2. Kurzer Überblick über die Varisciden in Europa und die Alpidische Gebirgsbildung

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Transkript:

Die sprachliche Darstellung der Welt ist kein Selbstzweck, sondern dient maßgeblich der Kommunikation. Andreas Gardt 2. Kurzer Überblick über die Varisciden in Europa und die Alpidische Gebirgsbildung Durch intensive Erforschung konnte für das außeralpine Variscikum die geotektonische Entwicklung weitestgehend plausibel rekonstruiert werden (FRANKE et al. 1995, FRANKE 2000). Obwohl das Kernthema der vorliegenden Arbeit auf die Untersuchung und Herkunft detritischer Hellglimmer in klastischen paläozoischen Metasedimenten im alpinen Raum fokussiert ist, sollen vergleichende Betrachtungen mit besser verstandenen variscischen Gebieten außerhalb der Alpen herangezogen werden. Aus diesem Grund wird im Folgenden ein kurzer Überblick zur Variscischen Gebirgsbildung für den europäischen Raum gegeben. Der variscisch geprägte Sockel der Alpen wurde während der alpidischen Gebirgsbildung in der Kreide und im Tertiär zusammen mit seinen Deckschichten nochmals verfaltet, verschuppt, gestapelt und transportiert. Zum besseren Verständnis der vorliegenden Arbeit muss deshalb auch der Deckenbau der Alpen in groben Zügen erläutert werden. 2.1. Varisciden in Europa Die Varisciden bilden das Grundgebirge Europas. Sie entstanden nach mehreren Subduktionsereignissen ozeanischer Becken, Kollisionen verschiedener Terranes oder Mikrokontinenten (z.b. Avalonia und Armorica) und der finalen Kollision des Nordkontinents Laurentia-Baltica mit dem Südkontinent Gondwana im Oberkarbon (Abb. 2-1). Während der Variscischen Orogenese kam es, wie bei jedem orogenen Zyklus, zu Deformationen und Überschiebungen, Deckenstapelungen, Metamorphose, zur Intrusion gewaltiger Mengen granitischer Schmelzen, zur Heraushebung und Abtragung. Die Gesteinseinheiten der Varisciden sind heute meist von mächtigen permo-mesozoischen und tertiären Sedimentgesteinen und/oder quartären Sedimenten bedeckt. Teilweise durchschlagen permische, tertiäre und quartäre Vulkanite diese Gesteinsabfolgen. In einigen Teilen Europas und Nordafrikas findet man jedoch größere Aufbrüche mit Resten des variscischen Gebirges, z.b. Massif Central, Vogesen, Schwarzwald, Nordostbayern und Böhmen, Harz und Rheinisches Schiefergebirge, Ardennen, die britischen Inseln, die südwestliche Iberische Halbinsel, in Marokko, aber auch in vielen Teilen der alpidisch geprägten Bereiche Europas (Abb. 2-2). Die größeren zusammenhängenden variscischen Gesteinseinheiten und Strukturen außerhalb der alpidischen Gebirgsketten lassen sich relativ gut untersuchen. Dies gilt insbesondere für die mitteleuropäischen Varisciden nördlich des moldanubischen Vergenzscheitels. Diese werden von N nach S in vier große, etwa ENE-WSW verlaufende Struktureinheiten untergliedert, das Rhenoherzynikum, das Saxothuringikum mit der Mitteldeutschen Kristallinschwelle, das Moldanubikum und Moravikum (Abb. 2-2 und Abb. 2-3). 7

Abb. 2-1: Paläogeographische Lage der Großkontinente Laurentia, Baltica und Gondwana im Oberkarbon (aus MCKERROW et al. 2000). Das Rechteck markiert die europäischen Varisciden. Abb. 2-2: Tektonische Gliederung der europäischen Varisciden (aus WALTER 2003). 1 = Sutur des Rhenoherzynischen Ozeans, 2 = Sutur des Saxothuringischen Ozeans, 3 = Sutur des Massif Central Ozeans, L = Lizard. 8

Die tektonische Entwicklung fand sukzessive in der Zeit zwischen Kambrium und Karbon statt (FRANKE et al. 1995). An der Wende Ordovizum/Silur kollidierten Laurentia-Baltica mit dem Terrane Ost-Avalonia und bildeten seit dieser Zeit den Old Red Kontinent. Dieser bildet den nördliche Kontinentalrand des sich im Unterdevon entwickelnden Rhenoherzynischen Ozeans. Aufschlüsse in SW England, den Ardennen, dem Rheinischen Schiefergebirge und dem Harz repräsentieren Ablagerungen dieses Ozeanbeckens. Reste von ozeanischer Kruste sind im Rhenoherzynikum Südenglands (Cornwall) in Form kleinen Vorkommen serpentinisierter Ozeankruste (Lizardit, eine Lokalbezeichnung) erhalten. Einen weiteren Hinweis geben die MOR-Basalte der Gießener Decke (FRANKE et al. 1995) im Rheinischen Schiefergebirge. Südlich schließt sich die Struktureinheit des Saxothuringikums an, welche die Mitteldeutsche Kristallinschwelle (z.b. Odenwald, Spessart, Ruhlaer Kristallin) und Ablagerungen des Saxothuringischen Beckens mit paläozoischen klastischen Sedimenten und Vulkaniten (Frankenwald, Fichtelgebirge) darstellen. Daran schließt der Nordteil des Moldanubikums an, das frühvariscisch (ca. 380-400 Ma) geprägte Tepla-Barrandium. Zum Moldanubikum im engeren Sinne gehören die Böhmische Masse, der Schwarzwald und die Vogesen. Sie bestehen einerseits aus schwach metamorphen Gesteinen, andererseits aus hoch metamorphen Gesteinen wie Eklogiten, Granuliten und Peridotiten (Moldanubisches Kristallin, Teile des Tepla-Barrandiums). Saxothuringikum und Moldanubikum repräsentieren Teile des ATA. Sie lagen demzufolge südlich des Rhenoherzynischen Ozeans. Das Moldanubikum ist im SE auf Para- und Orthogneise des Moravikums überschoben (Abb. 2-3). Diese Gesteinseinheiten repräsentieren wahrscheinlich höher metamorphe Einheiten des sich östlich Richtung Karpaten anschließenden schwach metamorphen Silesiums. Es besteht aus einem cadomisch geprägten Grundgebirgssockel über dem paläozoische klastische Sedimente, Karbonate, Flyschablagerungen und mafische Vulkanite des Unterkarbons folgen. Diese Gesteinfolgen sind teilweise unter dem alpinen Deckenbau der Karpaten nachweisbar und werden mit denen des Rhenoherzynikums parallelisiert. Abb. 2-3: Schematisiertes Profil durch die europäischen Varisciden mit ihrer heutigen tektonischen Gliederung (aus FRANKE 1995). In den Varisciden sind heute vor allem die tiefen Bereiche dieses ehemaligen Deckengebirges erhalten, so dass auch hier wesentliche Informationen fehlen. Es gibt so gut wie keine Reste 9

ozeanischer Kruste, obwohl zwischen den verschiedenen Terranes Meeresbecken postuliert werden. Damit können die Bildung und Subduktion dieser Meeresbecken nicht zweifelsfrei festgelegt werden. Die einzelnen Terranes werden als Perigondwana Fragmente bezeichnet, da sie Teil des großen Südkontinents Gondwana waren und sich während des älteren Paläozoikums von dessen Nordrand lösten und nach Norden drifteten. Gondwana selber entstand am Ende des Proterozoikums im Verlauf der Panafrikanischen Orogenese, die Australien, Antarktis, Vorderindien, Afrika und Südamerika vereinte. Durch die Kollision verschiedener Mikroplatten mit dem Nordrand Gondwanas fand im jüngsten Proterozoikum eine weitere Deformationsphase statt, die als Cadomische Orogenese (700 600 Ma) bezeichnet wird (WALTER 2003). Sie kann als Teil der Panafrikanischen Orogenese angesehen werden. Daraus wird deutlich, dass die europäischen Varisciden einen hohen Anteil ehemaliger cadomisch/ panafrikanisch geprägter Krustenteile enthalten müssen. In den erhaltenen Resten des präalpinen Stockwerkes der alpinen Gebirge (Pyrenäen, Alpen, Karpaten) ist deshalb auch von cadomisch/panafrikanischen Krustenanteilen auszugehen. 2.2. Alpidische Gebirgsbildung Am Ende der variscischen Orogenese im Oberkarbon/Perm, vor 299 Ma, waren alle Landmassen im Großkontinent PANGÄA vereint. Der Molasseschutt des Oberkarbons und Perms sedimentierte diskordant auf variscischem oder noch älterem Grundgebirge. Darüber lagerten sich in der Zeit zwischen 250 Ma und 160 Ma, der Trias bis zum Oberjura, Sedimente in einer westlichen Meeresbucht des von SE nach NW in den zukünftigen Alpenraum vordringenden Tethys-Ozeans ab (Abb. 2-4). Der damit verbundene Übergang von terrestrischen Ablagerungen zu marinen Schelfablagerungen kann als Einleitung der alpidischen Ära angesehen werden. Abb. 2-4: Paläogeographie des alpinen Raumes und seines weiteren Umfeldes in der Obertrias (verändert nach KRENMAYER 2002). 10

An der Wende Dogger/Malm, zwischen 160 Ma und 145 Ma, setzte die Bildung des Südpenninischen Ozeans, auch Piemontais Trog genannt, ein. Dabei wurde die Adriatische Platte, ein nördlicher Vorsprung Afrikas, an einer sinistralen Transformstörung von Europa getrennt (SCHWERD 1996). Der Motor dafür war der sich öffnende mittlere Teil des Atlantiks (Abb. 2-5). In der obersten Unterkreide (um 100 Ma) änderte sich das plattentektonische Geschehen im Alpenraum. Ein Nordpenninischer Ozean, auch Valais Trog genannt, hatte sich bereits geöffnet und trennte die Briançonais-Schwelle (Mittelpenninikum) von Europa (Abb. 2-5). Südlich davon setzte die Subduktion des Südpenninischen Ozeans unter die Adriatische Platte ein. Damit verbunden waren erste, frühalpine, Verschuppungen, Überschiebungen und Stapelungen auf der Adriaplatte. Diese ausgebildeten Deckenstapel wurden in der Folgezeit nach Norden auf verschuppte penninische Sedimente und Späne ozeanischer Kruste aufgeschoben. Abb. 2-5: Schematisierte Skizzen zur plattentektonischen Situation des Alpenraumes am Beginn der Kreide (aus SCHWERD 1996). Ab der Mittlerer Oberkreide bis in das Oberoligozän (ca. 85 Ma bis 23 Ma) fand die ebenfalls südgerichtete Subduktion des Nordpenninischen Ozeans statt. Nach der Kollision und Verkeilung der Adriatischen Platte (Oberplatte) mit der Europäischen Platte (Unterplatte) fanden großräumige Abscherungen, Überschiebungen und die endgültige Stapelung der Alpinen Decken statt (Abb. 2-6). Die Heraushebung der Alpen zum echten Hochgebirge begann jedoch erst ab dem Miozän (vor 23 Ma) und hält bis heute an (siehe Kapitel 1). 11

Abb. 2-6: Verkeilung der Adriatischen Platte (Afrika) mit Europa nach ihrer endgültigen Kollision im Tertiär (aus LABHART 1993); ein Frontalzusammenstoß zweier ungleich großer Autos (MATTAUER 1999) schematisiert diese Situation. 2.2.1. Deckenbau der Alpen Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde in den Schweizer Alpen die Theorie des Deckenbaus geboren. Dies kann man u. a. ausgezeichnet an der Glarner Überschiebung an den Tschingelhörnern am Segnespass (Graubünden, Schweiz) beobachten, wo junge Sedimente des Tertiärs von älteren karbonen Sedimenten überdeckt werden. Seit diesem Zeitpunkt wurde der Bau der Alpen immer intensiver geologisch untersucht und erklärt. Damit entstand eine Vielzahl an Bezeichnungen für gleiche oder ähnliche Gesteinsabfolgen in unterschiedlichen Gegenden der Alpen. Erst mit der Plattentektonik wurde letztlich die Voraussetzung für eine großtektonische Einteilung der Alpen geschaffen. Die scheinbar unübersichtliche Fülle an Bezeichnungen konnte nun in ein überschaubares Bild eingefügt werden. In Abb. 2-5 sind die Bildungs- und Ablagerungsräume mit ihren jeweiligen Namen vor der alpidischen Gebirgsbildung dargestellt. Der Schelfbereich der Europäischen Platte mit dem darunter anstehenden Grundgebirge wird als Helvetikum bezeichnet. Die Ablagerungen des im SE befindlichen Schelfs und Grundgebirges der Adriatischen Platte kennzeichnen das Ostalpin und das Südalpin. Zwischen beiden Schelfbereichen befand sich der Ablagerungsraum des Penninikums, bestehend aus Ophiolithen und Sedimenten (Nord- und Südpen- 12

ninikum) ehemaliger ozeanischer Kruste sowie aus Fragmenten der europäischen Platte (Mittelpenninikum). Diese ehemaligen Ablagerungsräume mit ihren entsprechenden Gesteinsabfolgen wurden aufgrund ihrer heutigen geographischen Verbreitung innerhalb des Alpenorogens in drei große geologische Einheiten gegliedert (Abb. 2-7). Die Bezeichnung Ostalpin und Südalpin wird beibehalten. Im westlichen Teil der Alpen überwiegen helvetische und penninische Gesteinsfolgen. Deshalb wurden Helvetikum und Penninikum zum Westalpin zusammengefasst. Abb. 2-7: Übersicht zur großtektonischen Gliederung der Alpen (BÖGEL & SCHMIDT 1976). Ost- und Westalpin werden vom Südalpin durch die Periadriatische Linie, auch als Tonaleoder Insubrische Linie bezeichnet, getrennt. Dieses Lineament stellt eine dextrale Blattverschiebung dar, an der gleichzeitig auch Vertikalversätze bis zu 30 km ermittelt werden konnten. Während der Kollision der Adriaplatte mit Europa wurden in einem komplexen Überschiebungsgürtel penninische und ostalpine Decken gestapelt und nach Norden überschoben. Das Ostalpin wurde dabei zusammen mit den aufgeschuppten alpinen Flyschsedimenten an seiner Basis über das Penninikum und mit diesem zusammen bis auf das ebenfalls in Decken gestapelte Helvetikum geschoben (Abb. 2-6). Die Sutur zwischen Adriaplatte und Europa bildet somit die ozeanische Kruste des Penninischen Ozeans. In den Ostalpen ist diese Sutur z.b. in der Matreier Schuppenzone, südlich und westlich an das Tauernfenster anschließend, dokumentiert. Penninikum (z.b. Serpentinite), Wildflysch, Ostalpines Kristallin und dessen postvariscischen Sedimentgesteine (z.b. Dolomite aus der Trias) sind in dieser Zone miteinander verschuppt. In den Ostalpen glitten die ostalpinen Decken über das Penninikum weiter nach N auf das Helvetikum auf. Sie stellen damit die am weitesten nach Norden transportierte Deckeneinheit der Alpen dar und werden als Fernschubmasse bezeichnet. Im Gegensatz zum Ost- und Westalpin, wo die Helvetischen- Penninischen- und Ostalpinen Decken nordvergente Falten und Überschiebungen bilden, findet man im Südalpin einen südvergenten Falten- und Überschiebungsbau. 13

Die alpinen Deckenstapel wurden unterschiedlich stark metamorph überprägt. Man kann eine kretazische Metamorphose (ca. 100 Ma) und eine tertiäre Metamorphose (ca. 40 20 Ma) unterscheiden. Die Untersuchungs- und Probennahmegebiete der vorliegenden Arbeit befinden sich im Ostund Südalpin. Eine genauere Beschreibung dieser Einheiten wird deshalb im folgenden Kapitel gegeben. 14