2014/2015 BAROCKKONZERTE 2. KONZERT RING BAROCK FREITAG, 20. MÄRZ 2015, 18 UHR RICHARD EGARR DIRIGENT

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Transkript:

2014/2015 BAROCKKONZERTE 2. KONZERT RING BAROCK FREITAG, 20. MÄRZ 2015, 18 UHR RICHARD EGARR DIRIGENT

2. KONZERT RING BAROCK FREITAG, 20. MÄRZ 2015, 18 UHR HERRENHAUSEN, ORANGERIE NDR RADIOPHILHARMONIE DIRIGENT: RICHARD EGARR Orchestersuite Nr. 3 D-Dur BWV 1068 Air Gavotte I Gavotte II Bourrée Gigue Spieldauer: ca. 23 Minuten JOHANN SEBASTIAN BACH 1685 1750 Orchestersuite Nr. 1 C-Dur BWV 1066 Courante Gavotte I Gavotte II Forlane Menuett I Menuett II Bourrée I Bourrée II Passepied I Passepied II Spieldauer: ca. 25 Minuten Orchestersuite Nr. 4 D-Dur BWV 1069 Bourrée I Bourrée II Gavotte Menuett I Menuett II Réjouissance Spieldauer: ca. 24 Minuten (Die genauen Entstehungsjahre der Orchestersuiten sind unbekannt) Orchestersuite Nr. 2 h-moll BWV 1067 Rondeau Sarabande Bourrée I Bourrée II Polonaise Double Menuett Badinerie Spieldauer: ca. 23 Minuten Pause Das Konzert wird aufgezeichnet und am 19. April 2015 um 11 Uhr auf NDR Kultur gesendet. (Hannover: 98,7 MHz)

IN KÜRZE Als der jugendliche Bach auf einer seiner Bildungsreisen am Hof von Celle Einblick in die vom Frankreich-Fieber erfasste Musikwelt an den deutschen Residenzen bekam, lernte er sicher auch Werke des berühmten Jean-Baptiste Lully kennen, der neben seinen Tragédies lyriques auch die typisch französische und Suite begründet hatte: Einer Folge von Tanzsätzen wurde die als Entrée vorangestellt. Die Orchestersuite entwickelte sich zu einer der wichtigsten Musikgattungen der Barockzeit und einige Komponisten, wie z. B. Georg Philipp Telemann, schrieben vermutlich Hunderte dieser Stücke. Von Johann Sebastian Bach dagegen 04 sind nur die vier heute Abend vorgestellten entsprechenden Werke überliefert, allerdings zeugen sie ohne Zweifel von der Faszination, die diese Form auf ihn ausübte. Von uns werden sie heutzutage gern als Suiten bezeichnet, Bach selber sprach von n, nach dem gewichtigen ersten Satz, der dem Umfang nach mehr als die Hälfte der gesamten Suite ausmacht. Wann und zu welchem Anlass Bach seine n komponierte, ist bis heute weitgehend ungeklärt, da keine Original-Handschriften erhalten sind, sondern ausschließlich Stimmabschriften von Bach selber und diversen Kopisten. Die Suiten könnten in seiner Zeit in Köthen (1717 1723) entstanden sein, oder danach in Leipzig, oder auch schon am Weimarer Hof (1708 1717). Sicher ist nur, dass Bach sie ab 1723 im Rahmen seiner Konzerte mit dem Leipziger Collegium musicum aufführte, dessen Leitung er 1729 übernahm. In den vier unterschiedlich besetzten Werken folgt dem umfangreichen einleitenden Satz eine freie Reihung von stilisierten Tanzsätzen, wobei Bach sich an keine bestimmte Tanzabfolge hält. In allen vier Suiten gibt es beispielsweise keine einzige Allemande und nur eine (der bei ihm sonst so häufig verwendeten) Gigue; andererseits baut Bach (von ihm ansonsten praktisch nicht verwendete) Tänze wie Forlane, Réjouissance und Badinerie ein. RICHARD EGARR DIRIGENT Sein aufgeschlossener, forschender Geist bestimmt das gesamte Musikerdasein des vielseitigen englischen Dirigenten und Cembalisten Richard Egarr. Er dirigiert oder leitet vom Tasteninstrument aus (sei es die Orgel, das Cembalo, das Fortepiano oder das moderne Klavier), gibt Solo-Abende und spielt Konzerte oder Kammermusik. Anfänglich als Chorknabe am York Minster und Orgelschüler am Clare College in Cambridge ausgebildet, fiel sein Augenmerk schließlich auf das Cembalo. Nach Abschluss seiner Ausbildung an der Guildhall Music School in London begeisterten ihn seine späteren Studien mit Gustav Leonhardt vollends für die Historische Aufführungspraxis. 2006 trat er die Nachfolge Christopher Hogwoods als Leiter der Academy of Ancient Music an, wo Oper und Oratorium einen großen Teil seines Repertoires ausmachen. Daneben tritt er regelmäßig als Gastdirigent mit hochrangigen Orchestern auf und ist seit 2013 Erster Gastdirigent beim Residentie Orchestra in Den Haag. Als Violine/Cembalo-Duo hat Richard Egarr mit Andrew Manze, dem neuen Chefdirigenten der NDR Radiophilharmonie, vielfach konzertiert und zahlreiche preisgekrönte Aufnahmen vorgelegt. 05

BACH À LA FRANÇAISE Lüneburg, zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Ein Internatsschüler der Michaelisschule, mit seinem ungemein schönen Sopran Mitglied des Mettenchores, des Auswahlchores der Kantorei, unternimmt verschiedene Bildungsreisen nach Hamburg zu dem Organisten der Katharinenkirche, Johann Adam Reincken, oder nach Celle, um die dortige Hofkapelle zu hören. Am Hof von Celle, in dieser Phase Klein-Versailles genannt, residierte Herzog Georg Wilhelm von Hannover mit seiner französischen Gattin. Auch die Mitglieder der Hofkapelle kamen überwiegend aus Frankreich und der junge Schüler namens Johann Sebastian Bach, etwa 16 Jahre alt, lernte französische Oper und Ballett, Kammermusik und Orchesterspiel kennen. Sicher gehörten auch Werke von Jean-Baptiste Lully dazu, dem so ungemein einflussreichen Komponisten am Hof des Sonnenkönigs Louis XIV. Lully hatte die typisch französische und Suite begründet: Einer Folge von Tanzsätzen wurde die als Entrée vorangestellt. Viele Komponisten nach ihm übernahmen 1066-1069 n, nach dem gewichtigen ersten Satz, der dem Umfang nach mehr als die Hälfte der gesamten Suite ausmacht und somit den Schwerpunkt des jeweiligen Werkes bildet. Die französische besteht immer aus drei Abschnitten: einem ersten, feierlichen, im charakteristisch punktierten Rhythmus, einem raschen fugierten Teil und einer variierten Wiederholung des Beginns. Als Schüler stand Bach in Lüneburg eine bedeutsame Musik-Bibliothek zur Verfügung. Er hat sicher nicht nur die französischen Vorbilder studiert, sondern alles aufgesogen, was ihm in die Finger kam. Die konzertierenden Passagen etwa, die Bach in die fugierten Abschnitte der Eröffnungssätze setzte, kamen in der italienischen Opern-Sinfonia, nicht aber in der französischen vor. Immer wieder hat er sich produktiv mit den Konzerten Antonio Vivaldis auseinandergesetzt, und sicher auch mit nicht wenigen der mehreren 100 Orchestersuiten, die von Georg Philipp Telemann überliefert sind, dem Freund und Paten seines Sohnes Carl Philipp Emanuel. All dies fand letztendlich Eingang in seine Orchestersuiten. 06 Johann Sebastian Bach, Gemälde von J. J. Ihle, um 1720. diese Form, schon um die Wende zum 18. Jahrhundert nannten zum Beispiel Philipp Heinrich Erlebach, Johann Caspar Ferdinand Fischer oder Johann Joseph Fux ihre Suiten nach dem Eröffnungssatz im französischen Stil Ouverture. Doch wann Bach diese n komponiert hat, und vor allem, für welchen Anlass, das ist bis heute ungeklärt. So nah uns diese Werke sind, so häufig sie gespielt werden (wenn auch nicht, wie heute, alle an einem Abend), so viele Frage zeichen bleiben. Denn keine der autografen Partituren, also der Handschriften Bachs, hat sich erhalten. Was wir haben, sind Stimmenabschriften von Bach und diversen Kopisten, im Fall der vierten sind auch diese nur fragmentarisch überliefert. Philipp Spitta, Bach-Biograf im 19. Jahrhundert, ordnete die Werke in die Phase des Hofkapellmeisters Bach in Köthen ein und die Herausgeber der Neuen Bach-Ausgabe folgten dieser Darstellung. Da alle über lieferten Handschriften aus Leipzig stammen, sprechen manche Bach-Forscher von Leipziger Werken. Köthen oder Leipzig so lange nur Quellen vorhanden sind, die lediglich Bearbeitungen der Werke zeigen, wird sich das Rätsel nicht endgültig lösen lassen. Sicher ist: Auch wenn sich nur Leipzi ger Quellen erhalten haben, von allen vier Werken sind Spuren von Fassungen nachgewiesen, die aus früherer Zeit stammen. 07 Auch Bach steht mit seinen vier erhaltenen Orchestersuiten in dieser Tradition. Während wir heute gern von Suiten sprechen, weil es sich um eine Folge von Tänzen handelt, taten Bachs Vorgänger und auch er selbst dies nicht. Bach nannte seine vier Werke BWV Reizvoll wie eine Detektivgeschichte ist es, die vorhandenen Quellen daraufhin anzuschauen: In der Chronologie der erhaltenen Stimmenabschriften ist die Orchestersuite Nr. 1 C-Dur BWV 1066 im Jahre 1724 entstanden. Siegbert Rampe, Bachforscher und Autor eines

08 Handbuchs zu Bachs Orchestermusik, sieht sie aufgrund von stilistischen Erwägungen aber zu Beginn von Bachs Köthener Zeit, zwischen 1717 und 1719. Die vierte Orchestersuite BWV 1069 könnte nach neueren Forschungen sogar schon 1715/16 in Weimar komponiert worden sein, und zwar die Frühfassung für drei Oboen, Fagott, Streicher und Basso continuo. Frühestens Ende 1725 kam dann eine Version mit drei Trompeten und Pauken hinzu. Die, also der erste Satz dieser vierten Suite, hat Eingang gefunden in den ersten Chor der Kantate Unser Mund sei voll Lachens BWV 110, und hier hat sich die autografe Kompositionspartitur erhalten. Sehr schwierig ist die Einordnung der zweiten Orchestersuite in h-moll BWV 1067: Die erhaltenen, von Bach selbst und vier anonymen Kopisten geschriebenen Originalstimmen werden auf 1738/39 datiert. Wiederum vermutet man, dass eine frühere Fassung aus Köthen existiert haben muss, nicht für Flöte, sondern für Geige und in a-moll. Von der dritten Orchestersuite D-Dur BWV 1068 liegen unter anderem drei Originalstimmen vor, geschrieben ca. 1730 von Bach selbst, von seinem Schüler Johann Ludwig Krebs und Manche Forscher nehmen an, dass die in der größer besetzten Fassung vom Collegium musicum in Leipzig zum ersten Mal aufgeführt wurde. 1723 war Bach Thomaskantor und städtischer Musikdirektor in Leipzig geworden und verantwortete somit das Programm der vier Leipziger Hauptkirchen wie auch das allgemeine Musikleben der Stadt. Zunächst konzentrierte er sich vor allem auf die Kirchenmusik, 1729 jedoch übernahm er das von Georg Philipp Telemann 1702 gegründete Collegium musicum und leitete es mit einer kurzen Unterbrechung bis Anfang der 1740er-Jahre. Für die Konzerte auf dem Zimmermannischen Caffe-Hauß in der Cather-Strasse Freytags Abends von 8 biß 10 Uhr (so eine zeitgenössische Anzeige) brauchte er dauernd Orchester- und Kammermusikwerke. Selbstverständlich führte er viel eigene Musik auf, sowohl Neukompositionen als auch Bearbeitungen früherer Werke. Aber was genau wann, ist nicht bekannt. Heute sind wir aller historisch informierten Aufführungspraxis zum Trotz daran gewöhnt, die vier n Bachs als Orchestermusik aufzufassen und zu hören. Zu Bachs Zeit war der Begriff Orchestermusik aber erst im Entstehen. So hat Bach zum Beispiel die erste Orchestersuite zunächst als Kammermusik konzipiert. Alle Stimmen sollten solistisch gespielt werden, vermutlich von Mitgliedern des Collegium musicum in Leipzig, allerdings schon bevor Bach es selbst geleitet hat: zwei Oboen, Fagott, Streicher und Basso continuo. Zwei Oboen und Fagott dieses Oboentrio erinnert deutlich an Lully. Er setzte in seinen Opern gern das Bläsertrio in Kontrast zu den Streichern. 09 Leipzig, Zimmermann sches Coffee-Haus, Kupferstich von J. G. Schreiber, um 1750. von Carl Philipp Emanuel Bach. Sehr interessant ist hier das Nebeneinander verschiedener Handschriften: Das weist auf eine möglicherweise sehr enge Zusammenarbeit Bachs mit den Kopisten hin. Vielleicht war der Zeitdruck so groß, dass die Kopisten mit dem Ausschreiben der Stimmen begannen, bevor Bach das Werk vollendet hatte. Auch hier gibt es zwei verschiedene Fassungen, eine für Streicher und Basso continuo (vermutlich aus Köthen) und die heute bekannte mit zusätzlich drei Trompeten, Pauken und zwei Oboen. Die der einleitenden folgenden Tanzsätze sind immer stilisierte Tänze, denn sie waren nicht zum Tanzen gedacht. Bach verwendet in jeder Orchestersuite verschiedene Tänze und eine variable Abfolge, nie die grundsätzlich für die Suite übliche (Allemande Courante Sarabande Gigue). So sucht man eine Allemande zum Beispiel vergebens. Für die erste Orchestersuite wählt Bach lauter rasche Tänze, und er setzt sie hier das ist wiederum typisch für die Zeit gern paarweise ein: Auf die Courante folgen Gavotte I und II, auf die Forlane die Paare Menuett, Bourrée und Passepied. Eine Besonderheit ist die Forlane, ein ursprünglich rasend schneller italienischer Volkstanz. Dazu kommt der ständige Wechsel der

Instrumentierung, mal spielen Bläser und Streicher im Dialog, mal jeweils allein. In der zweiten Orchestersuite kombiniert Bach die Gattungen, Suite und Solokonzert wie wahrscheinlich niemand sonst es zu seiner Zeit getan hat. Die Flöte übernimmt im gesamten Werk den bedeutsamen Solopart nur Streicher und Basso continuo treten hinzu. Dass Bach recht virtuose Flötisten zur Verfügung gestanden haben müssen, beweist nicht zuletzt das Finale, die berühmte Badinerie, zu Deutsch Spaß, Tändelei. KONZERTVORSCHAU Ihr nächstes Konzert im Ring Barock 3. KONZERT RING BAROCK FREITAG, 24. APRIL 2015, 18 UHR HERRENHAUSEN, ORANGERIE MUSICA ALTA RIPA MUSIKALISCHE LEITUNG: BERNWARD LOHR SOLISTIN: JOANNE LUNN SOPRAN GEORG PHILIPP TELEMANN fis-moll für 2 Violinen, Viola und B.c. TWV 55 Concerto B-Dur für 2 Blockflöten, Streicher und B.c. TWV 52:B1 GEORG FRIEDRICH HÄNDEL Die dritte Orchestersuite beginnt mit einem der prachtvollsten Sätze unter den n. Die Fuge sollte besonders schnell gespielt Tra le fiamme, Kantate für Sopran und Orchester HWV 170 Il delirio amoroso, Kantate für Sopran und Orchester HWV 99 werden, darauf weist sowohl die Taktart als auch die Vorzeichnung Karten erhalten Sie beim NDR Ticketshop und den üblichen viste hin. Das darauf folgende Air von den Streichern allein gespielt und eher liedartig als ein Tanz ist Bachs bekannteste Kompo- Vorverkaufskassen. www.ndrticketshop.de sition geworden, sie fehlt auf kaum einer Platte mit Barockstücken. Die Spannung zwischen der ruhig in Achteln voranschreitenden Basslinie und den schwebenden, miteinander verwobenen Oberstimmen macht den besonderen Reiz aus. Air lässt wieder an 11 IMPRESSUM 10 Lully denken Instrumentalfassungen seiner Opernarien wurden Herausgegeben vom Norddeutschen Rundfunk Programmdirektion Hörfunk entsprechend bezeichnet. Die darauf folgenden vier schnellen Sätze Bereich Orchester, Chor und Konzerte NDR Radiophilharmonie sind knapp gehalten, hier wählt Bach sogar einmal einen typischen Tanzsatz für das Ende des Werkes, eine Gigue. Bereich Orchester, Chor und Konzerte Leitung: Andrea Zietzschmann In der vierten Orchestersuite bekommen die Oboen anders als in der dritten Orchestersuite einen prominenteren Part zugewiesen. Bach nutzt verschiedene Effekte, wie beispielsweise die Doppelchörigkeit, indem er Bläsergruppen und Streicher gegenüberstellt. Dazu variiert er erneut die Besetzung: Die Bourrée II enthält ein virtuoses Solo für das Fagott, das Menuett II gehört den Streichern allein. Den Schluss bildet hier eine Réjouissance. In seinem Musicalischen Lexicon von 1732 schreibt Johann Gottfried Walther, ein entfernter Verwandter Bachs, der zu dessen Weimarer Zeit dort als Organist tätig war, dazu: Rejouissance heisset so viel, als Laetitia, gaudium Freude, Fröhlichkeit: und kommt in Ouverturen vor, da einige lustige Piéces also pflegen titulirt zu werden. NDR Radiophilharmonie Manager: Matthias Ilkenhans Redaktion des Programmheftes: Bettina Wohlert Der Einführungstext ist ein Originalbeitrag für den NDR. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Fotos: Marco Borggreve (Titel, S. 5) akg-images (S. 6, S. 8) NDR Markendesign Gestaltung: Klasse 3b Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Druck: Nehr & Co. GmbH Raliza Nikolov

In Hannover auf 98,7 Weitere Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur Foto: Nicolaj Lund NDR Die Konzerte der NDR Radiophilharmonie hören Sie auf NDR Kultur Hören und genießen