Fachgespräch AKW-Rückbau - Mammutaufgabe und Konfliktherd. Vortrag Strahlungsgefährdung im Vergleich

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Transkript:

Fachgespräch AKW-Rückbau - Mammutaufgabe und Konfliktherd Vortrag Strahlungsgefährdung im Vergleich 7. November 2016 im Deutschen Bundestag, Berlin Christian Küppers Öko-Institut e.v., Darmstadt

Überblick Wirkung von ionisierender Strahlung Ermittlung der Strahlendosen Welchen natürlichen Dosen sind wir ausgesetzt? Wie hoch sind Konzentrationen natürlicher Radionuklide? Regulierung

Wirkung der Strahlung (1) Wirkungsmechanismus ionisierender Strahlung Energieeintrag in Körpergewebe durch Bestrahlung physikalische Primärprozesse an Atomen (Ionisation, Anregung) Veränderungen von Molekülen (Nukleinsäuren, Proteine, Enzyme ) Wirkungsmechanismus ist unabhängig von der Herkunft der radioaktiven Stoffe Er ist für natürliche und künstliche Strahler identisch Veränderungen an Zellen Körperzellen Keimzellen Schäden beim bestrahlten Individuum Schäden bei Nachkommen akute Schäden stochastische Schäden (Leukämie und Krebs) genetische Schäden

Wirkung der Strahlung (2) verschiedene Zusammenhänge von Dosis und Schadenshäufigkeit

Wirkung der Strahlung (3) Wie geht man mit den Unsicherheiten um? Übliche Annahme zu Strahlenschutzzwecken: linearer Zusammenhang von Dosis und Wirkung - ohne Schwelle Konsequenz: Prinzipien Rechtfertigung Dosisbegrenzung Dosisminimierung (oder auch Optimierung oder ALARA) (Strahlenschutzverordnung: Minimierung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls )

Dosisermittlung o Messbar sind physikalische Effekte der Strahlung o Dosimeter zur Ermittlung der Dosis durch äußere Bestrahlung o Berechnungsmodelle zur Ermittlung der Dosis durch in den Körper aufgenommene radioaktive Stoffe o altersabhängiges Verhalten der Nuklide im Körper (Metabolismus, biologische Halbwertszeit...) o Wichtung der Strahlungsarten (α,β,γ...) nach Wirkung o Wichtung der Empfindlichkeit von Organen Resultat: Effektive Dosis (auch hier gibt es keinen Unterschied zwischen natürlichen und künstlichen radioaktiven Stoffen)

natürliche Dosis (1) Expositionspfad jährliche Effektive Dosis (msv), Mittelwert und Schwankungsbereich in Deutschland kosmische Strahlung 0,3 (Meereshöhe) 0,45 terrestrische Strahlung im Freien 0,05 (0,02 0,15) terrestrische Strahlung in Gebäuden 0,34 (0,11 0,72) Ingestion 0,3 (0,2 0,4) Inhalation von Radon-Folgeprodukten Summe 1,1 (sehr groß) 2,1 (sehr groß)

natürliche Dosis (2) kosmische Strahlung beim Fliegen Flugstrecke Dosis pro Flug in µsv Frankfurt Rom 3 6 Frankfurt Kanarische Inseln 10 20 Frankfurt - San Francisco oder Tokyo 45-110

natürliche Dosis (3) Zur Vergleichbarkeit der Wirkung von natürlichen und künstlichen Radionukliden o äußere Strahlung (γ,n...) gibt es in beiden Fällen o der größte Teil der natürlichen Dosis resultiert aus der Aufnahme von Radionukliden in den Körper o der größte Teil der natürlichen Dosis rührt von α Strahlern her o es gibt auch Tritium und Kohlenstoff-14 natürlicher Herkunft o ein Gewöhnungseffekt nur an die natürliche Strahlung ist bei deren Schwankungsbereich nicht möglich von natürlichen und künstlichen Radionukliden geht bei gleicher Dosis das gleiche Risiko aus

natürliche Aktivität (1) natürliche Aktivitätskonzentration Radionuklid Stoff Bq/kg K-40 Granit 600-4000 K-40 PK-Dünger 5900 (Mittelwert) Ra-226 Boden (außerhalb Bergbau) 9-15 Ra-226 Granit 30 500 Ra-226 PK-Dünger 370 (Mittelwert) Zum Vergleich: o K-40: Freigabewert Bauschutt/Bodenaushub (>1000 t/a): 800 Bq/kg o Ra-226+: Freigabewert uneingeschränkte Freigabe: 30 Bq/kg o Ra-226+: Freigabewert Beseitigung auf Deponie (bis 1000 t/a): 40 Bq/kg Bei natürlichen und künstlichen Radionukliden (oder technisch genutzten natürlichen Radionukliden) wird im Strahlenschutzrecht nicht der gleiche Maßstab angelegt. Warum ist das so?

Regulierung (1) Bestimmte Tätigkeiten etc. unterliegen den Regelungen von Atomgesetz (AtG) und Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) o Bau/Betrieb/Stilllegung/Abbau bestimmter Anlagen (z. B. Kernkraftwerke) und Einrichtungen o Überschreitung von Werten der massenbezogenen Aktivität oder Gesamtaktivität radioaktiver Stoffe ( Freigrenzen ) Die Regelungen gelten z. B. nicht für: o Gebrauch einer Uhr mit radioaktiven Leuchtziffern aber: Uhr mit Tritium-Leuchtziffern enthält 200-300 Mio Bq Tritium, der Freigabewert für uneingeschränkte Freigabe 1 Mio Bq/kg o Verwendung eines thoriumhaltigen Objektivs o Einbau von Granitsteinen im Straßenpflaster o...

Regulierung (2) Unter welcher Voraussetzung kommt man aus den Regelungen von AtG/ StrlSchV wieder heraus, wenn eine Tätigkeit oder ein Anlagenbetrieb wieder eingestellt wird? hierzu gibt es die Freigabe, auch Entlassung aus dem Atomgesetz genannt zu beachten: o kein Stoff ist physikalisch nicht radioaktiv (natürliche Radioaktivität, allgemeine Kontamination durch Fallout der Atomwaffentests etc.) o Grenzen der Messtechnik Kriterien für die Freigabe müssen definiert werden: Radiologisches Kriterium / zumutbares Risiko: De minimis-konzept

Regulierung (3) Warum ist die Regulierungstiefe so unterschiedlich? o an Anlagenbetrieb etc. werden sehr hohe Anforderungen gestellt diese wären für natürliche Radionuklide nicht praktikabel (z. B. bei einer Freigabe von Gelände oder entkernten Gebäuden) o geringere Anforderungen bei manchen Gebrauchsgütern sonst nicht mehr praktikabler Kontrollaufwand (Ausweg: Verbot der Herstellung/Inverkehrbringung nach dem Prinzip der Rechtfertigung) Begründbar letztlich mit dem Prinzip der Dosisminimierung: o ein Schwellenwert der Dosis ist nicht bekannt o es ist demzufolge nicht möglich, Grenzwerte so festzulegen, dass kein Risiko resultiert dort wo eine Dosis mit verhältnismäßigem Aufwand reduziert werden kann, wird dies getan dort wo eine Reduzierung unpraktikabel wäre, wird sie nicht vorgenommen

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Haben Sie noch Fragen?