Richtlinie für schweizerische Kernanlagen HSK-R-103/d Neudruck: Januar 1993 Anlageinterne Massnahmen gegen die Folgen schwerer Unfälle Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) Eidg. Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen (KSA) zu beziehen bei: Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) CH-5232 Villigen-HSK/Schweiz
Verteiler HSK: Direktion, Abteilungsleiter, Sektionschefs, Anlagekoordinatoren, F+I, Administrationsdienst KSA: Mitglieder (13), Experten (2), Sekretariat (1) BEW: Sektion NS, Rechtsdienst Anlagen: KKB (30), KKM (32), KKG (7), KKL (3), PSI (4) Firmen: NOK Baden, COLENCO Baden, ABB Baden, EWI Zürich, Gebr. SULZER, Winterthur, NAGRA (2), GNW bearbeitende Abteilung: AR alle Mitarbeiter
Inhalt 1 Einleitung Seite 1 2 Schutz des Primär-Containments 2 2.1 Entlastung des Reaktordruckbehä1ters 2 2.2 Wasserstoffbeherrschung 2 2.3 Flutung des geschmolzenen Kerns 2 2.4 Begrenzung des Dampfdrucks in der Containment-Atmosphäre 2 2.5 Containmententlastung 3 3 Schutz des Betriebspersonals 3 4 Vorgehensregeln 3 5 Störfallinstrumentierung 3
Seite 1 1 Einleitung Die Richtlinien der schweizerischen Sicherheitsbehörden legen dar, wie diese ihre gesetzlichen Aufträge konkretisieren wollen. Den Projektanten und Betreibern von Kernanlagen soll damit aufgezeigt werden, nach welchen Kriterien die zuständigen Behörden die Gesuche beurteilen und die Aufsicht durchführen. Die vorliegende Richtlinie ist eine Ergänzung zur Richtlinie HSK-R-101, welche die Festlegung von Anforderungen im Zusammenhang mit auslegungsüberschreitenden Störfällen in Aussicht stellt. Bezüglich gesetzlichen Grundlagen und Geltungsbereich ist das Kapitel 1 der HSK-R-101 anwendbar. Gemäss der in der Richtlinie HSK-R-100 eingeführten Terminologie ist ein schwerer Unfall ein Ereignis, das mit schweren Anlageschäden, insbesondere am Reaktorkern verbunden ist. Es kann dabei zum Schmelzen des Reaktorkerns und Versagen des Reaktordruckbehälters kommen, so dass in das Containment grosse Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt werden. Durch die Verdampfung von Wasser, durch die Bildung nichtkondensierbarer Gase und durch die chemische Reaktion von zündfähigen Gasgemischen kann die Integrität des Containments durch Druckanstieg und Druckspitzen verloren gehen. Auch wäre eine Gefährdung des Containments durch Hochdruckversagen des Reaktorkühlkreislaufs denkbar. Wenn bei einem solchen schweren Unfall das Containment versagt, dann können für die Umgebung schwerwiegende Konsequenzen entstehen. Die Auslegung eines Kernkraftwerks hat generell zum Ziel, Störfälle derart zu beherrschen, dass sie nicht zu schweren Unfällen führen. Risikoanalysen zeigen aber, dass schwere Unfälle bei entsprechender Auslegung zwar sehr unwahrscheinlich sind, aber doch nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Viele Vorkehrungen im Rahmen der Auslegung tragen bereits zur Linderung der Auswirkungen schwerer Unfälle bei. Neue, aus internationalen Forschungsprogrammen gewonnene Erkenntnisse über Störfallabläufe ermöglichen jetzt die Planung zusätzlicher gezielter Einzelmassnahmen zur Verhinderung von Unfällen und zur weiteren Begrenzung der Unfallfolgen innerhalb und ausserhalb der Anlage. Darüberhinaus wird durch Notfallschutzmassnahmen die Gefährdung der Bevölkerung nochmals reduziert. Diese sind nicht Gegenstand dieser Richtlinie. Die in dieser Richtlinie erwähnten anlageinternen Massnahmen bezwecken vor allem die Vermeidung einer Beschädigung des Primär-Containments, betreffen aber auch den Schutz des Betriebspersonals nach einem Unfall sowie Instrumentierung und Vorgehensregeln zum Eingriff in den Unfallablauf und zur Einschränkung seiner Folgen. Neben diesen für alle Anlagen gültigen Massnahmen sind aber auch anlagespezifische zu treffen, wenn der Stand des Wissens solche nahelegt. Solche anlagespezifische Massnahmen sind in dieser Richtlinie nicht enthalten. Dasselbe gilt für präventive Massnahmen ausserhalb der Auslegung zur Verhinderung eines schweren Unfalls. Die Anforderungen der vorliegenden Richtlinie gelten für die Nachrüstung von bereits bestehenden ebenso wie für neu in der Schweiz zu erstellende Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren. Die konkrete Ausführung ist anlagespezifisch und durch den
Seite 2 Anlagebetreiber vorzuschlagen. Inwieweit die "Allgemeinen Auslegungskriterien" gemäss der Richtlinie HSK-R-101 bei der Verwirklichung dieser Massnahmen eingehalten werden müssen, und in welchem Umfang Nachweise zu erbringen sind, wird von den Sicherheitsbehörden fallweise festgelegt. Die Detailausführung dieser Massnahmen soll mit dem Sicherheitskonzept der Anlage verträglich sein. 2 Schutz des Primär-Containments 2.1 Entlastung des Reaktordruckbehälters Um die Sequenz "Durchschmelzen des Reaktordruckbehälters bei hohem Druck (Hochdruckpfad)" zu eliminieren, soll eine Druckentlastung des Reaktorkühlsystems möglich sein. 2.2 Wasserstoffbeherrschung Entsprechende Massnahmen sollen verhindern, dass sich nach einem schweren Unfall Wasserstoff im Containment - global oder lokal - in einer solchen Konzentration ansammelt, dass bei einer Zündung das Containment gefährdet wäre. 2.3 Flutung des geschmolzenen Kerns Um bei einem Kernschmelzunfall mit Durchschmelzen des Reaktordruckbehälters die Kernschmelze kühlen zu können, soll die Möglichkeit bestehen, den Bereich unterhalb des Reaktordruckbehälters mit Wasser zu fluten und langfristig unter Wasser zu halten. Neben dem Einsatz vorhandener Systeme soll die Flutung auch mittels externem Wasser und ohne Benützung aktiver Komponenten der bestehenden Kern- und Containmentkühlsysteme möglich sein. 2.4 Begrenzung des Dampfdrucks in der Containment-Atmosphäre Es soll eine Einrichtung zur Verhinderung der Dampfproduktion im Containment oder zur Kondensation des Dampfes aus der Containment-Atmosphäre vorhanden und innerhalb der nötigen Zeit einsatzfähig sein. Diese Einrichtung soll bezüglich aktiver Komponenten unabhängig von den bestehenden Kern- und Containmentkühlsystemen sein und vorzugsweise auf der Einspeisung oder Versprühung von kaltem, externem Wasser beruhen.
Seite 3 2.5 Containment-Druckentlastung Um ein Überdruckversagen des Containments zu verhindern, soll ein gesteuertes Abblasen möglich sein. Das abgeblasene Medium soll über geeignete Einrichtungen zur Reduktion seines Gehalts an radioaktiven Stoffen an die Umgebung abgegeben werden, wobei eine Messung der radioaktiven Abgaben vorzusehen ist. 3 Schutz des Betriebspersonals Zugang und Aufenthalt des Betriebspersonals einschliesslich Notfallstab sollen für jene Anlageräume gewährleistet sein, die nach einem schweren Unfall betreten oder besetzt werden müssen. Insbesondere soll der Kommandoraum oder gegebenenfalls eine andere Steuerstelle, welche die notwendige Übersicht über den Zustand der Anlage ermöglicht, sowohl gegen Direktstrahlung als auch gegen das Eindringen luftgetragener radioaktiver Stoffe geschützt werden. 4 Vorgehensregeln Um nach Eintreten eines schweren Unfalls die Kontrolle über die Anlage wiederzugewinnen bzw. um die Folgen zu begrenzen, sollen Vorgehensregeln, die auch die Entscheidungsbefugnisse festhalten, ausgearbeitet werden. 5 Störfallinstrumentierung Die Störfallinstrumentierung und die Darstellung des Anlagezustands sollen derart ausgeführt werden, dass eine Gefährdung sowohl der Kernkühlung als auch der Containment-Integrität rechtzeitig erkannt wird, die Vorgehensregeln zuverlässig anwendbar sind und das Ausmass der in das Containment und in die Umgebung freigesetzten radioaktiven Stoffe abgeschätzt werden kann.