MOZART: FÜNFUNDZWANZIG STÜCKE (FÜNF DIVERTIMENTI) FÜR DREI BASSETTHÖRNER KV 439/b



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Transkript:

Ferenc Liszt Universität für Musik Budapest Doktorandenschule BALÁZS ARNÓTH THESEN DER PROMOTIONSSCHRIFT MOZART: FÜNFUNDZWANZIG STÜCKE (FÜNF DIVERTIMENTI) FÜR DREI BASSETTHÖRNER KV 439/b SCHULE DER KLASSISCHEN FORMKULTUR FÜR BLÄSER 2008

Pädagogische Vorgeschichte Diese Arbeit greift auf fast fünfundzwanzig Jahre Lehrtätigkeit des Verfassers im Bereich Kammermusik zurück. Während dieser Jahrzehnte ist mir die pädagogische Bedeutung unseres Themas, der Fünf Divertimenti Mozarts (KV 439/b) klar geworden. Der beim Unterricht wünschenswerte kleine Besetzung dieser reifen, aus der Wiener Periode des Komponisten stammenden Serie geht mit einer Kompositionsqualität einher, die diese Stücke im Unterricht durch ihre Rarität unentbehrlich macht. Diese Stücke sind geeignet, Lehrlinge von Blasinstrumenten auf verschiedene Rollen im Orchester auf eine Art und Weise vorzubereiten, die es ermöglicht, mit der Teilnahme von nur drei Musikern die klassische Formen und Klangwelt gründlich kennenzulernen. Vorgeschichte der Gattung Die Gattung der Divertimenti und der Serenaden kann vor allem mit den früheren Salzburger Jahren des Komponisten verbunden werden, also mit der Zeit, als die beiden Mozarts, Vater und Sohn noch zusammen lebten. Leopold sah in seinem Sohn Wolfgang den ausgezeichneten Violinisten, den künftig europaweit bekannten Konzertmeister- Komponisten. Wolfgang wollte kein Violinsolist werden, sondern der Komponist von Symphonien. Statt der Virtuosität der Solovioline interessierte er sich für das symphonische Orchester. Um diese unterschiedlichen Ziele auszugleichen, komponierte Mozart erfinderisch zusammengestellte Stücke: im Vorgriff auf die Serie KV 439/b findet man viele Stücke, die zugleich solistische Qualitäten der einzelnen Musiker und die Vorstellung von Orchesterklängen benötigen. Ich denke hier vor allem an auf Streichinstrumenten beruhende, nur einen kleinen Apparat benötigende Divertimenti und Serenaden, in denen der kleine Wolfgang die Partie des ersten Geigers allein spielen konnte. Aus demselben Grund entstanden die nach kurzer Zeit aufgegebenen Violinkonzerte, sowie die die Versuche der mittleren Schaffensperiode mit der Gattung der sinfonia concertante. Die Versöhnung des Solisten Mozart mit der symphonischen Klangwelt wurde letztendlich durch die Kompositionsmöglichkeiten herbeigeführt, die von der Erfolgsgattung der Wiener Jahre, dem Klavierkonzert angeboten wurden. Zu der Zeit hatte aber Mozart, von seinem Vater getrennt, das Violinspiel endgültig aufgegeben. Die mozartschen Bläserklänge vor und nach dem Auftreten der Klarinette Mozart komponierte bereits in Salzburg viele Tafelmusikstücke für Bläser. Der häufigste Apparat dieser Stücke war das aus Oboen-, Horn- und Fagottpaaren bestehende Sextett. Diese für das Spielen im Freien vorgesehene Zusammenstellung war durch ihre krassen Klangfarben, durch die konkreten Klangansätze der Doppelrohrinstrumente, durch die häufigen Tonwiederholungen und durch die Pedalklänge der Hörner imstande, die akustischen Bedingungen im Freien auszugleichen. Derselbe Apparat wird später im Bläserchor der vor und nach 1780 entstandenen Symphonien Mozarts verwendet, damit die Oboen und Fagotte den Charakter der beweglichen Tuttis verstärken und mit den zwei Trompeten und mit der Pauke dem symphonischen Klang eine große, glänzende Dynamik verleihen. Das neue Blasinstrument, die Klarinette brachte neue Qualitäten: weichere, dunklere Klangfarben und eine kleinere Dynamik. Einen leichteren Charakter also, der in der durch Oboen gekennzeichneten, auch von Haydn viel benutzten, üblichen Bläserklangwelt leicht verlorengeht. Das Interesse Mozarts für die Blasinstrumente rührte auch von den in Mannheim und Paris erlebten Orchester-Eindrücken und er komponierte zur Zeit der immer häufiger werdenden, durch Klarinetten zu Oktetten ergänzten Harmonie-Ensembles seine drei groß angelegten, Oboen und Klarinetten gemeinsam verwendenden Bläserserenaden. Den Komponisten interessierte damals immer mehr die Frage, ob er die Klarinette auf eine für ihn selbst beruhigende Art und Weise in den durch Oboen dominierten Bläserklang integrieren kann. Ich gebe viele Beispiele dafür an, wie er diese nur für sein einzigartig empfindliches Gehör offenkundigen Instrumentierungs- Probleme gelöst oder umgangen hat. Obwohl die Beliebtheit der Harmonie-Gattung in Wien bis ans Ende der 80er Jahre immer mehr anstieg, komponierte Mozart nach 1784 keine Stücke mehr für diese Zusammenstellung, was teilweise durch die für ihn unversöhnliche Beziehung zwischen Oboe und Klarinette erklärbar ist. Das Ausprobieren der Instrumente Stadlers in den Musikstücken Mozarts und die Schule der mozartschen Formkultur für Stadler: Die Fünfundzwanzig Stücke (Fünf Divertimenti) für drei Bassetthörner, KV 439/b Die wichtigste Rolle in der Bekanntmachung Mozarts mit der Klarinette und mit anderen Mitgliedern dieser Instrumentenfamilie spielte seine Beziehung mit dem berühmten Wiener Klarinettisten Anton Stadler. Ihre Zusammenarbeit fing 1783 an und ihre Freundschaft dauerte bis zu Mozarts Tod an. Der vielseitige Stadler, der als experimentierfreudiger Instrumentenbauer und Komponist auf alles offen war, verfügte damals, zusammen mit seinem Bruder, der ebenfalls Klarinettist war, auch schon über das neueste Instrument, das Bassetthorn. Mozart begann mit dem Komponieren der Serie KV 439/b für die Brüder Stadler und ihre Bläserfreunde, zum Anlass von lockeren Privattreffen, mit der Absicht, die leichte Divertimento-Gattung wiederzubeleben. Klarinettisten

hatten bis dahin keine wirkliche Chance gehabt, Mozart-Werke zu spielen, da der Komponist erst in diesen Jahren anfing, die Klarinette vorsichtig in verschiedenen Besetzungen auszuprobieren. In den Symphonien zum Beispiel, bis auf die "Pariser" Symphonie, wurden Klarinetten noch lange Zeit nicht verwendet und auch in den Klavierkonzerten kommen sie erst ab Ende 1785 zu Wort. So mögen die Sätze der spätestens von 1785 an komponierten Serie für Bassetthörner für die Brüder Stadler die Schule der mozartschen Formkultur bedeutet haben. In diesem Sinne spielten die Stücke für die damaligen Bläser die gleiche Rolle, die ihnen im Unterricht auch heute zugewiesen werden kann. Andererseits mag auch Mozart von seinen eigenen Stücken gelernt haben, da er die Gelegenheit hatte, mit dem Bassetthorn in vielen verschiedenen Rollen experimentieren zu können, was für ihn ermöglichte, den Charakter der eng verwandten Klarinette noch tiefer kennenzulernen, bevor er diese durch Stadler ertönenden Instrumente in seine symphonischen Werke integriert, bzw. in seiner Kammermusik inmitten von Streichinstrumenten verwendet hätte. Fragen der Instrumentenzusammenstellung und der Datierung Da von diesen Stücken keine Originalhandschriften vorliegen, kann sich die Musikwissenschaft lediglich auf Ausgaben nach dem Tod Mozarts und auf andere Angaben stützen. Die Alte Mozart-Ausgabe veröffentlichte diese Werke aufgrund einer gedruckener Ausgabe vom Anfang der 1800er Jahre in einer Fassung mit zwei Klarinetten und einem Fagott. Die Neue Mozart-Ausgabe hat aufgrund von Briefen und anderen Angaben eine Version mit drei Bassetthörnern rekonstruiert und spricht sich dafür aus, dass diese Besetzung das Original sein mag. Es sprechen nicht nur die praktischen Gesichtspunkte der ausübenden Musiker für die mehr auf der Hand liegende und auch fequentierte Fassung mit den Klarinetten: es geht auch darum, dass die Kompositionen, die eine farbigere Klangwelt, also mehr Instrumentierungskombinationen und einen größeren Klangumfang benötigen, vor allem die Eröffnungssätze in dieser öfter gespielten Version überzeugender sind, da sie auf drei völlig identischen Instrumenten gespielt etwas eng klingen. Zugleich ist der Apparat mit den drei Bassetthörnern für einige der Menuette und der langsamen Sätze zweifelsohne natürlicher. Die alte und die neue Gesamtausgabe nehmen auch in Bezug auf die Entstehungszeit der Werke unterschiedliche Standpunkte ein: während die Alte Mozart-Ausgabe von einer Entstehung im Jahre 1783 ausgeht, gibt die neue viel vorsichtiger die Zeitspanne zwischen 1783 und 1788 an. Eine Angabe spricht für den Anfang im Jahre 1783. Die biographischen Zusammenhänge lassen eine langwierige Entstehung der Stücke vermuten, der Bezug zu anderen Werken des Komponisten verknüpft sie hingegen eher mit den späteren Jahren. Es gibt viele Parallelen mit den Sätzen der Zwölf Bläserduetten, von denen ein Teil im Sommer 1786 komponiert wurde. Die engsten thematischen und gattungsmäßigen Übereinstimmungen sind mit der Kleinen Nachtmusik nachzuweisen, aber die Serie knüpft konkret auch an Werke an, die 1789 oder gar 1791 entstanden sind. Das komponistische Ausdrucksmittel der Menuette und langsamen Sätze mit ihren zahlreichen strukturellen Neuigkeiten nimmt den Kammermusikstil der Spätperiode Mozarts vorweg. So kann darauf gefolgert werden, dass die Mehrheit der Kompositionen eher in der späteren Periode zwischen 1785 und 1788 entstanden sein dürften, selbst wenn gewisse Sätze der Serie bereits 1783 komponiert wurden. Das verkleinerte Abbild der Eröffnungssätze der Symphonien: die ersten Sätze der Fünf Divertimenti In diesen Sätzen weckt der Klang symphonische Vorstellungen: die drei Blasinstrumente treten in allen orchestralen Rollen auf: von den Tuttis mit Trompeten und Pauke bis zu den hellen Streicher-Dolci ohne Bass, von den durch Doppelrohrinstrumente geleiteten Staccati-Unisoni bis zu den groß angelegten Oboensolos mit Streichinstrumentenbegleitung. Während der Komponist die Erfahrung machen kann, welche Aufgaben für die mit der Klarinette verwandten Instrumente wirklich angemessen sind, können die Bläser darüber hinaus, dass sie die Spielart jedes Instruments probieren dürfen erleben, was ihnen in den wahren Symphonien nie zuteil wird, dass sie nämlich, einem Konzertmeister oder einem Dirigenten ähnlich, einen Satz leiten können. Die damit einhergehende Verantwortlichkeit und das damit im Verhältnis stehende Erlebnis mag für die damaligen Bläser offenbar ebenso wichtig gewesen sein, wie es die Studente im heutigen Kammermusikunterricht verspüren, die von den genannten Stücken in die ideale Lage versetzt werden, sich auf die Arbeit im Orchester vorzubereiten. Unter diesen Sätzen findet man wirklich exemplarische Sonatenformen: die folgerichtige Verwendung der orchestralen Klangvariationen macht die Struktur wirklich überschaubar. Die Sätze eröffnenden Fanfaren, die entschiedenen Forti-Unisoni der Formgrenzen, die Dolci der Nebensatzbereiche, die leichte Instrumentierung der Schlussmotive, die weichen Portati in den Tiefen der Durchführungen alle diese Elemente lehren über die Zusammenhänge zwischen Klang und Form, die das Orientierungsvermögen im Aufbau der komplexer strukturierten Werke und im Klang der größeren Apparate unterstützen. Die teilweise Auflösung der Strukturen in geradem Takt und das Vordringen der Sonatenform in den Menuetten der Fünf Divertimenti Das Anstreben des orchestralen Klangs gilt für die Menuett-Sätze nicht mehr: hier findet man Formexperimente, die die Vorstellung der farbigen Instrumentierung nicht benötigen, da die raffinierten Strukturen auch bei der einfachsten Instrumentenzusammenstellung, im beinahe graphischen Schwarz-Weiß der drei Blasinstrumente, in den Nuancen des

Grauen gut zur Geltung kommen. Bei Mozart kommen Menuette, die auf Motiven in ungeradem Takt, auf kleinen Formeinheiten beruhen, nicht nur in den leichteren Gattungen, sondern auch in den Symphonien selten vor. Deswegen ist es ungewöhnlich und bemerkenswert, wie viele unter den Menuetten der Fünf Divertimenti unregelmäßig sind. In diesen experimentellen Formen geht unter Anwendung der Elisions- oder der Montagetechnik der gerade Takt oft in ungeraden Takt über oder eben umgekehrt. Manchmal werden mit Hilfe der Polyphonie Stimmen in geradem und in ungeradem Takt aufeinander projiziert. Um die Form zur Geltung zu bringen, werden homophone und polyphone Abschnitte bewusst abgewechselt: die Modulation geht oft mit polyphonen Abschnitten in ungeradem Takt einher, während die Kadenzen in fester Tonart typischerweise im Vierertakt und homophon strukturiert sind. Auch diese Mittel tragen dazu bei, dass die Mehrheit der Menuette und Trios dem Sonatenprinzip verpflichtet sind: in den meisten ersten Formteilen gibt es zwar nicht genug Raum, um ein wahres Thema in seiner eigenen, vorherrschenden Tonart vorzustellen, sie können trotzdem eine Modulation enthalten, die auf eine große Kadenz hinausläuft und deren Stoff als eine Art Nebenthema in der "Reprise" in der Grundtonart wieder auftritt. Der oft durchführungsähnliche Charakter nähert die Struktur dieser Sätze ebenfalls an die Sonatenform an. Dementsprechend ist die Intonation der Trios auch ungewöhnlich: auch diese bleiben nicht bei den einfachsten Formen stehen; normalerweise haben sie keinen rustikalen, populären Auftakt und ihre aus leichten Stoffen, aus drei geschmeidigen Bläserstimmen komponierte, komplizierte und einzigartige Struktur entspricht dem zerbrechlichen Gleichgewicht der feinsten mozartschen Denkweise. Der Abbruch der Serie der Divertimento-Sätze, die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Stadler und ihre Auswirkung auf den späten Kammermusikstil und den orchestralen Klang Mozarts Bei der Analyse der Satztypen der Fünf Divertimenti haben wir feststellen können, dass die Sätze, die bei der Ausnutzung der puritanischen Klangmöglichkeiten der drei, zur gleichen Instrumentenfamilie gehörenden Blasinstrumente zum Instrumentarium der in diesem Sinne ähnlichen Streichkammermusik greifen, bei dieser Bläserbesetzung ihrer Werte würdig ertönen. Die drei gleichrangigen Stimmen und die Polyphonie erinnern tatsächlich an die Textur der Streichquartette. Dieser Stil wurde aber in den Eröffnungs- und Schlussätzen des Zyklus nicht verwendet. Diese leichteren, dem orchestralen Klang oder den Oboen-Bläsersextetten ähnlichen Sätze erwiesen sich als weniger geeignet für die Instrumente der Klarinettenfamilie. Mozart scheint nach dem Komponieren von vier Divertimenti keine Eröffnungs- und Schlussätze mehr geschrieben zu haben, nur zwei sehr wertvolle langsame Sätze und vielleicht noch ein Menuett. Die typischen Bewegungsformen der beim Schreiben der Divertimenti immer besser ausgekannten Klarinette, die unendlichen Legatos, die Fähigkeit zu überwuchernden Melodien, sowie der Cantabile- Charakter haben Mozart inspiriert: alle diese Eigenschaften tauchen im Kegelstatt-Trio (KV 498) vom August 1786 wieder auf. In diesem Werk klingt bereits der ausnahmsweise mit dem Tempozeichen Andante versehene Eröffnungssatz, sowie das Rondo in diesem klarinettenartigen Ton. Darüber hinaus bewegt sich nicht nur die für Stadler komponierte Klarinettenpartie, sondern auch die für sich selbst geschriebene Bratschenpartie, sowie die Klavierpartie in diesen von der Klarinette inspirierten Melodien. Man kommt zu ähnlichen Erkenntnissen bei den berühmtesten für Stadler geschriebenen Stücken, z.b. beim Klarinettenquintett A-Dur aus 1789 (KV 581), dessen geräumige Polyphonie und sich in launenhaften Schritten bewegenden Legato-Melodien für die Klarinette bequem, für die Streichinstrumente jedoch viel weniger angemessen sind. Viel überraschender ist es noch, dass diese Bewegungsformen auch in den rein für Streichinstrumente komponierten Stücken auftauchen, beispielsweise im Trio-Divertimento (KV 563) aus 1788, also früher noch, als im Klarinettenquintett oder im Klarinettenkonzert aus dem Jahre 1791. Diese Melodienbildung wird schließlich eines der natürlichen Stilelemente auch in anderen Werken der späten Streichkammermusik. Natürlich mögen die Experimente der Fünf Divertimenti auch zur Bestimmung der Möglichkeiten beigetragen haben, die für die Klarinette im symphonischen Orchester offen stehen: die für dieses Instrument wirklich angemessenen Charakterzüge, die dunkleren Dolci, die ernsthaften Cantabili sind schon bei diesen kleinen Sätzen zu Tage getreten. Das ist die Intonation, die im Eröffnungssatz der Symphonie Es-Dur aus 1788 in der Größenordnung eines Orchesters ertönt, pur, in einer Besetzung ohne Oboe.

Bibliographie: Marius Flothius: Die Bläserstücke KV 439/b Mozart Jahrbuch, 1973-74, 202-210. old. Neue Mozart Ausgabe (NMA), Serie VIII, Werkgruppe 21, Vorwort, XVI-XIX. old. Vorworte zu anderen Bänden der NMA: Serie III/9; IV/12; VII/17, 18; VIII/19, 20, 21, 22 Otto Erch Deutsch: Mozart, Die Dokumente seines Lebens, NMA X: Supplement (Bärenreiter, Kassel Basel London New York, 1961) Leopold Mozart: Gründliche Violinschule (Augsburg, 1756 / 87) Stanley Sadie: Mozart The New Grove Dictionary of Music and Musicians, 1980 Mozart breviárium, zusammengestellt und übersetzt von János Kovács (Zeneműkiadó, Budapest, 1961) Maynard Solomon: Mozart. A Life. (HarperCollins, New York, 1995) Volkmar Braunberens: Mozart in Wien (Piper Vlg, München, 1986) H. C. Robbins Landon: 1791 Mozart s Last Year, (Thames and Hudson, New York, 1998) Ludwig Finscher: Haydn und seine Zeit (Laaber Vlg., Laaber, 2000) Nicolaus Harnoncourt: Der musikalische Dialog, Gedanken zu Monteverdi, Bach und Mozart (Residenz Verlag, Salzburg, 1984) Charles Rosen: The Classical Stile, (Norton, New York, 1972) Wolfgang Hildesheimer: Mozart (Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1977) Max Becker Stefan Schickhaus: Wolfgang Amadeus Mozart (Media Vlg, Wissen, 2005) Stefan Siegert: Mozart, die Bilderbiographie (Rohwolt, Reinbek bei Hamburg) Karl Geiringer: Haydn. A Creative Life in Music (Norton, New York, 1946) Ulrich Michels: Atlas zur Musik (Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 1985). Igor Stravinsky Robert Craft: Conversation white Igor Stravinsky (Faber Music, London, 1979)