeblich verändert hat. Diese Technologien des Blicks waren Erweiterungen des Auges, die die menschlichen Sinne überschritten und zuvor Ungesehenes plötzlich in den Bereich des Sichtbaren, Greifbaren und damit Begreifbaren holten. So erlebe ich auch das Schreiben. Die literarische Sprache ist ein feines Glas, das mir zuvor Unwahrnehmbares wahrnehmbar macht und zuvor Undenkbares denkbar. Mehr noch: Die Sprache ist die Technologie der Wahrnehmung schlechthin. Sie ist nicht nur, wie das Mikroskop, eine Erweiterung des Blicks, der vorher bereits bestand. Sie ist vielmehr die Möglichkeit der Wahrnehmung überhaupt. Ohne einen Begriff von etwas zu haben, habe ich auch keine Wahrnehmung davon. Und die Literatur sehe ich als permanente Grundlagenarbeit an dieser Möglichkeit. Denn kaum hat die Sprache eine Wahrnehmung ermöglicht, endet die Wahr-

6 nehmung. Sie erstarrt. Und die Sprache schiebt sich davor. Ich sehe nicht mehr die Sache an sich, sondern nur noch das Wort und die Vorstellung, die ich dam it verknüpfe. Und da alles, was ist, in perm a- nenter Bewegung ist, hinkt mein Blick immer hinterher, wie der Blick in den Sternenhimmel, in dem ich nur das sehe, was vor tausenden Jahren am Himmel war. In anderen Worten: Unsere Sprache läuft unserer Wirklichkeit hinterher. Wir haben noch nicht die Worte, um eine Welt nach 9/11 zu denken, um eine Welt der Digitalisierung und Hyperrealitäten zu denken, um Raum und Zeit zu denken in einer Epoche der Vernetzung, Globalisierung und umfassenden Technifizierung. Womöglich haben wir noch nicht einmal im Ansatz eine Sprache, um die Shoa zu fassen. Darin sehe ich die Aufgabe der Literatur. Was liest du gerade? Ich lese meistens um die 50 Bücher parallel und fast nie eines zu Ende. Es ist ein Jammer. Gerade lese ich etwa die Tragödien von Sophokles und Aischylos, Poetikvorlesungen von Sloterdyk, einen Roman von Kenzaburo Oe und japanische Zen-Geschichten. Was kannst du sonst gut? Thaicurry kochen. Findest du, dass es zum Wesen der Kunst dazugehört, dass die absichtlich gem acht wird? Könnte diese Absicht auch in der Rezeption liegen? Ich schreibe gerade an einem Auftragsstück über die schizophrenen Künstler Ernst Herbeck und August Walla. Im Kontext der Arbeit beschäftige ich mich unter anderem mit verschiedenen Diskursen, die sich um das Verhältnis von Kunst und Wahnsinn drehen. Seit der Romantik gibt es die verklärende Idee, dass gerade im Zustand des Wahnsinns, das heiß t, durch die Entfesselung der Triebe und das Abwerfen der Vernunft, schöpferische Kräfte zur Entfaltung kommen. Absichtslos. Im 20 Jahrhundert hat Jean Debuffet eine eigene Kunstrichtung erfunden, die»roh«, außerhalb jedes Kunstkontextes existiert und»flüchtig ist, wie ein Reh«: die Art Brut. Seit dem Dada spielt der Zufall in der Kunst eine wesentliche Rolle. Und eine andere, aktuellere Frage, die vor allem seit Erfindung des Computers diskutiert wird, ist, ob auch Maschinen Kunst machen können. Kann ein Algorithmus schöpferisch sein?

die Anstalten 3 2013 Gespräch Philipp Weiß 7 Ich glaube, dass Kunst tatsächlich in erster Linie ein Rezeptionsphänomen ist. Ein Ding oder Akt kann nicht an sich Kunst sein, sondern wird es in dem Moment, in dem es in einem bestimmten Kontext als Kunst betrachtet wird. Marcel Duchamps»Fountain«, das Urinal, das er verkehrt ins Museum stellte, hat das anschaulich bewiesen. Und auch umgekehrt. Sollte in einigen tausend Jahren, nachdem die Menschheit sich schon längst selbst ausgelöscht haben wird, irgendein intelligentes Lebewesen auf der Erde zufällig ein Stück von Shakespeare in die Hände bekom m en, das durch einen absurden Zufall erhalten blieb, würde es dieses aller Wahrscheinlichkeit nach kaum als»literatur«oder»kunst«betrachten, sondern vielmehr als absichts- und bedeutungsloses Dokument einer kurzen Phase der Erdgeschichte. www.philippweiss.at