Europas Forschungsmodul Columbus

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Transkript:

T h e m e n d e r W i s s e n s c h a f t Abb. 1: Die Internationale Raumstation ISS hier im Ausbauzustand Ende 2007 erhält mit dem Forschungsmodul Columbus die lange ersehnten Kapazitäten für breit angelegte wissenschaftliche Experimente. Europas Forschungsmodul Columbus Die Internationale Raumstation nähert sich der Vollendung Von Thilo Günter Mit der Ankopplung des europäischen Forschungslabors Columbus beginnt für die Internationale Raumstation ISS ein neuer Abschnitt, da nun endlich ihre wissenschaftlichen Aufgaben in den Vordergrund treten. Des Weiteren wird in diesem Jahr als weiterer bedeutender Beitrag Europas zur ISS das automatische Versorgungsfahrzeug ATV zum Einsatz kommen. Als im Jahre 1998 nach jahrelangen Verzögerungen der Aufbau der Internationalen Raumstation ISS endlich begann, feierten dies die Raumfahrtbehörden weltweit als Beginn einer neuen Epoche der bemannten Raumfahrt. Die neue Station sollte nach ihrer Fertigstellung vor allem der Grundlagenforschung in der Erdumlaufbahn dienen. Als zentralen Beitrag Europas zur ISS steuert die Europäische Raumfahrtbehörde Esa das sieben Meter lange Labormodul Columbus bei. Damit bekommt die Forschung an Bord der ISS einen entscheidenden Anschub. Zudem können sich nun bis zu sechs Astronauten dauerhaft auf der Raumstation aufhalten und müssen sich nicht wie die bisherige dreiköpfige Rumpfmannschaft fast ausschließlich mit Aufbau- und Wartungsarbeiten beschäftigen. Ursprünglich sollte das Esa-Labor spätestens im Jahre 2005 zur ISS fliegen, dies vereitelte allerdings der tragische Verlust der Raumfähre Columbia im Februar 2003. Zudem sorgten anhaltende technische Probleme mit den Raumfähren für immer weitere Verzögerungen. Im Jahre 2010 wird die Nasa ihr Space-Shuttle- Programm beenden, sodass die ISS bis dahin fertig gestellt sein soll. Für die Station ist danach noch ein zehn- bis fünfzehnjähriger Betrieb angepeilt. Eine lange Vorgeschichte Konkrete Überlegungen zur Schaffung bemannter Orbitalstationen wurden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgearbeitet im Westen besonders propagiert vom deutschstämmigen Raumfahrtpionier Wernher von Braun (1912 1977). Doch erst im Jahre 1971 kam diese Idee mit der sowjetischen Raumstation Saljut 1 zur Verwirklichung (siehe SuW 10/2007, S. 26 ff.). Denn nachdem die USA den prestigeträchtigen Wettlauf zum Mond mit der Landung von Apollo 11 im Juli 1969 gewonnen hatten, verlagerte die konkurrierende UdSSR nach dem Scheitern ihres bemannten Mond 26 Sterne und Weltraum März 2008

Nasa Abb. 2: Die Raumstation Skylab wurde in den Jahren 1973 bis 1974 betrieben und bot insgesamt neun Astronauten eine befristete Heimat im All. Abb. 3: Das Weltraumlabor Spacelab flog insgesamt 22 Mal ins All. Hier ist es bei seinem Erstflug im Jahre 1983 zu sehen. Nasa Nasa programms rasch den Schwerpunkt ihrer Raumfahrt. Ihre Raumstationen der Serie Saljut dienten sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken und mündeten schließlich in der legendären Raumstation Mir, die Russland von 1986 bis 2001 sehr erfolgreich betrieb. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Mir durch Kooperation mit der Nasa und Esa bereits zeitweilig eine erste internationale Raumstation. Die gemeinsamen Aktivitäten an Bord der Mir ermöglichten es den Beteiligten, umfangreiche Erfahrungen zur Vorbereitung des nächsten Großunternehmens zu sammeln, die in die Entwicklung der von Anfang an als solcher konzipierten Internationalen Raumstation ISS eingingen. Allerdings brachte die Nasa auch eigene Kenntnisse über den Betrieb einer Raumstation ein. Denn aus den verbliebenen Raketen und Raumschiffen des mit Apollo 17 Ende 1972 vorzeitig beendeten Mondlandeprogramms konstruierte die Raumfahrtbehörde die in den Jahren 1973/74 betriebene Orbitalstation Skylab (Abb. 2). Sie war ein grandioser Erfolg und hat noch bis heute Vorbildcharakter. Im Bereich der Grundlagenforschung widmeten sich die Astronauten an Bord von Skylab vor allem der Erderkundung, der Sonnenphysik, der Astronomie sowie für Experimente unter Mikrogravitation (»Schwerelosigkeit«) der Medizin, den Biowissenschaften und der Materialforschung. Nach der Beendigung des Skylab- Programms konzentrierten sich die USA auf die Entwicklung des wiederverwendbaren Raumtransportsystems Space Shuttle. Damit überließen sie aber der UdSSR das interessante Feld der bemannten Raumstationen. Da die Nasa jedoch weiter im All forschen und zugleich Europa an der bemannten Raumfahrt teilhaben wollte, vereinbarten die Europäer mit den USA ein auf beiderseitigem Interesse beruhendes Projekt: die Entwicklung und den Bau des Raumlabors Spacelab. Mit einem Durchmesser von vier Metern passte es maßgeschneidert in die Nutzlastbucht der Raumfähren (Abb. 3). Für die auf maximal zwei Wochen begrenzte Flugdauer des Space Shuttle blieb das Experimentierlabor fest mit dem Raumtransporter verbunden und erlaubte, wenn auch zeitlich eingeschränkt, Forschungsarbeiten wie an Bord von Raumstationen. Den Hauptanteil an der Konstruktion von Spacelab übernahm in den 1970er Jahren wie später im Fall von Columbus Deutschland. In beiden Fällen führte die Integration des Raumlabors die später im europäischen Weltraumkonzern EADS- Astrium aufgegangene Raumfahrtfirma Erno in Bremen durch. Bei der Schaffung von Columbus griffen daher die Entwickler auf einschlägige Erfahrungen mit seinem Vorgänger zurück. Die Erno stellte zwei flugtaugliche Exemplare des Spacelab her, welche im Zeitraum von 1983 bis 1998 sehr erfolgreich zum Einsatz kamen. Insgesamt fanden nur 22 Missionen statt, in den ursprünglichen Plänen war von bis zu 200 Flügen die Rede. Hintergrund dieser enttäuschend geringen Frequenz waren die unerwartet hohen Betriebskosten der Raumfähren, welche die in der Planungsphase angestrebte Wirtschaftlichkeit des neuartigen wiederverwendbaren Raumtransporters zunichte machten. Aus Freedom wird die ISS In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die UdSSR begann bereits 1986 mit dem Aufbau der Mir forcierte auch der Westen neue Konzepte hinsichtlich eigener Raumstationen. Die Nasa-Studien führten zum Entwurf der Raumstation Freedom, an der sich die ESA mit einem schon damals als Columbus bezeichneten Labormodul auf Basis des Spacelab beteiligen wollte. Zugleich strebte Europa einen eigenen Raumgleiter, Hermes, und ein frei fliegendes Raumlabor, Pollux, auch als Man-Tended Free-Flyer MTFF bekannt, an. Doch erhebliche technische Probleme bei der Entwicklung von Hermes und finanzielle Engpässe beschränkten die ambitionierten europäischen Visionen wieder auf die Beteiligung an der geplanten Raumstation. Freedom wurde jedoch nicht verwirklicht, da sich mit dem Ende des Kalten Krieges eine ganz neue Möglichkeit herauskristallisierte: Die Beteiligung Russlands mit seinem großen Erfahrungspotential an einem nunmehr gemeinsamen Projekt der Internationalen Raumstation ISS. Die ISS ist neben dem Apollo-Mondflugprogramm das finanziell aufwendigste Unternehmen der bemannten Raumfahrt. Mit Gesamtkosten von mindestens hundert Milliarden US-Dollar ist sie auch entsprechend teuer, was unweigerlich zu kontroversen Diskussionen über den Sinn eines solchen Vorhabens führte. Denn gerade der Raumfahrtsektor ist in besonderem Maße durch Verteilungskämpfe um die zur Verfügung stehenden Finanzmittel geprägt, woraus mitunter auch unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten resultieren. Insgesamt sind 16 Nationen an der ISS beteiligt: die USA, Russland, Japan, Kanada und 12 Mitgliedsländer der Esa. Somit verteilen sich die Kosten auf viele Länder und Jahre. Die Euphorie erhielt aber schon früh einen Dämpfer, als Russland aufgrund seiner Finanzprobleme und des noch fortgesetzten Betriebs der Mir seine Beiträge zur ISS nur schleppend lieferte oder gar aussetzte. Als Folge leisten die USA aufgrund ihrer zusätzlichen Finanzierung eigentlich russischer Beiträge mit etwa siebzig Prozent den mit Abstand größten Beitrag an der ISS. Dies kommt zwar den patriotisch gesinnten Kräften in den USA entgegen, die ihr Land auch künftig als die füh Sterne und Weltraum März 2008 27

Nasa Abb. 4: Mit den Modulen Sarja (oben) und Unity (unten) begann der Aufbau der Internationalen Raumstation im Jahre 1998. Abb. 5: Columbus ist mit verschiedenen Geräteschränken ausgestattet, die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen dienen: Das Fluid Science Lab (a) erkundet die Eigenschaften von Flüssigkeiten in der Schwerelosigkeit bei unterschiedlichen Druck- und Temperaturbedingungen. Mit dem European Physiology Module (b) sollen medizinischen Fragestellungen wie die Veränderungen der Knochendichte oder des Herz-Kreislaufsystems von Astronauten in der Mikrogravitation untersucht werden. Das Biolab (c) dient vor allem der biologischen Forschung. Im Handschuhkasten können biologische Proben unter sterilen Bedingungen für die Experimente vorbereitet werden. rende Raumfahrtmacht sehen wollen. Die vermehrte finanzielle Belastung bewirkte jedoch eine Verschiebung der Prioritäten der Nasa: ein verringertes Engagement für die ISS zu Gunsten neuer nationaler bemannter Raumfahrtprojekte, vor allem für das neue Raumtransportsystem Orion für bemannte Missionen zum Mond und Mars. Dennoch verliefen bisher die internationale Zusammenarbeit und der Aufbau der ISS insgesamt gesehen erfolgreich. Die Internationale Raumstation entsteht Ein russische Proton-Trägerrakete beförderte 1998 das dreizehn Meter lange Kernmodul Sarja von Russland gebaut und von Amerika bezahlt, daher im Besitz der USA in eine Umlaufbahn in 400 Kilometer Höhe. Noch im selben Jahr koppelten Shuttle-Astronauten das US- Verbindungsmodul Unity druckdicht an (Abb. 4). Bereits mit Verspätung kam im Jahre 2000 als drittes Bauelement das russische Servicemodul Swesda hinzu, und am 31. Oktober 2000 startete die erste dreiköpfige Stammbesatzung an Bord des russischen Raumschiffs Sojus TM-31 zur ISS. Die weiteren Aufbauschritte erledigten amerikanische Space-Shuttle-Missionen und russische Trägerraketen. Zum Teil fliegen die Raumfahrer mit russischen Sojus-Kapseln zur ISS, zudem kommen unbemannte russische Versorgungstransporter vom Typ Progress zum Einsatz (Abb. 8). Um die diversen Service-, Wohn- und Forschungsmodule sowie alle anderen Baukomponenten ins All zu transportieren und zu montieren, wurden zunächst 45 Zubringerflüge geplant. Sehr wichtig hierbei war die Montage der ersten großen Solarzellenanlage zur Stromversorgung im Zuge der Space- Shuttle-Mission STS-97 im Dezember 2000. Und mit STS-98 gelangte im Februar 2001 das US-Labormodul Destiny zur ISS, womit die echten Forschungsarbeiten an Bord der ISS beginnen konnten. Der Aufenthalt der Stammbesatzung, die immer wieder Kurzzeitbesuche anderer Astronauten von ein bis zwei Wochen Dauer bekommt, dauert typischerweise ein Vierteljahr und lässt sich bis auf ein halbes Jahr ausdehnen. Nach und nach nahm die ISS Gestalt an. Der tragische Verlust der Raumfähre Columbia am 1. Februar 2003 bei dem alle sieben Astronauten an Bord ums Leben kamen unterbrach den Ausbau jedoch jäh. Erst am 26. Juli 2005 startete mit der Discovery (STS-114) wieder ein Space Shuttle ins All. Während der Mission STS-117 im Juni 2007 transportierte die Atlantis weitere große Solarzellenflächen zur Station, die dadurch inzwischen schon deutliche Ähnlichkeit mit ihrem geplanten Endzustand aufweist. In diesem wird die Ausdehnung der ISS 108 Meter und ihre Masse circa 420 Tonnen betragen (siehe Kasten auf S. 29). Im November 2007 brachte die Raumfähre Discovery das Verbindungsmodul Harmony zur ISS, welches als Andockstelle für Columbus dient. Der nun anstehende Aufbauschritt ist der Transport des Esa-Labormoduls zur ISS im Zuge der Mission STS-122. Hierfür wird an Bord der Atlantis der deutsche Astronaut Hans Schlegel als Nutzlastspezialist der ESA mitfliegen (siehe Seite 32). Das Modul Columbus Grundsätzlich steht in den Labormodulen der ISS die Forschung unter Schwerelosigkeit im Vordergrund. Doch zur wissenschaftlichen Nutzung gehören auch Geo- und Umweltforschung sowie die Astronomie. a) Fluid Science Lab b) European Physiology Module c) Biolab Esa 28 Sterne und Weltraum März 2008

Abb. 6: Techniker der Nasa und der Esa führen letzte Handgriffe an den Experimentierschränken im Columbus-Modul durch, kurze Zeit später wurde es in den Frachtraum der Raumfähre Atlantis eingebaut. Die Erstausstattung von Columbus dient einer Reihe von Versuchen in der Mikrogravitation und enthält drei Experimentierschränke (Abb. 5): Fluid Science Lab: Hier werden vor allem Eigenschaften von Flüssigkeiten untersucht, darunter Blasenbildung sowie Kondensations- und Erstarrungsphänomene. European Physiology Module: Diese Einrichtung dient medizinischen Untersuchungen des menschlichen Organismus. Besonderes Interesse finden dabei zum Beispiel Knochenschwund, Flüssigkeitshaushalt, Lungenfunktion, Veränderungen des Immunsystems. Biolab: Dieses Labor ist für Versuche mit Zellen, Mikroorganismen, kleinen Pflanzen und wirbellosen Tieren ausgerüstet. Zur Unterbringung der wissenschaftlichen Geräte ist Columbus im Innenraum mit zehn je nach Forschungszweck austauschbaren Geräteschränken, den so genannten Racks, ausgestattet. Dazu kommen drei Systemracks für Strom, Wasser und die Klimaanlage sowie ein weiterer Schrank zur Lagerung (Abb. 6). Das bewährte Konzept auswechselbarer Schränke geht bereits auf das Spacelab zurück. Auch sonst ist Columbus seinem Vorgänger hinsichtlich seines zylinderförmigen Aussehens und der Ausmaße das Modul muss ebenfalls in die Nutzlastbucht der Raumfähre passen sehr ähnlich. Gleichwohl gibt es im Detail erhebliche Unterschiede, die nicht nur im technischen Fortschritt begründet sind. Denn anders als Spacelab, welches nur Kurzeinsätze für die Dauer einer Space- Shuttle-Mission flog, wird Columbus auf Dauer an der ISS angedockt bleiben und für mindestens zehn Betriebsjahre permanent den extremen Bedingungen des Weltraums ausgesetzt sein. Daher schützen eine zusätzliche Außenwand aus Aluminium und weitere Abschirmungen das eigentliche Druckmodul von Columbus vor dem Einschlag kleiner Meteoriten sowie vor Kollisionen mit Kleinteilen des Weltraummülls. Besonderen Wert legten die Ingenieure zudem auf die Entwicklung eines zuverlässigen Datensystemmanagements und Lebenserhaltungssystems. Für externe wissenschaftliche Experimente (beispielsweise zur kosmischen Zahlen und Fakten Internationale Raumstation ISS Verwendungszweck: Orbit: Spannweite: Masse: Besatzung: Zahl der beteiligten Länder: Missionskontrolle: Aufbaubeginn: Zivile Grundlagenforschung, hauptsächlich im Bereich der Mikrogravitation, dazu Erderkundung und Astronomie Höhe 400 Kilometer, Umlaufzeit 90 Minuten 108 Meter (nach Fertigstellung) rund 420 Tonnen (nach Fertigstellung) drei bis sechs Astronauten (maximale Aufenthaltsdauer: sechs Monate) 16 (Hauptanteil USA) Houston/Texas (Nasa) 1998 (Module Sarja und Unity; Stammbesatzung ab 2000) Geplante Fertigstellung: 2010 Betriebsdauer nach Fertigstellung: zehn bis fünfzehn Jahre Labormodul Columbus (Esa) Verwendungszweck: Länge: Durchmesser: Startmasse: Maximalmasse: Zahl der Experimentierschränke: Zahl der beteiligten Länder: Missionskontrolle: Transport zur ISS: Betriebsdauer: Experimente in der Mikrogravitation 6,9 Meter 4,5 Meter 12,8 Tonnen (inklusive 2,5 Tonnen Nutzlast) 19,3 Tonnen maximal zehn 13 (Hauptanteil Deutschland) Oberpfaffenhofen/Deutschland 2008 (Raumfähre Atlantis, Mission STS-122) geplant mindestens zehn Jahre Automated Transfer Vehicle ATV (Esa) Verwendungszweck: vollautomatischer Transporter zur Versorgung der ISS, zur Aufnahme des Abfalls und zur Anhebung der Raumstation durch Reboost- Manöver Länge: 9,8 Meter Durchmesser: 4,5 Meter Startmasse: 20,8 Tonnen Nutzlast: maximal 9,5 Tonnen Eigenantrieb: vier Haupt- und 28 Lageregelungstriebwerke Ersteinsatz: 2008 Verwendbarkeit: jeweils nur einmal Trägerrakete: Ariane 5-ES (mit Oberstufe) Nasa Sterne und Weltraum März 2008 29

Abb. 7: Das Columbus-Modul ist rund sieben Meter lang und ist zur Abschirmung gegen Mikrometeoriten mit zusätzlichen Schutzschilden verkleidet. Die beiden Plattformen am Ende erlauben das direkte Experimentieren im freien Weltraum. Abb. 8: Die unbemannten russischen Weltraumtransporter des Typs Progress bilden derzeit das Rückgrat der Versorgung der Internationalen Raumstation mit Verbrauchsmaterial wie Treibstoff, Sauerstoff, Wasser und Nahrungsmitteln. Nasa Esa/David Ducros Strahlung) ist das Labormodul zudem mit vier außen angebrachten Nutzlastplattformen ausgestattet (Abb. 7). Das voll klimatisierte Columbus-Labor ist nach dem Andocken dauerhaft mit dem Verbindungsknotenmodul Harmony der ISS verbunden, das Frischluft und Energie zuführt und Abluft absaugt. Ein ausgeklügeltes System von Ventilatoren, Luftfiltern, Feuchtesammlern und Wärmetauschern sorgt für ein konstantes Raumklima für die im Labor arbeitenden Astronauten. Am 880 Millionen Euro teuren Columbus-Programm der Esa sind dreizehn Staaten beteiligt allen voran Deutschland mit 51 Prozent, Italien mit 23 Prozent und Frankreich mit 18 Prozent. Hauptauftragnehmer war das Raumfahrtunternehmen EADS-Astrium in Bremen, das rund zehn Jahre an dem Modul arbeitete und die Integration aus den von anderen Firmen zugelieferten Teilen in einer großen, staubfreien Integrationshalle vornahm. Im Jahre 2001 wurde die in Italien gefertigte, vorintegrierte Hülle angeliefert und dann ausgestattet. Das Columbia-Unglück unterbrach jedoch den Aufbau der ISS, sodass Astrium Columbus erst im Jahre 2006 ans Kennedy Space Center der Nasa in Florida ausliefern konnte. Hier wurde das Modul für den Transport zur ISS ge 30 Sterne und Weltraum März 2008

Abb. 9: Das Innere des ATV wird von kugelförmigen Treibstoffund Vorratstanks und einem Druckmodul eingenommen, das die Astronauten ohne Raumanzug betreten können. In den Schubladenschränken befinden sich Ersatzteile, Nahrungsmittel und andere Verbrauchsgüter. testet und vorbereitet. Die Verzögerung erlaubte es den Bremer Ingenieuren einige technische Probleme (beispielsweise im Computersystem) zu beheben. Zur Schulung für die Arbeit mit Columbus stehen den Astronauten Trainingseinrichtungen am European Astronauts Centre (Eac) der Esa in Köln und im Ausbildungszentrum der Nasa in Houston/Texas zur Verfügung. Das europäische Kontrollzentrum für die Überwachung der Funktionen des Columbus-Moduls und der Experimente an Bord befindet sich beim DLR im bayerischen Oberpfaffenhofen und somit in bewährten Händen, da von hier aus in den 1980er und 1990er Jahren bereits die Spacelab-Flüge gesteuert wurden. Europas zweites Meisterstück: das ATV Bisher wird die ISS durch die US-Raumfähren und die unbemannten russischen Progress-Frachter mit Nachschub wie Treibstoffen, Nahrungsmitteln und Verbrauchsmaterialien versorgt (Abb. 8). Da die Raumfähren ab Ende 2010 aus dem Betrieb ausscheiden, bringt die Esa einen zweiten bedeutenden Beitrag zum ISS-Programm ein: den multifunktionalen, unbemannten Raumtransporter ATV (Automated Transfer Vehicle). Auch für dieses Projekt zeichnet EADS- Astrium als Hauptauftragnehmer verantwortlich, und das erste Exemplar namens»jules Verne«ist nun fertiggestellt. Wie Progress ist auch das ATV jeweils nur einmal verwendbar. Es stellt aber einen überaus anspruchsvollen Technologiesprung dar: Erstmals finden Flug, Annäherung und Kopplung an die Raumstation vollautomatisch statt gesteuert durch ein hochkomplexes Computersystem (Abb. 9). Der Start dieses zehn Meter langen Raumfahrzeugs ist erstmals für 2008 rund zehn Jahre nach Beginn der Entwicklung vorgesehen. Als Träger dient die durch eine spezielle Oberstufe in ihrer Leistung verstärkte europäische Schwerlastrakete Ariane 5. Das ATV kann bis zu 9,5 Tonnen Fracht in Form von Versorgungsgütern GALILEO I h r S p e z i a l i s t f ü r A s t r o n o m i e GALILEO - Neuheiten I m a g i n g S o u r c e U S B 2. 0 K a m e r a s Noch universeller dank USB2.0 Keine Kompressionsartefakte Extrem schnelles Auslesen S/W- oder Farbchip erhältlich Ideal für Planetenaufnahmen Keine externe Stromquelle 198 CHF 119 CHF Neuheit! ab 524 CHF Esa/David Ducros für die Mannschaft, Treibstoff und Ausrüstung zur ISS befördern und im Gegenzug den Müll der Station aufnehmen. Die Nutzlastkapazität ist viermal so groß wie bei den Progress-Transportern. Das ATV legt am russischen Teil der ISS an und ist daher mit einem russischen Kopplungsadapter ausgerüstet. Die Entwicklung eines eigenen Kopplungssystems wäre zu teuer gewesen, sodass man lieber auf das schon hundertfach bewährte russische System zurückgriff (Abb. 8). Die Triebwerke des angedockten ATV lassen sich dazu nutzen, die ISS in bestimmten Abständen in ihrer Umlaufbahn mit Hilfe der so genannten Reboost- Manöver wieder anzuheben. Denn durch die Reibung an den Resten der Hochatmosphäre sinkt die Umlaufbahn der ISS langsam, aber stetig ab. Bisher hoben die Manövriertriebwerke von Space Shuttle und Progress-Frachtern die Bahn immer wieder an. Mit diesen Reboost-Manövern übernimmt die Esa künftig eine wichtige Rolle für die Sicherheit der Raumstation (Abb. 10). Bei Bedarf können die ATV-Transporter bis zu einem halben Jahr an der ISS angekoppelt bleiben und lassen sich je nach Bedarf ent- und beladen. Hat das Fahrzeug seinen Dienst getan, koppelt es von der Station ab, tritt über dem Südpazifik gezielt in die Erdatmosphäre ein und verglüht dabei weitgehend. Es gibt aber auch noch weitere, weniger bekannte europäische Beiträge zur ISS: einige Experimentiereinrichtungen (zum Beispiel zum Züchten von Kristallen) für andere Forschungsmodule, einen Roboterarm zur Wartung der Station und Installation zusätzlicher Komponen Profitieren Sie von den günstigen CHF - Preisen Die Revolution auf dem Okularmarkt: TeleVue Ethos 13mm, 100 Ein unvergessliches Beobachtungserlebnis. Geniessen Sie echte 100 Gesichtsfeld an grossflächigen Objekten wie Nebel oder offenen Sternhaufen. Dieses Okular wird Sie bezaubern! Obsession 18 f/4.2 Ultra-Compact Dobson Neuheit! 457mm f/4.2 Excellente optische Qualität Gesamtgewicht nur 36kg Inkl. Starlight Feathertouch Inkl. umfangreichem Zubehör Komplettes Goto-System erhältlich 12.454 CHF 949 CHF w w w. g a l i l e o. c c i n f o @ g a l i l e o. c c Limmattalstr. 206 CH-8049 Zürich Tel.: + 41 (0)44 340 23 00 Fax: + 41 (0)44 340 23 02 Europäischer Generalimporteur Rue de Genève 7 CH-1003 Lausanne Tel.: + 41 (0)21 803 30 75 Fax: + 41 (0)21 803 30 77 P r e i s e i n k l. 7. 6 % M w S t. P r e i s e, A n g a b e n u n d A b b i l d u n g e n o h n e G e w ä h r, Ä n d e r u n g e n o h n e Vo r a n m e l d u n g v o r b e h a l t e n. Sterne und Weltraum März 2008 31

»Mit Columbus wird die Raumstation wirklich international«dlr Der ESA-Astronaut Hans Schlegel, Teilnehmer der jüngsten Space- Shuttle-Mission, antwortet auf Fragen des Wissenschaftsjournalisten Rolf-Michael Simon. Frage: Herr Schlegel, Sie gehören der Shuttle-Besatzung an, die das erste europäische Forschungslabor Columbus ins All bringt. Was genau haben Sie da zu tun? Hans Schlegel: Während der elftägigen Mission STS-122 bin ich an zwei von vier Außenbordeinsätzen beteiligt, bei denen Columbus an die Raumstation ISS gekoppelt wird. Dann habe ich drei Tage Zeit, Columbus einzurichten. Frage: Gelangt das Labor nicht fertig ins All? Schlegel: Nicht ganz. Für den Start muss die Masse gleichmäßig verteilt sein. Dementsprechend werden die Racks positioniert. Erst wenn Columbus angedockt ist, verteilen wir sie an die endgültige Position. Der nächste Schritt ist die Stromversorgung, dann werden Kühlwasser, Datenleitungen, Videoleitungen, Steuerleitungen angebracht. Wir rüsten das Rack aus, bauen Geräte an und schieben Experimentier-Module ein. Die Rechner werden angeschlossen. Wenn wir das schaffen, sind wir gut. Die ersten Experimente werden erst in der Langzeitmission in Betrieb genommen. Es ist also nicht, als träte man in einen Raum, legte einen Schalter um und die Experimente starteten. Frage: Sie sind 1993 die D2-Mission geflogen wie unterscheidet sich Ihre jetzige Mission in der Vorbereitung? Der deutsche Astronaut Hans Schlegel ist für den Raumflug STS-122 der Raumfähre Atlantis gut vorbereitet. Schlegel: Von Seiten der Technik könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Für D2 waren wir Wissenschaftsastronauten, haben mehr vom theoretischen Hintergrund der Experimente gehört, von der Entwicklung im Labor bis hin zum Training der Durchführung. Die Kommunikation mit den Wissenschaftlern haben wir geübt, um zusammen als Team zu funktionieren. Jetzt ist es eine Ausbildung zum Missionsspezialisten. Wir lernen, das Shuttle-System zu bedienen, auf der ISS zu leben, einen Roboterarm zu bedienen, Außeneinsätze zu absolvieren, im Raumanzug autark Aufgaben durchzuführen, Lösungswege vor Ort selber zu erkunden. Frage: Unterschiede auch in der eigenen Erwartung? Schlegel: Die ist eher ähnlich. D2 war meine erste Mission, ich hatte sehr viel gelesen, war sehr intensiv darauf vorbereitet worden aber es blieb doch die Spannung: Welche Überraschungen erlebe ich? Dieses Gefühl ist jetzt genau so da. Der erste Flug in die Schwerelosigkeit seit 14 Jahren, die erste EVA, also Extra Vehicular Activity, überhaupt, die ich mache. Genügen die neu erlernten Fähigkeiten? Ist es so phantastisch, frei schwebend in einem EVA-Anzug außerhalb der Station zu sein, auf die Erde zu schauen, in einem ganz anderen, breiten Sichtwinkel, mit der Erde und dem schwarzen Weltraum in einem Blick? Kenne ich die Lebenserhaltungssysteme des Anzugs gut genug, funktionieren die alle wie erwartet? Bin ich gut genug vorbereitet für den Fall X, Y oder Z? Frage: Wie lange haben Sie sich auf die Mission vorbereitet? Schlegel: Ich bin seit mehr als einem Jahr intensiv dabei. Seit anderthalb Jahren bin ich»flight assigned«, also für diesen Flug ausgewählt, da ging zunächst aber das normale Training weiter. Ich war damals noch Capcom Verbindungsmann am Boden für die Mission STS-115. Die Missionsvorbereitung fing im November, Dezember 2006 an. Aber die Jahre vorher bei der Nasa, die gehören natürlich dazu. Seit 1998 trainiere ich als Missionsspezialist für einen Flug zur ISS an Bord des Shuttle. Frage: Mit Ihrer Crew? Schlegel: Seit November 2006 bereite ich mich mit meiner amerikanischen Crew vor. Anfang 2007 ist mein französischer Kollege Léopold Eyharts dazu gekommen. Er wird oben bleiben und in Columbus die ersten Experimente aktivieren. Frage: Ist Columbus ein Meilenstein in der Geschichte der Raumfahrt? Schlegel: Definitiv. Das ist ein Meilenstein. Frage: Was ist das Besondere daran für Europa? Schlegel: Wir haben bisher nur russische und amerikanische Module da oben. Mit Columbus wird die Gemeinde der Raumstation wirklich international, nicht mehr bilateral. Wir haben dann ein europäisches Labor und damit auch ein Anrecht auf die Nutzung der experimentellen Geräte an Bord. Das ist für Europa wichtig, weil wir damit Miteigentümer der Raumstation werden. Es ist für die Wissenschaft in Europa von großer Bedeutung, eigenständig Experimente auf der ISS durchführen und das Programm bestimmen zu können; Lebenswissenschaften, Biologie, Humanmedizin, Physik, Materialwissenschaft all das in unserer Hand. Ja, es ist eine besondere Mission, die ich begeistert annehme. Frage: Was sagen Sie Kritikern auf den Vorhalt, für bemannte Raumfahrt würde zuviel Geld ausgegeben, das könnte auf der Erde besser investiert werden? Schlegel: Die Entscheidung, Forschung in der Schwerelosigkeit zu betreiben und sich an der Internationalen Raumstation zu beteiligen, unterstütze ich von ganzem Herzen. Das täte ich übrigens auch, wenn ich nicht Astronaut wäre. Und zwar aus einem einfachen Grund: In der Schwerelosigkeit im erdnahen Orbit besteht die einmalige Gelegenheit, Experimente zu machen, wie sie auf der Erde nicht durchgeführt werden können. Darüber hinaus entwickelt sich die Schwerelosigkeitsforschung selber weiter. 32 Sterne und Weltraum März 2008

Für eine halbe Sekunde Schwerelosigkeit springen Sie vom Drei-Meter-Brett ins Wasser. Wenn Sie fünf Sekunden brauchen, bringen Sie Ihr Experiment in den Fallturm in Bremen. Wenn Sie 30 Sekunden brauchen, gehen Sie auf die KC-135 oder auf den Airbus der Esa, der hier in Europa Parabeln fliegt. Dazu gibt s die Parabelflug-Raketen, die von Schweden aus gestartet werden. Nur wer darüber hinaus Schwerelosigkeitszeit braucht, geht in den Orbit. Frage: Bemannt oder unbemannt? Schlegel: Jeder vernünftige Mensch macht sich Robotik zu Nutzen, wo er kann. Nur, das geht eben nicht bei allem; weder auf der Erde noch im Orbit. Wenn man flexibel bleiben möchte, braucht man den Menschen als denjenigen, der die Entscheidung, das assoziative Denken hat, der in unterschiedlichster Weise auf ein Experiment Einfluss nehmen kann. Das heißt: Wenn ein Experiment den Menschen braucht, dann sollte bemannt in den Weltraum geflogen werden. Frage: Was sagen Sie Leuten, die nach dem Nutzen fragen? Schlegel: Der Nutzen liegt in der Weiterentwicklung der Grundlagenforschung und in der Entwicklung von Technologien, die Erde zu verlassen, uns einen neuen Raum zugänglich zu machen, neue Erkenntnisse über unser nächstes Lebensumfeld, unser Sonnensystem, zu gewinnen und später vielleicht tatsächlich auch irgendwo eine Siedlung auf einem anderen Planeten bauen zu können. Frage: Der Normalverbraucher denkt eher an das Teflon in der Bratpfanne, auch wenn das gar keine Entwicklung aus der Raumfahrt war Schlegel: Aber diese Materialentwicklung ist durch die Weltraumtechnik zu einer breiten Nutzanwendung gekommen. Erfunden war Teflon vorher, aber die Raumfahrt brauchte es und damit bekam es eine neue Aufmerksamkeit. Man erkannte: Meine Güte, die Vorteile des Materials können wir ja auch zur Beschichtung von anderen Sachen, beispielsweise für Pfannen, nutzen. Doch zurück zu dem, was wir heute nutzen: In der D2-Mission beispielsweise haben wir gelernt, wie der menschliche Körper seinen Flüssigkeitshaushalt reguliert, haben Wissen über die Grundmechanismen der Gewebeabstoßung gewonnen. So haben viele Erkenntnisse unmittelbar Eingang in Forschung und Technologie gefunden. Frage: Vermissen Sie gerade in Deutschland Begeisterung für Raumfahrt? DLR Während seines Raumflugs mit der Raumfähre Atlantis wird Hans Schlegel, hier im Simulator in Houston, Texas, ganz andere Aussichten genießen können. Schlegel: Ich leb nun neun Jahre in den USA. In Deutschland ist man generell kritischer und auch krittelnder. Was den negativen Effekt hat, dass man, bevor man handelt, ewig die Bedenken diskutiert. Die amerikanische Mentalität ist anders. Dort heißt es: Wir machen erst einmal. Beide Sichtweisen haben Vor- und Nachteile. Manchmal ist mir die amerikanische lieber, manchmal die nachdenkliche, zögernde, drei Mal hinterfragende europäisch-deutsche. Die richtige Mischung macht s. Ich wünsche mir, dass wir ein bisschen mehr»machen«würden. Frage: Haben Sie diese richtige Mischung mit ihrer Crew auf der ISS? Schlegel: Das denke ich auf alle Fälle, insbesondere mit Blick auf die Raumfahrtnationen Russland und Amerika. Unsere Art kann ein guter Mittler sein zwischen der amerikanischen und der russischen Herangehensweise und Kultur. Frage: Worauf freuen Sie sich jetzt am meisten? Schlegel: Dass wir Columbus hochbringen, dass ich die Ehre habe, dabei zu sein. Dass ich mit einer guten fähigen Mannschaft zusammen bin. Und auf die erneute Erfahrung der Schwerelosigkeit. Darauf, das Leben im Weltraum wieder und noch einmal erfahren zu dürfen. Und natürlich auf die Weltraumspaziergänge. Autor: Herr Schlegel, wir danken für dieses Gespräch. Rolf-Michael Simon ist Wissenschaftsjournalist und arbeitet für die Neue Ruhr-/Neue Rhein-Zeitung in Essen. Gekürzter Nachdruck aus»ignition Das Magazin zum Tag der Luft- und Raumfahrt 2007«, mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt e. V. (DLR). ten sowie ein Datenmanagementsystem zur Überwachung der Steuerung der ISS. Angesichts mehrerer Computerausfälle an Bord der Raumstation ist ein deutlich verlässlicheres EDV-System auch sehr wünschenswert. Insgesamt gesehen ist der technologische Anteil der Esa an der Raumstation überaus respektabel. Seine Realisierung bedingte eine notwendige Erweiterung des Know-hows in der europäischen Raumfahrttechnik und führte damit zu einer (vorläufigen) Sicherung der Konkurrenzfähigkeit. Anders als die USA mit ihrem in der Entwicklung befindlichen neuen Raumschiff Orion wird in Europa für die nähere Zukunft im Bereich der bemannten Raumfahrt nichts geplant, was sich vom technischen Anspruch her mit der Komplexität von Columbus und dem ATV vergleichen ließe. Der weitere Ausbau der ISS Bis zur Fertigstellung der ISS und der Ausmusterung der Space Shuttles im Jahre 2010 ist noch eine ganze Serie von Zubringerflügen notwendig. Ob die Raumstation tatsächlich im geplanten Ausmaß vollendet wird, oder ob es noch Abstriche gibt, hängt davon ab, ob neuerliche ernsthafte technische Probleme an den Raumfähren auftreten. Auf dem Bauplan stehen noch Verbindungs-, Andock- und Forschungsmodule, ein kanadischer und ein europäischer Roboterarm sowie Teile zur Komplettierung der Stromversorgungsanlage und kleinere Bauelemente. Beachtlich ist der aus vier Komponenten bestehende japanische Anteil an der ISS mit dem Namen Kibo. Sie fliegen erst nach Columbus zur ISS. Das Kernstück bildet das Labormodul Jem (Japanese Experiment Module) mit einer Länge von elf Metern deutlich größer als Columbus. Hinzu kommen eine zum Weltraum hin offene Experimentalplattform, ein Vorrats- und Lagermodul sowie ein Roboterarm zum Bewegen von Lasten. Zusätzlich entwickelte die japanische Raumfahrtbe Sterne und Weltraum März 2008 33

hörde Jaxa ein Zentrifugenmodul, das für diverse Versuche Andrücke von bis zu 2 g simulieren kann. Sein Transport zur ISS ist aber erst in der letzten Ausbauphase vorgesehen (Abb. 11). Einen wichtigen Bestandteil wird auch das 2009 zum Start anstehende Mehrzweck-Labor-Modul MLM aus Russland bilden. Mit ihm erhöht sich die Nutzungskapazität des russischen Anteils an der ISS deutlich. Äußerlich ähnelt das MLM dem Zentralblock der früheren Raumstation Mir, verfügt aber im Innern analog zu den anderen Labormodulen der ISS über austauschbare, standardisierte Geräteschränke. So klar die weiteren Schritte zur Vollendung der ISS derzeit auch aussehen mögen, ihre langfristige Zukunft als menschlicher Außenposten im All ist so sicher nicht. Denn durch die Verlagerung der Schwerpunkte der bemannten US- Raumfahrt hin zu Flügen zum Mond und zum Mars werden die amerikanischen Gelder künftig anders verteilt. Somit hat die Nasa derzeit nur noch Interesse an biomedizinischen und technischen Forschungen auf der ISS, die mit ihren neuen Plänen im Zusammenhang stehen. Dagegen möchten vor allem Europa und Russland die Raumstation breitbandiger nutzen, wie es ursprünglich ja auch vorgesehen war. Nach dem Auslaufen des Space-Shuttle-Programms fliegen die Raumfahrer zunächst ausschließlich mit den russischen Kapseln vom veralteten, aber zuverlässigen Typ Sojus zur ISS. Das neue Raumtransportsystem der USA, die weitgehend wiederwendbare Raumkapsel Orion, kann frühestens ab 2014/15 die Raumstation anfliegen. Zum Unmut der anderen ISS-Partner sollen die Orion-Raumschiffe die ISS nicht sehr oft besuchen. Denn das eigentliche Ziel dieser neuen Mehrzweckraumkapsel ist für die folgenden Jahre der Mond. Wozu die Raumstation? Grundsätzlich hat die internationale Zusammenarbeit bei der Realisierung eines friedlichen, anspruchsvollen Unternehmens wie der ISS Vorbildcharakter. Es ist allerdings ein altbekanntes Problem in der Raumfahrtpolitik, dass im Vorfeld die Beteiligten mitunter allzu große Versprechungen hinsichtlich der zu erwartenden Ergebnisse machen. Wenn es dennoch beachtliche Forschungsresultate gibt, werden diese der Öffentlichkeit kaum vermittelt. So entsteht leicht die Ansicht, dass Vorhaben wie die ISS ein kostspieliger Irrweg sind. Doch der Hintergrund ist komplexer: Zunächst einmal lässt sich die Grundlagenforschung die Hauptaufgabe der Raumstation kaum nach wirtschaftlichen Maßstäben beurteilen. Ergeben sich aus der Forschung im All nutzbringende Anwendungen, so benötigt ihre praktische Umsetzung erfahrungsgemäß viel Zeit. So fanden schon an Bord früherer Raumstationen und im Spacelab medizinische und technische Versuche statt, die der Entwicklung besserer Medikamente und Werkstoffe dienten. Bei der Geo- und Umweltforschung ergibt sich Abb. 10: Mit Hilfe der vier Bordtriebwerke kann das ATV die Umlaufhöhe der Internationalen Raumstation bei Reboost-Manövern anheben. Esa/David Ducros 34 Sterne und Weltraum März 2008

Abb. 11: Der japanische Beitrag Kibo besteht aus vier großen Bauelementen, dem elf Meter langen Labormodul Jem, dem tonnenförmigen Logistikmodul, einem Robotergreifarm und einer zum Weltall offenen Experimentenplattform. Jaxa dagegen oft auch ein sehr praktischer Nutzen für die Erde. So gehört zu den Aufgaben an Bord der ISS zum Beispiel schon jetzt die Untersuchung natürlicher oder menschengemachter Katastrophen auf der Erde sowie die Erfassung der bioproduktiven, für die Umwelt sehr wichtigen Zonen der Weltmeere. In Anlehnung an die Aufgaben vorangegangener Raumstationen stellt neben biologischer insbesondere die medizinische Forschung einen zentralen Teil auf der ISS dar (siehe auch SuW 1/2001, S. 34). Exemplarisch hierzu sind die Experimente an Bord von Columbus mit dem European Physiology Module EPM. Denn beim Menschen im All lassen sich viele medizinisch interessante Phänomene beobachten. Nach Erreichen der Schwerelosigkeit ist zu Anfang das Gleichgewichtsorgan irritiert der resultierende Schwindel ist bei vielen Menschen auch am Erdboden ein häufiges Leiden. Bei längerem Aufenthalt in der Schwerelosigkeit, also mehreren Wochen oder Monaten, stellen sich ein: Muskel- und Knochenschwund, Schwächung von Herz, Kreislauf und Immunsystem sowie Veränderungen der Nieren- und Lungenfunktion. Durch die eingehende Erforschung all dieser Prozesse an prinzipiell völlig gesunden Menschen im All deuten sich vor allem Fortschritte in der Behandlung von Osteoporose (Knochenschwund) und von Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. Zugleich möchte man vermehrt Erfahrungen darüber sammeln, wie Raumfahrer Langzeitaufenthalte im All körperlich und psychisch überstehen für die in Zukunft geplanten Flüge, beispielsweise zum Mars, sind diese Erkenntnisse von unabdingbarer Wichtigkeit. Aber nicht nur der Mensch steht auf der ISS im Interesse der Forscher, sondern auch die Technik, die für künftige Raumfahrtprojekte wie den Flug zum Mond und die Marsmission benötigt wird. Interessant ist hierbei der Stellenwert der hochentwickelten, auch für iridische Anwendungen nutzbare Robotik: Roboterarme sowie der von der Nasa konzipierte, schon recht humanoid wirkende»robonaut«, der den Astronauten einen Teil der Außenbordarbeiten an der Raumstation abnehmen soll. Entscheidend ist die Nutzung der ISS somit, wenn es um die Sicherung von technologischem Know-how geht. Denn gerade in der Raumfahrt ist es wichtig, dass keine allzu langen Unterbrechungen aufkommen. Es ist viel teurer und aufwendiger, irgendwann wieder von vorne anfangen zu müssen, wie vereinzelt schon geschehen. Daher ist die wissenschaftlich motivierte Rückkehr zum Mond, wie sie neben den USA inzwischen auch Russland, China und Indien propagieren, der nächste Schritt für den Aufbruch des Menschen ins All. M Thilo Günter, Astronom und Fachautor, hat in SuW seit 1989 zahlreiche Text- und Bildbeiträge aus den Bereichen Astronomie, Geowissenschaften und Raumfahrt veröffentlicht. Weitere Informationen Philip Baker: The Story of Manned Space Stations An Introduction. Springer-Verlag, Heidelberg, Berlin, New York 2007 Thilo Günter: Raumstationen Von den Anfängen bis zur ISS, Teil 1 in SuW 1/2001, S. 28 ff., Teil 2 in SuW 2/2001, S. 122 ff. Thilo Günter: Die Zukunft des Menschen im All, Teil 1 in SuW 1/2007, S. 34 ff., Teil 2 in SuW 2/2007, S. 26 ff. Gerhard Hirzinger: Der lange Arm ins All Raumfahrtrobotik, DLR Nachrichten 117 (Juni 2007), S. 40 ff. Eugen Reichl und Aydogan Koç: Raumfahrtwissen, Motorbuch-Verlag, Stuttgart 2006 Sterne und Weltraum März 2008 35