PS Morphologie - SoSe 09 Wolfgang Schulze 6. Allomorphie, Polysemie, Homophonie Ausgangspunkt: Ein (Fleions-)Morphem wird über Funktion und bestimmt: Funktion: Abbildung von bzw. Bezug auf Ko(n)tet-Eigenschaften : Abbildung von kategorialen Eigenschaften der leikalischen 'Basiseinheit' [Leikalische Basiseinheit = 'Host' im weiten Sinne des Terminus] K a t e g o r i e Kategorisierung Funktion Konzept Artikulation K / F Morph Ko(n)tet 1 Host Morpheme Beispiele (Deutsch) 1. [MALE] [SON] Kategorisierung Funktion <MANN> [man] M SG P-or [-əs] P-um Mann -es [X]
NOTA 1: Nominale Ausdrücke können nach mindestens drei Typen kategorisiert werden (sprachabhängig) [vgl. Jan Rijkhoff. The noun phrase. Oford: Oford University Press 2002. (Oford Studies in Typology and Linguistic Theory)] 1. Singular Object Nouns (SON): Die 'Voreinstellung' ist 'Singular', d.h. Objektvorstellungen ( Nomina) werden als Elemente (einer Menge) verarbeitet, also individuiert. 2. Set Nouns: Die 'Voreinstellung' ist 'Menge' (set), d.h. Objektvorstellungen ( Nomina) werden als Ausdrücke einer Menge (von X) verarbeitet. 3. Sort Nouns: Objektvorstellungen werden (wenn quantifiziert/gezählt, seltener wenn qualifiziert/attribuiert) mit einem 'Marker' versehen, der ihre 'Sorte' anzeigt (Nominalklassifikatoren). a. SON: Singular: Berg 2 Plural: Berge Kollektiv: Gebirge
a. SET NOUS: Set: Türkische ev 'Haus' Singular: Türkisch (bir) ev 'ein Haus' Plural. Türkisch ev-ler 3 NOTA 2: P-or ~ P-um [vgl. ausführlicher http://www.lrz-muenchen.de/~wschulze/ws0708/kapro7.pdf ] P-or = Possessor: Dasjenige Konzept, das als 'Besitzer von X' fungiert. P-um = Possessum: Dasjenige Konzept, das als ' eines Besitzers' fungiert. P-um stellt also den Kotet von P-or.
Beispiel 2 (Türkisch) [ROLE(A):PERSON] Kategorisierung Funktion <LIEBEN> /EV PRES 1Sg PRES / [sev-] [-iyor-] [-um] sev -iyor -um [X] love -PRES -1SG 'Ich liebe ' NOTA: EV = Ereignisvorstellung (Basistruktur: ) ROLE:A = (Qualifiziert für:) Agentive Rolle ALLO-Strukturen Zwei Typen: a. Die Artikulationsseite eines morphologischen sprachlichen Zeichens (Morphems), also das MORPH hat Varianten, ohne dass sich die Konzeptseite (/Funktion) des Morphems ändert. 4 b. Die Konzeptseite (/Funktion) eines morphologischen sprachlichen Zeichens (Morphems) hat Varianten, ohne dass sich die Artikulationsseite (also das MORPH) ändert. Typ 1: ALLOMPORH /Funktion K(M) Morphem Morph A 1 (M) A 2 (M) A 3 (M)
Beispiel (Deutsch, Auswahl, UL = Umlaut]: /Funktion PLURAL Morphem Morph [-ər] [-ən] [UL + -ər] Kind-er Frau-en Häus-er Türkisch: /Funktion P-or Morphem /-In/ Morph [-ir] [-ın] [-yn] [-un] 5 ev- in at-ın gül-ün kol-un house-gen horse-gen rose-gen arm-gen Drei Typen der Allomorphie a. Motiviert durch Anpassung an Artikulation (signifiant) des Basisleems (host), vgl. Türkisches Beispiel, hier Vokalharmonie (Vierer-Reihe): Stammvokal Suffivokal [i[, [e] [i] {-i-} [a], [ı] [ı] {-ı-} [o], [u] [u] {-u-} [y], [œ] [y] {-ü-}
Analog: Türkischer Ablativ: /-TAn/ ev-den house-abl von dem Haus at-tan horse-abl vom dem Pferd iş-ten work-abl von der Arbeit ağız-dan mouth-abl von dem Mund Vokalharmonie (Zweier-Reihe) Stammvokal [i], [e], [y], [œ] [a], [ı], [o], [u] Suffivokal [e] [a] Assimilation: Leikalischer Auslaut Suffianlaut [sth] [stl] [sth] [stl] b. Leikalisch motiviert: Die Leeme (hosts) selbst bestimmen über die Auswahl des Allomorphs (vgl. deutsches Beispiel) 6 NOTA: Leikalische Motivation geht oft auf historisch/ehemals artikulatorisch bedingte Motivation zurück. c. Teil-Allomorphie: Eine Morphem hat mehrere artikulatorische Varianten, die aber nur für einen Teil der kategorialen/funktionalen Ebene gelten. Teil-Allomorphien sind besonders häufig in fusionierenden Sprachen. Beispiel: (sie) sag-ø-t vs. (sie) sag-te-ø say-pres-3sg say-past-3sg Hier ist -t vs. -Ø allomorph in Bezug auf die 'Person' (3Sg), aber morphemisch in Bezug auf die Dimension 'ZEIT'.
3Sg [-Ø] [-t] PAST PRESENT Analog: Definiter Artikel {Nominativ; Singular} im Deutschen: NOMINATV [-er] [-i] [-as] MASC FEM NEUTER 7 TYP 2 Polysemie / Homophonie (~Homonymie) Homophonie (auch: Homonymie): Ein (hier:) Morphem hat eine Artikulation (Morph), aber mehrere Konzeptbereiche, die nicht mit einander 'verwandt' sind (vgl. leikalisch [Deutsch] Ball: 1. bewegliche Kugelgestalt; 2. Tanzereignis). PLURAL [-ə] Morph Morphem /-e 1 / ~ /e 2 / 1Sg PRES NOTA: bedeutet: Nicht verwandt!
Wenn zwei oder mehrere konzeptuelle Domänen (n/funktionen) mit einander verwandt sind, ist oftmals eine Frage der linguistischen Theorie. In vielen Fällen muss die Vermutung einer Nicht-Verwandtschaft als vorläufig angesehen werden, weil die zugrunde liegende Verwandtschaft (noch) nicht entdeckt ist, vgl. Deutsch (Ausschnitt) definiter Artikel + -er (Singular, Feminin) : GENITIV? [-er] Morph Morphem /-er/ DATIV Ebenso: Dyirbal -gu (Ausschnitt) DATIV [-gu] Morph Morphem /-gu/ 8 FINALIS Ergo: Die Bestimmung von nicht-verwandtschaft zweier oder mehrerer kategorialer oder funktionaler Dimensionen erfordert ein Wissen um nicht vereinbare Eigenschaften dieser Dimensionen, etwa: "Deutsch -er (Artikel Singular, Feminin) ist homophon, weil im Maskulinum Genitiv und Dativ unterschieden werden." "Dyirbal -gu ist homophon, weil die Wortarten der beiden host-typen (Nomen Dativ), Verb Finalis) grundsätzlich unterschiedlich sind." [Splitting] THESE: In vielen Fällen sind homophone Morpheme nichts naderes als Polysemien (s.u.), deren interne Struktur ('Verwandtschaft der Segmente') nicht nicht erkannt ist. (sog. Lumping)
Typ 3: Polysemie Ein Morphem hat eine Form (Morph) oder eine Reihe von Allomorphen, die zwei oder mehrere mit einander verwandte Konzeptbereiche symbolisieren. Latein -m (Singular) AKKUSATIV [-m] Morph Morphem /-m/ ALLATIV E.g.: amic-us amic-a-m vide-t friend-m:sg:nom friend-f-sg:acc see-3sg:pres 'der Freund sieht die Freundin.' amic-us Roma-m veni-t friend-m:sg:nom Rome:F-SG:ACC~ALL come-3sg:pres 'Der Freund kommt nach Rom.' 9 Unter Einschluss von Neutrum: templu-m in urb-e sta-t temple-n:sg:nom in town-f:sg:abl/loc stand-3sg:pres 'Der Tempel steht in der Stadt.' [-s], [-Ø] Allomorph (Nominativ Singular) AKKUSATIV NOMINATIV [-m] Morph Morphem /-m/ ALLATIV
Vereinfacht: NEUTR ALL AKK NOM [-s], [-Ø] [-m] Allomorph zu NOM:SG ------------------------------------------------------------------------------------------------ 10