SWR2 OPER Moderationsmanuskript von Ulla Zierau Ludwig van Beethoven: Fidelio Sonntag, 22.01.2017, 20.03 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. 1
9 Sinfonien, 32 Klaviersonaten, eine Oper mit vier Ouvertüren und ganz unbeabsichtigt eine Europahymne, die bei allen Staatstragenden Ereignissen gespielt wird, zuletzt bei der Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg, da aber im Original als Finalsatz der neunten Sinfonie und nicht in der bearbeiteten Europa- Fassung. Sie wissen längst von wem die Rede ist, von Ludwig van Beethoven. Dessen Solitär Fidelio senden wir heute im SWR2 Opernabend in einer historischen Aufnahme mit Otto Klemperer und dem Philharmonia Chorus und Orchestra. In der Titelpartie Christa Ludwig und als Florestan Jon Vickers. In den weiteren Rollen: Walter Berry als Don Pizarro, Gottlob Frick als Rocco, Ingeborg Hallstein als Marzelline, Gerhard Unger als Pförtner Jaquino und Franz Crass als Don Fernando. Herausgegeben von der EMI als Great Recordings Of The Century. Tatsächlich ist es bis heute eine der besten Aufnahmen der Oper. Produziert 1962 in der Kingsway Hall in den berühmten Londoner Abbey Road Studios. Die damals 34jährige Mezzosopranistin Christa Ludwig war als Fidelio wegen ihrer tieferen Stimmlage nicht unumstritten. Ein Jahr zuvor hatte sie in der Rolle unter Karajan debütiert. Schon damals an der Seite des Kanadiers Jon Vickers, ein überzeugender Florestan, für viele einer der Besten aller Zeiten. Die Besetzung Christa Ludwig hingegen führte zwischen Dirigent Otto Klemperer und Produzent Walter Leege zu Diskussionen, Klemperer setzte sich durch. Am Ende dürften beide nicht nur höchst zufrieden, sondern begeistert gewesen sein. Christa Ludwig singt die Leonore mit Leib und Seele, mit höchster Dramatik und viel lyrischem Gespür und warmem Timbre. In zwei Monaten wird die Opern- und Konzertsängerin 89 Jahre alt. In einem Interview antwortete sie einmal auf die Frage, ob die Leonore ihre Lieblingsrolle gewesen sei: Natürlich! Aber auch mein Sorgenkind. Meine Mutter hatte die Leonore 30 Jahre vor mir mit Karajan gesungen. Sie war in Aachen engagiert, als Karajan dort jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands war. Ich habe diese Musik schon als Kind geliebt, mit acht Jahren studierte ich die Marzelline am Klavier ein, weil ich sie unbedingt mit meiner Mutter zusammen singen wollte. Das war mein sehnlichster Wunsch: Einmal den Fidelio singen und sterben. Da sind so ungeheure Stellen drin zum Niederknien. ( ) Wenn zum Beispiel im Kerkerakt die Trompeten kommen, das ist schon ungeheuerlich. Die Partie war für mich sehr schwer, sie ist sogar für einen reinen Sopran schwer. Ich war oft nervös. Gesteht Christa Ludwig und erinnert sich weiter: Als ich die Leonore 1968 in Salzburg gesungen habe, hat ein Kritiker geschrieben: Wir wünschen ihr und uns ruhigere Abende. Ich hab das gelesen und gedacht: Der hat Recht! Und ich hab keinen Fidelio mehr gesungen. Bis auf eine Ausnahme: Drei Jahre später war ich in New York. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Met musste eine Vorstellung geändert werden der Walkürenfelsen war auf der Bühne zusammengebrochen und Birgit Nilsson hatte sich dabei einen Arm gebrochen. Rudolf Bing rief also an und fragte: Können Sie morgen Abend den Fidelio singen? Ich dachte, warum nicht? Das war zu knapp, um nervös zu werden. Ich hatte gerade meinen Mann kennengelernt, die Hormone waren wach, das Adrenalin schoss in mich ein, und so hab ich s noch mal gesungen. Es lief gut. Aber das war s dann wirklich. 2
Christa Ludwig wusste, dass die Rolle der Leonore für sie eigentlich zu hoch lag, aber sie hatte ausgiebig Gelegenheit, die Rolle sorgfältig zu studieren. Zum einen mit ihrer Mutter und zum anderen mit Otto Klemperer. Über die Fidelio-Aufnahme mit Klemperer erzählt sie: Dafür hatten wir 14 Tage Zeit. Klemperer, der schon alt und krank war, konnte jeden Tag nur eine kurze Strecke aufnehmen, der Rest wurde in seiner Anwesenheit auf Klavierproben verwandt. So konnte ich mir die Rolle aneignen. In SWR2 nun der erste Akt von Ludwig van Beethovens Fidelio mit Christa Ludwig in der Titelpartie. Florestan wird von Don Pizarro, dem Gouverneur eines Staatsgefängnisses widerrechtlich gefangen gehalten. Florestans Frau Leonore will ihren Mann befreien. Sie schleust sich - unter dem Namen Fidelio als Junge verkleidet - beim Kerkermeister Rocco ein und gewinnt dessen Vertrauen. Roccos Tochter Marzelline verliebt sich in Fidelio, was deren Bräutigam Jaquino verständlicher Weise eifersüchtig macht. Da kündigt sich der Minister zur Untersuchung des Kerkers an. Da gerät Pizzarro in Bedrängnis. Schnell und unbemerkt möchte er Florestan töten lassen, damit seine Machenschaften nicht entdeckt werden. Fidelio, 1. Akt und Ouvertüre = 76 27 SWR2 Opernabend: Fidelio von Ludwig van Beethoven mit einem Text von Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Friedrich Treitschke. Das war der erste Akt mit: Christa Ludwig als Fidelio Jon Vickers als Florestan Walter Berry als Don Pizarro Gottlob Frick als Rocco Ingeborg Hallstein als Marzelline Otto Klemperer leitet Philharmonia Chorus und Philharmonia Orchester in dieser Aufnahme aus dem Jahr 1962. Warum hat Beethoven nur eine Oper geschrieben. Diese Frage beschäftigt die Musikwissenschaft bis heute. Waren ihm die Auseinandersetzungen mit der Zensur rund um Fidelio zuwider, dass ihm der Elan für eine weitere Oper fehlte. Ärgerte er sich über den mäßigen Erfolg der Uraufführung, die wegen des Einzugs Napoleons I in Wien vor fast leeren Rängen stattgefunden hat. Diese Einwände sind vermutlich zu oberflächlich. Beethoven war ohne Zweifel ein großer Dramatiker, das hat er in seinen ersten drei Sinfonien bereits bewiesen. Aber es scheint, als habe ihm das Musiktheater der Zeit nicht behagt, weder die in Wien vorherrschende italienische Oper mit ihren Kabalen und virtuosen Sängern noch das deutsche Singspiel mit den volkstümlichen Possen oder Märchenstoffen. Eine Entführung aus dem Serail von Beethoven oder ein Don Giovanni, bei aller Verehrung Mozarts von Seiten Beethovens, unvorstellbar. Ein unmoralischer 3
Herzensbrecher, verführte und verlassene Frauen passen nicht zu Beethovens Werten. Liebe und Treue zwischen Mann und Frau sind ihm das höchste Gut. Beethoven ist von den Idealen der französischen Revolution geprägt: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, so wie sie in Jean Nicolas Bouillys und Pierre Gaveauxs Oper Léonore ou l amour conjugal aus dem Jahr 1798 vorkommen, passen bestens zu Beethovens humanistischer Gesinnung. Die Oper handelt von einer heroischen Frau, die ihren Mann vor dem jakobinischen Terror rettet. Auf dieser Vorlage beruht Fidelio, mit dem Beethoven einen neuen Opern-Typ, den der deutschen Rettungs- und Befreiungsoper schafft. Den deutschen Text haben drei Librettisten geschrieben: Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke. Der Name Fidelio stammt aus Shakespeares Romanze Cymbeline, in der die Königstochter Imogen in Männerkleidern den Namen Fidelio annimmt. Fidelio von lateinisch fidelis Treue. Die Liebe zwischen Mann und Frau, die aufrichtige inständige Treue als untrennbares Band fokussiert Beethoven in Fidelio und später noch einmal in der neunten Sinfonie, wenn er Schillers Text vertont: Wer ein holdes Weib errungen, / Mische seinen Jubel ein! Ja wer auch nur eine Seele / Sein nennt auf dem Erdenrund! Lang und intensiv ringt Beethoven mit seiner einzigen Oper, die er anfangs Leonore nennen möchte. Allein die Geschichte der Ouvertüren ist kompliziert. Die erste wurde vermutlich nie gespielt, die zweite leitet die Uraufführung ein, die dritte ist viel zu lang und umfangreich, wofür Beethoven heftig kritisiert wird und so schreibt er auf Druck von außen - noch ein vierte, wesentlich kürzere Ouvertüre, mit der er dann den Zeitgeschmack trifft und die heute meist verwendet wird. Aber die einzige der vier Ouvertüren, die Beethoven zu Lebzeiten als Klavierauszug veröffentlicht, ist die zweite. Deswegen wird heute bei manchen Aufführungen auch die zweite Leonoren- Ouvertüre gespielt. Otto Klemperer hat mit der kürzeren Fidelio -Ouvertüre begonnen und jetzt geht es in SWR2 weiter mit dem zweiten Akt der Oper. Er spielt im dunklen Kerker des Gefängnisses. In einer Fiebervision glaubt Florestan, seine engelhafte Leonore zu sehen. Fidelio ist mit Rocco in das Verlies des Gefangenen gelangt, sie will dem Geschwächten Brot und Wasser geben. Da erkennt sie ihren Gatten. Pizzaro tritt auf. Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Pizarro und Florestan. Fidelio alias Leonore stellt sich zwischen die beiden. Da verkünden Trompeten die Ankunft des Ministers. Pizarro will fliehen. Er wird hinter der Bühne erschossen. Florestan und Leonore sinken sich in die Arme. Der Minister tritt auf und erkennt in dem Gefangenen seinen Freund Florestan. Die Kerker werden geöffnet; alle Gefangenen sind frei. Fidelio, 2. Akt = 51 32 4
Fidelio, Oper in 2 Akten von Ludwig van Beethoven mit einem Text von Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Friedrich Treitschke, Sie hörten in SWR2 eine Aufnahme aus der Reihe Great Recordings Of The Century der EMI von 1962. Fidelio: Christa Ludwig Florestan: Jon Vickers Don Pizarro: Walter Berry Rocco: Gottlob Frick Marzelline: Ingeborg Hallstein Jaquino, Pförtner: Gerhard Unger Don Fernando: Franz Crass Erster Gefangener: Kurt Wehofschitz Zweiter Gefangener: Raymond Wolansky Philharmonia Chorus Philharmonia Orchester Leitung: Otto Klemperer Nächste Woche bringen wir in der SWR2 Oper eine Aufführung aus dem Royal Opera House, Covent Garden: Jules Massenets "Werther" mit Vittorio Grigòlo in der Titelrolle und Joyce DiDonato als Charlotte, Dirigent ist Antonio Pappano. 5