Dipl.-Ing. (FH) ift Rosenheim Grenzen und Möglichkeiten von Absturzsicherung bis zum Sonnenschutz Große Glasflächen, geringe Rahmenanteile, raumhohe Verglasungen, öffenbare, ebenfalls raumhohe Fensterflügel! Wer kennt diese Wünsche von Bauherren und Architekten nicht? Also wird das Fenster und mit ihm vor allem das Glas als Ersatz für die nicht transparente Wand eingesetzt. Dieser Trend ist für lichtdurchflutete Räume und als Fläche zur Energiegewinnung (speziell im Winter) in Nullenergie - oder gar Energiegewinnhäusern sehr zu begrüßen. Damit steigt in der heutigen Zeit vor allem der Anspruch an die Wärmedämmung der transparenten Bauteile, also an den U-Wert, aber auch an den sommerlichen Wärmeschutz. Und eine möglichst lebenslange Garantie auf die zugesicherten Eigenschaften soll natürlich auch gegeben werden. Bild 1 Einwirkungen auf Fenster Ganz schön viel, was unser Bauteil Fenster mit Hilfe der richtigen Komponenten leisten soll! Dass sich, für das Glas betrachtet, einige Eigenschaften fast widersprechen, fällt auch dem Laien auf. Wo sind also die Schwachstellen, auf die zu achten ist, und was lässt sich ohne zusätzliche Vorrichtungen einfach nicht unter einen Hut bringen? 1 Absturzsicherung Absturzsichernde Verglasungen bei raumhohen Bauteilen (Kategorie A nach TRAV, Technische Regel für absturzsichernde Verglasungen, 2003) oder mit lastabtragendem Riegel oder Handlauf versehene Verglasungen (Kategorie C) werden in 3fach- Mehrscheiben-Isolierglas (MIG) ausgeführt. In Tabelle 2 der TRAV sind Scheibenaufbauten für 2fach-MIG enthalten, die ohne weiteren Nachweis verwendet werden dürfen. Für 3fach- Glas hat der Gesetzgeber auf Basis der Ergebnisse eines Forschungsprojekts des ift Rosenheim die Musterliste der technischen Baubestimmungen um folgenden Absatz ergänzt: Die in den Zeilen 1, 2, 3, 4, 7, 8, 9, 18, 20 und 28 der Tab. 2 aufgeführten Mehrscheiben-Isoliergläser dürfen ohne weitere Prüfung als ausreichend stoßsicher angesehen werden, wenn sie ift Rosenheim Seite 87 von 173
um eine oder mehrere ESG- oder ESG-H-Scheiben im Scheibenzwischenraum ergänzt werden. Alle anderen Aufbauten müssen noch immer im Pendelschlagversuch nachgewiesen oder nach den Regeln der TRAV berechnet werden. Es sind mittlerweile nationale Normenwerke in Arbeit (E DIN 18008-4), die eine Berechnung vorgeben, die das Nachweisverfahren ersetzen wird. Für die Absturzsicherung mit 3fach Glas gilt: Kann der gewünschte Glasaufbau den notwendigen Widerstand nicht bieten oder müssten die Glasdicken derart erhöht werden, dass die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist und evtl. die Gewichtslasten nicht mehr abgetragen werden können, dann muss mit Zusatzvorrichtungen wie Geländern oder Holmen unterstützt werden. 2 Dauerhaftigkeit Bild 2 Pendelschlagversuch MIG ist per Definition der EN 1279-1 ein hermetisch abgeschlossenes System. Das heißt, dass der bei der Fertigung eingeschlossene Luftdruck erhalten bleibt. Bei einem äußeren Luftdruck und der Temperatur zum Zeitpunkt der Fertigung herrscht also im Scheibenzwischenraum (SZR) Bild 3 Maximal auftretende Randlasten bei quadratischen Scheiben im Vergleich zu einer 2fach Scheibe 4/16/4 als Referenz [1] Seite 88 von 173 ift Rosenheim
mit der Umgebung ein Gleichgewicht, die Scheiben sind planparallel. Ändern sich nun äußerer Luftdruck (durch barometrische Veränderungen oder die Höhenlage zwischen Herstell- und Einbauort) und/oder Temperatur, so wird das System MIG reagieren. Je nach Biegesteifigkeit der Glastafeln wird eine Verformung stattfinden (Einoder Ausbauchung) oder ein Druck auf Glas und Randverbund aufgebaut werden. Denn die Physik hier in Form der Gasgleichung (pxv)/t = const. lässt sich nicht überlisten. Ändert sich einer der Parameter, muss dies an anderer Stelle ausgeglichen werden. Je größer das eingeschlossene Volumen wird, desto heftiger sind die Auswirkungen. Die Klimalasten machen sich bei biegeweichen Formaten als Verformung bemerkbar. Hier sind regeltechnisch keine Grenzen gesetzt. Allerdings wird die resultierende optische Verzerrung nicht immer akzeptiert. Hier sucht die Glasindustrie nach Lösungen, die einen Druckausgleich in größer werdenden Scheibenzwischenräumen zulässt. Ein Forschungsvorhaben des ift Rosenheim wird sich in 2013 mit der Thematik beschäftigen. 3 Sommerlicher und winterlicher Wärmeschutz Diese physikalischen Gegebenheiten sind jedem, der mit Isolierglas zu tun hat, seit langem bekannt. Durch den vermehrten Einsatz von 3fach- Glas mit immer größer werdendem SZR verschärft sich die Diskussion aber zusehends. Aus diesem Grund wurde ein bekanntes Berechnungsmodell für 2fach Glas auf 3fach-Glas ausgeweitet und die Ergebnisse in Form von Anwendungsdiagrammen dargestellt [1]. Hier lässt sich für bestimmte Aufbauten ablesen, welche Formate noch sinnvoll eingesetzt werden können. Man sieht, dass man bei Voraussetzung der Überlagerung mit Wind- und Klimalasten schnell an Grenzen stößt. Bild 3 zeigt beispielhaft die Randlasten im Isolierglas bei einem quadratischen Format. Bild 4 3fach-Glas Klimalasten: bei kleinformatigen Scheiben erhöhtes Bruchrisiko, bei großformatigen Scheiben und geringen Glasdicken hohe Durchbiegung Die oben beschriebenen Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit sind eine direkte Reaktion auf die immer höher werdenden Anforderungen an den winterlichen Wärmeschutz, sprich den U g -Wert. Daneben muss aber auch der sommerliche Wärmeschutz, also der g-wert des Glases nach EN 410, bzw. der Fc-Wert (Abminderungsfaktor für Sonnenschutzvorrichtungen) und damit der g total -Wert einer Verglasung, beachtet werden. Dieser g total -Wert beeinflusst maßgeblich den sog. S vorh (Sonneneintragskennwert) für einen zu betrachtenden Raum. Berechnungen, die auf Basis der neuen E DIN 4108-2 (10-2011) gemacht wurden, haben gezeigt, dass es bei ungünstigen Konstellationen notwendig werden kann, die Fensterflächen eines Raumes zu limitieren. Da dies nicht im Sinne der Behaglichkeit und des Energiegewinns im Winter sein kann, muss sich der Planer überlegen, ob neben dem Einsatz eines für den winterlichen Wärmeschutz gut geeigneten Glases nicht zusätzliche Vorrichtungen notwendig werden, um den sommerlichen Wärmeschutz ein- ift Rosenheim Seite 89 von 173
zuhalten. Auch über die Verwendung von Isoliergläsern mit unterschiedlichen lichttechnischen Werten innerhalb eines Raumes an Fensterflächen unterschiedlicher Ausrichtung sollte gedacht werden. 4 Fazit Quellen [1] Projekt des Bundesverband Flachglas (BF): Berechnung von Bemessungsdiagrammen für 3fach Glas, erstellt durch Prof. Dr. Franz Feldmeier, Hochschule Rosenheim. [2] Technische Regeln für die Verwendung von absturzsichernden Verglasungen (TRAV), Fassung Januar 2003 Für alle oben aufgezeigten Eigenschaften kann es notwendig werden, das transparente Bauteil Glas durch ergänzende Maßnahmen zu unterstützen, um die positiven Eigenschaften zum Energiegewinn, den Komfort und die Behaglichkeit heller, lichtdurchfluteter Räume auch unter der Notwendigkeit des Energiesparens weiter nutzen zu können. Bild 5 U-Werte für Referenzgebäude Wohnneubau im Nachweisverfahren der geplanten EnEV 2013 Seite 90 von 173 ift Rosenheim
Wissenswertes in Kürze 3fach-Glas Ein Alleskönner? Grenzen und Möglichkeiten von Absturzsicherung bis zum Sonnenschutz 1 Die Verbesserung des U g -Wertes steht bei 3fach-Isolierglas im Vordergrund 2 Die Scheibenzwischenräume werden immer größer, daher erhöht sich die Belastung des Glases und des Randverbundes. 3 Optische Beeinträchtigungen sind die Folge und können vermindert durch neue druckentspannte Konstruktionen werden. 4 Absturzsicherndes 3fach-Glas ist bisher über die TRAV geregelt, wenn ESG oder ESG-H Scheiben als Mittelscheibe verwendet werden. 5 Bei der Verwendung von ESG/ESG-H als Außenscheibe ist noch immer ein versuchstechnischer Nachweis notwendig. 6 Die Verwendung von Glas mit guten Sonnenschutz- bzw. Wärmeschutzeigenschaften muss je nach Einsatzort optimiert werden. 7 Zur Optimierung der Eigenschaften für den Nutzer sind für viele Anwendungen zusätzliche Vorrichtungen wie außenliegender Sonnenschutz, absturzsichernde Holme oder ähnliche Hilfsmittel notwendig. Dipl.-Ing. (FH) Geboren am 14. Januar 1961 in Erlangen 1983 1989 Diplomstudium im Fach Holztechnik an der Fachhochschule Rosenheim seit 1989 Mitarbeiterin am ift Rosenheim, Aufgabenbereich: Prüffeld Baustoffe (Isolierglas, Dichtstoffe, Metall-Kunststoff-Verbundprofile, Klebstoffe) seit Nov.2003 Leiterin des Prüffelds Glas und Baustoffe seit Juni 2005 Stellvertretende Leiterin der akkreditierten Prüfstelle für Glasprodukte am ift Rosenheim seit Mai 2010 Leiterin des Geschäftsbereichs Baustoffe und Halbzeuge seit Aug. 2011 Prüfstellenleiterin der akkreditierten Prüfstelle für Glasprodukte am ift Rosenheim ift Rosenheim Seite 91 von 173