Demand Response Intelligentes Lastmanagement für den deutschen Regelleistungsmarkt

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Transkript:

Demand Response Intelligentes Lastmanagement für den deutschen Regelleistungsmarkt Dr. Jürgen Neubarth, Entelios AG / e3 consult, München, Deutschland, j.neubarth@e3-consult.at Dr. Markus Henle, SWM Services GmbH, München, Deutschland, henle.markus@swm.de Kurzfassung Mit dem Ausbau der Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie steigt auch der Bedarf an flexiblen Erzeugungs- und Speicherkapazitäten. Während der Neubau von schnell regelbaren Gas- und Speicherkraftwerken auf politischer Ebene bereits intensiv diskutiert wird, bleibt das bereits verfügbare Flexibilitätspotenzial auf der Nachfrageseitige dabei bisher häufig unberücksichtigt. In einem Pilotprojekt haben die Entelios AG und die Stadtwerke München gezeigt, dass über ein intelligentes Lastmanagement schon heute ein Beitrag zur Systemstabilität geleistet werden kann. Eine langfristig erfolgreiche Etablierung von Demand Response im deutschen Strom- und Regelleistungsmarkt erfordert jedoch neben einer eindeutigen Definition der neuen Marktrolle von Demand Response insbesondere eine Weiterentwicklung des regulatorischen Rahmens im Zuge der Umsetzung der EU Energieeffizienzrichtlinie. Abstract With the expansion of electricity generation from wind and solar power the demand for flexible generation and storage capacities increases. While the development of highly flexible gas and storage power plants has been discussed intensively on a political level the already existing flexibility potential on the demand side has in many cases been disregarded so far. In a pilot project the Entelios AG and Stadtwerke München have shown that an intelligent load management could already contribute to system stability. However, in the long run a successful establishment of demand response in the German power and balancing market requires not only a clear definition of the new market role of demand response but in particular a further development of the regulatory framework in the course of the implementation of the EC energy efficiency directive. 1 Einleitung und Fragestellung Bereits heute zeigt sich, dass die bestehenden Erzeugungs- und Netzstrukturen nur bedingt geeignet sind, den steigenden Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien effizient zu integrieren. Entsprechend erfordert der weitere Ausbau erneuerbarer Energien sowohl aus deutscher als auch europäischer Sicht eine Reihe systembegleitender Maßnahmen. Neben einer Erhöhung der Netz- und Speicherkapazitäten muss insbesondere der konventionelle Erzeugungspark an die sich ändernde Versorgungsaufgabe angepasst werden. Auch können die Erneuerbaren selbst einen Beitrag zur Systemintegration leisten, indem ihre Erzeugung stärker an die Nachfrage angepasst wird. Flexibilität und Speicherkapazität kann neben der Erzeugungsseite aber auch über verbraucherseitige Maßnahmen durch das kurzfristige Ab- oder Zuschalten von steuerbaren Lasten bereitgestellt werden. Aus Sicht des Gesamtsystems hat die Beteiligung der Verbraucher an der Bereitstellung flexibler Leistungsreserven den Vorteil, dass bestehende technische Einrichtungen genutzt werden können und nicht zusätzliche konventionelle Kraftwerke oder Speicher errichtet werden müssen. Während sich die praktische Umsetzung eines intelligenten Lastmanagements (Demand Response, DR) heute jedoch noch auf einzelne sehr große Verbraucher sowie auf wissenschaftsnahe Demonstrationsprojekte beschränkt, haben die Entelios AG und die Stadtwerke München in einem seit Dezember 2010 laufenden gemeinsamen Pilotprojekt mit der kommerziellen Vermarktung von schaltbaren industriellen und gewerblichen Lasten im deutschen Regelleistungsmarkt begonnen. Aufbauend auf einer Darstellung der möglichen Rolle von Demand Response im zukünftigen deutschen und europäischen Stromversorgungssystem stellt dieser Beitrag die operative Umsetzung dieses Pilotprojekts vor und leitet auf Grundlage der daraus gewonnen ersten Erfahrungen abschließend Handlungsempfehlungen für eine Weiterentwicklung des regulatorischen und energiewirtschaftlichen Marktumfeldes zur langfristig Etablierung von Demand Response in Deutschland ab. 2 Intelligentes Lastmanagement von industriellen und gewerblichen Verbrauchern Bis auf einzelne, große, stromintensive Industriebetriebe haben Endverbraucher heute keine Möglichkeit, kurzfristige Preissignale an den Strom- und Regelenergiemärkten zur Anpassung ihrer Nachfrage zu nutzen, da ihr Strompreis nicht vom Zeitpunkt des Verbrauchs abhängig ist bzw. sie technisch nicht in der Lage sind, den Stromver-

brauch zeitlich zu verschieben. Einzig die z. T. gegebene Unterscheidung in Hoch- und Niedertarif (HT/NT) sowie die Steuerung einzelner Verbrauchergruppen über Rundsteuersignale (z. B. Warmwasserboiler, Nachtspeicherheizung) ermöglicht eine teilweise Verlagerung des Verbrauchs in lastschwache Zeiten. Durch eine nachfrageseitige Reaktion des Stromverbrauchs auf Preissignale lässt sich jedoch ein Teil des Verbrauchs bei knappem Angebot (z. B. Nachfragespitzen und/oder geringe Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien) reduzieren und umgekehrt bei einem Erzeugungsüberschuss erhöhen. Man spricht in diesem Zusammenhang daher auch von Last- oder Demand Side Management (DSM). Allerdings werden unter dem Begriff Demand Side Management häufig auch Energieeffizienzmaßnahmen zur dauerhaften Reduzierung des Stromverbrauchs verstanden. Da bei einer Lastverschiebung der Verbrauch jedoch zu einem späteren Zeitpunkt wieder nachgeholt werden muss und damit zu keiner Einsparung an elektrischer Energie führt, setzt sich zur Abgrenzung von Energieeffizienzmaßnahmen zunehmend auch im deutschen Sprachgebrauch der aus dem Englischen kommende Begriff Demand Response (DR) durch. Demand Response bezeichnet also die kurzzeitige Veränderung der Verbraucherlast als Reaktion auf Preissignale im Markt bzw. auf eine Anweisung durch den Netzbetreiber zur Sicherung der Netzstabilität oder Beseitigung von Netzengpässen [1], [2]. Demand Response unterscheidet sich damit auch von dem seit Jahrzehnten etablierten betrieblichen Lastmanagement, das ausschließlich eine Reduktion der Leistungsspitze eines Produktionsstandortes zum Ziel hat. DR-Programme wurden vor allem in den USA zur Verbesserung der Versorgungssicherheit als Folge der häufigen Black- und Brownouts in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren eingeführt. Durch die flexible Steuerung der Nachfrage wird der Bedarf an zusätzlichen Spitzenlastkraftwerken und Netzausbaumaßnahmen reduziert und es kann die bestehende Erzeugungs- und Netzinfrastruktur besser ausgelastet werden. Im Jahr 2010 beteiligten sich in den USA Verbraucher mit einem Lastreduktionspotenzial von rd. 53.000 MW an DR-Programmen, was etwa 7 % der Jahreshöchstlast entspricht [2]. Für Deutschland gehen erste Abschätzungen davon aus, dass die technischen Gesamtpotenziale für ein intelligentes Lastmanagement in Abhängigkeit von der Jahreszeit zwischen 9.500 und 17.000 MW liegen, wobei durch elektrische Speicherheizungen und Wärmepumpen im Winter ein zusätzliches Potenzial von 17.000 25.000 MW zur Verfügung stünde [1], [3]. Die Potenziale zur Lastverschiebung in Industrie und Gewerbe können auf Grund der im Vergleich zu privaten Haushalten höheren Leistungen einzelner schaltbarer und vielfach bereits bestehenden kommunikationstechnischen Vernetzung der einzelnen Verbraucher deutlich einfacher und kostengünstiger erschlossen werden als die in der öffentlichen Diskussion häufig präsenteren Waschmaschinen und Geschirrspüler. Besonders geeignet für die Teilnahme an DR-Programmen sind dabei gewerbliche und industrielle Verbraucher, bei denen über einen Energieoder Produktspeicher eine Entkopplung zwischen Stromverbrauch und Energiedienstleistung erzielt werden kann. Dies lässt sich beispielsweise bei der elektrischen Erzeugung von Wärme, Kälte oder Druckluft durch entsprechend dimensionierte Speicher bzw. die thermische Trägheit des zu beheizenden oder kühlenden Mediums (z. B. Gebäude, Kühllager, Metallschmelze) erzielen. Grundsätzlich können aber auch ganze Produktionsprozesse o- der -linien kurzzeitig stillgelegt werden, wenn hierfür der finanzielle Anreiz entsprechend hoch ist. 3 Operative Umsetzung von Demand Response Die Umsetzung von DR-Programmen ist dabei relativ komplex, da mit den schaltbaren Einzellasten eine bidirektionale Kommunikation aufgebaut werden muss und eine Vielzahl an produktions- und anwendungstechnischen Randbedingungen für die Prognose des zu- und abschaltbaren Lastpotenzials zu berücksichtigen sind. Der effiziente Einsatz der Lastverschiebungspotenziale der einzelnen Verbraucher wird daher meist von einem Dienstleister (sog. Demand Response Service Provider) koordiniert. Eine solche koordinierte Vermarktung ist insbesondere auch deshalb erforderlich, weil die Leistung einzelner schaltbarer Lasten, mit Ausnahme sehr stromintensiver Anwendungen in der Industrie (z. B. Chlor- Alkali-Elektrolyse, Elektrostahlerzeugung), für eine direkte Vermarktung zu klein ist. Auch lassen sich einzelne Lasten nicht beliebig lange unterbrechen bzw. verschieben, wodurch die Potenziale mit zunehmender Abschaltzeit deutlich abnehmen (Bild 1) Durch ein zeitlich gestaffeltes, zentral koordiniertes Schalten der einzelnen Lasten kann die Verfügbarkeit verbrauchsseitiger Leistungsreserven aber auch für längere Zeiträume garantiert werden. Bild 1 Technisches Potenzial abschaltbarer Leistung von Industriebetrieben in Abhängigkeit der Abschaltzeit [1] Um aus einzelnen Verbrauchern ein Angebot für den Energiemarkt zu aggregieren bzw. strukturieren, sind zum einen umfassende Kenntnisse über die produktions- und energiewirtschaftlichen Randbedingungen der geschalte-

ten Verbraucher notwendig. Zum anderen erfordert die effiziente Umsetzung eines Lastmanagements mit hunderten und zukünftig tausenden einzelnen Lasten die Schaffung skalierbarer Prozesse und die Implementierung modernster ITK Technologien innerhalb des sog Network Operations Center (NOC) eines DR-Anbieters, wie es bspw. die Entelios AG in München realisiert hat (Bild 2), um die schaltbaren Lasten effizient in den Markt integrieren zu können. Die wesentlichen operativen Prozesse, die für die Umsetzung eines intelligenten Lastmanagements zu berücksichtigen sind, sind im Folgenden zusammengefasst: Lang-/Kurzfristprognose der verfügbaren Lasten (schaltbare Leistung über die Zeit) Einsatzoptimierung zur Vermarktung im Strom- /Regelenergiemarkt bzw. zur Bilanzkreisbewirtschaftung Automatisierte Auswahl und Zusammensetzung der Lasten Verteilung der Schaltanfragen im DR-Pool unter Berücksichtigung technischer Teilnehmer-Regeln Bereitstellung von Ersatz aus dem DR-Pool im Falle eines Teilnehmerausfalls Kontinuierliche Überwachung des zeitlichen Verlaufs des Lastabwurfs und Optimierung über die Zeit Reporting und Dokumentierung der Summen- und Einzelsignale Fahrplanmanagement und Bilanzkreisabwicklung mit beteiligten Marktakteuren Abrechnung gegenüber Teilnehmern im DR-Pool Bild 2 Vereinfachte Prozessstruktur zur Umsetzung eines intelligenten Lastmanagements 4 Vermarktungsoptionen für DR- Pools Die Flexibilität schaltbarer Lasten kann grundsätzlich durch den DR Anbieter direkt vermarktet werden, d. h. er aggregiert die Lasten von Kunden unterschiedlicher Stromlieferanten zu einem vermarktungsfähigen Produkt (häufig spricht man in diesem Zusammenhang daher auch von einem DR Aggregator). Auf Grund der damit zusammenhängenden vergleichsweise hohen Anforderungen an die Bilanzkreisabwicklung sowie der z. T. fehlende Bereitschaft von Lieferanten, ihren Kunden die Teilnahme an einem DR-Programm zu ermöglichen, scheint das alternative Modell eines reinen Technologie- und Service Providers zumindest aus abwicklungstechnischer Sicht besser mit dem heutigen Markt- und Regulierungsrahmen vereinbar zu sein. Bei diesem Betreibermodell werden die Lasten von Kunden eines einzigen Stromlieferanten bzw. Bilanzkreisverantwortlichen über das NOC des DR Service Providers gepoolt, jedoch durch den Lieferanten selbst vermarktet. In Abhängigkeit vom jeweiligen Betreibermodell bestehen dabei für den DR-Pool z. T. unterschiedliche Vermarktungsoptionen (Bild 3). Demand Response Service Provider! TN 1! TN 2! TN n! DEA! DSP! Spotmarkt! TN: Teilnehmer (Verbraucher), DEA: Dezentrale Erzeugungsanlage, DSP: Dezentrale Speicher! Bild 3 Vermarktungsoptionen für DR-Pools Regelleistungsmarkt! Bilanzkreisoptimierung! Netzmanagement! Während eine Vermarktung am Spot- (vor allem am Intraday-Markt) und Regelleistungsmarkt prinzipiell sowohl über einen DR-Aggregator als auch einen Stromlieferanten mit DR-Programm für seine Kunden erfolgen kann, können die steuerbaren Lasten bei einer Bewirtschaftung durch den Stromlieferanten zusätzlich auch zur Optimierung seines Bilanzkreises und Beschaffungsportfolios genutzt werden. Neben einer Glättung von Verbrauchsspitzen können bspw. bei einer strukturierten Beschaffung über Standardprodukte der Strombörsen die systemimmanenten Sprünge an den Übergängen etwa von offpeak zu peak verstetigt und dem realen Lastverbrauch angepasst werden, wodurch sich der Ausgleichenergiebedarf reduziert lässt. Demgegenüber wird sich die Steuerung schaltbarer Verbraucher durch einen Verteilnetzbetreiber besser durch einen DR-Aggregator umsetzen lassen, da dieser in einem bestimmten Netzgebiet unabhängig vom Stromlieferanten Lasten aggregieren und damit bspw. die Entlastung von Netzbetriebsmitteln gezielt unterstützen kann. Bei allen Vermarktungsoptionen können die schaltbaren Verbraucher auch gemeinsam mit dezentralen Erzeugungsanlagen und Speichern in einem Virtuellen Kraftwerk zusammengefasst werden. 5 Pilotprojekt zur Einführung von Demand Response in den deutschen Regelleistungsmarkt Trotz der bestehenden vergleichsweise hohen Lastverschiebungspotenziale in Deutschland werden diese mit Ausnahme weniger sehr großer industrieller Verbraucher, die vorwiegend im Minutenreservemarkt aktiv sind, seit

Beginn der Liberalisierung des Strommarktes nicht mehr genutzt. Durch die mit dem Ausbau der schwankenden Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie steigenden Anforderungen an unser Stromversorgungssystem gewinnen die Flexibilitätspotenziale auf der Nachfrageseite jedoch zunehmend wieder energiewirtschaftliche Attraktivität. Mit der Entelios AG ist dabei ein erster Demand Response Anbieter aktiv, der Lasten von vor allem industriellen und gewerblichen Verbrauchern poolt und in einem gemeinsamen Pilotprojekt mit den Stadtwerken München am deutschen Regelleistungsmarkt vermarktet. Dabei wird über die sog. EBox (unterstützt alle wichtigen Bus-Formate wie Modbus, Profibus, etc.) ein Interface zum Energiemanagement der teilnehmenden Unternehmen aufgebaut, das mit den in der Industrie und in Gebäuden üblichen speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS) innerhalb kürzester Zeit eine bidirektionale, sichere Echtzeitverbindung aufbauen kann. Aus DR-Sicht ist der Regelleistungsmarkt insofern von besonderem Interesse, da einerseits neben dem Energiepreis auch ein Leistungspreis für die Vorhaltung der Regelleistung vergütet wird. Andererseits wird ein Teil der vorgehaltenen Regelleistung nur sehr selten auch tatsächlich benötigt, wodurch die Auswirkungen auf die eigentlichen Produktionsprozesse verhältnismäßig gering bleiben. Bild 4 zeigt dies exemplarisch anhand der Abrufhäufigkeiten von Sekundärregelleistung (SRL) und Minutenreserveleistung (MRL) im deutschen Regelenergiemarkt im Jahr 2010. Regelleistungsabruf in MW 4.500 3.500 2.500 1.500 500 1 2.921 5.841 8.761 11.681 14.601 17.521 20.441 23.361 26.281 29.201 32.121-500 [Viertelstunden] -1.500-2.500-3.500-4.500 Bedarf positive Regelleistung ca. +4.500 MW* rd. +2.100 MW werden weniger als 52 h/a abgerufen * Dezember 2010 Bedarf negative Regelleistung ca. -4.300 MW* rd. -1.550 MW werden weniger als 52 h/a abgerufen Bild 4 Abrufhäufigkeit von SRL und MRL durch die Übertragungsnetzbetreiber in 2010 [4] Von der insgesamt vorgehaltenen positiven SRL und MRL (4.500 MW) wurden knapp 2.100 MW in weniger als 52 Stunden auch tatsächlich benötigt, d. h. Verbraucher müssten für weniger als eine Stunde in der Woche ihre Nachfrage reduzieren, um damit fast 50 % der Regelleistung vorhalten zu können. Umgekehrt wurde vom Gesamtbedarf an negativer SRL und MRL (4.300 MW) rd. ein Drittel in weniger als 52 Stunden auch tatsächlich in Anspruch genommen, d. h. Verbraucher müssten ihre Nachfrage für weniger als eine Stunde in der Woche erhöhen, um damit 1.550 MW der negativen Regelleistung vorhalten zu können. Auf Grund der anspruchsvollen Präqualifikationsbedingungen für eine Teilnahme am deutschen Regelleistungsmarkt erfordert insbesondere die Teilnahme von schaltbaren Verbrauchern, die erst durch eine Poolung einzelner industrieller und gewerblicher Lasten die vorgeschriebenen Mindestlosgrößen erreichen können, eine intensive Vorbereitung und Abstimmung der (neuen) Schnittstellen zwischen den an der DR-Umsetzung betroffenen Marktteilnehmern. Eine besondere Herausforderung stellte dabei bspw. die Ermittlung der sog. Baseline, also dem hypothetischen Lastverlauf ohne Schaltmaßnahme, dar, da sich diese vor allem bei Lastverläufen mit hoher stochastischer Fluktuation nur statistisch eingrenzen und nicht exakt bestimmen lässt. Auf Grundlage einer statistischen Analyse und Auswertung von gemessenen Lastgängen unterschiedlicher Verbraucher wurde daher von Entelios eine Methode zur Berechnung der Baseline entwickelt, die im Rahmen des Pilotprojekts evaluiert und mit den Übertragungsnetzbetreibern abgestimmt wird. Da gerade der Aufbau des schaltbaren Kapazitätspools einen kritischen Prozess darstellt, werden im Pilotprojekt der Entelios AG und Stadtwerke München die steuerbaren Lasten in einem ersten Schritt in den bestehenden Regelleistungspool der Stadtwerke München eingebracht. Der Einsatz erfolgt damit im Zusammenspiel mit den im Regelleistungsmarkt aktiven Erzeugungseinheiten der Stadtwerke München. Nach erfolgreichen technischen Tests für den deutschen Minutenreservemarkt im Oktober 2011 erfolgte 2012 die Präqualifikation und damit die aktive Vermarktung von DR im Minutenreservemarkt. Auf Grund der deutlich attraktiveren Erlössituation ist für das Jahr 2013 auch der Start der Vermarktung schaltbarer Lasten als Sekundärregelleistung geplant. In einem ersten Schritt sollen hierfür vor allem Lasten mit weitgehend konstanter und damit sehr gut prognostizierbarer Nachfrage (z. B. Schmelzöfen in der Metallindustrie) genutzt werden, wodurch die Ermittlung der Baseline für die i. Allg. mehr oder weniger stark schwankenden SRL- Abruf hinreichend genau möglich ist. Im Rahmen eines weiteren Pilotprojekts sollen dabei einerseits steuerbare Lasten innerhalb des SRL-Pools der Stadtwerke München vermarktet werden. Andererseits soll die Möglichkeit einer kombinierten SRL-Erbringung aus schaltbaren Lasten und einer Gasturbine erprobt werden, um damit aus den Eigenschaften der beiden Flexibilitätsoptionen (DR: sehr kurze Aktivierungs- und Reaktionszeiten aber z. T. eingeschränkte Abrufdauer; Gasturbine: im Vergleich zu DR lange Anfahrzeit aber Möglichkeit zu langen Abrufdauern) ein als SRL vermarktungsfähiges Produkt entwickeln zu können. 6 Erste Erfahrungen und Handlungsempfehlungen Die größten Herausforderungen für die Einführung von Demand Response in den deutschen Regelleistungsmarkt

stellen bisher weniger produktions- und informationstechnische Anforderungen der Lasten bzw. Poolung durch den DR-Aggregator bzw. Service Provider, sondern vor allem die fehlende eindeutige Definition der Marktrolle eines DR-Aggregators sowie zeitintensive Diskussion mit den Lieferanten und Bilanzkreisverantwortlichen (BKV) der am DR-Programm teilnehmenden Stromverbraucher dar. Insbesondere fehlen bisher gesetzliche Verpflichtungen für BKV und Lieferanten, ihren Stromkunden die aktive Teilnahme an DR-Programmen zu ermöglichen. Zum Teil lässt sich auch eine grundsätzliche Ablehnung gegenüber einer externen Steuerung der eigenen Stromkunden feststellen, da eine negative Beeinflussung der eigenen Bilanzkreisbewirtschaftung befürchtet wird. Insbesondere ist daher für eine erfolgreiche Etablierung von DR als flexible Leistungsreserve im deutschen und europäischen Strommarkt die eindeutige Definition der Marktrolle von DR-Anbietern sowie eine Standardisierung der mit einer DR-Umsetzung verbundenen Prozesse und Verträge erforderlich. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung sollte sich dabei aus der Umsetzung der 2013 in Kraft tretenden neuen EU Energieeffizienzrichtlinie ergeben [5]. So müssen die Mitgliedsstaaten Barrieren in den Netzentgelten beseitigen, die eine Teilnahme an Demand Response Programmen verhindern könnten (Artikel 12 Abs. 4) bspw. müssen die Netztarife Kosteneinsparungen widerspiegeln, die durch eine Laststeuerung erzielt werden (Anhang 11). Im Weiteren haben sich die nationalen Regulierungsbehörden dafür einzusetzen, dass nachfrageseitige Ressourcen Zugang zu den Groß- und Einzelhandelsmärkten bekommen sowie der Zugang zu Systemdienstleistungsmärkten gewährleistet wird (Artikel 12 Abs. 7a und 7b). Spannend bleibt in diesem Zusammenhang, ob und wie die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Richtlinie in Deutschland zur nachhaltigen Etablierung eines DR-Markts beitragen wird können. Aus Sicht eines DR Service Providers sowie eines an der Vermarktung von DR-Ressourcen bereits aktiv beteiligten Stadtwerks sollten innerhalb des Prozesses zur Umsetzung der DR-relevanten Inhalte der Energieeffizienzrichtlinie jedoch zumindest die nachfolgenden Punkte berücksichtigt werden: Das Pilotprojekt der Entelios AG und der Stadtwerke München haben dabei gezeigt, dass ein intelligentes Lastmanagement bereits heute einen Beitrag zur Systemstabilität leisten kann. Ziel der deutschen Energiepolitik sollte daher eine zeitnahe und vor allem die spezifischen Anforderungen von Demand Response berücksichtigende Implementierung der EU Energieeffizienzrichtlinie sein, damit über diesen Piloten hinaus die Verbraucher zukünftig eine aktivere Rolle bei der Umsetzung der Energiewende spielen können. 7 Literatur [1] Von Roon, S.; Gobmaier, T.: Konzepte zur Lastreaktion in der deutschen Industrie. Brennstoff-Wärme- Kraft (2011) H. 3/4 [2] Federal Energy Regulatory Commission: Assessment of Demand Response and Advanced Metering, Washington, 2011 [3] Klobasa, M.: Dynamische Simulation eines Lastmanagements und Integration von Windenergie in ein Elektrizitätsnetz, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, 2009 [4] Neubarth, J.: Integration erneuerbarer Energien in das Stromversorgungssystem. Energie für Deutschland 2011, Weltenergierat-Deutschland, Berlin [5] Rat der Europäischen Union: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Energieeffizienz und zur Aufhebung der Richtlinien 2004/8/EG und 2006/32/EG Konsolidierte Fassung vom 26. Juni 2012 Frühzeitiger Einbeziehung der betroffenen Marktakteure und Interessensgruppen Entwicklung von transparenten und offenen Märkten für die Integration von DR in das energiewirtschaftliche Gesamtsystem Einfaches DR-Marktdesign zur Förderung der Teilnahme einer möglichst großen Zahl an Verbrauchern Berücksichtigung der von Erzeugungsanlagen abweichenden Charakteristiken von DR Ressourcen Standardisierte Prozesse und Verträge sowie Datenformate Keine Sonderregelungen für einzelne Verbrauchergruppen