Dynamik und Folgen sexueller Gewalterfahrungen: Den Gewaltkreislauf durchbrechen

Ähnliche Dokumente
Frühes Trauma- späte Folgen

Übertragung und Gegenübertragung Was bedeutet es ein traumatisiertes Kind in die eigene Familie aufzunehmen?

Trauma in Paarberatung und - therapie. Michaela Huber

Hass UND Liebe? Trauma und Partnerschaft. Michaela Huber

Täterloyalität und Täteridentifikation:

Täterloyalität und Täteridentifikation

Trauma in der Paarbeziehung

Umgang um jeden Preis oder Neuanfang ohne Angst?

Späte Folgen früher Traumatisierungen

Destruktive Täter-Opfer- Bindungen

Bindung, Trauma und Bindungsstörung: Ursachen, Therapie und Prävention

Copyright: Michaela Huber. Trauma und Schuld. Michaela Huber

Wie kann ich sekundärer Traumatisierung vorbeugen? Michaela Huber

Täter-Loyalität und Täter-imitierende Ego-States. Michaela Huber

ICH, LIEBE UND TRAUMA IM PÄDAGOGISCHEN ALLTAG

Die Schläge, die meine Mama bekam, spürte ich in meinem Bauch

An ihrer Seite. Wie unterstütze ich Frauen, die Gewalt erlebt haben? Ein Heft in Leichter Sprache!

Konflikte und Probleme in Familien. Von: Emily Hesse, Violetta Stein, Lara Frick, Samira Sonneck

Traumatischer Stress. in der Familie. Das erstarrte Mobile. Traumatischer Stress? Traumatisierte Familien ZPTN

Traumatic Experiences Checklist (TEC)

Traumatischer Stress in der Familie

Zur Psychodynamik von Kindern, die Opfer und Zeugen von häuslicher Gewalt geworden sind

Wissen reduziert Angst

INNERE SICHERHEIT UND KONTROLLE WIEDERERLANGEN DIE THERAPIE VON SEXUELL TRAUMATISIERTEN KLIENTINNEN UND KLIENTEN

fdr Kongress 2013: Seminar 15 Sucht und häusliche Gewalt Auswirkungen auf die Frauen Autonomes Frauenzentrum Potsdam e.v. Frauenberatungsstelle

Transgenerationale Traumatisierung und Kriminalität

Transgenerationale Traumatisierung. aus Sicht der mehrgenerationalen Psychotraumatologie

Trauer und Integration

Inhalt. 1 Basiswissen

Trauma, Dissoziation und Paarbeziehungen: Hass auf die Liebe?

Die Psychodynamik der Täter-Opfer-Spaltung

Wenn s zu Hause knallt. Kinder, Jugendliche und häusliche Gewalt

Sexueller Missbrauch in Institutionen. Zartbitter e.v. Definition und Fakten. Ursula Enders 2012 mit Illustrationen von Dorothee Wolters

Workshop Gefahr erkannt-gefahr gebannt? Traumatisierung nach sexueller Gewalterfahrung

Das Trauma der Liebe. Hospitalhof Stuttgart 23. Juli Prof. Dr. Franz Ruppert 1

Traumatischer Stress in der Familie

Partizipation als Korrekturerfahrung bei Trauma

Grenzen achten! Prävention sexualisierter Gewalt in den J-GCL. Grundinformationen 1

Strukturelle Dissoziation und Komplextrauma Eine Einführung

Emotional First Aid über traumatisierende Folgen von Polizei- (und anderer) Gewalt und wie wir da wieder rauskommen

Trauma im Kindesalter und die Folgen. Michaela Huber

Burnout und Mitempfindensmüdigkeit verhindern! Wie kann ich sekundärer Traumatisierung vorbeugen? Michaela Huber

RETRAUMATISIERUNG IM KONTEXT VON KONTAKTRECHTEN

Das Verlusttrauma und seine Folgen

Liebe and Trauma. Wie beides Menschen miteinander verbindet und wie es sie voneinander trennt. Groesbeek 11. Juni

Trauma-sensibles Vorgehen in

Fragebogen zu selbstverletzendem Verhalten (FSSV):

Dr. Ludger Kotthoff Narben sexueller Gewalt. Psychische Folgen der Traumatisierung

Trauma, Depression und familiäre Weitergabe von Gewalt. Dr. P. Kriependorf Internistisch-Psychosomatische Fachklinik Hochsauerland

Infos zu Zwangsheirat

Inhaltsverzeichnis XIII.

Zuerst: Ressourcen finden!

Emotionale Entwicklung

Symbiosetrauma und symbiotische Verstrickungen

BESCHÄDIGTE KINDHEIT Ein traumatherapeutischer Blick auf die komplexe Entwicklungsstörung nach Frühtraumatisierung

Elternabend der Schulen Geissenstein & Steinhof, Luzern 26. Mai 2011

Forum Suchtmedizin Ostschweiz Regionalkonferenz Ost 14. August Sucht und Trauma. Dr. med. Thomas Maier

Wann und warum ist eine Fluchtgeschichte traumatisierend?

Das menschliche Gehirn

Safety first Stabilisierung bei PatientInnen mit traumatischen Erfahrungen. Fachtagung am Dorothee Spohn

Sichere Bindungserfahrungen: Das Fundament einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung.

Trauma und Schuld Aspekte einer schwierigen Beziehung

NICHT ALLEIN Hilfen bei sexueller Gewalt

Eltern sein plus! Beispiele von Elternbegleitung aus der Erfahrungswelt einer Praxis für f medizinische Genetik und vorgeburtliche Diagnostik

Wie geht es nach der Trennung mit den Kindern weiter? Dr. Claus Koch Pädagogisches Institut Berlin

nfragen Mädche Wie vertraulich arbeitet Allerleirauh? Du brauchst also deinen Namen nicht zu nennen, wenn du dich an uns wendest.

Danach ist nichts mehr wie es war

Das ist kein Spiel! Pädagogisches Vorgehen bei sexuellen Übergriffen durch Kinder im Vor- und Grundschulalter. Ursula Enders Meiningen, den

Inhalt des Vortrages:

Gesundheitsförderung in der Geburtshilfe: Über den Zusammenhang von Stillförderung, Bonding und Familiengesundheit

Das Symbiosetrauma. Systemische Therapie im Kontext von Trauma und Bindung. Steyerberg, 11. September

Kinder unter Druck. Missstände in den Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen und ihre gesundheitlichen Auswirkungen

Sexueller Mißbrauch an Mädchen

Die Prävalenz traumatischer Erfahrungen, Posttraumatischer Belastungsstörung und Dissoziation bei Prostituierten

Herausforderungen in der Behandlung komplex traumatisierter und hoch dissoziativer Menschen

Ich habe es nicht anders verdient Scham und Schuldübernahme bei Gewaltopfern

Dr. phil. Sandra Dlugosch. Astrid Siegmann. Diplom Sozialpädagogin (FH) Gestalttherapeutin (DVG) Traumatherapeutin

Transgenerationale Traumatisierung

Stets ein sicherer Ort

Trauma und Sucht: Von der Selbstmedikation zur Heilung

Häusliche Gewalt und die Folgen für die Kinder

Michaela Huber: Grundregeln bei Komplextrauma

Mythos Vater zur Bedeutung abwesender und anderer Väter

Bindung. Definition nach John Bowlby:

Traumagerechtes Vorgehen in der systemischen Arbeit

Ein Auge weint, das andere ist blind - Mütter in Multiproblemfamilien

hr2wissen Der vererbte Leiden Traumata zwischen den Generationen

Überblick über den Vortrag

Transkript:

Dynamik und Folgen sexueller Gewalterfahrungen: Den Gewaltkreislauf durchbrechen Michaela Huber www.michaela-huber.com www.dgtd.de Copyright: Michaela Huber 1

Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum, Frauennotruf Lübeck! Copyright: Michaela Huber 2

Copyright: Michaela Huber 3

Begriffe klären! Sexualisierte Gewalt ist Machtausübung; es geht um Zerstörung/Vernichtung, um Einverleibung und Dominanz, und nicht um Sexualität. Das sieht man an tr. Kindern, die per Targeting und Grooming nachspielen, was sie erlebt haben. Und dabei u. U. ihre eigene Täterkarriere bahnen. Bis evtl. zur Fixierung auf Pädo-Sexualität. Die ist NICHT angeboren!!! Trauma: Todesnähe, radikaler Verlust, existenzielle Verlassenheit, lebensbedrohliche Gewalt, äußerste Verzweiflung, Dissoziation, Zerstörung von Bindungsfähigkeit. Hinter dem Begriff Trauma verbergen sich sehr oft brachiale Gewalt und frühe Erfahrungen von Bindungs-Traumatisierungen wir sollten die Begriffe auch verwenden (s. DSM V: PTBS auch durch Bindungs- Trauma!) Copyright: Michaela Huber 4

Quelle: http://www.engender.org.za/publications/engenderingsecurity.html Copyright: Michaela Huber 5

Zwischenmenschliches Trauma und der Angriff auf den Körper Von allen Arten von toxischem Stress (=Trauma) ist Gewalt die schlimmste. Von allen Arten von Gewalt ist sexualisierte Gewalt die schlimmste. Von allen Arten von (sexualisierter) Gewalt ist die Gewalt, die von einer (bes.: primären) Bindungsperson ausgeht, die schlimmste was die langfristigen seelischen, körperlichen und Bindungs-Folgen angeht. Sexuelle Gewalt ist eines der beiden Ereignisse, die für sich genommen eine PTBS auslösen können (das andere ist der endgültige Verlust der primären Bindungsperson vor dem 11. Lebensjahr). Copyright: Michaela Huber 6

Sexuelle Gewalt behindert! Geistig, seelisch und/oder körperlich eingeschränkte Menschen, vulgo Behinderte, werden zu hohem Prozentsatz (60-80%!) Opfer von Gewalt, meist sex. Gewalt. Darunter besonders die Mädchen und Frauen. Frauen, die einen geistig/seelisch behinderten Eindruck machen, bekommen oft zu Unrecht eine seelische od. geistige Behinderung attestiert; tatsächlich dissoziieren sie. Besondere Belastungen bei Behinderungen zusätzlich durch Abhängigkeit von Pflegepersonen und medizinische Eingriffe sowie Hospitalisation! Erhöhte Gefahr, eine Demenz zu entwickeln, bei Menschen, die noch viele unbearbeitete Belastungserfahrungen haben! Copyright: Michaela Huber 7

Beziehungs-Gewalt in Familien Wenn sexualisierte Gewalt in einer Familie ist, sind auch seelische Qualen (Entwertungen, Beschimpfungen, Verfluchen, Herabsetzungen ) und emotionale Ausbeutung (Parentifizierung, gegenseitig Ausspielen, Verlangen von Gefälligkeiten ) die Regel; sehr oft auch körperliche Gewalt (Schlagen, Herumstoßen, Treten, mit einer Waffe bedrohen ) Oft spielen auch die Wirkung von Alkohol, Medikamenten und evtl. Drogen eine Rolle. Und es fehlen Regeln, Ordnung, Grenzen, ein mentales Geländer für die Kinder. Copyright: Michaela Huber 8

Folge: Haltlosigkeit. Beispiel Alkohol Copyright: Michaela Huber 9

Beziehungsmuster in dysfunktionalen gewalttätigen Familien Häufig ist die Mutter allein mit dem Kind; Väter abwesend, gestresst, wechselnd und/oder Täter; hohes Konfliktniveau zwischen den Erwachsenen Kind konkurriert mit TV, Video, Smartphone, SMS, Email, social network... Despotismus und Ausbeutung + Laissez-faire Bestechung, Erpressung Verführung, Nötigung Verrat und Verschweigen Kollusive Verwicklungen Opferung Dazwischen Liebevolles, Zärtliches: verwirrend Intergenerationelle Weitergabe Copyright: Michaela Huber 10

Täterloyalität und Täter-Imitation Auch wenn man das nicht will: Bei Gewalterfahrungen nimmt man über die Spiegelneurone Abbilder ( Spiegel-Splitter ) der TäterIn in sich auf. Als Selbsthass oder Impuls, anderen Ähnliches anzutun. Später tauchen diese in Gedanken, Gefühlen und Verhaltensimpulsen auf: a) Wenn sie getriggert werden b) Wenn die Persönlichkeit sich von dem entfernt, was die Original-TäterIn noch akzeptabel fände c) Wenn sie Teile der Alltagspersönlichkeit geworden sind. Viele gequälte Kinder bleiben lebenslang an die TäterIn und die Täter-Muster gebunden ( brav und Liebe-bedürftig, manchmal auch im Hass vereint ). Copyright: Michaela Huber 11

Traumatisierte Heranwachsende Je früher sie traumatisiert wurden, desto mehr sind Aggression/Depression (Jungen/Männer) bzw. Dissoziation/Ängste/Selbstverletzungen (Mädchen/Frauen) Teil der Persönlichkeit geworden (Farber, 2002) Da die Gewalt meist von Männern ausgeübt (sexuell, physisch) und von Frauen toleriert, selbst ausgeübt (emotional/ schlagen) und gefördert wurde (dt. Frauenstudie 2004), gibt es entsprechende Selbst-Bilder und komplementäre Partnersuche. Das Opfer wird im Alltags-Ich gleichgültig gegen die eigene Opfererfahrung und gegen andere Opfer (und z.b. die eigenen Kinder, wenn diese in Not sind!) Copyright: Michaela Huber 12

Traumatisierte PartnerInnen/Familien Im Alltag jedes Paares und jeder Familie gibt es Trauma-Trigger (Hinweisreize auf vergangene Belastungen). Sind die Traumata verarbeitet, erinnert man sich und denkt mit Abstand daran. Es schmerzt vielleicht, aber es gibt keine sonstigen heftigen (Beziehungs-)Konsequenzen. Sind die T. nicht verarbeitet: Hohe Erregung, Überflutung, Shut Down (Freeze und Erschlaffung/totale Unterwerfung) Konsequenz: Rückzugstendenzen, abrupte Verhaltensabbrüche, Überstimulation, Übertragung der tr. Affekte (Panik, Scham, Wut, Schuldgefühle, Hass, Entsetzen, Schreckstarre, Lähmung, Schmerzen ) Und/oder starke Nähewünsche, Weinen, Bindungsschrei, Krank sein. 08.10.2015 Copyright: Michaela Huber 13

Wissen, was man will, ist schwer es dann umsetzen, noch viel mehr Copyright: Michaela Huber 14

Ist es überall so? Wenn nein, warum nicht? Copyright: Michaela Huber 15

Aussteigen aus Misshandlungen wie? Alle Bindungsmuster überprüfen. Mentalisieren! ( Wie finde ich das eigentlich? Soll das so bleiben? ) Erkennen Anerkennen Verändern. Erst Erfahrung durch gute Beziehung/Beratung/Begleitung/Therapie. Diese verinnerlichen = gute Introjekte. Innere Distanz zu Misshandlern und MittäterInnen aufbauen. Bindungsschmerz aushalten, wenn Täter nahe Bindungspersonen waren. Achtsamkeit nach innen üben, Trösten und Versorgen traumatisierter Innenanteile. Trauma prozessieren. Anzeigen (?) Copyright: Michaela Huber 16

Sicherheit geht von außen nach innen! Copyright: Michaela Huber 17

Sichere Bindungsangebote suchen und 1. Herstellen von äußerer Sicherheit, sich zurückziehen und kein Umgang mit MisshandlerInnen! 2. Emotionale Aufrichtigkeit und (langfristige!) Verlässlichkeit von Menschen suchen und selbst auch umsetzen. 3. Würde und Respekt! HelferInnen müssen das - auch politisch und finanziell oft für KlientInnen (und sich selbst!) einklagen. 4. HelferIn als gutes Vorbild. Aber: KlientIn soll/muss lernen, Trost und Hilfe nach innen zu geben. Daher immer wieder: Mentalisierung fördern, Ereignisse bewerten und einschätzen, daraus Schlüsse ziehen). 5. Langweilige, aber nette Menschen gesucht, zum Aufbau einer wunderbaren Freundschaft Copyright: Michaela Huber 18

Achtsames und Liebevolles ist wichtig! Copyright: Michaela Huber 19

Last not least: Freundschaften aufbauen! Und das gilt Lebens-lang Am besten rechtzeitig damit anfangen Copyright: Michaela Huber 20

In diesem Sinne: Segelt gut in nächste Jahrzehnte der Arbeit für Frauen, liebe Lübeckerinnen!!! Copyright: Michaela Huber 21

Themen für den Workshop Mehrfach traumatisiert durch sexualisierte Gewalt nicht aus Erfahrung gelernt? Was Elschen nicht lernt - lernt Else nimmermehr?? Traumatisierte Mütter haben blinde Flecke Nähe macht Angst Trauma in der Partnerschaft Nicht ohne Mann leben können? Raus aus der Opferrolle aber wie? Wenn eine Verwandte, Freundin, Partnerin betroffen ist. Copyright: Michaela Huber 22