Die biologische Stickstoff-Fixierung: Dem Geheimnis eines lebensnotwendigen Prozesses auf der Spur

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Transkript:

Die biologische Stickstoff-Fixierung: Dem Geheimnis eines lebensnotwendigen Prozesses auf der Spur Der faszinierende Aufbau des Enzyms Nitrogenase Klaus Schneider Achim Müller Fakultät für Chemie Abb. 1: Eine mit Stickstoff-Gas gewachsene Flüssigkultur des Bakteriums Rhodobacter capsulatus. Dieses Bakterium ist aufgrund seines hohen Gehalts an Lichtschutzpigmenten rotbraun gefärbt und bildet um die Zelle eine schleimige Kapsel. Es gehört zu den anaeroben, photosynthetisch aktiven Mikroorganismen. Das Photo zeigt eine 500 ml-kultur nach 20stündigem Wachstum in einem Nährmedium, das Mineralien und Milchsäure (als Kohlenstoffquelle) enthält. Als Stickstoffquelle wurde dem Medium N 2 -Gas zugeführt, das von den Bakterienzellen in Ammoniak umgewandelt werden kann. Der Organismus wächst optimal, wenn er von Glühbirnen bestrahlt wird. Die Stickstoff-Fixierung wird begleitet von einer starken Produktion an gasförmigem Wasserstoff (H 2 ), zu erkennen an den Gasblasen an der Kulturoberfläche. Alle Pflanzen brauchen für ihre Ernährung Verbindungen des Stickstoffs. Dieser ist zwar in der Luft als zweiatomiges Molekül (N 2 ) reichlich vorhanden, kann aber von den Pflanzen in dieser Form nicht verwertet werden. Böden können deshalb z.b. bei intensiver landwirtschaftlicher Nutzung an Stickstoff verarmen. Die Landwirtschaft kennt von Alters her die natürliche Gründüngung : In Südostasien wurden dazu schon vor 2000 Jahren Reisfelder mit Wasserfarnen bepflanzt; bei uns werden auf ausgelaugten Feldern zeitweise Ackerbohnen angebaut ( Fruchtwechsel ). Danach sind die Böden erheblich fruchtbarer als vorher; sie enthalten mehr Stickstoff in gebundener Form. Vor etwa 100 Jahren wurde entdeckt, worauf diese Düngung beruht: Bakterien, die in Symbiose mit den Pflanzen leben, sind dazu in der Lage, den gasförmigen Luftstickstoff zu binden ( Stickstoff- Fixierung ) und den Pflanzenzellen in Form von Ammoniak (NH 3 ) für deren Stoffwechsel zur Verfügung zu stellen. Die Stickstoff-Fixierung hat für das Leben auf der Erde eine ähnlich große Bedeutung wie die Photosynthese. Für die Stickstoff-Fixierung ist ein bestimmtes Enzym bzw. Enzymsystem, die Nitrogenase, verantwortlich. Kein anderes an Stoffwechselreaktionen beteiligtes Protein hat wohl je so viele Wissenschaftler aus verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen, nämlich Biologen, Biophysiker, Genetiker und Chemiker, beschäftigt. In Bielefeld hat sich am Lehrstuhl für Anorganische Chemie I eine Arbeitsgruppe Bioanorganische Chemie etabliert, in der zentrale Themen der Nitrogenase-Forschung bearbeitet werden. Im Mittelpunkt stehen Untersuchungen zum Verständnis der Funktion der anorganischen Komponenten in diesem Enzymsystem, die eine faszinierende Struktur aufweisen. 43

Stickstoff-Fixierung in der Natur und in der chemischen Industrie Die folgenden Zitate umreißen schlaglichtartig die Herausforderung, die Chemiker schon vor über 100 Jahren in der Stickstoff-Fixierung gesehen haben, und auch die Aufmerksamkeit, mit der vor 25 Jahren Fortschritte allerdings auch scheinbare auf diesem Arbeitsgebiet von der Presseöffentlichkeit verfolgt, diskutiert und prognostiziert wurden: England und alle zivilisierten Nationen stehen vor der tödlichen Gefahr, nicht genug zu essen zu haben [... ] Die Fixierung des Stickstoffs aus der Luft ist eine der großen Entdeckungen, die auf den Einfallsreichtum der Chemiker warten. (Sir William Crookes, NATURE, 1898) Fuel-saving way to make fertilizer (Energie-sparender Prozess für die Herstellung von Dünger, TIMES, 1975) Cheaper nitrogen by 1990 (FARMER WEEKLY, 1975) Das enorme und weitgestreute wissenschaftliche Interesse an der biologischen Stickstoff-Fixierung hat viele Gründe: Stickstoff ist ein für irdisches Leben unverzichtbarer chemischer Baustein in Proteinen und DNA- Molekülen, den genetischen Informationsträgern. Obwohl unsere Atmosphäre zu ca. 78% aus Stickstoff (als N 2 -Gas) besteht, kann dieser Luftstickstoff von Pflanzen nicht direkt genutzt werden. Dies liegt daran, daß der Stickstoff von Pflanzen nur in gebundener Form als Nitrat (NO 3 - ) oder Ammoniak (NH 3 ) verwertet werden kann. Den Pflanzen fehlt ein Reaktionssystem, das in der Lage wäre, das zwar einfache, aber sehr stabile N 2 -Molekül zur Reaktion zu bringen, d.h. in eine andere Verbindung umzuwandeln und den Zellen auf diese Weise zugänglich zu machen. Es gibt aber Bakterien, die genau dies können. Sie sind in der Lage, mit Hilfe ihres Biokatalysators, dem Nitrogenase-Enzym, den Lufstickstoff in das für alle Lebewesen verwertbare Ammo- Abb. 2: Der natürliche Stickstoff-Kreislauf. Wie alle biologisch relevanten Elemente durchläuft auch der Stickstoff einen komplexen Kreislauf. Luftstickstoff wird von Bakterien zu Ammoniak umgesetzt und durch atmosphärische Prozesse, z.b. Gewitter, oder durch industrielle Prozesse oxidiert. Die jeweiligen Reaktionsprodukte können vom Boden aufgenommen werden und auf diese Weise in den Stoffkreislauf Pflanze-Tier-Mensch-Pflanze gelangen. 44

Abb. 3: Schematische Darstellung des Aufbaus der Molybdän-Nitrogenase. Das gesamte Enzymsystem setzt sich aus zwei miteinander interagierenden Proteinkomponenten (Fe-Protein und MoFe-Protein) und insgesamt sechs Proteinuntereinheiten zusammen (je zwei α-, β- und γ- Untereinheiten). Im Zentrum der Proteinkomponenten befinden sich die in den katalytischen Prozeß involvierten Metall-Schwefel-Aggregate. Die Bindungsstellen für die Energiespeichersubstanz Adenosintriphosphat (ATP) sind schematisch angedeutet. niak umzuwandeln. Der weitaus größte Anteil an gebundenem Stickstoff in Böden wird von diesen N 2 -fixierenden Bakterien geliefert (ca. 200 Millionen Tonnen pro Jahr). Die biologische Stickstoff- Fixierung kann deswegen für die gesamte belebte Natur als eine der bedeutsamsten enzymkatalytischen Lebensprozesse angesehen werden. Abb. 2 veranschaulicht den natürlichen Stickstoff-Kreislauf, der die Bedeutung der biologischen N 2 -Fixierung deutlich macht. Manche Nutzpflanzen gehen mit N 2 -fixierenden Bakterien sogar direkt eine Symbiose ein. Das bekannteste Beispiel ist die Symbiose zwischen Leguminosen (Hülsenfruchtpflanzen wie Erbsen und Bohnen) und Rhizobien ( Knöllchenbakterien ). Die in den Wurzelzellen der Leguminosen angesiedelten Knöllchenbakterien lassen sich von der Pflanze mit Nährstoffen versorgen, sie liefern dafür den Pflanzenzellen den fixierten Stickstoff (vgl. den Bericht zur symbiontischen N 2 -Fixierung, von Mitarbeitern des Bielefelder Lehrstuhls für Genetik in der Ausgabe 19/1999 von Forschung an der Universität Bielefeld ). Da mit Leguminosen bepflanzte Böden besonders fruchtbar sind und ohne Düngung hohe Ernteerträge liefern, hat gerade die symbiontische Stickstoff-Fixierung eine immense Bedeutung für Landwirtschaft und Welternährung. Durch Monokulturen nichtsymbiontischer Pflanzen werden dem Boden wichtige Stickstoff-Verbindungen entzogen, was ein optimales Gedeihen nachfolgender Pflanzengenerationen verhindert. Die so entstehende Stickstoff-Verarmung kann durch künstliche, jedoch auch umweltbelastende Düngung kompensiert werden. Interessanterweise ist industriell produziertes Ammoniak das Basisprodukt zur Düngemittelproduktion, es wird aber auch zur Herstellung anderer wichtiger Produkte, z.b. von Farben, Lacken, Kunststoffen und Sprengstoffen eingesetzt. Die che- mische Industrie benötigt für die Synthese von Ammoniak ( chemische N 2 -Fixierung ) einen sehr aufwendigen, energieverschlingenden Prozeß, das Haber-Bosch-Verfahren (Temperatur: um 500 C; Druck: 200 Atmosphären). Demgegenüber vollzieht sich die biologische N 2 -Fixierung in den Bakterienzellen bei Normaldruck (etwa 1 Atmosphäre) und Raumtemperatur. Der Chemiker registriert dies staunend und fragt sich, warum im Reagenzglas nicht das gelingt, was diese nicht sichtbaren und in ihrer Gesamtheit omnipotenten Winzlinge, die Bakterien, scheinbar spielend schaffen. Anwendungsorientierte Forschung hat und hatte daher vor allem zum Ziel, kostspielige Industrieverfahren durch einen der Natur nachempfundenen Prozeß zu ersetzen. Vor der Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens war in beschränktem Umfang gebundener Stickstoff in Form von Salpeter (Nitrat) vorhanden. Zwischen Peru und Chile wurde 1879 sogar ein Krieg um die natürlichen Salpeter-Lagerstätten ausgefochten ( Salpeter-Krieg ). Der Proteinaufbau der Nitrogenase Die zur N 2 -Fixierung befähigte Nitrogenase ist ein sehr komplex aufgebautes Enzymsystem (schematisch dargestellt in Abb. 3), das sich aus zwei völlig verschiedenen Proteinen zusammensetzt, die auch als zwei individuelle, isolierbare, bei der katalytischen Reaktion jedoch zusammenwirkende Enzymkomponenten angesehen werden können. Bei der am weitesten verbreiteten klassischen Nitrogenase werden diese beiden Proteine als Molybdän-Eisen-Protein (MoFe-Protein) und Eisen-Protein (Fe-Protein) bezeichnet. Diese Namen deuten schon auf die Bedeutung anorganischer Bestandteile, nämlich von Molybdän- und Eisenatomen, in den Nitrogenase- Proteinen hin. 45

Die genaue Struktur des Molybdän-Eisen-Proteins wurde mit Hilfe röntgenstrukturanalytischer Untersuchungen an kristallinen Enzympräparaten aufgeklärt (durch Beugung von Röntgenstrahlen lassen sich die Strukturen von Kristallen bestimmen). Es besteht aus vier Polypeptiden (Protein-Untereinheiten) und hat eine relative Molmasse von ca. 220 000 (dies bedeutet, es ist soviel mal schwerer als ein Wasserstoffatom). Das entspricht der Anwesenheit von mehr als 2 000 Aminosäuren. Der Aufbau der Nitrogenase ist schematisch in Abb. 3, die röntgenanalytisch aufgeklärte Struktur des Molybdän-Eisen-Proteins in Abb. 4 dargestellt. Das Molybdän-Eisen-Protein enthält auffallend viele Metallatome, nämlich 30 Eisen- und 2 Molybdänatome, aber auch 32 Schwefelatome. Diese Atome fügen sich zu vier großen, in das Protein integrierten anorganischen Komponenten zusammen, nämlich den beiden Eisen-Molybdän- Cofaktoren und den beiden reinen Eisen-Schwefel- Aggregaten, den sogenannten P-Clustern. Das Eisen-Protein, die zweite Proteinkomponente der Nitrogenase, ist wesentlich kleiner als das Molybdän-Eisen-Protein und setzt sich aus zwei identischen Protein-Untereinheiten zusammen. Das Eisen-Protein enthält eine Bindungsstelle für die in allen Lebewesen verwendete biochemische Energiespeichersubstanz Adenosintriphosphat (ATP) und enthält ein in der Natur vielseitig zur Elektronenübertragung eingesetztes, vier Eisen- und vier Schwefelatome enthaltendes anorganisches Aggregat. Diese Ausstattung impliziert, daß das Eisen-Protein im Gesamtreaktionsprozeß wichtige Funktionen als Elektronenpumpe und Energiebereitsteller zu erfüllen hat. Metall-Schwefel-Aggregate, geheimnisvolle anorganische Gebilde Bei der Erläuterung unseres Forschungsprojekts werden wir häufig gefragt: Wieso wird Ihre Arbeitsrichtung Bioanorganische Chemie genannt? Was haben Proteine mit Anorganischer Chemie zu tun? Der Bezug zur Anorganischen Chemie beruht im Fall der Nitrogenase darauf, daß sie mit den oben genannten Metall-Schwefel-Aggregaten (vom Chemiker als Cluster bezeichnet) Proteinbestandteile besitzt, die rein anorganischer Natur sind. Die meisten in Lebe- Abb. 4: Struktur des Molybdän-Eisen-Proteins, basierend auf Röntgenstrukturanalysen am kristallinen Enzym. Man sieht die Faltung der Proteinketten und die darin enhaltenen Metall-Schwefel-Aggregate (Kugelgebilde). Die Protein-Untereinheiten sind in verschiedenen Farben dargestellt: die α-untereinheiten rot und violett, die β- Untereinheiten blau und türkis. Der Eisen-Molybdän-Cofaktor ist an der pinkfarbenen Kugel, die das Molybdän- Atom repräsentiert, zu erkennen. Die Eisenatome sind braun, die Schwefelatome gelb dargestellt. 46

wesen vorkommenden Proteine und Enzyme enthalten keine Metallatome. Metallatome sind aber interessanterweise immer dann an enzymatischen Prozessen essentiell beteiligt, wenn es sich um besonders schwierige, lebensnotwendige Reaktionsabläufe (wie Photosynthese, Atmung oder N 2 -Fixierung) handelt, die auf der Umsetzung kleiner, meist anorganischer Moleküle bzw. Ionen (z.b. N 2, H 2, NO 3 -, CH4 ) basieren. Am Molybdän-haltigen Metall-Schwefel-Aggregat der Nitrogenase, dem Eisen-Molybdän-Cofaktor (FeMo-Cofaktor), vollzieht sich die Stickstoff-Fixierung und die Reaktion zum Ammoniak. Dieser Cofaktor, das aktive Zentrum, sozusagen das Herz des N 2 -Fixierungssystems, steht daher im Mittelpunkt des Forschungsinteresses vieler Arbeitsgruppen. Aufgrund der potentiellen anwendungstechnischen Bedeutung wurde an der Aufklärung der Cofaktor-Struktur zwei Jahrzehnte lang intensiv gearbeitet. Da sich der Cofaktor aus dem Protein zwar isolieren, nicht aber kristallisieren ließ (das ist die Voraussetzung für die Strukturermittlung durch Röntgenstrukturanalyse), und da auch die Entwicklung geeignet großer Proteinkristalle lange Zeit nicht gelang, versuchten viele Arbeitsgruppen, dem Ziel der Strukturaufklärung über die Synthese von Modellverbindungen näherzukommen. Sehr viele solcher Verbindungen wurden erfolglos auf ihre Reaktivität hin getestet, viele Strukturen wurden vorgeschlagen, viele wieder verworfen. Der Cofaktor wollte sein Geheimnis nicht preisgeben. Es erregte daher nicht nur in der Fachwelt, sondern auch in der Öffentlichkeit großes Aufsehen, als endlich 1992 das Geheimnis von Professor Rees und seinen Mitarbeitern (California Institute of Technology, USA) gelüftet wurde: In der Zeitschrift SCIENCE schlugen sie ein mit kristallographischen Methoden fundiertes Modell zur Struktur des FeMo-Cofaktors vor, das allerdings keinem einzigen der in den Jahren zuvor synthetisierten Modellverbindungen entspricht. Der Cofaktor ist ein relativ symmetrisches Platon wäre ins Grübeln gekommen molekulares Gebilde: ein Aggregat aus sieben Eisen-, neun Schwefelatomen und einem Molybdänatom (Abb. 5). Zwei unvollständige Kuben aus vier Metall- und drei Schwefelatomen werden durch drei zentral liegende Schwefelatome zu einem großen Cluster verknüpft (Zusammensetzung: Fe 7 MoS 9 ). Dieser Cluster weist ausreichend große Öffnungen auf, um den Zugang und die Bindung des kleinen N 2 -Moleküls zu ermöglichen. Das direkt über Sauerstoffatome an das Molybdän gebundene Homocitrat ist ein weiterer Protein-fremder, aber organischer Bestandteil des Cofaktors. Der Cofaktor ist nur über zwei Aminosäuren (Cystein, Histidin) an das Protein angebunden. Bemerkenswerterweise ist es auch nach der Veröffentlichung der Cofaktor-Struktur bisher noch keinem Chemiker gelungen, einen strukturidentischen Cluster zu synthetisieren. Der Eisen-Molybdän-Cofaktor ist übrigens der größte in der Natur vorkommende Metall-Schwefel- Cluster. Und es gibt ihn nur in der Nitrogenase, in keinem anderen Enzym! Dies entspricht der einzigartigen Funktion, die dieser Cluster in der Nitrogenase zu erfüllen hat. Daher ist es verständlich, daß neben praxisrelevanten Aspekten vor allem die Struktur und die Reaktivität dieses Metall-Schwefel- Clusters auf den Chemiker eine besondere Faszination ausübt. Trotz der erheblichen Fortschritte und z.t. spektakulären Ergebnisse in der Nitrogenaseforschung der vergangenen Jahre sind viele wichtige Fragen (z.b. wie im Detail die Reaktion in der Mini-Haber- Bosch-Anlage abläuft, an welche Metallatome innerhalb des Cofaktors N 2 gebunden wird und welche Rolle insbesondere das Molybdän-Atom spielt) noch immer unbeantwortet. Der Forschungsdrang auf diesem Arbeitsgebiet ist daher nach wie vor ungebremst. Wird das Molybdän überhaupt gebraucht? Alternative Nitrogenasen Daß die Stickstoff-Fixierung von der Verfügbarkeit von Molybdän abhängt, ist seit 1930 bekannt. Seitdem galt es als sicher, daß alle Nitrogenasen Molybdän-haltige Enzymsysteme sind. In den letzten Jahren sind aber bei verschiedenen Bakterien auch Molybdän-unabhängige, sogenannte alternative Nitrogenasen entdeckt worden. Eine Variante enthält im Cofaktor Vanadium (V) statt Molybdän ( V-Nitrogenase ), andere enthalten Eisen als einziges Metall ( Fe-Nitrogenasen ). Während die Molybdän-Nitrogenase in allen N 2 -fixierenden Bakterien vorkommt, ist die Eisen-Nitrogenase bislang erst in drei Organismen nachgewiesen worden. Dazu gehört auch ein von uns zuerst entdecktes Enzymsystem in dem photosynthetischen Bakterium Rhodobacter capsulatus (Abb. 1). Wir haben beide Nitrogenasen, die Molybdän-haltige und die Molybdän-freie, aus diesem Organismus isoliert und intensiven katalytischen, molekularen, immunologischen und spektroskopischen Vergleichen unterzogen. Einige wichtige Fragen, denen wir nachgingen, waren: Wie ist der alternative Cofaktor beschaffen, ist er ähnlich aufgebaut wie der FeMo-Cofaktor oder hat er eine ganz andere Struktur? Ergeben sich daraus möglicherweise grundsätzliche Rückschlüsse? 47

Abb. 5: Die Struktur der beiden größten in der Natur vorkommenden Metall-Schwefel-Cluster. Der FeMo-Cofaktor ist das Herz der Nitrogenase, das katalytische Zentrum, an dem die Bindung und Umsetzung des Stickstoffs stattfindet. Das andere Eisen-Schwefel-Aggregat (P-Cluster) spielt eine aktive Rolle bei der Übertragung von Elektronen und Wasserstoffionen. Die Zuordnung der Farben: braun: Eisen; gelb: Schwefel; pink: Molybdän; rot: Sauerstoff (vom Homocitrat); blau: Stickstoff (vom Histidin); grau: Kohlenstoff (vom Cystein). Die blaue Kugel und die grauen Kugeln stellen die Verknüpfungspunkte zum Protein dar. Unsere Studien haben zunächst den wichtigen Beweis erbracht, daß für die Umsetzung des reaktionsträgen N 2 -Moleküls das Molybdän nicht unbedingt benötigt wird. Dies ist aus chemischer Sicht insofern von großer Bedeutung, als hier das Metall Molybdän durch das Metall Eisen ersetzt wird, obwohl beide Metalle chemisch sehr verschieden sind. Sofern das Molybdänatom bzw. das entsprechende Eisenatom im Verlauf des Reaktionprozesses eine wichtige direkte oder indirekte Funktion erfüllt, müßte sich das in einem abweichenden Reaktionsverhalten und letztlich im Reaktionsprodukt niederschlagen. Unsere Untersuchungen zur katalytischen Reaktivität der beiden Nitrogenasen zeigen deutlich, daß dies der Fall ist. Die Eisen-Nitrogenase hebt sich hinsichtlich ihrer Reaktivität insbesondere durch zwei Merkmale vom Molybdän-haltigen Enzym ab: Bei der N 2 -Fixierung zeigt sie eine deutlich geringere Aktivität. Dieses Ergebnis beweist, daß Molybdän für die N 2 -Fixierung zwar nicht prinzipiell gebraucht wird, daß das Enzymsystem mit Molybdän aber effektiver funktioniert. Die Eisen-Nitrogenase produziert vergleichsweise große Mengen an gasförmigem Wasserstoff (H 2 ). H 2 wird einerseits im Verlauf der N 2 -Reduktion als Nebenprodukt gebildet, andererseits mit extrem hoher Rate in einer davon völlig unabhängigen Reaktion. H 2 ist eine sehr energiereiche Verbindung und gilt als eine der vielversprechenden regenerierbaren Energiequellen der Zukunft. Daher wurde unser Projekt H 2 -Entwicklung durch die Fe-Nitrogenase auch vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) unter dem Förderkonzept Biologische Wasserstoffgewinnung finanziell unterstützt. Auch wenn die Forschung an der Fe-Nitrogenase aufgrund dieser Thematik um einen zusätzlichen praktischen Aspekt reicher wird und letztlich zu Überlegungen führt, wie die Menschen die bakteriell produzierte Energie nutzen können, so ist für die Bakterienzelle selbst die Erzeugung von Wasserstoff eine beträchtliche Energieverschwendung. Es stellt sich daher die Frage nach dem Sinn eines solchen zweiten Nitrogenase-Systems. Warum greift die Zelle, obwohl Molybdän mehr oder weniger ubiquitär verfügbar ist, auf ein Molybdän-freies, deutlich weniger effektives und energieverschwendendes Enzymsystem zurück? Zwei Beobachtungen legen den Schluß nahe, daß die Fe-Nitrogenase kein evolutionäres Relikt ist, sondern für die Zellen ein lebensnotwendiges Reservesystem darstellt: 48

Sich vermehrende Zellen nehmen Molybdän aus ihrer unmittelbaren Umgebung auf. So entstehen Molybdän-verarmte Mikrozonen, die zur Bildung der Molybdän-unabhängigen Nitrogenase führt. Der aktive Molybdän-Transport in die Zelle ist bei niedrigen Temperaturen drastisch eingeschränkt. Je niedriger die Umgebungstemperatur ist, desto Molybdän-defizienter sind die Bedingungen in der Zelle, desto mehr steigt die Syntheserate der alternativen Nitrogenase und damit deren Bedeutung für die N 2 -Fixierung. Resümee Die Natur liebt es, sich zu verbergen. Heraklit Die Beschäftigung mit diesem für das Leben auf der Erde wichtigen Prozeß, der Stickstoff-Fixierung, hat grundlegende Erkenntnisse geliefert, aber auch viel Überraschendes gezeigt. Nicht nur unser chemisches Wissen ist gewachsen, wir haben auch neue Einblicke in die Funktionsweise des naturwissenschaftlicher Erkenntnisprozesses gewonnen: Es scheint allgemein zu gelten, daß ein Prozeß der Natur immer dann besonders schwer zu verstehen ist, wenn der analoge Prozeß im Labor nicht gelingt wie eben die Stickstoff-Fixierung oder auch die Photosynthese. Jedes Forschungsergebnis zur Aufklärung eines wichtigen Prozesses wirft neue Fragen auf. Im Fall der kleinen Haber-Bosch-Fabrik, also des N 2 -fixierenden Systems, ist die Aufklärung der Struktur des Molybdän-Schwefel-Aggregats geglückt. Folgerichtig steht jetzt die Frage nach dem Reaktionsort des N 2 -Moleküls im Brennpunkt des Interesses. Nur durch interdisziplinäre Forschung lassen sich wichtige Prozesse verstehen. Unser Nitrogenase- Projekt lebt sehr stark von der engen Zusammenarbeit mit Genetikern, Physikern und Analytikern. Das Verständnis wichtiger Prozeßabläufe der Natur kann im Sinne des großen englischen Gelehrten und Philosophen Francis Bacon, der zu Beginn der Neuzeit die Entwicklung der Naturwissenschaften beeinflußt hat Impulse für technische Prozesse bringen. Die Natur läßt sich nur mühsam ihre Geheimnisse entlocken. Wenn es doch gelingt, dann sollte dies, im Sinn von Bacon, möglichst zum Nutzen des Menschen sein. Ich fand aber, daß nichts so verdienstlich in Bezug auf die Menschheit sei, wie die Erfindung neuer Dinge und Techniken, mit deren Hilfe das Leben der Menschen verbessert werden kann. Francis Bacon Prof. Dr. Dr. h.c. Achim Müller (links), ein gebürtiger Detmolder, studierte Chemie an der Universität Göttingen, promovierte 1965 und habilitierte sich dort 1967. Seit 1977 hat er, nach einer vorausgegangenen Tätigkeit als Professor in Dortmund, einen Lehrstuhl für Anorganische Chemie an der Universität Bielefeld inne. Er ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Akademien, darunter der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina sowie der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Seine Arbeitsgebiete umfassen unter anderem die Molekülphysik, Schwingungsspektroskopie, heterogene Katalyse, die Bioanorganische Chemie und die Chemie der molekularen Metallchalkogenid-Komplexe und -Cluster. Professor Müller gehört, wie in einer Recherche des Institute for Scientific Information festgestellt wurde, zu den etwa 20 meistzitierten deutschen Naturwissenschaftlern. Dr. Klaus Schneider (rechts) studierte Mikrobiologie an der Universität Göttingen, promovierte dort 1975 und arbeitete danach am Institut für Mikrobiologie in Göttingen als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Bereits in dieser Zeit widmete er sich der Isolierung und biochemischen Charakterisierung bakterieller Metallproteine, besonders der Nickel-haltigen, Wasserstoff aktivierenden Enzyme. Seit 1988 arbeitet er an der Universität Bielefeld am Lehrstuhl für Anorganische Chemie I an dem bisher durch Drittmittel großzügig gefördeten Projekt der biologischen Stickstoff-Fixierung. 49