Andreas Knuf Gesundung ist möglich! Borderline-Betroffene berichten 1
16 nur einfache Dinge sind, zum Beispiel Fotos in ein Album einzukleben oder zu putzen. Jede Krise, die ich gemeistert habe, baute mich auf und machte mich selbstsicherer. Dennoch gibt es Momente, in denen es besonders schwierig ist, allein zu sein. Nach Niederlagen, Rückschlägen oder anderen unerfreulichen Ereignissen brauche ich den Schutz, die Liebe und die Geborgenheit meiner Freundin noch stärker. Im Großen und Ganzen ist mein Leben aber nicht mehr auf meine Partnerin fokussiert oder von ihr abhängig. Ich weiß, dass ich heute stark genug bin, es auch allein zu schaffen. Ich bin erwachsen geworden. Aber: Ich möchte nicht allein sein. Ein erfülltes Leben kann in meiner Vorstellung nur in einer Beziehung mit einem nahen, vertrauten und geliebten Menschen möglich sein. Und genau diese Beziehung hat mich neben der Therapie stark gemacht. Ich lernte zu vertrauen und zu verzichten. Ich muss nicht mehr dominieren, nicht mehr alles jetzt, sofort und gleich haben. Es gibt keine Machtkämpfe mehr. Kritik werte ich meistens nicht mehr als einen Angriff, nicht mehr als eine Abwertung meiner Person. Ich habe Stolz und Selbstvertrauen entwickelt. Früher war es mir egal, wenn ich mich mit sinnlosen Stalker-Aktionen»zum Affen«machte. Heute könnte ich mir nicht mehr vorstellen, mich je wieder so zu verlieren, denn außer noch mehr Schmerz brachten diese Handlungen gar nichts. Die Gespräche mit anderen Betroffenen haben mir geholfen, manchmal auch das Schreiben in diversen Internetforen, was ich jedoch bald wieder aufgegeben habe, da es mich im Endeffekt stark hinunterzog und ich kaum positive Erfahrungen las. Die
Leute, die es geschafft hatten, berichteten nicht davon. Im Unterschied zu früher finden heute meine sozialen Kontakte in der realen und nicht mehr in der virtuellen Welt statt. Dennoch habe ich über das Internet drei sehr gute Freunde gefunden, mit denen ich seit zwei Jahren den GRENZPOSTen (eine Borderline-Selbsthilfezeitung) herausgebe. Diese Arbeit befriedigt mich, bringt Spaß, macht mich stolz und trägt vielleicht dazu bei, dass auch andere Betroffene einen Weg zur Genesung finden. Ich lasse mir mein Leben nicht mehr von der Krankheit kaputtmachen. Dank meiner Freundin, meiner Therapeutin und meinem Schutzengel habe ich begonnen, wieder die schönen Dinge des Lebens zu sehen. Ich gebe mir selbst endlich die Chance, stärker zu werden. Jeden Tag steigen mein Wille und mein Selbstvertrauen. Es braucht Übung, Übung, Übung, um das in der Therapie Gelernte auch täglich anzuwenden. Doch ich gebe nicht auf, das steht fest. Niemals. Nun bin ich seit fast einem Jahr symptomfrei. Ende dieses Semesters werde ich mein Studium abschließen. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Thomas 17
Aus Menschen wurden Freundinnen Kriterium: Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, gekennzeichnet durch den Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung Früher 18 Zwischenmenschliche Beziehungen waren für mich eigentlich immer ein Rätsel. Ich hatte keine Ahnung, wie das praktisch ablaufen soll, und habe deshalb stets nach einer Gebrauchsanweisung gesucht. Es fällt mir schon sehr schwer, die Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, überhaupt in Erinnerung zu rufen und zu benennen. Die Bezeichnung»Freunde«bzw.»Freundinnen«passt meiner Meinung nach gar nicht zu meinen frühen Kontakten, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nie wirklich emotionale Beziehungen oder Bindungen hatte. Ich war immer viel zu sehr damit beschäftigt, andere genau zu beobachten, ihr Verhalten zu studieren und dieses dann zu übernehmen. Dass es in Beziehungen auch um Gefühle geht, davon hatte ich keine Ahnung. Ich wusste gar nicht, welche Gefühle das sein sollten, und erst recht nicht, was diese dann bedeuten könnten. Alles, was ich sah, waren perfekte und fehlerlose Menschen, an denen ich mich orientieren musste, weil sie offensichtlich das Rezept für richtiges Verhalten gefunden hatten. Obwohl ich mit einigen Menschen viel Zeit verbracht habe, war das immer so ein Gefühl wie bei einem Hochseilakt. Ich hatte immer wieder den Eindruck, dass ich jederzeit abstürzen könnte
und dann total aufgeschmissen sein würde. Dieses Abstürzen konnte durch die geringste Kleinigkeit geschehen aus heiterem Himmel und das machte mir immer furchtbare Angst. Das Ganze war eine sehr anstrengende und unsichere Angelegenheit. Ich war immer nur mit selbstkritischem Denken beschäftigt. Doch auch wenn ich noch so sehr versuchte, so zu sein wie andere, um den Kontakt zu erhalten, ging immer irgendetwas schief. Da ich mich so sehr auf den anderen konzentrierte und praktisch am anderen klebte, gingen Beziehungen nach kürzester Zeit auseinander. Dabei kam es leider immer wieder dazu, dass ich mich brutal verraten fühlte. Außerdem war mein ganzes Konzept verloren und ich kam mir vor wie im luftleeren Raum bis die nächste Person auftauchte und das Ganze von Neuem losging. Dabei glaube ich, dass ich gar nicht erkannte, was ich an dem Menschen verloren hatte. Wahrscheinlich war mir das sogar egal, weil Gefühle ja sowieso keine Rolle spielten welche auch? Nur eines war klar: Diese Menschen waren für mich von einem Moment auf den anderen bedeutungslos. 19 Heute Heute sind mir zwischenmenschliche Beziehungen zwar immer noch ein Rätsel, aber ich glaube, ich komme der Lösung Tag für Tag ein Stückchen näher. Ich hab mir in den letzten Jahren sehr viel anhören müssen, wie ich auf andere wirke und was mein Verhalten mit anderen macht ob ich es hören wollte oder nicht. Natürlich waren mehrere Dinge ausschlaggebend dafür, dass ich überhaupt zuhörte, aber ich glaube, das wichtigste war, dass ich
20 auf professionelle Helfer traf, bei denen ich den Eindruck hatte, verstanden zu werden. Ich wollte mit meinem Verhalten nie jemanden verletzen, zurückstoßen, verwirren oder ihm gar Angst machen, doch genau das tat ich offenbar und bekam das dann auch von allen Seiten zu hören. Das war natürlich nicht einfach, doch nachdem ich mich erst einmal entschlossen hatte, andere Menschen wirklich wahrnehmen zu wollen, vereinfachte sich allmählich vieles. Natürlich änderte sich nichts von heute auf morgen und natürlich war ich immer wieder ganz schön trotzig und fühlte mich auch missverstanden. Trotzdem merkte ich, dass etwas Grundlegendes langsam immer weiter wuchs andere Menschen wurden mir wirklich wichtig. Ich versuchte nicht mehr, in irgendein Marionettenspiel reinzupassen, sondern suchte mich selbst und meine Gefühle. Meine eigene Unsicherheit und Angst vor dem Alleinsein, aber auch vor dem Nähezulassen kosteten viel Mut und Kraft. Aber ich glaube, nur so wurde ich überhaupt bereit, darüber nachzudenken, was ich gesagt bekam. Nicht immer kann ich heute gleich ein neues Verhalten einsetzen, wenn es sich andere wünschen, aber zumindest kann ich darüber nachdenken und versuchen, mich in andere hineinzuversetzen. Mittlerweile kann ich auch bei anderen Menschen erkennen, dass sie keineswegs perfekt und frei von Fehlern sind. Dabei ist mir jedoch das Wichtigste, dass ich nicht mehr versuche, andere zu kopieren, nur um ihnen nah zu sein. Bei einzelnen Menschen gelingt es mir sogar schon, ihnen zu sagen, dass sie mir wichtig sind. Und das Schöne dabei ist, dass ich wirklich genau das dann innerlich auch empfinde. Manchmal schaffe ich es, unserer Beziehung zu trauen, auch wenn mein Gegenüber mal keine Zeit