4. Kapitel Ein zahnloses Monster Lissi streckt die Zunge raus. Bäh!, sagt sie. Doof siehst du aus! Sie schaut in den Spiegel und zieht eine Grimasse. Hässlich, sagt sie, monstermäßig. Sie zischelt die Wörter durch ihre Zahnlücke hindurch. Wenn sie den Mund ganz breit zieht, sieht sie aus wie eine Hexe. Findet Lissi. Papa findet seine Zahnlücken-Tochter süß. Prinzessin, sagt er, egal, wie viele Zähne dir noch ausfallen für mich bist du die Schönste! Lissi will sich das lieber nicht vorstellen. Ganz ohne Zähne! Ein zahnloses Mümmelmonster. Als Opa aus Frankfurt anruft, kräht Orkun ins Telefon: Lissis Mund ist kaputt. Und der Apfel hat jetzt Zähne. Drei Stück. Da reißt Lissi ihm das Telefon aus der Hand. Gar nicht wahr. Nur ein Zahn ist rausgefallen, erklärt sie Opa. Aber ich darf mir was wünschen. Opa weiß sowieso, was Lissi sich wünscht. Er fragt, ob Lissi außer dem großen Wunsch nicht noch einen anderen hat, zum Beispiel den ganz bestimmten Schulranzen, den schönen roten, den mit dem Hundekopf drauf, den sie kürzlich zusammen in einem Laden in Frankfurt entdeckt haben. Ja, der ist toll, sagt Lissi, aber der ist zu teuer. Mama will lieber einen anderen aussuchen. Habt ihr etwa schon einen gekauft? Opa will sofort mit Mama sprechen. Und als Mama danach ein paarmal Ach, Vater seufzt und dabei den Kopf schüttelt, versteht Lissi, was das bedeutet: Opa hat den tollen Ranzen für sie gekauft! Sie jubelt los. Danke, Opa, danke, danke, ruft sie an Mama vorbei ins Telefon. Mama findet, Opa verwöhnt Lissi zu sehr. Papa findet, zum Schulanfang kann man gar nicht genug
verwöhnt werden. Das ist ein wichtiger Tag, sagt er feierlich, und darum gehen wir jetzt los und kaufen eine Schultüte. Hier?, fragt Mama dazwischen. Im Urlaub? Das können wir doch zu Hause machen. Aber Papa besteht darauf. Er meint, dass zu Hause die Zeit zu knapp ist. Da muss ich wieder arbeiten und kann nicht mit zum Einkaufen kommen. Lissi findet das eine gute Idee. Mit Papa und Mama zusammen etwas Schönes aussuchen, kommt nicht oft vor. Leider muss sie ertragen, dass auch Orkun mitkommt. Nerv bloß nicht!, zischelt sie ihm zu. Orkun drückt erschrocken sein Schlabberschaf an sich, das er unbedingt mitnehmen will. Wenigstens hat er so nur eine Hand frei, denkt Lissi. Er kann also nur Mamas Hand anfassen. Lissi hängt sich bei Papa ein.
Papa, sagt Lissi mit lang gezogener Schmeichelstimme, die ankündigt, dass sie etwas von Papa will. Papa legt seinen Arm um Lissis Schultern und drückt sie. Papa, sagt Lissi noch mal. Ich darf mir doch heute Nacht was wünschen, oder? Papa nickt.
Und das geht in Erfüllung, oder? Papa räuspert sich, dann sagt er Hm. Lissi beschließt, dass das Hm ein Ja ist. Dann muss ich doch nicht warten, bis ich lesen kann, oder? Lissi schaut Papa mit ihrem allerliebsten Tochter- Blick an. Papa gibt ihr einen Kuss ins Haar. Prinzessin, sagt er lächelnd, Sachen kann man sich vom Zahn leider nicht wünschen Sofort protestiert Lissi. Ein Hund ist doch keine Sache! Papa macht wieder Hm. Das tut er immer, wenn er nicht weiß, was er sagen soll. So gehen sie eine Weile, ohne zu reden. Plötzlich sagt Papa: Du könntest dir wünschen, ganz, ganz schnell lesen zu lernen. Nun ist es Lissi, die Hm macht. Ist doch klar, dass sie ganz schnell lesen lernt. Das muss sie sich doch nicht extra wünschen.
Vor ihnen beginnt jetzt die Straße, in der sich die Eisdiele befindet. Gerade gehen sie an dem weiß lackierten Haus vorbei, an das man keine Fahrräder anlehnen darf. Da stürmt Lissi von Papa weg, direkt auf das kleine Schild zu. Und außerdem kann ich schon lesen, ruft sie übermütig. Hier steht: Fahrräder anstellen verboten. Sie fährt mit dem Finger unter den Wörtern entlang, als ob sie sie tatsächlich vorliest. Da schnappt Papa seine Tochter und lacht und hebt sie in die Höhe, dass ihre Beine in der Luft zappeln. Prinzessin, ruft er, du bist nicht nur die Schönste, sondern auch die Schlaueste! Und dann trägt er sie durch die automatische Tür des großen Schreibwarengeschäftes und stellt sie erst vor den vielen Schultüten, die dort in einem Extra-Regal aufgebaut sind, wieder auf den Boden.