Predigt über 1. Mose 22,1-14 Glauben: Sich festmachen an Gott, selbst dann, wenn alles gegen ihn spricht. gehalten am Sonntag Judika, 2. April 2017 in der Nikolauskirche Deckenpfronn von Pfarrer Hans-Ulrich Lebherz Der heutige Predigttext ist einer der schwierigsten, verstörendsten der ganzen Bibel. 1. Mose 22,1-14: 1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. 2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. 4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. 5 Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. 6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. 7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? 8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. 9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
2 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. 11 Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. 13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. 14 Und Abraham nannte die Stätte»Der Herr sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der Herr sich sehen lässt. Liebe Gemeinde! Sechs Schreie soll Sarah ausgestoßen haben, als sie nach der Rückkehr Abrahams erfuhr, was geschehen war. Kurz darauf starb sie. So erzählt eine alte Legende. In ihr spiegelt sich noch einmal das Grauenvolle der vorangegangenen Ereignisse. Gleich zwei unheimliche Abgründe tun sich in dieser Erzählung auf: Zunächst stellt sich die Frage nach Gott: Warum verlangt Gott von Abraham, den eigenen Sohn zu opfern!? Das passt nicht zu unserem Bild von einem gnädigen, barmherzigen, von einem lieben Gott. Rücksichtslos heißt der Befehl: Geh hin und opfere Isaak! Kurz und knapp. Und dann schweigt Gott. Der zweite Anstoß, den diese Erzählung erregt, liegt in der Passivität Abrahams. Er gehorcht blind ohne nachzufragen, ohne sich zu wehren. Warum bittet er nicht einmal für das Leben seines Sohnes, wie er es für die Rettung von Sodom gemacht hat? Abraham schweigt gehorsam. Wie viele hätten versucht zu handeln: Lieber Gott, fordere alles, nur mein Kind nicht! Das kannst du doch nicht wollen, du hast es doch gegeben. Hörst du, alles, nur mein Kind nicht, nur meinen Mann nicht, meine Gesundheit nicht, meine Arbeit nicht! Manch ein Mensch hat so gesprochen vor dem Krankenbett des Kindes, des Partners, in schicksalsschweren Stunden des Lebens, als alles zusammenzubrechen drohte. Und manch einer hat in seiner Verzweiflung Gott
3 einen Tauschhandel vorgeschlagen: Alles, nur das nicht! Warum schweigt Gott zu meinem Leiden, zu dem Leiden in der Welt? Für Abraham haben sich diese Fragen noch in ganz besonderer Weise zugespitzt. Seinen Sohn, der die Verheißung Gottes war, sollte er hergeben. Ich will dich zu einem großen Volk machen!, hatte Gott ihm verheißen. Lange hatten sie auf ihn warten müssen. So lange, dass Sarah lachte, als man ihr sagte, sie würde nun doch noch Mutter werden. Bis sich ihr ungläubig spöttelndes Lächeln in das Lachen der Freude verwandelte. Isaak ist nicht irgendein Kind. Er ist der lebende Beweis dafür, dass Gott sein Wort hält, dass er keine leeren Versprechungen macht. Diesen Sohn soll Abraham opfern. Er soll damit zugleich seine Zukunft zerstören, die doch eine von Gott geschenkte Zukunft ist. Wer kann das begreifen! Hier widerspricht sich Gott aufs Unerträglichste. Gottes Angesicht wird zu einer finsteren, rätselhaften Fratze. Das ist auch der Grund, liebe Gemeinde, warum uns diese abgründige Geschichte überliefert wurde: Weil noch andere immer wieder die Erfahrung gemacht haben, wie fremd, wie unheimlich, wie feindselig Gott und seine Machtsphäre einem Menschen begegnen kann. Die Geschichte dieser Erfahrung zieht sich durch die ganze Bibel, bis heute, bis zu den Augenblicken, in denen wir nicht mehr wissen, was wir eigentlich von Gott halten sollen. Weil das, was wir manchmal erleben, allem ins Gesicht schlägt, was wir bisher von ihm und seiner Liebe gehört und geglaubt haben. In solchen Augenblicken legt sich wieder einmal die Vermutung nahe, Gott sei eher gleichgültig und grausam als gütig. Dieser Gedanke hat vielleicht auch den Abraham begleitet bei seinem schweigsamen Aufstieg zur Opferstätte. Plötzlich die Stimme des Sohnes, sie bricht das Schweigen Gottes, bricht das Schweigen Abrahams: Hier ist Feuer und Holz, Vater, wo aber ist das Lamm für das Brandopfer? Feuer und Messer die waren bereit. Feuer und Messer für die Opfer sind immer bereit Gewehre, Panzer, Raketen sind schnell zur Hand. Feuer und Messer zum Töten hat der Mensch schnell seine sieben Sachen zusammen. Das bekommen wir täglich auf den Bildschirm im heimischen Wohnzimmer geliefert. Aber: Wo ist das Schaf zum Brandopfer? Die Frage des Isaak unzählige Male in der Geschichte der Menschheit gestellt! Soll das Opfer wirklich Isaak
4 sein, das Kind, auf dem die Hoffnung des alten Vaters ruht? Wirklich jüdische, palästinensische und syrische Kinder, die kaum das Laufen gelernt haben? Ganz zu schweigen von den ungezählten Kindern, die täglich an Hunger sterben, gerade ganz akut bei Dürre und Hunger in Ostafrika! Die schreckliche Erzählung von der Bindung Isaaks an den Brandopferaltar ist uns gar nicht so fremd, wie wir vielleicht auf den ersten Blick meinen. Denn Menschenopfer gibt es in unserer so gern zivilisiert genannten Welt noch genug! Das Opfer des Kindes ist nicht überwunden. Väter und Mütter opfern weiter: Viele Opfer der Kriege waren und sind Kinder. Oder bedenken wir nur einmal, wie viele Opfer gebracht werden, wenn Soldaten zur Verteidigung von Recht und Freiheit und Frieden in die Krisenherde der Welt geschickt werden alles Söhne und Töchter. Altäre gibt es heute genug, auf denen Menschen ganz unterschiedlichen Göttern geopfert werden, der fanatisierten Religion oder der vergötterten Nation, den Götzen Geld und Ehrgeiz, dem geheiligten Wirtschaftswachstum, jährlich hunderte wenn nicht sogar tausende unserem heiligs Blechle. Und wo ist das Lamm zum Brandopfer für alle diese Menschen? Gott wird sich das Opferlamm aussuchen., antwortet Abraham. Er kann nur der Frage ausweichen. er weicht aus, aber zu Gott hin. Abraham wusste dem Isaak keine Antwort und gab doch die einzige richtige: Gott! Abraham legt Gottes Wort auf den Altar. Mehr hat er nicht. Gott, ich glaube gegen dich an deine Liebe, ich fliehe von dir zu dir. Das ist das Schwerste überhaupt: gegen Gott an Gott zu glauben. So tat es schon Hiob. Und auch die letzten Zeilen eines Juden im Warschauer Ghetto, die später gefunden wurden, sprechen über dieses Thema: Angesichts des Schreckens der Vernichtung seines jüdischen Volkes schrieb er: Mein zorniger Gott, es wird dir nicht gelingen. Du hast alles getan, damit ich nicht an dich glaube, damit ich an dir verzweifle. Ich aber sterbe genau wie ich gelebt habe: im felsenfesten Glauben an dich! So könnte man Glauben definieren: sich an Gott festmachen, sich an Gott hängen, selbst dann, wenn alles gegen ihn spricht. Es kann in einem Menschenleben eine Gottesfinsternis hereinbrechen, in der Gott auf der Seite des Todes zu stehen scheint. Was bleibt, ist nur noch das leidenschaftliche Vertrauen gegen allen Augenschein.
5 Abraham vertraut verzweifelt und wird schließlich von der Stimme eines aufgeregte Engels gestellt, der ein neues Gebot aufstellt: Leben statt Tod, statt Gehorsam Liebe, statt Opfer Barmherzigkeit. Ein frommer Mensch unserer Zeit hat lange darüber nachgedacht, warum Gott selbst zu Abraham spricht, als er ihm den Befehl gibt, Isaak zu opfern, aber dann einen Engel sendet, um dessen Aufhebung mitzuteilen. Er kam zu folgender Erklärung: Gott hat sich über Abraham geärgert. Deshalb schickte er den Engel! Abraham hat die Prüfung nicht bestanden. Er ist durchgefallen. Als Gott dem Abraham befahl, Isaak zu opfern, wollte er Abrahams Weigerung. Er wollte nicht JA, sondern NEIN! Egal, wie man diese Erzählung interpretiert, ihre Botschaft ist eindeutig: Gott will keine Menschenopfer. Bei Abraham griff ein Engel ein, um das Schlimmste zu verhindern. Doch wie oft blieb dieser Engel aus, wie oft wurde dem Opfer oder Selbstopfer kein Einhalt geboten, von niemandem! Was ist mit all den unschuldig abgeschlachteten Opfern, für die niemand und nichts in letzter Sekunde eintrat? Nach der Beschäftigung mit dieser Geschichte bleiben viele Fragen offen. Gottes Angesicht bleibt im Dunkeln verborgen. Wir durchschauen Gott nicht. Doch es bleibt auch eine Hoffnung für die Opfer: dass der lebendige Gott sieht, dass er die Opfer sieht, die in unseren Tagen verkümmern und verbluten. Damals, als Abraham den Widder im Gestrüpp erblickte, da nannte er jenen Ort Jahwe, unser Gott, sieht. Dieser Satz ist ein Ausdruck der Freude und Erleichterung. Abraham lobt Gott, weil er sich schließlich doch als der erwiesen hat, der von seiner Seite durch die Gottesfinsternis sieht. Er sieht den Menschen, er sieht das Leid und die Tränen der Opfer. So wie er damals auf dem Berg Morija auf Abraham und Isaak gesehen hat, so hat er auch auf den anderen Altären der Weltgeschichte und unserer kleinen Menschengeschichte mitgelitten. Der lebendige, leidende, sehende und doch unsichtbare Gott sieht auch auf uns. Er ist kein blindes Schicksal, sondern ein sehender Gott. Das ist die Hoffnung aller Opfer. Amen.