Prekäre Bilder. Prekäre Bilder Thorsten Bothe, Robert Suter (Hg.) Wilhelm Fink. Thorsten Bothe, Robert Suter (Hg.)



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Transkript:

Der Tagungsband ist aus der Kooperationstagung der Graduiertenkollegs»Bild und Wissen«(Eikones / NFS Bildkritik, Universität Basel) und»mediale Historiographien«(Bauhaus- Universität Weimar / Universität Erfurt / Friedrich- Schiller-Universität Jena) hervorgegangen. Ziel der Tagung war, entsprechend der Ausrichtung der beiden Graduiertenkollegs, die Frage nach dem Erkenntniswert von Bildern unter einem doppelten Fokus zu beleuchten: einem bildkritischen und einem medienwissenschaftlichen. Indem die Beiträge neue Bilder und Thesen ausgehend von ebenso reichhaltigem wie unbekanntem Material präsentieren, können sie das zukünftige Potential einer Bildkritik andeuten. Ausgangspunkt stellen dabei gerade jene Bilder dar, deren Bildlichkeit in der einen oder anderen Weise prekär erscheint. Es geht um Bilder, die ihre Bildlichkeit selbst in Frage stellen. Solche Bilder findet man, wie die Beiträge zeigen, in Kunst, Literatur, Wissenschaft und Museen ebenso wie in Photoalben, Filmen und Computersimulationen. Thorsten Bothe, Robert Suter (Hg.) Thorsten Bothe, Robert Suter (Hg.) Wilhelm Fink

Thorsten Bothe Robert Suter (Hg.)

eikones Herausgegeben vom Nationalen Forschungsschwerpunkt Bildkritik an der Universität Basel Thorsten Bothe Robert Suter (Hg.) Wilhelm Fink

Inhaltsverzeichnis 11 Einleitung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. 2010 Wilhelm Fink Verlag, München (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de eikones NFS Bildkritik www.eikones.ch Die Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) sind ein Förderinstrument des Schweizerischen Nationalfonds. Gestaltungskonzept eikones Publikationsreihe: Michael Renner, Basel Layout und Satz: Lucinda Cameron und Jinsu Ahn, Basel Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-4810-1 I. Gespenster sehen Bettine Menke 21 Bildlos, ungeformt und unbestimmt: das Medium 45 61 85 103 der Bilder. Zu den prekären Bildern Walter Benjamins Robert Suter Das Räuberporträt. Figurationen des inneren Feindes nach 1800 Stéphane Montavon Heroismus im spektakulären Zeitalter. Die Autofik- tion Guy Debords Markus Klammer»fig 1.«Grund und Signatur der Psychoanalyse Thorsten Bothe Geflügelte Bilder/Schrift-Schnitte. Zum Status der imago in der memoria am Beispiel von Thomas Harris Hannibal Rising

II. Das Sehen sehen Joseph Vogl 125 Goethes Farben 139 159 175 Stephan Gregory Fraunhofers Spektrum. Spuren im Bild des Lichts Christina Vagt Kosmographien. Heideggers Weltbildkritik und der diagrammatische Grund Sylwia Chomentowska Nicht(s) Sehen. Grenzgänge des Bildes bei Turner III. Künstlich sehen Helga Lutz 199 Auflösungen des Sehens. Bilder, Vergrößerung- 225 247 277 en, Blicke Hans-Christian von Herrmann Künstliche Kunst. Abstraktion als Mimesis Nina Samuel»Do not clean off the dust specks. They are real.«über gestörte, verschmutzte und verborgene Computerbilder Inge Hinterwaldner Vom Sprung ins Detail und zurück. Zur Rolle der Montage im generativen Medium der Computersimulation

IV. Doppelt sehen Nina Wiedemeyer 299 Papierparasiten und Linienschleier. Über den ornamentalen Schleier des Pergamin 317 337 Ulfert Tschirner Verborgene Bildräume. Über Museumsphotographie Lena Bader Echte Bilder Falsche Bilder? Original-Reproduktionen und kunsthistorische Kopie(n)kritik im 19. Jahrhundert 355 Autorinnen und Autoren

Einleitung Der vorliegende Tagungsband ist aus einer Kooperationstagung der beiden Graduiertenkollegs»Bild und Wissen«(eikones/NFS Bildkritik, Universität Basel) und»mediale Historiographien«(Bauhaus-Universität Weimar/Universität Erfurt/Friedrich-Schiller-Universität Jena) hervorgegangen. Das Ziel der Tagung war einerseits, entsprechend der Ausrichtung der beiden Graduiertenkollegs, die Frage nach dem Erkenntniswert von Bildern unter einem doppelten Fokus zu beleuchten: einem bildkritischen und einem medienwissenschaftlichen. Darüber hinaus war das Ziel der Tagung aber vor allem, die Fragen, Forschungen und Materialien der Graduierten in den Mittelpunkt zu stellen; daraus ist ein Tagungsband entstanden, der viele neue Fragen, Thesen und Entdeckungen umfaßt. Der Band kann auf diese Weise auch das zukünftige Potential von Bildkritik andeuten. Die Bilder, welche die hier versammelten Aufsätze verhandeln, zeichnen sich durch ihren jeweils prekären Charakter aus, der sie aus der Flut der Bilder hervorhebt und dadurch par exellence als bildkritisch relevant ausstellt. Indem dieser Band unterschiedliche Bilder aus der Kunst, (Natur-)Wissenschaft, Technik, dem Museum und der Literatur versammelt, die bereits in 10 11

den einzelnen Disziplinen der Beiträger einen besonderen Status haben, formulieren und beantworten die Beiträge die Frage nach dem Bild in jeweils spezifischer Weise, welche die Kompetenz zahlreicher Disziplinen, denen es um die Frage nach dem Bild bestellt ist, einbringt. Die Beiträge werden in vier Abschnitten präsentiert, die weder hierarchisch aufeinander aufbauen wollen noch einer strengen Teleologie geschuldet sind. Die BeiträgerInnen stammen aus den verschiedensten Fachgebieten. So sind hier Kunsthistoriker- Innen und KulturwissenschaftlerInnen ebenso vertreten wie PhilosophInnen, HistorikerInnen, PhilologInnen, Medien- und LiteraturwissenschaftlerInnen. Die folgenden Kurzhinweise zu den Beiträgen wollen nicht inhaltliche Zusammenfassungen sein oder spezifische Argumente betonen, sie sollen nur einen kurzen Überblick ermöglichen und einen ersten flüchtigen Ausblick auf den Materialreichtum der Beiträge eröffnen. Der Band beginnt mit einem Beitrag Bettine Menkes über das Prekäre der Bilder, worin sie Walter Benjamins Kurze Schatten von 1933 und dessen Vorbehalte gegenüber den Bildern vorstellt, indem sie unter anderem nach dem im Medium selbst Vergessenen fragt und hervorhebt, was sich dem Bild, der Darstellung von jeher entzieht. Damit thematisiert sie auch und gerade die Sprache. Robert Suter zeigt anhand eines Briefs von Kleist und der kriminalistischen Literatur des frühen 19. Jahrhunderts über Räuber, wie sich eine ganze Epoche ein Bild von einem unsichtbaren Gegner gemacht hat, das eine neue Denkfigur innerer Feindschaft begründet. Stéphane Montavon widmet seinen Beitrag der Interventionskunst Debords, die darin besteht, ein Ausgesetztsein des Künstlers zu proklamieren und dieses gleichzeitig durch autofiktive Verschlossenheit zu hintertreiben. Dieses Paradox läßt sich anhand einer Analyse des Text-Bild-Verhältnisses zeigen, wobei sich Debord im Kontext der poststrukturalistischen Wende selbst als Fall einer Auslöschung des identifizierbaren Werkes im kulturellen Recycling betrachtet hat. Markus Klammer unternimmt eine vergleichende Analyse verschiedener Deutungen zu Sigmund Freuds wohl berühmtestem Fall, dem des Wolfsmannes. Dabei wird nach dem ontologischen und materialen Status von Phantasmen, ihrer Stellung innerhalb der abendländischen Metaphysik und Strategien ihrer Explikation gefragt. Thorsten Bothe zeigt exemplarisch anhand eines displays aus dem Gedächtnispalast des serial killers Hannibal the Cannibal Lecter, das als mnemotechnisches Bild (imago) die téchnē der memoria als Gedächtnis des Textes in nuce vorführt, den Stellenwert des imago-begriffs für die Gedächtniskunst auf. Joseph Vogls Lektüre von Goethes Farbenlehre (auch unter Rekursen auf»das Auge«) betont unter anderem eine»kritik der Sinne«in Anlehnung an die Kantsche Kritik der reinen Vernunft. Im Amalgam von Ästhetik und Physiologie wird die Farbe nach Deleuze als videndum erkennbar und der Weg, den die»farbe«im 19. Jahrhundert nehmen wird, vor- und nachgezeichnet. Stephan Gregory geht es in seinem Beitrag um Joseph Fraunhofers Entdeckung der dunklen Linien im Farbenbild des Sonnenspektrums (1813). Deren potentiell spektraler, d. h. geisterhafter Effekt läßt sich auf ein Hervortreten des Bedingenden am Bedingten, des Bildgebenden am Bild, des Medialen am Medium zurückführen. Insofern der wissenschaftliche Diskurs von dieser Spektralität nichts wissen will, wird sie ihm nicht in der Erkenntnis selbst zuteil, sie begegnet ihm stattdessen im Realen, in einem unheimlichen Ding, für das hier der Name epistemologisches Gespenst vorgeschlagen wird. Christina Vagt verschränkt Martin Heideggers Bildkritik und Hermann Minkowskis Theorie der absoluten Welt, die im selben epistemischen Feld mathematisch-axiomatisierter Physik entstehen. Ausgehend von der Frage nach Funktion und Effekt des Diagramms innerhalb der wissenschaftlichen Evidenzproduktion werden die Bezüge zwischen relativistischer Physik und Heideggers früher Philosophie untersucht. Das Prekäre an den hier beschriebenen Weltbildern ist, daß sie sich nicht zwischen Logik und Bild entscheiden und darin ihre epistemologische Operationalität begründet liegt. Sylwia Chomentowska widmet sich Turners späten Gemälden. Diese sind durch einen besonderen Status prekärer Bildlichkeit, durch ihren Grenzfall, gekennzeichnet: Der Blick irrt haltlos auf der Bildoberfläche umher nichts ist zu sehen! Doch diese Bildlichkeit ist weder ein dialektischer Bruch im Bild noch eine Negation des Bildes, auch sind die Werke keine Abstraktionen oder Orte potentieller Bilder. Vielmehr sind sie eine Art ästhetisches»nichts«. In ihnen wird ein durch Licht und Atmosphärisches verursachtes Nichts-Sehen-Können ins Bild gesetzt, das alle bildlichen Beschreibungskategorien (vorne/hinten, Figur/Grund, Nähe/Ferne Einleitung 12 13

sowie Komposition und Raum) aufhebt und dadurch gerade der reinen Anschauung, die nach Hegel das»nichts«kennzeichnet, das Bild als Bild hervorkehrt. Ein Playboyartikel von John Pierce über Jean Tinguelys Méta-matics und die von diesen Maschinen gemalten Bilder, die den Tachismus oder Informel parodieren, führen Hans-Christian von Herrmann mitunter über Georg Nees Arbeiten und einen Skandal im ästhetischen Kolloquium Max Benses zu der auch informationstheoretische Frage, ob computergenerierte Bilder Kunst sind. Er gibt unter anderem Aufschluß darüber, von welchen Philosophen Max Bense seine Formel künstliche Kunst entlehnte. Nina Samuel verhandelt Benoît Mandelbrots Entdeckung seiner in den 80er Jahren berühmt gewordenen Mandelbrotmenge, der Ikone der sogenannten Fraktalen Geometrie der Natur, welche die Frage der Unterscheidbarkeit zwischen Bild und schmutziger Bild(ver)störung, zwischen berechneter Struktur und Defekt des technischen Instruments bildet. Vor diesem Hintergrund stellt der Artikel die Frage nach dem ikonischen Potential von Fehlerbildern im Bereich des Digitalen. Der bug als sprichwörtlicher Computerfehler leitet dabei die Untersuchung der Phänomene aus dem Bereich von Technik, Wirtschaft und Kunst: von im Programm Adobe Photoshop versteckten Bildern (sogenannten Easter Eggs ) zum programmierten Absturz in der Medienkunst und zum versehentlich eingescannten Insekt in der Bilddatenbank von Google Earth. Ziel ist es, anhand der Beispiele die Begriffe der Störung, des Artefakts, des Fehlers und des Unfalls im Bereich digitaler Bildlichkeit zu hinterfragen und zu schärfen. Inge Hinterwaldner zeigt in ihrem Beitrag anhand einer interaktiven Echtzeitsimulation aus dem Bereich der theoretischen Psychologie auf, daß die Spaltung digitaler Bilder in eine sichtbare Oberfläche und eine manipulierbare Unterfläche zu kurz greift. Sie bedarf noch weiterer Differenzierungen. Zudem findet das gerechnete dynamische Modell nicht einfach eine Entsprechung in der Visualisierung. Vielmehr gilt es, diesem Verhältnis nachzugehen und zu ergründen, wie die auf mehreren Ebenen vorhandenen Brüche für die Simulation konstitutiv werden. Helga Lutz verfolgt in ihrem Text anhand unterschiedlicher und historisch weit auseinander liegender Beispiele aus den Bereichen der Tafelmalerei, der Graphik, der Literatur, der Photographie und des Films wiederkehrende Versuche, das dem Sehen Entzogene ins Feld des Sehens einzuholen. So hatte man etwa in der Frühzeit der Mikroskopie an das Vergrößerungsglas die Hoffnung geknüpft, dem Blick nicht nur einen Weg in die Regionen des Kleinsten gebahnt, sondern zugleich auch eine tiefe Einsicht in die Schöpfung gewonnen zu haben. Es geht um das sich historisch und medial je neu konstellierende Begehren, die jeweils abgebildete Wirklichkeit im Hinblick auf imaginäre Fluchtpunkte zu überschreiten auf letzte Dinge, die nicht zu sehen sind und von denen man doch, im Sinne eines Fetischs, glauben will, daß sie gesehen werden können. Nina Wiedemeyer geht in ihrem Beitrag»Papierparasiten und Linienschleier«davon aus, daß Ornamente parasitäre Qualitäten besitzen. Im Sinne Michel Serres stören sie den Lauf der Dinge und setzen neue in Gang. Die Pergaminpapiere in Fotoalben sind in mehrfacher Hinsicht widerspenstig: Sie bergen ornamentale Reste (Leinenprägung, Spinnweben, Seidenwurm), die auf kunst-, kulturund buchgeschichtliche Paradigmen verweisen, die mit den Mustern eine materielle Spur hinterlassen haben. Verhandelt werden Paradigmen der Bild- und Blickstörung (Schleier, Falte) und der Bildproduktion (Weben/ Textil). Lena Bader untersucht in ihrem Beitrag am Beispiel des Holbein-Streites, einem entscheidenden Ereignis innerhalb der Konstituierung der Kunstgeschichte als akademische Wissenschaft vom Bild, die bildkritischen Implikationen des vergleichenden Sehens als Vermittlungs-, Erkenntnis- und Begriffsinstrument der Kunstgeschichte. Im Zentrum stehen damit die Erkenntniskraft des vergleichenden Sehens und seine Bedeutung für bildkritische Fragestellungen sowie damit einhergehende Auslotungen im Spannungsfeld von Medialität und Bildlichkeit. Ulfert Tschirner zeigt auf, wie Museumsphotographien heute meist in verborgenen Bildräumen (Photoarchiven) auf bewahrt werden und dort dem schleichenden Verfall ausgesetzt sind. Nähert man sich diesen vergessenen Bildern heute, zeigt sich in ihnen die noch ungeschriebene Geschichte der Museumsphotographie als Geschichte des Vergessens und der Kaschierung eines Bildraums jener räumlichen Aufnahmesituation, durch welche die in den Bildern objektivierte Objektwelt der Museen durch serielle Gestaltung allererst fabriziert wird. Der Aufsatz sucht nach Bildern und Konstellationen, in denen diese Bildkonvention bricht und der verborgene Bildraum sichtbar wird. Dieser kurze Überblick mag schon die Möglichkeiten und Chancen andeuten, die in der doppelten Fokussierung von Bildern Einleitung 14 15

durch eine bildkritische und eine medienwissenschaftliche Perspektive angelegt sind. Die Initiative zu diesem Band und der größte Teil seiner Beiträge geht auf die im Januar 2007 in der Alten Universität Basel im eikones-projekt veranstaltete Kooperationstagung»Prekäre Bilder. Von Bildstörungen, Bildbrüchen und Bildschemen«der beiden Graduiertenkollegs»Bild und Wissen«(Basel) und»mediale Historiographien«(Weimar, Erfurt, Jena) zurück. Die Herausgeber danken insbesondere Regine Bungartz, Christina Vagt und Nina Wiedemeyer, die am Tagungskonzept mitwirkten, wie auch Claudia Blümle, Isabel Kranz, Gloria Meynen und André Wendler für die Leitung der panels, sowie Helen Dunkel und Heike Freiberger, die im Hintergrund vortrefflich für eine funktionierende Logistik am Rheinsprung sorgten. Ebenso danken wir Stephan Gregory, der die Vorbereitungen im Vorfeld der Tagung sehr hilfreich begleitet hat. Des weiteren danken wir dem Graduiertenkolleg»Mediale Historiographien«für eine anteilige Finanzierung des Bandes. Die Tagung wurde mit einer Begrüßung Gottfried Boehms eröffnet und endete mit einer sehr großzügigen Führung durch das Basler Schaulager. Michael Renner sind wir für die enorme Sorgfalt, die dieser Band im Satz erfahren hat, zu großem Dank verpflichtet, da das jeweilige Bild schließlich auch seine Sinnhaftigkeit und Produktivität in den einzelnen Beiträgen dieses Bandes in seinem jeweiligen Verhältnis zum Text, zur Argumentation behauptet. Vor allem aber danken wir insbesondere Gottfried Boehm für die Aufnahme des Bandes in die eikones-reihe. Erfurt, Basel, im Januar 2009 Thorsten Bothe, Robert Suter 16 17