Deafblind Time Informationen zum gleichnamigen Informationsfilm
Deafblind Time Deafblind Time. Ich brauche viel Zeit. Muss vieles abtasten. Berühren. Erkennen. Abschreiben. Begreifen. Muss die Welt Stück um Stück zusammensuchen. Das braucht Zeit. Viel Zeit. Taubblind. Ich brauche viel Zeit. Über die Hände kommunizieren. Buchstabe um Buchstabe. Wörter entstehen. Sätze entstehen. Sinn entsteht. Stück um Stück. Hörsehbehindert sein macht müde. Mit der Lupe hantieren braucht Zeit. Von den Lippen absehen braucht Zeit. Alles braucht Zeit. Viel Zeit. Und ermüdet. Was du oft rasch nebenbei erledigst, wird für mich zum Tageswerk. Deafblind Time. Sie dauert eine lange Zeit. Ich bin da. Und warte. Warte. Warte. Nichts geschieht. Nichts lenkt mich ab. Kein Ton, keine Musik, kein Lachen. Keine Geste, keine Bewegung. Deafblind Time braucht viel Zeit. Deafblind Time dauert eine lange Zeit. Ein Widerspruch? Ja.
Inhalt 5 Wann sprechen wir von «taubblind»? 6 Was heisst es, taubblind zu sein? 8 Wieviele taubblinde Menschen gibt es in der Schweiz? 10 Wie leben Menschen, die weder hören noch sehen können? 12 Wie verbringen taubblinde Menschen ihren Alltag? 14 Wie kann ich mit Betroffenen ein Gespräch führen? 1 Ist es für taubblinde Menschen möglich, selbständig unterwegs zu sein? 18 Informationen und Kontaktadresse
Wann sprechen wir von «taubblind»? Eine Person ist taubblind, wenn sie gleichzeitig erheblich hörgeschädigt und erheblich sehgeschädigt ist. Das Sehen ist trotz chirurgischer, medikamentöser und optischer Korrekturen so stark eingeschränkt, dass alltägliche Handlungen tiefgreifend beeinträchtigt sind. Zugleich ist auch das Hörvermögen derart geschwächt, dass ein Gespräch trotz gut eingestellter Hörhilfen in einem normalen Umfeld, z.b. im Restaurant oder am Bahnhof, nur schwer möglich ist. Wichtig zu wissen ist, dass es taubblinde Menschen gibt, die gehörlos und blind sind, während andere noch einen nutzbaren Hör- und/ oder Sehrest haben. Die Bezeichnung «Taubblindheit» ist somit ein Oberbegriff. Die Kombination der beiden Sinnesbehinderungen verhindert, dass der eine Sinn jeweils mit dem anderen Sinn kompensiert, d.h. ausgeglichen werden kann. Deshalb können taubblinde Menschen auch nicht ohne weiteres Dienstleistungen und Hilfsmittel für sehbehinderte, blinde, schwerhörige oder gehörlose Menschen nutzen. Taubblind: Wie ist das? Nun: Eine blinde Person hört dich im Treppenhaus «Guten Tag» sagen. Eine gehörlose Person sieht dich lächeln. Eine taubblinde Person merkt kaum, dass du vor ihr stehst. 5
Was heisst es, taubblind zu sein? Ein blinder Mensch kann sich in vielen Situationen damit behelfen, genau hinzuhören. Er erfährt Informatives aus dem Radio und lässt sich bei Bedarf etwas beschreiben oder erklären. Ein gehörloser Mensch holt sich viele Informationen über genaues Beobachten und Lesen. Für einen taubblinden Menschen ist das eine wie das andere schwierig bzw. gar nicht möglich: Er kann aufgrund der Blindheit nicht einfach Sichtbares in Hörbares «übersetzen». Auch ist es ihm kaum oder gar nicht möglich, Gesprochenes von den Lippen abzusehen oder die Gebärdensprache der Gehörlosen zu «lesen». Und Hinweistafeln, Zeitungen, Bücher wie auch das Internet sind für ihn nur schwer oder gar nicht zugänglich. Da also der eine Sinn nicht durch den anderen Sinn kompensiert werden kann, führt dies für taubblinde Menschen zu drei charakteristischen Zusatzproblemen: Alleine unterwegs sein und sich orientieren, ist sehr schwierig. Gespräche verstehen und oft auch angemessen sprechen, ist stark beeinträchtigt. Der Zugang zu Informationen aller Art ist stark eingeschränkt. Fazit: Taubblindheit ist nicht die Summe von Sehbehinderung plus Hörbehinderung. Taubblindheit ist eine eigenständige Behinderungsform. 6
Wie viele taubblinde Menschen gibt es in der Schweiz? Die Studie zur «Lebenslage hörsehbehinderter Menschen in der Schweiz», auf die sich der Film stützt, hat ergeben, dass etwa 200 der betroffenen Menschen von Geburt an erheblich hörsehbehindert oder taubblind sind. Sie benötigen sehr intensive Betreuung und Förderung. Die mit Abstand grösste Gruppe umfasst etwa 9 000 Menschen: Sie wurden erst im späten Erwachsenenalter hörsehbehindert, d.h. nachdem sie also sehend und hörend gelebt haben oder bislang nur in einem Sinnesbereich eingeschränkt waren. Die meisten der Betroffenen sahen sich jedoch erst im Laufe des Erwachsenenalters mit einer Hörsehbehinderung konfrontiert. 300 bis 400 von ihnen wurden im Laufe der frühen oder mittleren Erwachsenenjahre zusätzlich zur bestehenden Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit sehbehindert oder blind. Grund dafür ist das Usher-Syndrom, eine Erbkrankheit. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Sinnesbehinderungen im hohen Alter weit verbreitet sind, d.h. mehr als 200 000 Menschen wenig sehen und zugleich schwerhörig sind. Leider wird dies oft nicht erkannt und häufig mit Zeichen von Alterung oder Demenz verwechselt. Vielfach bleibt eine Hörsehbehinderung auch bei geistig behinderten Menschen unerkannt. 8
Entsprechend geht der SZB für die Schweiz von mindestens 10 000 Personen aus, die hörsehbehindert sind. Und alle, die nicht als solche erkannt werden (vor allem im höheren Alter) erhalten in ihrer schwierigen Situation keine Unterstützung. 200 Personen sind seit Geburt erheblich hörsehbehindert oder taubblind 300 400 Personen wurden aufgrund einer Erbkrankheit hörsehbehindert (z.b. Usher) 9 000 Personen wurden im Alter hörsehbehindert 9
Wie leben Menschen, die weder hören noch sehen können? Ein Drittel der hörsehbehinderten und taubblinden Menschen, die sich beim SZB beraten lassen, lebt alleine und weitgehend selbständig in einer Wohnung. Ein Drittel lebt mit einer Partnerin resp. einem Partner oder mit anderen Angehörigen zusammen. Und ein weiteres Drittel lebt in einer Alters- oder Pflegeeinrichtung bzw. in einem Wohnheim für behinderte Menschen. Die Studie erfasste eindrücklich, was gefühlsmässig geschieht, wenn man unbekannte Menschen nicht mehr ansprechen kann, die Freunde ohne einem auf Vereinsreise gehen, man sich die Nägel von einer fremden Person schneiden lassen muss, unvermeidlich abhängig wird von anderen und deren Hilfe und Unterstützung. In kleinen Stücken geht verloren, was man konnte, was man erreicht hat, wer man als Person war Für betroffene Jugendliche sind wie für alle Jugendlichen die Schule und die Berufswahl sowie der Einstieg ins Arbeitsleben zentral. Und es braucht Kraft und Mut, trotz der Beeinträchtigungen durch die Sinnesschädigung den Weg zu gehen im Wissen, dass Seh- und Hörleistung sich schrittweise verringern. 10
Umso mehr gilt, betroffenen Menschen in mittleren und späteren Lebensjahren das zu erhalten, was für Sehende so selbstverständlich ist: gewohnten Tätigkeiten nachgehen die Arbeitsstelle behalten sich frei bewegen (Mobilität) Freizeittätigkeiten ausüben die Rolle als Mutter/Vater wahrnehmen den Haushalt führen für sich selber sorgen selbständig bleiben u.a.m. Um all dies bewerkstelligen zu können, brauchen betroffene Menschen viel Unterstützung: von Familienangehörigen, Freunden, professionellen Beratungspersonen und freiwilligen Mitarbeitenden des SZB. Solch eine Unterstützung ist zwar wertvoll, erhöht jedoch auch das Abhängigsein von anderen Menschen. Und es ist nicht leicht, immer wieder um Hilfe oder um einen Gefallen zu bitten Letztlich ist es sehr einengend, sich immer auf das Wichtigste beschränken zu müssen oder die eigenen Aktivitäten an die zeitliche Verfügbarkeit der anderen anzupassen. Spontane Entscheide sind unmöglich. Da viele taubblinde Menschen auch kaum Karriere machen können und meist wenig verdienen, geraten sie oft unweigerlich in die Armut. Müssen dann noch Pflege, Mobilität und Assistenz finanziert werden, sind sie auf die Sozialversicherungen sowie die Solidarität der Bevölkerung angewiesen. 11
Wie verbringen taubblinde Menschen ihren Alltag? Möglichst selbständig zu leben braucht viel Zeit und Kraft. Die meisten Betroffenen nehmen das auf sich, versuchen für sich und Angehörige zu sorgen, einen Haushalt zu führen, Kontakte zu haben. Etwa die Hälfte von ihnen ist pensioniert. Von jenen im Erwerbsalter kann nur etwa ein Fünftel einer regelmässigen Arbeit nachgehen. Viele haben ihre Stelle verloren und können sich nur selten freiwillig oder ehrenamtlich für etwas einsetzen, auch wenn sie das gerne würden. Sie sind weder in Vereinen, Kirchgemeinden oder anderen Interessensgruppen anzutreffen. Zu gross sind die Hindernisse, da insbesondere in Gruppen ein Kommunizieren kaum möglich ist, was wiederum die Teilnahme an vielen sozialen Anlässen erschwert oder gar verunmöglicht. Neue Menschen kennenlernen ist ebenfalls schwierig. So bleibt oft nur der Kontakt mit «alten Bekannten». Hier braucht es den unbedingten Anpassungswillen der Nichtbetroffenen, damit ein taubblinder oder hörsehbehinderter Mensch überhaupt irgendwo teilnehmen kann und nicht was leider oft geschieht ins soziale Abseits gerät. Der SZB sowie Selbsthilfegruppen betroffener Menschen organisieren spezielle Freizeit- und Bildungsanlässe, Kreativ-Ateliers, Ausflüge und auch Ferien, um die Isolation betroffener Menschen zu vermeiden. 12
Wie kann ich mit Betroffenen ein Gespräch führen? Über 80% der hörsehbehinderten Menschen können gut oder ziemlich verständlich sprechen. Bei den anderen braucht es etwas Übung oder Kenntnisse der Gebärdensprache, um sie zu verstehen. Schwieriger ist es für Betroffene Gespräche zu verstehen. Das gelingt nur, wenn wir uns der besonderen Situation anpassen: Gehen Sie für ein Gespräch in einen ruhigen Raum mit guter, heller Beleuchtung. Achten Sie darauf, dass die betroffene Person nicht geblendet ist (Fenster, Lampen). In den meisten Fällen können Sie in normaler Lautsprache sprechen. Je nach Situation versteht die betroffene Person etwas über das Gehör, sieht von den Lippen ab, interpretiert Mimik und Gesten. Meistens wird sie alles kombinieren und so zu verstehen versuchen, was Sie sagen wollen. Sprechen Sie deutlich und klar und immer mit Sichtkontakt, um das Absehen von den Lippen zu ermöglichen. Sie können etwas auch in grosser Schrift schreiben. Setzen Sie Gesten und Ihre Mimik ein. Wenn Sie regelmässig mit betroffenen Menschen Kontakt haben, lohnt es sich, die Gebärdensprache und/oder das Lormalphabet zu lernen. Begegnen Sie einer hörsehbehinderten Person, ist es am besten, direkt zu fragen, wie Sie mit ihr kommunizieren sollen. Sie weiss es am besten und ist sich meist gewohnt, diesbezüglich 14
zu informieren. Wichtig ist dann, dass Sie die vereinbarte Form unbedingt einhalten. Da es viele unterschiedliche Kommunikationsformen gibt, müssen sich die betroffenen Menschen wie auch ihr Umfeld immer wieder auf neue Situationen einlassen, diese akzeptieren und dazulernen. Die taubblindenspezifische Rehabilitation, eine Dienstleistung des SZB, unterstützt sie in diesem Prozess. weg? Was gibt es zu essen? Spricht mich jemand an? Worüber wird gesprochen, gelacht? Welche Aktion gibt s zurzeit im Laden? Hat es bereits Mandarinen? Und, und, und Bedenken Sie: Als sehende und hörende Person können Sie sich jederzeit und mit wenig Aufwand in der Welt informieren. Ein taubblinder Mensch ist jedoch immer darauf angewiesen, dass jemand ihm die Welt erklärt. Wer ist im Raum? Wer kommt? Wer ist bereits wieder Eine ausführliche Anleitung für die Begegnung mit hörsehbehinderten Menschen finden Sie in der SZB-Broschüre «Grüezi, ich heisse» unter www.szb.ch. 15
Ist es für taubblinde Menschen möglich, selbständig unterwegs zu sein? Selbständigkeit in der Mobilität ist auch für hörsehbehinderte Menschen wichtig, obwohl dies für sie gewisse Risiken birgt, sei es beim Benutzen der öffentlichen Verkehrsmittel, dem Überqueren verkehrsreicher Strassen oder in grossen Menschenansammlungen. Geschieht dabei etwas Unvorhergesehenes, kann eine taubblinde Person nicht einfach jemanden ansprechen, da sie weder Zurufe noch Durchsagen hört. Und es braucht auch nur wenig, um die Orientierung zu verlieren, z.b. wenn der Bus aufgrund einer Baustelle 50 Meter vor der üblichen 16 Haltestelle hält. Steigt der hörsehbehinderte Mensch hier aus, ist er an einem ihm völlig unbekannten Ort. Hörsehbehinderte Menschen gehen gerne ihnen bekannte Wege, auch wenn dies länger dauert. Wohl können sie neue Wege lernen, was aber sehr anstrengend ist und viel Zeit braucht. Ausserhalb der eigenen Wohnung können sie auch selten einen mal gefassten Plan einfach nach Gutdünken und Laune umgestalten es sei denn, sie sind in Begleitung. Und etwas nicht spontan entscheiden können ist eine grosse Einschränkung im Leben! Ja, jede Reise muss exakt vorbereitet werden. Und für viele Reisen wie auch für Einkäufe, Arztbesuche u.ä. am Wohnort sind sie auf Begleitpersonen angewiesen.
Diese Broschüre bietet zusätzliche Informationen zum gleichnamigen Film des SZB «Deafblind Time». Beide stützen sich auf den Forschungsbericht «Zur Lebenslage hörsehbehinderter Menschen in unterschiedlichen Lebensabschnitten in der Schweiz» der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik, Zürich, 2011 (siehe www.szb.ch, unter Rubrik «Adressen und Downloads») Der SZB sucht regelmässig Menschen, die bereit sind, einen Teil ihrer Freizeit als freiwillige Mitarbeiterin oder freiwilliger Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Melden Sie sich bitte für weitere Informationen bei einer der Kontaktadressen. Hilfe und Unterstützung: Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen SZB führt in Bellinzona, Bern, Lausanne, Lenzburg, Luzern, St.Gallen und Zürich spezialisierte Beratungsstellen für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen. Kontaktadresse: Schweizerischer Zentralverein für das Blindenwesen SZB Taubblinden und Hörsehbehinderten-Beratung Niederlenzer Kirchweg 1 CH-5600 Lenzburg Telefon +41 (0)62 888 28 68 Telefax +41 (0)62 888 28 60 taubblind@szb.ch 18
Herausgeber: Schweizerischer Zentralverein für das Blindenwesen SZB Schützengasse 4 CH-9001 St.Gallen sags.ch Telefon 071 223 36 36 Telefax 071 222 73 18 information@szb.ch www.szb.ch SZB, 2012