Titel Franz Tumler Nachprüfung eines Abschieds Erzählung Mit einem Nachwort von Johann Holzner
vorhin, einen Augenblick lang, wie die Lichter angingen, da war der Himmel noch hell, und es ging ineinander, das zweierlei Licht, und es war noch nicht das Dunkel dahinter, sondern blaue Farbe, es ging in Farbe weit hinaus, aber jetzt kannst du es nicht mehr sehen, jetzt siehst du nur das Dunkel! Ich kann es mir noch vorstellen, sagte ich, ein wenig ist es noch da! Nein, es ist nicht mehr dasselbe, sagte sie, wenn du es gesehen hättest vorhin, du hättest gesagt, es ist wunderschön! So war es, wunderschön, sag ich dir, es hat den ganzen Tag nichts gegeben, das so war. Das mußt du mir glauben, und ich hätte es dir so gern gezeigt, ich bin auch schnell gelaufen. Aber das war unsinnig, ich hätte mir denken können, daß es nicht bleibt. Aber du hast es gesehen, sagte ich, und
wenn du es mir erzählst Ach, du glaubst nicht, wie schön es war! Ich weiß es, wie du es sagst. Ich sehe es auch, ganz genau, immer noch Aber dies, wie es war, und es war nur ein Augenblick! Du mußt ganz ruhig sein und mußt jetzt mir glauben: einmal werden wir es sehen! Dann gingen wir zurück. Das war diese Minute droben am Abend, sie zeigte mir, daß es etwas gab, das wir nicht mehr erreichen konnten. Wir sagten, einmal werden wir es sehen; aber dieses Einmal lag schon in der Vergangenheit. Die Strecke, auf der wir uns bewegten, war die gewesene Zeit, heraufgespiegelt als wäre es Zukunft und als wären es Orte. Wir mußten sie einholen, dann konnte es noch einmal geschehen. Wir kamen vor ein Tor aus Eisenstäben, das in einen Garten führte, aber der Garten war auf dieser
Seite Wildnis. Das Tor war zugewachsen, es hatte ein Gitter aus Spießen, ein Schloß und eine Kette, um die Kette ringelte sich Hopfen, ein Dickicht von Kräutern und Stauden preßte sein Schlingwerk heran. Weiter innen hatten die Besitzer Rasen gezogen, Platten gelegt und ein Haus gebaut, neu mit Glaswänden, einem Schwimmbassin und Markisen. Aber sie benutzten einen andern Eingang, nicht mehr dieses Tor, vor dem wir standen. Wir gingen in einer Straße, in der die Häuser den Wind abfingen, und still die Sonne schien, als wäre eine wärmere Jahreszeit. Die Frau sagte: Dort drüben ist die Kirche, in der ich eingesegnet worden bin, und das hier ist die Markthalle, in der wir oft eingekauft haben! Es waren Ziegelmauern, das Dach war ein leeres ausgebranntes Eisengerüst. Ich sagte: Und wo ist das Haus? Sie verstand mich sofort: ich
sprach von dem Haus, in dem sie aufgewachsen war als kleines Mädchen, sie hatte mir davon erzählt, von Eltern und Geschwistern. Ich war niemals mehr dort, sagte sie und sträubte sich auch jetzt, in die Straße einzubiegen. Ich wunderte mich: so oft hatte sie mir das Haus vorgestellt in Worten, als ginge sie an dem Ort immer noch aus und ein; nun gingen ihre Schritte anders als die Worte, sie zögerte: der Knick des Gehsteigs und die Laterne, und hier ein Stück Vorgarten; es hatte schon dazugehört, Palmkätzchen blühten in ihm. Dann kam das Haus. Es war nicht zerstört, aber etwas anderes geschah mit ihm, eben jetzt, als wir kamen; es wurde umgebaut. Wir sahen Gerüstpfosten vor der Tür, halbgeschälte Stämme, sie waren neben den Stufen in die Erde gerammt. Die Türflügel waren ausgehängt; auch weiter innen, vom Flur weg
und zwischen den Zimmern, fehlten die Türen. Nun konnten wir doch hinein. Alles lag frei und leer. Bretter, mit Kalk bespritzt, machten die Stiege zu einer schiefen Ebene. Fußboden kam, dann ein Streifen grauer Schlacke, hier war eine Mauer abgerissen worden. An anderer Stelle unterbrach ein frischer Holzleisten das alte Parkett, eine Zwischenwand war emporgewachsen in roten Ziegelschichten. Zwei Maurer standen auf Leitern und warfen Verputz an. Schon hatte die Frau Mühe, sich zurechtzufinden. Sie wollte mir ihr Mädchenzimmer zeigen, dieses Zimmer gab es nicht mehr. Nur die Ampel von früher hing noch von der Decke; hinter dem milchweißen Glas lagen schattenhaft dunkle Punkte, die toten Fliegen. Halb war die alte Ordnung noch da, halb war sie schon verstellt, bald würde sie nicht mehr zu erkennen sein. Und nur, weil sie jetzt