LESEPROBE Säuglingsernährung
Kapitel 2 Erste Ernährungsphase: ausschließliche Milchernährung 2.1 Stillen 2.2 Säuglingsmilchnahrungen 2.2.1 Zubereitung von Säuglingsnahrung 2.3 Gegenüberstellung von Muttermilch und Säuglingsnahrung 2.4 Selbstherstellung von Säuglingsnahrung Seite 28 von 116
Lernorientierung Nach Bearbeitung dieses Kapitels werden Sie: Lehrskript den Ernährungsplan für das erste Lebensjahr überblicken und verstehen, die Möglichkeiten der ausschließlichen Milchernährung vergleichen und bewerten können, Angaben innerhalb der industriell hergestellten Säuglingsnahrungen einordnen können, über eine kritische Betrachtung selbsthergestellter, alternativer Säuglingsnahrung verfügen. Seite 29 von 116
Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund (FKE) hat auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse einen Ernährungsplan für das erste Lebensjahr entwickelt. Dieses Ernährungsschema unterteilt sich in drei Abschnitte: 1. Ernährungsphase: ausschließliche Milchernährung 2. Ernährungsphase: Einführung von Beikost 3. Ernährungsphase: Einführung von Familienkost Abbildung 4 Ernährungsplan für das erste Lebensjahr (Quelle: Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund FKE, 2010) Hinweis - Methodik/Didaktik Sowohl für Gruppen- als auch Individualberatungen eignet sich die Metaplanmethode. Mit Hilfe dieser Präsentationstechnik kann der Berater dem Teilnehmer während der gesamten Beratung oder Vortragsreihe visualisieren, in welcher Ernährungsphase das Kind sich gerade befindet. Für diese Präsentationstechnik werden Karten vorbereitet, die entsprechend der Ernährungsphase an die Pinnwand/das Magnetboard angebracht werden. Abbildung 5 zeigt eine Möglichkeit der Darstellung des vollständigen Ernährungsplans für das erste Lebensjahr. Seite 30 von 116
Abbildung 5 Vollständige Metaplan-Präsentation (Quelle: eigene Darstellung) Hinweis - Methodik/Didaktik Die schrittweise Visualisierung arbeitet mit einem Grundgerüst. Abbildung 6 zeigt die Vorbereitung der Metaplan-Präsentation. Abbildung 6 Metaplan-Präsentation: Vorbereitung Darstellung) (Quelle: eigene Seite 31 von 116
Hinweis - Methodik/Didaktik Mit Einleitung des Themas zur ausschließlichen Milchernährung können die Kärtchen, die die erste Ernährungsphase darstellen, angebracht und mit der Vorstellung dieses Abschnitts begonnen werden. Abbildung 7 Metaplan-Präsentation: Milchernährung (Quelle: eigene Darstellung) Seite 32 von 116
Während der ersten Ernährungsphase erhält ein Säugling ausschließlich Milchnahrung. Das bedeutet: Sofern ein Säugling voll und nach Bedarf gestillt wird bzw. ausschließlich Säuglingsmilchnahrung erhält, ist keine weitere Flüssigkeitszufuhr notwendig. In folgenden Ausnahmen kann es jedoch notwendig sein, den erhöhten Wasserverlust durch geeignete Getränke (siehe Trinkwasser in Kapitel 2.2.1 Zubereitung von Säuglingsnahrung) auszugleichen: Erkrankungen mit hohem Fieber Durchfallerkrankungen Erbrechen Trockene Luft (trockene Kälte; überheizte trockene Räume) sehr hohe sommerliche Temperaturen Wird Flüssigkeitsmangel nicht ausgeglichen, können Abbauprodukte des Stoffwechsels im kindlichen Organismus nicht ausreichend über die noch unreifen Nieren ausgeschieden werden. Bluteindickung (Hämokonzentration) und schlimmstenfalls Kreislaufversagen können die Folgen sein (vgl. aid infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz e. V., 2006). 2.1 Stillen Das Stillen ist die natürliche Form der Säuglingsernährung im ersten Lebenshalbjahr. Welche Definitionen zum Stillen gibt es? Hier ist zum einen das sogenannte ausschließliche Stillen aufzuführen, bei dem keine andere Flüssigkeit außer Muttermilch (auch kein Wasser oder Tee) mit Ausnahme von Nährstoffsupplementen oder Medikamenten aufgenommen wird. Hierzu zählt ebenfalls die abgepumpte Muttermilch, die über die Flasche gegeben wird. Zum anderen gibt es das sogenannte überwiegende Stillen, bei dem die überwiegende Nahrungsquelle die Muttermilch ist. Daneben erhält der Säugling weitere Flüssigkeiten wie Wasser, Tee, Maltodextrinlösung etc., welche gegebenenfalls in Phasen schwerer Durchfallerkrankungen notwendig sind. Säuglingsnahrungen erhält ein Säugling beim überwiegenden Stillen jedoch nicht. Darüber hinaus wird innerhalb der Stilldefinitionen noch unterschieden in Zwiemilchernährung und teilweises Stillen. Bei der Zwiemilchernährung erhält das Baby neben Muttermilch auch Säuglingsnahrung. Teilweises Stillen hingegen beinhaltet neben der Muttermilch auch Beikost. Sowohl für das Neugeborene als auch für die Mutter beinhaltet das Stillen zahlreiche Vorteile. Seite 33 von 116
Stillen unterstützt die Mutter-Kind-Beziehung, das sogenannte Bonding, durch die beim Stillen ausgeschütteten Hormone Prolaktin und Oxytocin. Eine Mutter verbringt bei sechsmonatigem Stillen etwa 600 Stunden in engem Hautkontakt mit ihrem Säugling, wodurch die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind gefördert wird. Muttermilch ist einzigartig und individuell auf das eigene Kind abgestimmt. Zudem kann sie sich in ihrer Zusammensetzung den Bedürfnissen des Säuglings anpassen. So enthält die Vormilch (Milcheinschuss nach Geburt), das sogenannte Kolostrum, einen hohen Gehalt an immunologisch wirksamen Substanzen, die die Reifung des Immunsystems fördern und vor Infektionen schützen. Das Kolostrum ist leicht verdaulich und weist im Vergleich zur reifen Muttermilch einen geringeren Energie-, Fett- und Kohlenhydratgehalt auf. Demgegenüber enthält sie einen höheren Protein- und Antikörpergehalt. Zudem fördert das Kolostrum die Mekoniumausscheidung, das sogenannte Kindspech. Aus diesen Gründen ist die Vormilch sehr wertvoll für den Säugling. Im Gegensatz zur dickflüssigen Vormilch wird die Übergangsmilch dünnflüssiger und verändert sich nach und nach in ihrer Zusammensetzung. Nach etwa 14 Tagen postnatal (nach der Geburt) spricht man von reifer Frauenbzw. Muttermilch. Diese zeichnet sich durch einen geringeren Proteingehalt mit hoher Wertigkeit (Verhältnis Molkenprotein zu Casein 60:40) aus. Das bedeutet, dass das Milcheiweiß vom Neugeborenen effizient umgesetzt werden kann und die noch unreifen Nieren nicht belastet werden. Der Fettsäureanteil von langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren (long-chain polyunsaturated fatty acids LC-PUFA) in der Muttermilch ist variabel und wird von der Nahrung der Mutter beeinflusst (z. B. regelmäßiger Verzehr fettreicher Fische). Aufgrund des enthaltenen Enzyms Lipase, das die Fettverdauung unterstützt, ist Muttermilch für den Säugling leicht verdaulich. Der Kohlenhydratanteil liegt zu einem großen Anteil in Form von Lactose (Milchzucker) und einer Vielzahl an Oligosacchariden mit prebiotischer Wirkung vor. Diese Phasen der Milchentwicklung von der Vormilch bishin zur reifen Muttermilch werden als Laktationsstadien bezeichnet. Kolostrum Abbildung 8 Laktationsstadien der Muttermilch (Quelle: eigene Darstellung) Seite 34 von 116 Übergangsmilch (transistorische Milch) reife Muttermilch
Die reife Muttermilch passt sich den kindlichen Bedürfnissen an und kann sich auch während einer Mahlzeit verändern. So weist die Vordermilch, die zu Beginn einer Stillmahlzeit abgeben wird, einen höheren Wassergehalt im Vergleich zur fettreicheren Hintermilch auf. Muttermilch löscht somit den Durst und stillt den Hunger. Die Milchmenge regelt sich nach der Nachfrage. Darüber hinaus kann Stillen das Risiko für Durchfallerkrankungen, Mittelohrentzündungen, SIDS (sudden infant death syndrome = plötzlicher Kindstod) und späteres Übergewicht beim Kind senken. Auch die Entwicklung von Kiefer, Zähnen und Sprache werden durch die optimalen Saugbewegungen während des Stillens positiv beeinflusst. Die gesundheitlichen Vorteile für die Mutter liegen darin, dass Stillen die Uterusrückbildung (Gebärmutterrückbildung) unterstützen und Nachblutungen vermindern kann. Während des Stillens wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Dieses veranlasst die Kontraktion der Gebärmutter (Beginn der Rückbildung). Zudem kann Stillen zur Risikominderung von Eierstock- und Brustkrebs (Ovar- und Mamma- Karzinomen) beitragen. Aufgrund des hohen Energiebedarfs der Mutter, der zur Milchbildung notwendig ist, trägt Stillen dazu bei, das Ausgangsgewicht vor der Geburt zu erreichen. Eine rasche Gewichtsabnahme ist jedoch nicht sinnvoll, da diese die Milchbildung vermindern kann. Zudem werden bei einem schnellen Fettabbau die im Fettgewebe gespeicherten Rückstände (Schadstoffe) mobilisiert und über die Muttermilch abgegeben. Aus diesen Gründen wird Müttern empfohlen, während der gesamten Stillzeit nur mäßig Gewicht zu verlieren und auf eine ausreichende Energie- und Nährstoffversorgung zu achten. Zu den praktischen Vorteilen zählt, dass Muttermilch immer verfügbar, hygienisch einwandfrei und jederzeit richtig temperiert ist. Sie muss nicht aufwändig zubereitet, erwärmt oder abgekühlt werden. Insbesondere während der nächtlichen Milchmahlzeiten oder unterwegs sind die praktischen Vorzüge unverkennbar. Des Weiteren spart Stillen Geld, denn die Kosten für sechs Monate Säuglingsmilch belaufen sich auf etwa 500 Euro. Seite 35 von 116
Übung - Stillen Wie stehen Sie dem Stillen gegenüber? Wurden Ihre Kinder/ Kinder aus Ihrem Familien- oder Freundeskreis gestillt? Oder gab es Fläschchen? Erarbeiten Sie auf Moderationskarten die Vor- und Nachteile von Stillen sowie Flaschennahrung nutzen Sie gerne Ihre persönliche Meinung und Erfahrung. Mit dieser Aufgabe schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen wiederholen Sie das Thema, zum anderen erarbeiten Sie gerade wunderbare Arbeitsmaterialien für die Praxis. Fotografieren Sie Ihre Ergebnisse und veröffentlichen Sie Ihre Ergebnisse unter Dokumente in der Lerngruppe dieses Lehrgangs und diskutieren Sie diese mit Ihren Lehrgangs-kollegen. Entsprechend den Empfehlungen zum Stillbeginn, zur Stilldauer und Stillintensität sprechen sich die Fachgesellschaften DGE, DGKJ, FKE sowie die Nationale Stillkommission, die WHO und EU dafür aus, das Kind möglichst unmittelbar nach der Geburt zum ersten Mal anzulegen (Hautkontakt). während der gesamten Stillzeit nach Bedarf zu stillen: Zeitpunkt und Dauer der Stillmahlzeit bestimmt der Säugling. Säuglinge während des ersten Lebenshalbjahres zu stillen mindestens bis zum Beginn des fünften Lebensmonats ausschließlich. Auch mit Einführung der Beikost(spätestens mit Beginn des siebten Lebensmonats) wird so lange weitergestillt, wie Mutter und Kind es wünschen. Gemäß S3-Leitlinie sind diese Empfehlungen auch zur Prävention atopischer Erkrankungen anerkannt und in den einheitlichen Handlungsempfehlungen für die Säuglingsernährung verankert (Koletzko, Brönstrup, & Cremer, 2010), (Bundesinstitut für Risikobewertung BfR, 2011), (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF, 2009). Hinsichtlich der Stilldauer hat die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA (European Food Safety Authority) im Jahr 2009 ein wissenschaftliches Gutachten über die Einführung von Beikost erstellt. Darin wird eine Empfehlung zur Beikosteinführung zwischen dem Beginn des fünften Lebensmonats und spätestens mit dem Beginn des siebten Lebensmonats ausgesprochen. Die Studienlage bezüglich der Stilldauer ist in Tabelle 12 zusammengefasst. Seite 36 von 116
Faktoren Erhöhung Erläuterung des Risikos Nährstoffversorgung ( ) Ein Risiko für Eisen- und Zinkmangel nimmt bei Säuglingen, die sechs Monate voll gestillt wurden, zu. Gewicht Frühe Beikosteinführung (< vierter Monat) begünstigt eine gesteigerte Gewichtszunahme. Diese erhöht das Risiko für späteres Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskuläre Erkrankungen bei Erwachsenen. Späte Beikosteinführung (> sechster Monat) begünstigt sinkende Wachstumsraten und Gewichtsentwicklung Infektionen Frühe Beikosteinführung (< dritter Monat) erhöht das Risiko für Infektionen. Beikosteinführung nach dem vierten Lebensmonat zeigt keine Effekte. Tabelle 12 Stilldauer und Krankheitsrisiken (Quelle: European Food Safety Authority EFSA, 2009) 2.2 Säuglingsnahrungen Industriell hergestellte Säuglingsnahrung (Fertigmilch, Formulanahrung) ist für Säuglinge, die aus medizinischen oder persönlichen Gründen nicht oder nur teilweise gestillt werden, die beste alternative Ernährung während der ersten ausschließlichen Milchernährungsphase. Fertignahrungen gewährleisten eine vollwertige und sichere Ernährung des Säuglings durch einen standardisierten Gehalt an Energie und Nährstoffen. Hinweis Säuglingsanfangsnahrung mit der Bezeichnung Pre oder 1 können wie Muttermilch auch nach Bedarf des Säuglings gefüttert werden. Auf den Verpackungen von Säuglingsnahrungen werden Richtwerte für die Anzahl und Menge von Flaschenmahlzeiten angegeben. Diese können von Kind zu Kind jedoch variieren und bei Säuglingsanfangsnahrungen dem Bedarf des Säuglings angepasst werden. Grundsätzlich wird innerhalb der Säuglingsnahrungen zwischen Anfangsnahrungen und Folgenahrungen unterschieden. Kommerzielle Säuglingsnahrungen werden auf Kuhmilch- und Sojaproteinbasis hergestellt. Bei Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung, die ausschließlich auf Kuhmilchproteinen basiert, Seite 37 von 116
lauten die Bezeichnungen für diese Nahrungen Säuglingsmilchnahrung und Folgemilch. Gemäß Verordnung über diätetische Lebensmittel (Diätverordnung) in der Fassung vom 01.10.2010 handelt es sich bei Säuglingsanfangsnahrung um Lebensmittel, die für die besondere Ernährung von Säuglingen während der ersten Lebensmonate bestimmt sind und für sich allein den Ernährungserfordernissen dieser Säuglinge bis zur Einführung angemessener Beikost entsprechen. (Bundesministerium der Justiz, 2010) Hinweis Säuglingsanfangsnahrungen werden mit Pre oder 1 bezeichnet. Während eine Pre-Nahrung Lactose als einzige Kohlenhydratquelle aufweist, enthält die 1er-Nahrung zudem noch Stärke oder weitere Kohlenhydrate. Aufgrund des Stärkegehalts ist diese etwas sämiger in ihrer Konsistenz und sättigender. Säuglingsanfangsnahrung ist der Muttermilch am ähnlichsten. Sie ist als alleinige Nahrung von Geburt an gedacht und kann während des gesamten ersten Lebensjahres gegeben werden. Säuglingsanfangsnahrung kann nach Bedarf des Kindes wie beim Stillen gefüttert werden. Hinweis Allergiegefährdete Säuglinge erhalten zur Reduzierung des Allergierisikos eine HA-Nahrung. Bei HA-Nahrungen ist der Proteinanteil teilweise hydrolysiert (aufgespalten) und wirkt daher hypoallergen, das bedeutet, die in der Nahrung enthaltenen Proteine lösen seltener Allergien aus. Innerhalb der Säuglingsanfangsnahrungen werden sowohl die Pre-Nahrung als auch die Anfangsnahrung mit der Ziffer 1 als hypoallergene Säuglingsnahrung angeboten und als HA Pre bzw. HA 1 bezeichnet. Hypoallergene Säuglingsnahrung ist wie die herkömmliche Fertigmilch in Drogerien und Supermärkten erhältlich. Seite 38 von 116