Die Familie Stamitz und der kurpfälzische Hof

Ähnliche Dokumente
Christian Cannabich. Electra Johann Stamitz. Klarinettenkonzert B-Dur

Hofmusik in Schwetzingen

Deutsche Biographie Onlinefassung

Schwetzinger Hofmusik-Akademie I

Der Klang des 18. Jahrhunderts im Mannheimer Trabantensaal

NDB-Artikel. Deutsche Biographie Onlinefassung

Die Badhausserenade 2017

WOLFGANG AMADEUS MOZART. Barbara Starešinič

Basisdaten. Namensgebung. Geschlecht. Nationalität. Lebensdaten. Berufe. Anzeigename Schuberth, Ludwig andere Schreibweisen

Franz Xaver Richter zum 300. Geburtstag

Professorinnenprogramm III. im 1. Einreichungstermin erfolgreiche Hochschulen. Baden-Württemberg

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Sarah-Denise Fabian. Übergang zu Neuem

erstellt von musicamigrans.de - Universität Leipzig Basisdaten

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Deutsche Biographie Onlinefassung

Inhalt. Vorwort 11. Inhalt 5

Programm. JOSEPH GEORG VOGLER ( ) Konzert (C) für Cembalo oder Piano Forte und Orchester (1781) Allegro Andantino Rondeau avec les Variations

Elemente der Romantik in Franz Schuberts Winterreise

Deutsche Biographie Onlinefassung

Fahre hin, du Lust der Welt Kantate zum Kirchweihfest

Festkonzert zum 300. Geburtstag des kurpfälzischen Hofkapellmeisters Ignaz Holzbauer am 30. September 2011

Deutsche Biographie Onlinefassung

Faszination Hofmusik. Die Meister der Hofkapelle Werke von Stamitz & Co

Das SINFONISCHE BLASORCHESTER des Badischen Konservatoriums Karlsruhe (SBO) - wurde 1993 von seinem jetzigen Leiter Christian Götting gegründet.

Medienpaket: Musik 1 Komponisten-Rätsel. Komponisten Rätsel

Franz Liszt als Lehrer

Späte Streichquartette von Beethoven und Schubert. Franz Schubert: Streichquartett a-moll Rosamunde, op. 29 (D 804) Leseprobe

Du kannst Bild- und Textkärtchen auch abwechselnd kleben, die Randmuster sind ja jeweils gleich (Abb. 5).

Der Freistaat Bayern und die Tschechische Republik veranstalten erstmals eine gemeinsame Landesausstellung zu Kaiser Karl IV.

Bayerns Könige privat

#ferdinand Jubiläumsjahr. Eine gemeinsame Initiative von Kultur- und Bildungsinstitutionen

Deutsche Biographie Onlinefassung

126 JAHRE GITARREN- UND INSTRUMENTENBAU HAUSER IN BAYERN

Gewaltig, leidenschaftlich und emotional:landesjugendorchester zeigt sein Können

Rathaus- konzerte 2016 / 2017 Rathaus- konzerte

Franz Schuberts frühe Streichquartette

Karl IV. zugleich König von Böhmen und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs ist eine Leitfigur und ein Brückenbauer.

Symphonische Musik des 18. Jahrhunderts

Verehrtes Publikum, Konstanze John

Deutsche Biographie Onlinefassung

Deutsche Biographie Onlinefassung

Jeder Satz ein Schatz Die Sinfonien von Wolfgang Amadeus Mozart (4)

Verzeichnis der Musiknachlässe in Deutschland

Veranstaltungen im Händel-Haus vom 01. September bis 15. Oktober 2011

A. Konversation zum Thema

Deutsche Biographie Onlinefassung

Neue Klänge aus Mannheim Zum 300. Geburtstag von Johann Stamitz (3)

Deutsche Biographie Onlinefassung

Klassik OpenAir Festspiele

music here and now thomas mann und

Deutsche Biographie Onlinefassung

RICHARD WAGNER SÄMTLICHE BRIEFE

150 Jahre CAHN - die Firmengeschichte von

Wolfgang Amadeus Mozart

Wer ist die Stiftung Schloss Neuhardenberg? Was ist Schloss Neuhardenberg?

Foto: NDR Radiophilharmonie 2, (c) Axel Herzig

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus:

Über Ästhetik, Kulturmanagement und die Rolle von Festspielen Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Ruzicka

Mi. 28. DEZEMBER 2016 LUDWIGSBURG

Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz

Alte Musik im Kunstgewerbemuseum Schloss Pillnitz 2018

Johann-Sebastian Sommer, Enrico-Fermi-Eck 24, Göttingen, Vita

Der emotionale Charakter einer musikalischen Verführung durch den Rattenfänger von Hameln

Neue Klänge aus Mannheim Zum 300. Geburtstag von Johann Stamitz (1)

und weit darüber hinaus.

Sonntag, 14. Mai 2017, 18 Uhr. Schwetzinger Hofmusik-Akademie

Klingenthaler Geigenbauer: Übersicht

ANERKENNUNG DER GOETHE-ZERTIFIKATE ZUM STUDIUM IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM

Worte von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer. zur Eröffnung der Ausstellung Wenzel von. Böhmen. Heiliger und Herrscher in der

Ich freue mich, dass Sie heute so zahlreich zu dieser. traditionellen Zusammenkunft zu Ehren der Wiener

Deutsche Biographie Onlinefassung

Programmvorschläge

Vom Hotel des Invalides setze ich meinen Spaziergang fort zur Ecole de Militär.

Winterliche Nusik Hinweise zum Material

Im Mittelpunkt des Wettbewerbs stand Kaiser. Er gehört zu den facettenreichsten Herrschern der böhmischen, deutschen und europäischen

DEUTSCHE MÜNZEN

Das Modell der Gewaltenteilung nach Montesquieu

Louis SPOHR. Die letzten Dinge

Niccolò Machiavellis - Il Principe - und der Begriff der Macht

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: "Die Räuber" von Friedrich von Schiller - Inhaltserläuterungen

CARL MARIA VON WEBER IN MÜNCHEN. Webers Klarinettenwerke und ihr historisches Umfeld

Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff

Pressemitteilung ALPENFABRIK HOHENASCHAU: RAP MEETS KLASSIK MUSIKALISCHER CROSSOVER MIT BETEILIGUNG VON KATHREIN UND SCHATTDECOR

ORATORIUM UND PASSION

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Akademiebibliothek. Ausgewählte Literaturnachweise aus dem Bestand der Akademiebibliothek

ADAC Postbus Fahrplan

SWR 2 Musikstunde mit Christian Schruff Montag, Jeder Satz ein Schatz Die Sinfonien von Wolfgang Amadeus Mozart (1)

Südwestdeutsche Hofmusik HEIDELBERGER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Akademie der Wissenschaften des Landes Baden-Württemberg

Die Sonatenform bei Mozart und Beethoven

Internationales Bartok Seminar und Festival Szombathely Juli 2014.

Das Ende des Dreißigjährigen Krieges

Schwäbische Zeitung Laupheim

Auf Besuch beim Capellmeister Haydn

7. Lech Classic Festival vom!31. Juli bis 4. August 2018: Internationales Renomée in göttlicher Kulisse

Johann Sebastian Bach und die deutsche Kirche...

DOWNLOAD. Peter & der Wolf im Musikunterricht. Einfache und differenzierte Arbeitsblätter für die Klasse

WINFRIED FECHNER MANAGER DES WDR FUNKHAUSORCHESTERS ( ), MODERATOR WELTPREMIERE FINAL SYMPHONY 2013

Leseverstehen: Wer war Ludwig van Beethoven? Ihre Notizen

Transkript:

Sarah-Denise Fabian Die Familie Stamitz und der kurpfälzische Hof Einführungsvortrag gehalten am 12. Februar 2017 in der Evangelischen Stadtkirche Schwetzingen zum Konzert»Zum 300. Geburtstag von Johann Stamitz. Mannheimer Capricen. Konzert für Klarinette Solo. Werke von Anton Stamitz und Benjamin Helmer«(Nicolaus Friedrich, Klarinette) Vortragsmanuskript Schwetzingen Forschungsstelle Südwestdeutsche Hofmusik der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 2017

Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Sarah-Denise Fabian und ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle»Geschichte der Südwestdeutschen Hofmusik im 18. Jahrhundert«der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Ich freue mich, Ihnen in der nächsten Viertelstunde als Einstimmung auf das Konzert mit Mannheimer Capricen von Anton Stamitz und dem zeitgenössischen Komponisten Benjamin Helmer ein wenig über die Familie Stamitz und deren Beziehung zum kurpfälzischen Hof in Mannheim und Schwetzingen erzählen zu dürfen. Wir machen nun also einen gedanklichen Ausflug zurück in die Mitte des 18. Jahrhunderts zur Zeit der Herrschaft des Kurfürsten Carl Theodors. Während der Jahre 1747 bis 1778 entstand in seiner Regierungszeit in Mannheim eine Hofkapelle ganz eigenen Charakters, deren Orchester zu den berühmtesten und kompositionsgeschichtlich fortschrittlichsten Orchestern Europas zählte. Die Hofkapelle war eine der größten des Jahrhunderts und war spieltechnisch perfekt aufeinander abgestimmt sowie sehr gut organisiert und diszipliniert. Grundlage war eine fundierte und kontinuierliche Ausbildung der Musiker. Einzigartig war aber ebenfalls die hohe Anzahl der Orchestermusiker, die zugleich gute Solisten und häufig auch noch gute Komponisten waren. Durch all diese Faktoren konnte der typische Mannheimer Klang mit Orchestercrescendo, Kontrastdynamik und typisierten Eröffnungswendungen entstehen, den man heute gemeinhin unter dem Begriff Mannheimer Schule subsummiert. Auch die drei Mitglieder der Stamitz-Familie Johann, Carl und Anton waren (mit unterschiedlicher Zeitdauer) Teil dieses berühmten kurpfälzischen Orchesters. Der Vater Johann Stamitz galt vielen schon zu Lebzeiten als der geistige Kopf der so genannten Mannheimer Schule, manch ein Zeitgenosse wie etwa Johann Adam Hiller sprach sogar von der Steinmetzischen Schule (Steinmetz war eine damals übliche Variante des Namens Stamitz) in Bezug auf die berühmte Violin- beziehungsweise Orchester- und Kompositionsschule. In der Tat wirkte Johann Stamitz in Mannheim in der wichtigen ersten Aufbauphase des Hoforchesters. Aber lassen Sie uns zunächst noch einen Schritt in Stamitz Biographie zurückgehen: Am 19. Juni 1717 wurde Johann Stamitz im böhmischen Německý Brod, dem heutigen Deutschbrod, getauft 2017 ist also das 300. Geburtsjahr von Stamitz, weshalb Sie vermutlich dieses Jahr häufiger als sonst Werke von ihm in Konzerten hören werden. Nachdem er von 1728 bis 1734 das Jesuitengymnasium in Iglau und wohl anschließend ein Jahr die Prager Universität besuchte, liegt Stamitz Lebensweg ab 1735 bis Anfang der 2

1740er Jahre im Dunkeln. Obwohl Johann Stamitz zu Lebzeiten und auch heute bei weitem nicht zu den unbekannten Komponisten zählt, weist seine Biographie an dieser Stelle eine erstaunliche Lücke auf. Er muss allerdings in diesen Jahren als Virtuose auf der Violine und der Viola d amore in Erscheinung getreten sein, denn erhaltene Dokumente aus den 1740er Jahren sprechen von ihm als berühmten Virtuosen. Bekannt ist, dass er am 29. Juni 1742 in Frankfurt am Main bei einem Konzert im Rahmen der Feierlichkeiten zur Kaiserkrönung Karls VII. mitwirkte. Auch ein genaues Einstellungsdatum am kurpfälzischen Hof ist interessanterweise nicht überliefert. Einem Brief vom 29. Februar 1748 an den Baron von Wallbrunn, bei dem es um ein dann nicht zustande gekommenes Stuttgarter Engagement geht, ist zu entnehmen, dass Stamitz vermutlich 1741 nach Mannheim kam: Hier schreibt er nämlich, dass er»die gäntzl:[iche] Churfürstl.[iche] Musiq[u] e bey Vollkom[m]enen Höchst Dero Contento allbereits in das achte Jahr führe«. 1 Johann Stamitz zählt also wie etwa auch Franz Xaver Richter, Johann Georg Benda oder Johann Dismas Zelenka zu den zahlreichen böhmischen Musikern, die als Migranten nach Westeuropa kamen und dort erfolgreich Fuß fassten. Stamitz wiederum kam in der Anfangsphase des Hoforchesters Carl Theodors nach Mannheim. In einer Zeit also, in der das Orchester erst aufgebaut werden musste. 1746 etwa gab es mit nur sechzehn Musikern im Orchester die niedrigste Zahl der beschäftigten Instrumentalisten. Carl Theodor, der sich zwischenzeitlich in Düsseldorf aufgehalten hatte, sorgte jedoch nach seiner Rückkehr 1747 nach Mannheim dafür, dass nun ein voll funktionsfähiges Orchester aufgebaut wurde. Mit dieser Aufgabe wurde in erster Linie Johann Stamitz betraut. So lag die Ausbildung der Musiker zunächst in seiner Hand. Beispielsweise unterrichtete er die späteren namhaften Geiger Christian Cannabich, Wilhelm Cramer und Carl Joseph Toeschi. Der Kurfürst war wiederum mit der Arbeit von Stamitz offensichtlich sehr zufrieden: Nachdem Johann Stamitz bereits im Sommer 1743 zum Konzertmeister am kurpfälzischen Hof ernannt worden war, wurde er schließlich am 27. Februar 1750 zum Instrumentalmusikdirektor befördert. Dabei handelt es sich um ein Amt, das in Mannheim erstmals vergeben wurde und das Stamitz bis zu seinem Tod 1757 inne hatte. 1753 gab es dann eine Veränderung: Ignaz Holzbauer wurde als Kapellmeister eingestellt, der nun den Wandel des Orchesters zu einem modernen, leistungsstarken Klangkörper maßgeblich prägte. Ab diesem Zeitpunkt war wohl die Violinklasse weiterhin unter Stamitz Leitung, wohingegen Holzbauer die anderen Stimmgruppen des Orchesters übernahm. 1 Brief vom 29.2.1748, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 21 Bü 612. 3

Johann Stamitz gelangte jedoch nicht nur in Bezug auf die Verbesserung des Orchesters und als Virtuose zu Ruhm und Ehre, sondern auch als Instrumentalkomponist. Seinen rund 60 Sinfonien kommt historische Bedeutung zu, denn mit ihnen leistete Stamitz einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung des Genres und zur Etablierung der Konzertsinfonie im Sinne einer repräsentativ-unterhaltenden Orchestermusik, die sich von der dreisätzigen italienischen Opern-Sinfonia löste. So komponierte Stamitz vor allem in den späten Jahren viersätzige Sinfonien mit einem Menuett an dritter Stelle, bei denen der Finalsatz an Aussagekraft dem Kopfsatz quasi gleichrangig an die Seite gestellt wird. Johann Stamitz wirkte also durch Unterrichtstätigkeit und Leitung entscheidend an der Aufbauphase des Mannheimer Hoforchesters mit und prägte durch seine Kompositionen ebenfalls die Musik des kurpfälzischen Hofes. Allerdings war er während seiner Dienstzeit auch mehrfach auf Reisen und konnte somit in diesen Zeiträumen nicht aktiv am Geschehen in Mannheim teilhaben. Ende 1749 hielt er sich etwa wegen der Wahl seines Bruders Antonín Tadeás zum Dechanten in Deutschbrod auf und auf der Rückreise nach Mannheim machte er auch am Hof des Fürsten von Öttingen-Wallerstein Station. 1751 und vor allem 1754/1755 war Stamitz für längere Zeit in Paris. Wie auch andere Mannheimer Musiker nach ihm trat er einerseits selbst als Virtuose in den sogenannten Concerts spirituels auf (einer öffentlichen, kommerziellen Konzertreihe damals eine absolute Neuigkeit), andererseits wurden seine Kompositionen dort gespielt. Dies muss eine sehr erfolgreiche Phase in Stamitz Leben gewesen sein zwei Ereignisse spiegeln das vor allem wider: Der Generalsteuerpächter des Königreichs Alexandre Jean Joseph Le Riche de la Pouplinière übertrug ihm die Leitung seines Privatorchesters und am 29. August 1755 erhielt Stamitz ein königliches Druckprivileg, sodass seine Werke fortan in Paris gedruckt werden durften. Trotz der Reisen und Pariser Erfolge von Johann Stamitz muss Mannheim und der kurpfälzische Hof ein fester Bezugspunkt für die Familie geblieben sein. Denn seine beiden Söhne Carl und Anton Stamitz begannen dort ihr Leben als Musiker. Sie durchliefen beide das Ausbildungssystem Mannheimer Schule und kamen so in den Genuss des erstklassigen Unterrichts am Hof Carl Theodors. Carl Stamitz, der am 8. Mai 1745 in Mannheim geboren wurde, erhielt wie dies für die Kinder der Hofmusiker typisch war seinen ersten Violinunterricht bei seinem Vater. Nach dessen Tod 1757 studierte er bei den Mannheimer Hofmusikern Christian Cannabich, Ignaz Holzbauer und Franz Xaver Richter. 1761 wurde er schließlich als Violinist ins Hoforchester aufgenommen. Ob sein jüngerer Bruder Anton, der 1750 in Deutschbrod geboren wurde, noch von seinem Vater unterrichtet wurde, ist nicht ganz sicher. Auf jeden Fall erhielt er aber Unterricht bei seinem Bruder Carl und dann vor 4

allem bei Christian Cannabich. 1763 wurde Anton Stamitz bereits in die Mannheimer Hofkapelle aufgenommen, die Hofkalender führen ihn dann entsprechend ab 1764 als Violinisten auf, allerdings interessanterweise nur bis 1766 und schließlich noch einmal im Jahr 1770. Dies ist dann auch der Zeitraum, zu dem die beiden Brüder den kurpfälzischen Hof verließen, um in Paris ihr Glück zu suchen einer Stadt, die mit dem Königshof auf der einen Seite, mit dem öffentlichen, kommerziellen Konzertwesen und einem weit entwickelten Notendruck auf der anderen Seite einem Musiker des 18. Jahrhunderts unbegrenzte Möglichkeiten zu bieten schien. Carl und Anton Stamitz genossen also das erstklassige musikalische Ausbildungssystem des kurpfälzischen Hofes, blieben dann jedoch nicht wie etwa die Kinder des Hofmusikers Innocenz Danzi am Hof. Sie wählten stattdessen den Weg, zum Teil freischaffend tätig, zum Teil andernorts beschäftigt zu sein. Carl Stamitz führte im Prinzip mit seiner Abreise aus Mannheim ein unstetes Wanderleben zunächst durch Europa, ab 1785 in Deutschland. Bis 1766 blieb er in Paris und trat dort als Solist auf der Violine, Viola und Viola d amore sowie als Komponist in Erscheinung. Er arbeitete für den Herzog Louis de Noailles, der ihn auch zum Hofkomponisten ernannte. Nach Paris war Carl Stamitz auf Konzertreisen in verschiedenen Städten Europas: Wien, Frankfurt, Straßburg, London, Amsterdam und Den Haag gehörten etwa zu seinen Reisestationen. 1785 kehrte er dann nach Deutschland zurück, was aber ebenfalls nicht dazu führte, dass er sesshaft wurde. Nach Hamburg hielt er sich unter anderem in Magdeburg, Leipzig, Berlin, Dresden, Halle, Nürnberg, Braunschweig und Kassel auf. Erst gegen Ende seines Lebens fand er einen festen Wohnort: 1795 zog er nach Jena, wo er bis zu seinem Tod 1801 als akademischer Musiklehrer an der Universität tätig war. Carl Stamitz komponierte vor allem Instrumentalmusik und dabei im Prinzip alle damals beliebten Gattungen wie Sinfonien, Sinfonie concertanti, Solokonzerte, Streichquartette und Kammermusik. Insbesondere zahlreiche kantable Passagen und sehr melodiöse Gestaltung sind Kennzeichen von Carl Stamitz Werken. Er wurde gar zur Symbolgestalt empfindsamer Musik; der württembergische Journalist, Dichter und Musiker Christian Friedrich Daniel Schubart schreibt etwa über seine Instrumentalsätze, dass sie»wie die Küße der Venus in Honig getaucht«2 seien. Obwohl Carl Stamitz folglich als Virtuose und als Komponist zu Lebzeiten durchaus erfolgreich war, gelang ihm allerdings keine Existenzsicherung, was sich auch in seinem unsteten Wanderleben widerspiegelt. 2 Christian Friedrich Danile Schubart: Deutsche Chronik, 1774, S. 168. 5

Sein Bruder Anton Stamitz hingegen blieb nach der Abreise aus Mannheim in Paris. Kurzzeitig war er als Konzertmeister ebenfalls für den Herzog von Noailles tätig. Vor allem trat er jedoch als Geigenvirtuose, Komponist und Lehrer in Paris in Erscheinung, so unterrichtete er etwa den später berühmten Violinisten, Dirigenten und Komponisten Rodolphe Kreutzer. Ab 1782 war Anton Stamitz dann Musiker der königlichen Kapelle in Versailles. Bis dahin ist also ein durchaus erfolgreicher Weg zu verzeichnen. 1789 erkrankte Stamitz jedoch psychisch. In den Folgejahren ist bis auf ein Benefizkonzert im Jahr 1796 zu seinen Gunsten kein öffentlicher Auftritt als Musiker überliefert. Wann genau Anton Stamitz gestorben ist, ist ebenfalls nicht bekannt. Man weiß nur, dass seine Witwe 1809 um eine Rentenzahlung bat; das Sterbedatum von Anton Stamitz wird also zwischen dem bekannten letzten Auftritt 1796 und dieser Bitte seiner Witwe angesetzt. Anton Stamitz war wie sein Bruder ein Komponist von Instrumentalmusik. Auch er komponierte Sinfonien, Sinfonie concertanti, Solokonzerte und Kammermusik, aber sein Werkkorpus ist kleiner als dasjenige von Carl Stamitz. Überhaupt zählt Anton Stamitz zu dem heute am wenigsten beachtesten Mitglied der Familie Stamitz Johann Stamitz ist als wichtiger Musiker in der Anfangsphase der Mannheimer Hofkapelle Carl Theodors heute in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und im Konzertleben noch recht präsent, mit Carl Stamitz Werken beschäftigt sich wenigstens hin- und wieder einmal jemand, aber Anton Stamitz wird meist sowohl auf musikwissenschaftlicher, als auch auf musik-praktischer Seite nur am Rande erwähnt. Umso schöner, dass er es nun ist, der im heutigen Konzertabend mit seinen Capricen im Mittelpunkt steht ursprünglich in Paris für Flöte solo komponiert, heute in einer Bearbeitung für Klarinette zu hören. In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Vergnügen mit der Musik von Anton Stamitz und Benjamin Helmer. 6

Literatur zur Familie Stamitz und zur kurpfälzischen Schule (Auswahl): Finscher, Ludwig; Pelker, Bärbel; Thomsen-Fürst, Rüdiger: Art.»Stamitz«, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Ludwig Finscher, Personenteil Bd. 15, Kassel u.a. 2006, Sp. 1301 1314. Kaiser, Friedrich Carl: Carl Stamitz (1745 1801). Biographische Beiträge. Das symphonische Werk. Thematischer Katalog der Orchesterwerke, Diss. (masch.) Marburg 1962. Leopold, Silke:»Die Schule des wahrhaft guten Geschmacks in der Tonkunst. Carl Theodor und die Mannheimer Hofmusik«, in: Die Wittelsbacher am Rhein. Die Kurpfalz und Europa. Begleitband zur 2. Ausstellung der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen, hg. v. Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg durch Alfried Wieczorek, Bernd Schneidmüller et al, Regensburg 2013 (= Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim 60), S. 297 303. Pelker, Bärbel:»Die kurpfälzische Hofmusik in Mannheim und Schwetzingen (1720 1778)«, in: Süddeutsche Hofkapellen im 18. Jahrhundert. Eine Bestandsaufnahme, hg. v. Silke Leopold und Bärbel Pelker, Schwetzingen 2014, (= Schriften zur Südwestdeutschen Hofmusik 1), S. 195 366, Online-Publikation: http://www.hof-musik.de/pdf/ssh1.pdf. Dies.:»Ein Paradies der Tonkünstler? Die Mannheimer Hofkapelle des Kurfürsten Carl Theodor«, in: Mannheim Ein Paradies der Tonkünstler?. Kongressbericht Mannheim 1999, hg. v. Ludwig Finscher, Bärbel Pelker, Rüdiger Thomsen-Fürst, Frankfurt 2002, (= Quellen und Studien zur Geschichte der Mannheimer Hofkapelle 8), S. 9 33. Dies.:»Mannheimer Schule«, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, hg. v. Ludwig Finscher, Sachteil Bd. 5, Kassel u.a. 1996, Sp. 1645 1662. Wolf, Eugene K.: The Symphonies of Johann Stamitz. A Study in the Formation of The Classic Style. With a Thematic Catalogue of the Symphonies and Orchestral Trios, Utrecht u.a. 1981. 7