Die Kuh und ihre Hirtin

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Die Kuh und ihre Hirtin

Die Kuh und ihre Hirtin Eine Zen-Geschichte aus dem alten China frei übersetzt und illustriert von Kathrin Stotz Privatdruck Winterthur 2017

Unablässig durchstreift die Hirtin das hohe Gras, und sucht die Kuh auf endlosen Wegen, die Flüsse und Berge sind fern. Sie ist erschöpft, ihr Wille gebrochen, ihr Herz brennt in Verzweiflung. Nur der Gesang der Zikaden vom Ahorn dringt abends an ihr Ohr.

Unter den Bäumen am Wasser sind zahlreiche Spuren. Kann sie es sehen? Frisches Gras spriesst reichlich. Tief dringt sie ein ins Gebirge und sucht nach dem Tier. Bis zum Himmel reicht seine Nase. Wie könnte es verborgen bleiben?

Hell tönt auf einmal der Gesang der Grasmücke aus dem Strauch. Warm scheint die Sonne, mild weht der Wind, am Bach leuchten grün die Weiden. Die Kuh verbirgt sich nicht mehr, ihr prachtvolles Haupt erscheint der Suchenden vor ihren Augen.

Mit grösster Mühe fängt die Hirtin das Tier. Es ist verwildert und ungestüm, schwer nur lässt es sich bändigen. Manches Mal prescht es davon in weit entferntes Hochland oder verbirgt sich in nebligen Schluchten.

Achtsam führt die Hirtin die quirlige Kuh an der Leine und schaut stetig auf ihren Schritt. Das geduldige Zähmen endlich macht sie friedlich und sanft, und sie folgt der Frau von selbst.

Gemächlich geht die Kuh mit der Hirtin nach Hause. Im warmen Abendlicht entspringen der Flöte goldene Töne. Die Melodie ist erfüllt von grenzenlosem Klang. Direkt in die Herzen fliesst das wundersame Lied.

Bald haben Hirtin und Kuh zusammen das Heim erreicht. Da ist die Kuh nicht mehr zu sehen, nachts schlummert die Frau allein. Lange nach Aufgang der Sonne ist sie noch am Träumen. Die Leine hängt nutzlos im Stall.

Bändel und Haus, Kuh und Hirtin nichts ist mehr da. Unendlich weit Himmel und Erde, niemand benennt ihre Farbe. Wie sollte sich in diesem Feuer ein Schneekristall halten? Die alten Weisen gehen frei durch die Herzen.

Die Füsse im Wasser der Quelle, geschieht alles von allein. Die Augen ruhen vom Spähen, die Ohren lauschen nicht mehr. Die Hirtin sitzt still in der Hütte, eingefaltet die Welt. Es fliesst der Fluss, er fliesst, und die Blumen blühen - oh.

Im Alltagskleid und mit offenem Haar geht die Frau durch die Strassen der Stadt. Das Gesicht ist faltig und rauh, doch strahlen die Augen und lachen. Hier und hier, ohne Kult oder Pathos, bringt sie durstige Pflanzen zum Blühen.

Die Kuh und ihre Hirtin Vorwort Die Parabel Der Ochs und sein Hirte aus dem alten China, die den Weg der spirituell Suchenden gleichnishaft ausdrückt, hatte viele Autoren. Sie liegt uns in einer ersten schriftlichen Überlieferung aus dem Jahr 1150 n. Chr. von Zen-Meister Kuoan Shiyuan vor, deren Illustrationen leider verloren sind. Im Westen trifft die archetypische Geschichte auf unsere hiesige Bildtradition und ein anderes Selbstverständnis. Entsprechend kann sich ihre Kraft in neuen Anverwandlungen entfalten. Bei meinem Versuch, die Zen-Geschichte als Frau neu zu gestalten, ging es mir nicht um ein Gender-Anliegen; ich beobachte einfach, dass jeder am Zen interessierte Mensch diesen Weg als ureigene Angelegenheit zu gehen hat. Dementsprechend liess ich das Überlieferte in eigene Wortbilder und Zeichnungen einfliessen meine Erinnerungen an den Beginn der Suche, mein gegenwärtiges Erleben und meine Phantasien für die Zukunft andeutend. Die Erzählung spiegelt die Gefühle des Mangels, welche die Suche auslösen, und die innere Orientierungslosigkeit und Verwirrung, sie spricht von einer ersten Einheitserfahrung und von allen Turbulenzen und seelischen Schmerzen, die durchstanden werden müssen im Durchgang zur Freiheit. Weder beschrieben kann es werden noch gemalt, heisst es in einem buddhistischen Text (Mumonkan 23). Weil Künstlerinnen und Künstler darum wissen, suchen sie ein poetisches Äquivalent zu gestalten, das in der Schwebe bleibt und transparent auf das Unfassbare hin. Nicht von Ungefähr zeigen viele Zen-Texte und -Bilder eine dichte und zugleich offene lyrische Sprachform; sie sind damit inniges Gefäss für den paradoxen Sinn von Bewusstsein. Die zehn Bilder zu durchdringen hiesse, mit leerem Handgelenk, wie die alten chinesischen Maler sagten, den Text und die Zeichnungen fliessen zu lassen, leicht und natürlich. Und es hiesse, die Sache ganz verstanden zu haben. Aber auch unterwegs dahin drängt es einen zu Reflexion und Ausdruck so mag dieses kleine Werk dazu anregen, den Blick selbst ganz nach innen zu richten und genau wahrzunehmen, was sich im eigenen Herzen zeigt. Die Ermutigung dazu gab mir Dieter Wartenweiler, ihm gilt mein grosser Dank. Seine profunden Darlegungen zur Ochsengeschichte schwingen mit in der Kuh und ihrer Hirtin. Kathrin Stotz, März 2017 Text und Zeichnungen (Kohle, Tusche und Bleistift) 2015 Druck (Tintenstrahldruck auf Offset-Papier) 2017