Interaktion EE-Strom, Wärme und Verkehr Herausgeber/Institute: Fraunhofer IWES, Fraunhofer IBP, ifeu, Stiftung Umweltenergierecht Autoren: Norman Gerhardt et al. Datum: Themenbereiche: Schlagwörter: Strommarkt, Wärmemarkt, Verkehr, Elektromobilität, Flexibilitätsoptionen, Energieeffizienz, Systemtransformation, Biomasse, Marktdesign, Emissionshandel, MAP, EEG Oktober 2015 Auftraggeber/Förderer: Seitenzahl: BMWi 219 Zielsetzung und Fragestellung Der Bericht beschreibt die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu der Frage, wie das Zusammenspiel von Strom-, Wärme- und Verkehrssektor in Deutschland ausgestaltet werden muss, um eine Treibhausgasminderung von -80 % bis 2050 möglichst
kostengünstig zu erreichen. Im Zentrum stehen dabei die Herausforderungen der Abstimmung von Stromangebot und Stromnachfrage bei einem sehr großen Anteil fluktuierender Erneuerbarer Energien. Aus der Analyse der Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Energienutzungsbereichen leiten die Forscher die notwendigen Entwicklungspfade (Roadmaps) für den Verkehrs- und Wärmesektor ab und entwickeln Vorschläge, um die als erforderlich identifizierten Schlüsseltechnologien in den Markt einzuführen. Zentrale Ergebnisse Kostenoptimales
Energieversorgungssystem für das Jahr 2050 Unter der Prämisse, dass der Energiebedarf im Wärmeund Verkehrssektor in Zukunft zu einem großen Teil mit Strom aus Windenergie und Photovoltaik gedeckt wird, ergibt sich im Zielszenario trotz deutlicher Effizienzgewinne bei den heutigen Stromanwendungen für das Jahr 2050 ein jährlicher Strombedarf von 793 Terawattstunden (TWh) in Deutschland (2014: ca. 540 TWh). Um die Stromnachfrage zu decken, sieht das Szenario eine installierte Leistung von 200 Gigawatt (GW) Photovoltaik, 140 GW Onshore-Wind und 38 GW Offshore-Wind vor. Als Schlüsseltechnologien zur Integration der fluktuierenden Stromerzeugung in den Wärme- und Verkehrssektor identifizieren die Autoren Wärmepumpen, Elektrodenkessel (Power-to-Heat), vollelektrische PKW, Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge, Oberleitungs-LKW, Batterien und Power-to-Gas. Vor allem diese neuen Stromverbraucher seien durch ihre hohe Flexibilität geeignet, um die schwankende Erzeugung von Wind- und Solarstrom effizient zu verwerten. Im Verkehr seien möglichst hohe Anteile direkter Stromnutzung anzustreben, da die Erzeugung synthetischer Kraftstoffe sehr viel Strom benötige und den Ausbaubedarf für Windenergie- und Solaranlagen in die Höhe treibe. Schlussfolgerungen und Empfehlungen Die für den Klimaschutz notwendige Entwicklung bis 2050 teilen die Autoren in drei Phasen ein: Zunächst (bis ca. 2025) sollten die Erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung verstärkt ausgebaut werden, damit der perspektivisch wachsende Strombedarf klimafreundlich gedeckt werden könne. Dann gelte es (bis ca. 2035) die
Infrastruktur für die Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr aufzubauen ( Sektorkopplung ), um Flexibilität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Anschließend müssten die Nutzungssektoren verstärkt zusammenspielen, um die wachsenden zeitweiligen Überschüsse an Strom aus Erneuerbaren Energien effizient zu verwerten. Power-to-Heat solle frühzeitig für Systemdienstleistungen zum Einsatz kommen, Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge sollten mithilfe von marktfördernden Maßnahmen frühzeitig ausgebaut werden. Mittelfristig würden der Bau neuer Kraftwerke mit Kraft-Wärme- Kopplung sowie der Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge erforderlich. In der langen Frist gewänne die Stromnutzung durch Powerto-Heat und Power-to-Gas stark an Bedeutung. Rechtliche und betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen Um die identifizierten Schlüsseltechnologien für das künftige Energiesystem in den Markt zu bringen und den Einsatz von Strom aus Erneuerbaren Energien im Wärmeund Verkehrssektor voranzutreiben, müsse die Wettbewerbssituation im Vergleich zu den fossilen Brennstoffen verbessert werden. Bislang erweise sich der große Preisabstand zwischen Strom und Erdöl/Erdgas als größtes Hemmnis für die Energiewende im Wärmemarkt. Die Autoren empfehlen daher insbesondere Steuererhöhungen für fossile Brennstoffe. Das sei auch zur Stabilisierung des Steueraufkommens wichtig, das ansonsten aufgrund des klimapolitisch notwendigen Rückgangs der Nutzung fossiler Brennstoffe einbrechen würde. Geeignet wären eine CO 2 -Abgabe für fossile Brennstoffe, eine Absenkung der Stromsteuer sowie eine Befreiung strombasierter Anwendungen von einzelnen
Stromkostenbestandteilen. Des Weiteren empfehlen die Autoren eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Fern- und Nahwärme sowie für thermische Speicher im Kraft-Wärme- Kopplungsgesetz. Um die Effizienz des Strommarkts zu erhöhen und die fluktuierende Erzeugung aus Erneuerbaren Energien optimal zu nutzen, sei eine dynamische Gestaltung der EEG-Umlage möglich und zu empfehlen. Auch ein Verbot von fossilen, dezentralen Heizkesseln im Neubau sei denkbar. Für die Förderung sauberer Technologien im Verkehrssektor sei z.b. die Einführung eines Bonus- Malus-Systems als Verschmutzungssteuer oder -abgabe im Wege der Kfz-Steuer möglich. Im Güterverkehr gelte es überhaupt erst die notwendige Infrastruktur für den Einsatz von Oberleitungs-Lkw aufzubauen und z.b. über die bestehende oder eine neue Maut zu finanzieren. Zentrale Annahmen und Thesen Windenergie und Photovoltaik tragende Säulen; eingeschränktes Biomassepotenzial Ausgangspunkt der Studie ist die These, dass Windenergie und Photovoltaik die tragenden Säulen einer ehrgeizigen Klimaschutzstrategie sind. Die Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie sei kostengünstig, habe ein hohes Ausbaupotenzial und könne auch einen hohen Teil des Energiebedarfs für Wärme und Verkehr decken. Bis 2050 nehmen die Autoren noch deutliche Kostenreduktionen bei Windenergie- und Photovoltaikanlagen an. Für die energetische Nutzung von Biomasse sehen die
Autoren hingegen nur ein sehr begrenztes Potenzial. Biomasse solle daher vorrangig in Anwendungen zum Einsatz kommen, für die es keine bzw. nur wenig erneuerbare Alternativen gebe. Das sei bei schwer sanierbaren Gebäuden, in ländlichen Gegenden mit geringer Wärmedichte und beim Prozesswärmebedarf in der Industrie der Fall. Das Optimierungsmodell in der Studie lässt keine Biomasse-Importe und keinen weiteren Ausbau der bestehenden Anbaufläche für Energiepflanzen von etwa zwei Millionen Hektar zu. Zentrale Rolle von Effizienz im Wärmesektor Um die Klimaziele zu erreichen, spiele im Wärmesektor die Steigerung der Energieeffizienz durch energetische Sanierung eine zentrale Rolle. Hierdurch ließen sich der Wärmebedarf und der notwendige Zubau von EE-Anlagen im Stromsektor begrenzen. In Städten mit hoher Bebauungsdichte bzw. vielen Wärmesenken gewinne die Fernwärme an Bedeutung, die künftig allerdings mit niedrigeren Temperaturen betrieben werden müsse, um Wärmepumpen und Solarthermie effizient einsetzen zu können. Wärmespeicher, neue Regelverfahren für Kälteanlagen, Wärmepumpen und KWK-Anlagen dienten der Flexibilisierung im Wärmemarkt. Methodik Die Modellierung des Energieversorgungssystems für das Jahr 2050 erfolgt mit einem sektorenübergreifenden Kraftwerkseinsatz- und Zubauoptimierungsmodell. Für Deutschland und Europa wird für das Jahr 2050 ein Treibhausgasminderungsziel von -80 % gegenüber 1990
angesetzt, das auch den internationalen Verkehr umfasst. Im Vergleich zur Abgrenzung nach dem Kyotoprotokoll (ohne internationalen Verkehr) ergebe sich dadurch ein verstärkter THG-Minderungsbedarf von -86 % statt -80 %. Die Einspeisung von Strom aus fluktuierenden Erneuerbaren Energien wird anhand der räumlich und zeitlich hoch aufgelösten Wetterdaten aus dem Jahr 2006 simuliert, die Verteilung der Anlagen anhand der Ausbauund Flächenpotenziale der Studie Roadmap Speicher (Fraunhofer IWES 2014). Die Modellierung ermittelt ein Energiesystem, bei dem die Summe der Investitionen (inklusive Infrastruktur) und Betriebskosten im Strom-, Wärme- und Verkehrssektor unter den getroffenen Annahmen minimal sind. Die Lernkurvenkosten und die Kosten für den Einstieg in den Zielpfad werden dabei nicht beachtet, sondern nur das längerfristig stabile Zielsystem. Wichtige Eingangsgrößen wie zum Beispiel Gebäudedämmung, Biomasseumwandlung, Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeugtechnologien und deren mögliche Entwicklung werden vorab im Rahmen von Sensitivitätsrechnungen analysiert und bewertet. Die Annahmen zu den sozioökonomischen Rahmendaten wie Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaftsleistung und Preise für fossile Brennstoffe basieren auf der Studie Klimaschutzszenario 2050 von Öko-Institut/Fraunhofer ISI (2014). Innerhalb von Deutschland wird ein uneingeschränkter Stromtransport angenommen, es gibt also keine Engpässe im Stromnetz, während die Kapazitäten der Kuppelstellen im europäischen Übertragungsnetz begrenzt sind.