ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Die Versuchung Jesu und wir Predigt von Pfarrerin Ursina Sonderegger gehalten am 14. Februar 2016 Schriftlesung: Hebräer 4,14-16 Predigttext: Matthäus 4,1-11 Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Vierzig Tage und vierzig Nächte fastete er, danach hungerte ihn. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag diesen Steinen da, sie sollen zu Brot werden. Er entgegnete: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Dann nahm ihn der Teufel mit in die heilige Stadt, und er stellte ihn auf die Zinne des Tempels. Und er sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann stürze dich hinab. Denn es steht geschrieben: Seine Engel ruft er für dich herbei, und sie werden dich auf Händen tragen, damit dein Fuss nicht an einen Stein stosse. Da sagte Jesus zu ihm: Wiederum steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen. Wieder nimmt ihn der Teufel mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Königreiche der Welt und ihre Pracht. Und er sagt zu ihm: Dies alles werde ich dir geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest. Da sagt Jesus zu ihm: Fort mit dir, Satan. Denn es steht geschrieben: Zum Herrn, deinem Gott, sollst du beten und ihm allein dienen. Da lässt der Teufel von ihm ab. Und es kamen Engel und dienten ihm. Liebe Gemeinde Führe mich nicht in Versuchung. So hat uns Jesus beten gelehrt. Diese Bitte erregt bis heute Widerstand. Führt denn Gott in Versu-
2 chung? Könnten wir wählen, hätten wir wohl lieber einen andern Gott. Doch die Bibel erzählt mehrfach, wie Gott Menschen auf die Probe stellte, sie in Versuchung führte; nicht nur Menschen, sondern auch Jesus selbst. Führe mich nicht in Versuchung : Jesu Bitte, die er uns beten lehrt, hat ihren tiefen Sinn, den er an sich selbst erfuhr. Vielleicht denken Sie nun: Aber es steht doch, dass der Teufel ihn versuchte. Ja, doch es steht noch mehr; nichts davon sollen wir überlesen. Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Der Geist, von dem da die Rede ist, ist der Geist Gottes, den Jesus soeben in der Taufe erhalten hatte (Matthäus 3,13-17). Die Taufe Jesu und seine Versuchung folgen dicht aufeinander. Das Kreuz, das uns bei der Taufe auf die Stirn gezeichnet wird, vergegenwärtigt uns, dass wir Christus zugehörig sind; damit sind wir freilich keiner Versuchung enthoben. Der Verfasser des Hebräerbriefs, so haben wir es in der Lesung gehört, hält ebenfalls fest, dass Jesus versucht wurde, wie wir (Hebräer 4,14-16), doch ohne Sünde. Sünde, damit ist alles gemeint, was uns von Gott trennt oder worin wir uns von Gott entfernen. Folgen wir dem Bibeltext: Jesus hat nach 40 Tagen und Nächten Fasten Hunger. In diesen Hunger hinein redet mitten in der Wüste die Stimme des Teufels: Bist du Gottes Sohn, so gebiete, dass aus diesen Steinen Brot werde. Bist du Gottes Sohn: Diesen Zuspruch erhielt Jesus von Gott selbst soeben in der Taufe. Nun soll er beweisen, dass er Gottes Sohn ist. Beweisen: Das kennen wir doch auch. Dass wir gefragt werden, woher wir denn wissen wollen, dass Jesus Gottes Sohn ist. Wollten wir es beweisen, kämen wir in Teufels Küche. Nein, das ist keine Frage des Beweisens, sondern des Glaubens und des Bekennens. Darum antwortet Jesus:
3 Nicht vom Brot allein wird der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes hervorgeht. Beweisen lässt sich keines dieser Worte, man kann ihnen nur glauben. Und man kann sie missbrauchen. Bist Du Gottes Sohn, so stürze dich hinab, denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln deinethalben Befehl geben, und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuss nicht an einen Stein stossest. Der Versucher macht es Jesus gleich und wählt wie er ein Bibelwort. Er zitiert zuoberst auf dem Tempel aus dem 91. Psalm und denkt: Damit habe ich Jesus gefangen, ich schlage ihn mit seinen eigenen Waffen; wenn er aus der Bibel zitiert, tue ich dasselbe. Nun, Bibelworte kann man nicht einfach aus ihrem Kontext herausreissen, und sie sind nicht da, um andere Menschen zu erschlagen. Kein Wort können wir für sich allein nehmen, sondern es will verstanden werden im Kontext der ganzen Bibel und gemessen an der Mitte der Schrift, am Evangelium, an Christus. Wenn mein Fuss an einen Stein stösst, spricht dies nicht gegen Gott. Wir können uns Gott nicht verfügbar machen. Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen, antwortet Jesus. Wir können Gott nicht zwingen, dass er sich uns beweist und nach unseren eigenen Wünschen an uns handelt. Nun lässt der Versucher Gott aus dem Spiel und sagt hoch oben auf einem Berg mit Blick auf Ländereien: Dies alles will ich dir geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest. Da sagt Jesus zu ihm: Hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben. Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen. Liebe Gemeinde, über diese Glaubensstärke kann man nur still werden und nachdenken! Wir stehen am Beginn der Passionszeit. Sie kennen den Weg Jesu, wissen, dass er ganz anders verlief, als
4 es ihm der Versucher anbot. Weder Ansehen, noch Ruhm, noch Macht zeichnen diesen Weg aus. Nach gängigen Massstäben ist Jesus eine gescheiterte Existenz. Noch am Kreuz wies er von sich, sich selbst zu helfen oder auf Befehl Wunder zu tun. Bist Du Gottes Sohn, so rette dich selbst, und steig herab vom Kreuz, riefen die Vorübergehenden mit dem Nachsatz: Dann wollen wir an ihn glauben (Matthäus 27,40-44). Spüren Sie, wie nahe wir beim heutigen Predigttext sind? Ein Beweis muss her, dass Jesus Gottes Sohn ist. Das Kreuz freilich, das ist höchstens der Gegenbeweis. Wer scheitert, ist ausserhalb dessen, was wir Gott zurechnen. Nicht nur der Versucher oder eben die Vorübergehenden, also alles solche, die Jesus nicht nachfolgten, denken in diesen Kategorien. Hören Sie, was Matthäus 16,21-23 berichtet, als Jesus zum ersten Mal davon spricht, was er erleiden wird: Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu zeigen, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten Vieles leiden und getötet werden und am dritten Tag auferweckt werden. Und Petrus nahm ihn beiseite, fing an, ihm Vorwürfe zu machen, und sagte: Gott verhüte es, Herr; das soll dir nicht widerfahren! Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Eben noch bekannte sich Petrus zu Christus als dem Sohn des lebendigen Gottes, und nun wird er von Jesus massiv zurechtgewiesen. Ja, unter dem Sohn Gottes würden wir uns, könnten wir wählen, keine leidende, gekreuzigte Gestalt vorstellen. Und doch ist eben gerade er der Christus. Wir haben nicht zu wählen. Und wir können auch nicht beweisen, dass der Gekreuzigte der Sohn Gottes,
5 der Christus ist. Nur Eines können wir: Wir können uns zu ihm bekennen, wir können an ihm festhalten, auch wenn andere oder vielleicht sogar die Mehrheit das nicht tut, wir können an ihn glauben. Für meinen Glauben und damit auch für mein Leben ist er zentral. Auch dann, wenn ich frage: Mein Gott, warum mutest du so Schweres zu? Warum ist das Leben bisweilen so hart? Warum geschieht so Furchtbares? Warum tun Menschen einander Schreckliches an? Wo bist du, Gott? Wenn wir Gott beweisen wollen, kommen wir in Teufels Küche. Er lässt sich nicht beweisen. Wäre er noch Gott, wenn er sich so verfügbar machen würde? Zum Geheimnis des christlichen Glaubens gehört es, dass Schmerz, Klage, Unrecht, Leiden, Schwäche nicht gegen Gott sprechen. Und auch, dass er uns bisweilen versucht. Gott ist grösser, als wir uns ihn irgendwie vorstellen. Er bleibt ein Geheimnis, vor dem wir uns zu beugen haben, wenn wir an ihn glauben. An ihn glauben, das heisst, an ihm festhalten, auf ihn und sein Wort vertrauen. Manches, was geschieht, kann ich nicht verstehen. Und doch: Wohin, wenn nicht zu Gott, sollte ich denn gehen? Auch mit meinen Anfechtungen. Nicht, um mit ihnen gegen ihn zu reden, sondern damit er in sie hineinspricht, sein Wort, das mich stärkt und nährt und mich wieder auf den Weg bringt. Ich möchte mich auf den verlassen, den Jesus am Kreuz anrief, auf keinen andern. Und wenn ich von Gott als Geheimnis spreche, so meine ich nicht, dass er gänzlich unergründlich ist, sondern dass er sich in Christus, vom Kreuz her uns offenbart, und dass wir, was immer wir von Gott sagen, denken und glauben, vom Kreuz und vom Gekreuzigten her sehen, sagen, denken und glauben sollen. Unter anderem heisst dies, dass kein Leid gegen Gott spricht. So
6 einfach dieser Satz tönt, so schwer ist er im täglichen Leben. Alles, was ist und geschieht, ist von Gott umfangen, alles, auch das Schmerzlichste, soll ich im Horizont Gottes verorten. Nichts fällt aus der Gegenwart Gottes und aus dem Horizont Gottes. Jesus Christus steht dafür ein. Auf keinen Andern hat er sich verlassen als auf Gott, sogar dann, als er sich von Gott verlassen fühlte, hat er sich auf Gott verlassen, indem er ihn anrief und sich ihm anvertraute. Das kann man nicht von heute auf morgen, und man kann es auch nicht ein für alle Mal. Ein Leben lang müssen wir um dieses Vertrauen ringen, uns einüben in diesen Glauben, der nicht nur stark ist, sondern erschüttert und versucht wird. Wir dürfen uns unsere Zugehörigkeit zu Christus immer wieder neu vergegenwärtigen und uns sagen: Ich bin getauft. Im Matthäusevangelium schliesst sich tatsächlich der Bogen zur Taufe hin im allerletzten Abschnitt. Wie in der Versuchungsgeschichte steht Jesus wiederum auf einem Berg. Sie erinnern sich, damals führte der Teufel Jesus auf einen Berg und versprach ihm alle Ländereien, die vom Berg zu sehen waren, wenn er vor dem Teufel niederknien und ihn anbeten wolle. Jesus verweigerte dies mit dem Hinweis, dass er keinem andern ausser Gott allein diene. Nun sind wir wiederum auf einem Berg, freilich in einer ganz andern Situation: Der Auferstandene erscheint seinen Jüngern, wobei einige im Zweifel sind. Dann lesen wir: Er aber trat hinzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe; und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt (Matthäus 28,16-20).
7 Liebe Gemeinde, hier erst, am Schluss des Matthäusevangeliums, erschliesst sich uns die volle Bedeutung der Versuchung Jesu. Jesu Macht im Himmel und auf Erden ist erlitten und errungen durch das Kreuz hindurch hin zur Auferstehung. Darum ist er gerade in unserer Schwachheit bei uns. So ganz richtig verstehen können wir die Worte der Bibel eben erst, wenn wir sie nicht aus ihrem Kontext reissen, sondern sie im Ganzen verorten und von Christus her bedenken. Sie sind nicht da, um andere oder uns selbst zu erschlagen, sondern als grosse Ermutigung, die stets unter Christi Verheissung steht, immer bei uns zu sein, auch dann, wenn wir im Zweifel oder in der Anfechtung sind, erschüttert oder versucht werden. Wenn wir meinen, wenn wir nur recht glaubten, würden wir verschont vor solch schwierigen und schmerzlichen Erfahrungen, täuschen wir uns. Weder der Glaube noch die Taufe noch Gott selbst verschont uns, und auch Jesus blieb nicht verschont. Was trägt uns dann hindurch? Lassen Sie mich nochmals auf den Hebräerbrief zurückkommen. Der Verfasser des Briefes schreibt vom Anker der Seele. Er ruft also das Bild von Schiffbrüchigen vor unserem inneren Auge wach, von Menschen, die von Wind und Wellen hin und her gerissen sind. Verankern können wir uns immer wieder in Gottes Wort. In seinem Zuspruch. Im Hebräerbrief lesen wir: Die vor uns liegende Hoffnung, die Gottesgewissheit, ergreifen wir als Anker der Seele, der sicher und fest ist (Hebräer 6,18f). Liebe Gemeinde, Wind und Wellen, auch sie gehören zur Welt Gottes. Warum er uns Sonne schenkt, ist ebenso sehr sein Geheimnis, wie, warum er uns Sturm und Gewitter erleben lässt. Ist er ein dunkler, rätselhafter Gott? Er ist der, der sich uns in Chris-
8 tus offenbart. Das muss uns genügen. Was hätte er denn Grösseres tun können für uns und an uns? Amen. Hebräer 4,14-16 Da wir nun einen grossen Hohen Priester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, so lasst uns am Bekenntnis festhalten. Denn wir haben nicht einen Hohen Priester, der nicht mit uns zu leiden vermöchte in unserer Schwachheit, sondern einen, der in allem auf gleiche Weise versucht worden ist, aber ohne Sünde. Lasst uns also freimütig hintreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden und uns so geholfen werde zur rechten Zeit. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH St. Anna-Kapelle, St. Annagasse 11, 8001 Zürich Gottesdienste: Sonntag 10.00 Uhr, Bibelstunden: Mittwoch 15.00 Uhr Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon 044 768 22 37