SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde Bruch - Joachim - Sarasate Drei Männer und ihre Violinwerke (2) Mit Christian Schruff Sendung: 05. September 2017 Redaktion: Martin Roth Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
SWR2 Musikstunde mit Christian Schruff 04. September - 08. September 2017 Bruch - Joachim - Sarasate - Drei Männer und ihre Violinwerke (2) Signet Willkommen zu Folge 2 von Bruch - Joachim Sarasate. Drei Männer und ihre Violinwerke. Ich bin Christian Schruff & heute geht s u.a. darum, wie der Geiger Joseph Joachim die Welt der Violinkonzerte verändert hat. Titelmusik Von Max Bruch hört man immer nur das g-moll-konzert, sein erstes, das erst in der zweiten Fassung so erfolgreich geworden ist, auch dank der Änderungsvorschläge des Geigers Joseph Joachim. Bruch hat aber noch zwei Violinkonzerte hinterlassen und die Schottische Fantasie, die eigentlich auch ein Konzert ist. Pablo de Sarasate und Joachim haben in all diesen Werken Bruchs ihre Spuren hinterlassen. Sarasate selbst hat keine Violinkonzerte geschrieben, sie wurden ihm von anderen auf den Leib geschneidert. Und Joseph Joachim hat nicht nur drei eigene Konzerte für Sologeige komponiert, ihm haben Brahms und Bruch Konzerte gewidmet. Und Joachim war der erste Geiger, der solche Konzerte auch als Kompositionen ernst genommen hat, der sie nicht nur als Vorlagen hernahm, um seine Kunststücke vorzuführen. Doch auch der ernsthafte Interpret Joachim schätzte das volkstümlich Unterhaltsame! Er, der gebürtige Ungar, hat seinen Freund Brahms zu Ungarischen Tänzen angeregt und diese auch für Sologeige bearbeitet. Musik 1 CD Track 9 2:05 Johannes Brahms / Joseph Joachim (Orch.: Marc-Olivier Dupin) Ungarischer Tanz Nr. 5 g-moll Daniel Hope, Violine Royal Stockholm Philharmonic Orchestra Sakari Oramo DG, 00289 477 9301, LC00173 2
Joseph Joachim war der führende Geiger seiner Zeit, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er war nicht nur der Brahms-Freund, als der er heute den meisten vertraut ist. Joseph Joachim hegte zu vielen Komponisten freundschaftliche Beziehungen. Joachim gründete Streichquartette und Konzertreihen für Kammermusik. Er verhalf der Kammermusik überhaupt erst zu öffentlichem Gewicht! Als Geigenvirtuose prägte Joachim den Kanon von großen Violinkonzerten erstmals aus. Er hatte noch als Jugendlicher unter Mendelssohns Leitung das Beethoven-Konzert wiederbelebt. Er war der erste, der auch wieder die Mozart-Konzerte spielte. Damit war Joseph Joachim ein Geiger ganz neuen Typs. Die meisten älteren Virtuosen, allen voran Niccolo Paganini, spielten eigene Werke, die nur einen Sinn hatten: Ihre Artistik mit maximalem Effekt über die Rampe zu bringen. Joachim aber war der erste Interpret unter den Geigern. Dazu passt auch, dass er schon recht früh in seiner Karriere beschlossen hat, selbst nicht mehr zu komponieren. Doch heute wollen wir in dieser SWR2 Musikstunde das bekannteste Violinkonzert von Joseph Joachim kennen lernen, das Konzert in ungarischer Weise. Und wir wollen auch Joachim selbst hören! Hier ist zunächst eine Aufnahme aus dem Jahr 1903. Joachim hat hier seine Version des 2. Ungarischen Tanzes von Brahms eingespielt seine Fassung für Sologeige und Klavier. Musik 2 CD I, Track 5 3:04 Johannes Brahms / Joseph Joachim Ungarischer Tanz Nr. 2 d-moll Joseph Joachim, Violine NN, Klavier TESTAMENT, SBT2 1323, Joseph Joachim war über 70 Jahre alt, als er diesen Ungarischen Tanz in den Aufnahmetrichter gespielt hat. Über seinen Ton kann man nur bedingt urteilen. Aber die rhythmische Energie und seine Präzision sind deutlich zu hören. Auf jeden Fall ist diese Aufnahme vom alten Joachim ein authentisches Dokument der Art und Weise, 3
wie Joachim diese Tänze auch mit Johannes Brahms gemeinsam gespielt haben dürfte. 1903, als diese und andere Aufnahmen entstanden, war Joseph Joachim die Autorität in Sachen Violine in Deutschland. Über 30 Jahre vorher hatte ihm Preußenkönig Wilhelm die Gründung einer Schule für Instrumentalmusik aufgetragen. 1872 wurde daraus die Königliche Hochschule für Musik in Berlin. Joseph Joachim war ihr Gründungsdirektor. Max Bruch kam später als Professor für Tonsatz. Heute ist das die Universität der Künste in Berlin. Überhaupt: Es waren dies die Gründerjahre. Preußen wurde zur führenden Macht in Deutschland, das Deutsche Reich wurde geeint, Joseph Joachim war gewissermaßen der oberste Musiklehrer im neuen Staat. Er war damals Anfang vierzig und behielt dieses Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1907 inne. Über 300 Geiger haben im Laufe von fast vier Jahrzehnten bei Joachim studiert. Seine Lehrtätigkeit hatte Joachim übrigens schon als Jugendlicher aufgenommen! Mit 16 wurde er Lehrer am Leipziger Konservatorium. Vier Jahre zuvor, Joachim war gerade zwölf Jahre alt, hatte Felix Mendelssohn Bartholdy es noch abgelehnt, dort den Jungen als Schüler zuzulassen. Musikalisch war dem Wunderkind nichts mehr beizubringen... Ab und zu spielte der kleine Joseph dem Konzertmeister des Gewandhausorchesters vor. Das war der Geiger Ferdinand David. Dem hatte Mendelssohn sein Violinkonzert gewidmet. Joachim spielte dieses Konzert mit 15 Jahren unter Leitung von Robert Schumann im Leipziger Gewandhaus. Seinen ersten Auftritt im Gewandhaus hatte Joachim schon, als er ganz frisch in Leipzig angekommen war. Mit 12 Jahren spielte er dort die Otello-Fantasie des Geigenvirtuosen Heinrich Wilhelm Ernst. Musik 3 CD Track 1 ab 5:53 frei 5:50 Heinrich Wilhelm Ernst Otello-Fantasie (nach Rossini) Ingolf Turban, Violine Giovanni Bria, Klavier CLAVES, 50-9613, EAN7619931961323, LC03369 4
Musik von Heinrich Wilhelm Ernst war das, einem deutschen Geiger, der sich aufgemacht hatte, ein zweiter Paganini zu werden. Ein Ehrentitel, den man auch Joseph Joachim und Pablo de Sarasate angeheftet hat, der aber letztlich irreführend ist, denn weder Sarasate noch Joachim setzten fort, was Paganini gemacht hatte. Paganini hatte sein Publikum bis zu Extase gebracht. Ähnlich dem Tastenlöwen Franz Liszt stand er für den Virtuosenzirkus jener Jahre. Joseph Joachim lag dieser Zirkus fern, auch wenn er als Wunderkind durchaus in diese Richtung hätte gehen können. Sicher auch durch Mendelssohns Einfluss hat Joachim aber ganz andere Schwerpunkte und Interessen entwickelt. Er holte Mozarts Violinkonzerte wieder zurück ins Konzertleben. Er spielte Musik von Johann Sebastian Bach. Für uns heute ganz selbstverständlich, Mitte des 19. Jahrhunderts aber eigentlich künstlerischer Selbstmord, denn kaum jemand wollte diese alten Schätzchen hören. In seinem Buch Grosse Geiger unserer Zeit formulierte Joachim W. Hartnack treffend: "Wer Mozart spielte, musste mit einem leeren Saal rechnen, wer Bach aufführte war ein Narr." Die üblichen Programme der großen und auch der weniger großen Geiger waren damals bunt zusammengewürfelt. Sie waren eigentlich Unterhaltungsshows. Es wurde getrunken und gegessen wurde und das Publikum wartete nur auf immer kühnere Drahtseil-Akte. Es war Joseph Joachim, der einen neuen Typus des Solo-Violinabends einführte mit Platz für Bach, Mozart und Beethoven, kurz für ernsthafte Musik. Im Falle Bach war die Aufführung der Sonaten und Partiten für Violine Solo fast so etwas wie musikalische Archäologie. Zum Teil komponierte man Klavierbegleitungen neu dazu, weil man es für undenkbar hielt, dass diese Musik für eine Geige allein gemeint gewesen sein könnte. Doch Joachim nahm den Notentext von Bach ernst und versuchte ihn notengetreu umzusetzen. Damals natürlich noch ohne jeden Ansatz einer historischen Aufführungspraxis. 5
Musik 4 CD I, Track 2 1:52 Johann Sebastian Bach Partita Nr. 1 für Violine solo BWV 1002 4. Bouree Joseph Joachim, Violine TESTAMENT, SBT2 1323, AD: 1903 1890 spielte Joachim Bachs 3. Solo-Sonate in London. George Bernhard Shaw hat über das Konzert eine seine pointierten Kritiken geschrieben, an der zweierlei deutlich wird: Die befremdliche Wirkung der Musik und der große Rang des Geigers Joseph Joachim. Der zweite Satz dieses Werkes ist eine... lange Fuge. Man kann natürlich eine durchlaufend dreistimmige Fuge nicht auf der Geige spielen; nimmt man aber Doppelgriffe zu Hilfe und springt man von einer Stimme zur anderen, dann kann man das häßliche Gespenst einer Fuge heraufbeschwören, die man für echt nimmt, wenn Bach und Joachim dafür garantieren. Joachim schabte wild drauflos und erzeugte dabei ein Geräusch, neben dem der Versuch, eine Nuss auf der Schuhsohle zu zerreiben, sich wie der Klang einer Äolsharfe ausgenommen hätte.... Es war schrecklich! Aber Shaw fährt fort: Wir klatschen, und er verneigte sich in unbeirrbarer Feierlichkeit. Die würdige künstlerische Laufbahn von Joachim und das gewaltige Ansehen Bachs hatten uns so hypnotisiert, das wir abscheulichen Lärm mit Sphärenklängen verwechselten. Wenn Shaw von der würdigen künstlerischen Laufbahn des Geigers Joachim spricht, gehört dazu auch sein Wirken als Dirigent da wird Joachim oft mit Hans von Bülow auf eine Stufe gestellt. Zum anderen gehören dazu Joachims eigene Kompositionen. 56 Werke hat er geschrieben: Orchesterwerke, Kammermusik und drei Violinkonzerte. Das erste in g- Moll schrieb Joachim, als er in Weimar tätig war als Konzertmeister der Hofkapelle, 6
deren Chef damals Franz Liszt gewesen ist. Gestern konnten Sie einen Ausschnitt daraus hören in der SWR2 Musikstunde. Sechs Jahre später, 1857 komponierte Joseph Joachim sein großes d-moll-konzert in ungarischer Weise. Zu der Zeit war er Konzertmeister der Hofkapelle in Hannover. Als Solist spielte Joachim vor allem deutsche und italienische Werke. In diesem Konzert setzte er der Zigeunermusik in seiner Heimat Ungarn ein konzertantes Denkmal. Hier ein Ausschnitt aus dem ausladenden 1. Satz. Der dauert mit über 25 Minuten länger als der zweite und dritte Satz zusammen! Musik 5 CD I, Track 1 Anfang bis 6:57 (ausblenden) Joseph Joachim Violinkonzert d-moll op. 11 in ungarischer Weise 1. Allegro un poco maestoso Rachel Barton Pine, Violine Chicago Symphony Orchestra Carlos Kalmar CEDILLE RECORDS, 90000 068, EAN735131906821, LC Dieses Violinkonzert fordert die Solistin / den Solisten. Aber das geigerische Feuerwerk ist nie Selbstzweck, keine Show. Das Orchester ist ein gewichtiger Partner des Solisten, einzelne Solostimmen aus dem Orchester spielen im Wechsel mit der Sologeige. Gleich im 2. Satz, einem zutiefst melancholischen Klagegesang, tritt das Cello hervor mit einem Czardas. Da hören wir melodische Formulierungen, die uns bekannt vorkommen aus den Ungarischen Tänzen von Brahms. Wie bei Brahms sind es aber keine echten Volksweisen, sondern es ist Musik im ungarischen Stil, all ongarese. So nannte man damals die Musik der Zigeunerkapellen. - Hören Sie den 2. Satz aus Joachims Violinkonzert in ungarischer Weise jetzt mit dem Geiger Christian Tetzlaff. 7
Musik 6 CD Track 5 7:33 Joseph Joachim Violinkonzert d-moll op. 11 in ungarischer Weise 2. Romanze: Andante Christian Tetzlaff, Violine Dänisches Nationales Symphonie Orchester Thomas Dausgaard VIRGIN, 50999 502109 2 3, LC07873 Das Finale von Joachims ungarischen Konzert ist noch einmal ein Kraftakt für die Solo-Geige. Es kommt einem vor, als habe Joachim sich hier selbst die Aufgabe gestellt, alleine eine ganze Zigeunerkapelle darzustellen. Großes rhythmisches Feuer bestimmt dieses Rondo, Solovioline und Orchester spielen sich die Melodien zu und alle Wendungen sind in die besondere Harmonie des sogenannten Zigeuner -Molls getaucht. Wenn manche Stellen im Orchester für Sie wie Brahms klingen, dann hat nicht Joachim Brahms kopiert, sondern dann wird hier schon hörbar, wie viel Einfluss der Geiger mit seiner Erfahrung auf den jüngeren Brahms hatte... Musik 7 CD Track 6 10:38 Joseph Joachim Violinkonzert d-moll op. 11 in ungarischer Weise 3. Finale alla Zingara: Allegro con spirito Christian Tetzlaff, Violine Dänisches Nationales Symphonie Orchester Thomas Dausgaard VIRGIN, 50999 502109 2 3, LC07873 Komponiert hat Joachim dieses Konzert 1857. Im selben Jahr hat er auch die Solo- Kadenz zum Beethoven-Konzert geschrieben. Während Joachims Violinkonzerte heute keine Rolle spielen im Konzertrepertoire, werden seine großen Kadenzen für die Konzerte von Beethoven und Brahms, aber auch die für die Mozartkonzerte häufig gespielt. 8
Aber Joachim hatte auch großen Einfluss auf die Violinkonzerte anderer Komponisten. Im Juni 1866 bekam er Post aus Köln von Max Bruch. Der junge und auf dem Gebiet des Konzerts noch unerfahrene Komponist schickte die Partitur seines g-moll-konzerts. Es war die zweite Fassung. Die erste war kurz vorher bei der Uraufführung in Koblenz durchgefallen. Bruch war mit der Geige nicht besonders vertraut, hatte nur Anfängerkenntnisse. Er schrieb Joachim, dass er sich auf dem Terrain nicht sicher fühlte. Darum schickte er die Solostimme an den führenden Geiger seiner Zeit. Damit Joachim Vorschläge hineinschreiben konnte, hatte Bruch jede zweite Notenzeile frei gelassen. Doch das war Joachim offenbar noch zu wenig. Er antwortete Bruch: lassen Sie mir... eine Principal-Stimme schreiben, damit ich das Concert... mir recht zu eigen machen kann. Die neue Version ist ein Erfolg geworden, so oft gespielt, dass Bruch sein 1. Violinkonzert später als Allerweltskonzert verflucht hat. Hier zum Schluss das ungarisch angehauchte Finale, von Bruch mit Joachims Hilfe vollendet und neu eingespielt von der Geigerin Antje Weithaas. Musik 8 CD Track 3 (PUFFER 7:24) Max Bruch Violinkonzert Nr. 1 g-moll op. 26 3. Finale. Allegro energico Antje Weithaas, Violine NDR Radiophilharmonie Hermann Bäumer CPO, 777 846-2, EAN 761203784622, LC08492 Das war die SWR2 Musikstunde mit Christian Schruff: Bruch - Joachim - Sarasate Drei Männer und ihre Violinwerke Folge 2 Morgen mehr von Bruch, auch für Sarasate. Bis dahin Ihnen einen schönen Tag. 9